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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

sie selbst gewissermaßen provozirt hatte." Dann vergegenwärtigt er, was alles
in Preußen ans dem praktisch in Betracht klimmenden Gebiete erreicht sei,
Sparkassenwesen, Vorschuß- und Konsumvereine, Kuappschnftskassen, gelverbliche
Hilfskassen, Haftpflichtgesetz, gelverbliche Schiedsgerichte n. s. w. Aus den ge¬
lverblichen Schiedsgerichten hofft der Handelsminister Schieds- und Einignngs-
cimter nach englischem Vorbilde hervorlvachsen zu sehen. Das scheint ihm aber
zu genügen. "Nach der Gesamtheit der vorstehend dargelegten Erwägungen
muß ich es für zweifelhaft erachten, ob von der Veranstaltung kommissarischer
Erörterungen seitens meines Ressorts, wie Ew. Durchlaucht dieselben anregen,
ein praktisch wertvolles Resultat erhofft werden kann, so lange wenigstens nicht
mit größerer Bestimmtheit die Ziele festgestellt sind, welche dabei ins Ange
zu fassen sein könnten, und ich würde Ew. Durchlaucht, wenn Hochdieselben
gleichwohl bei dem Gedanken beharren sollten, für eine derartige nähere Be¬
zeichnung der mit Bezug auf vorhandene Bedürfnisse dabei zu stellenden Auf¬
gaben zu Dank verpflichtet sein."

Ans dieses schreibet! des Handelsmiuisters folgte eine Erwiderung Bis-
marcks, datirt vom 17. November 1871. Bismarck erneuert seine Bitte ein
den Handelsminister, ihm zur Vorbereitung der weiter zu treffenden Maßregeln
seiue Mitwirkung nicht zu versagen, da er dessen Gedanken als ausschlag¬
gebend nicht anerkennen kann. Er weist darauf hin, daß die internationale
Sozialdemokratie (in Deutschland die Bebel-Liebknechtische Partei) im Gegensatz
zur Lassallischeu mit dem jetzigen Staate überhaupt nicht rechne, weder in
seiner nationalen noch in seiner prinzipiellen Bedeutung, daß sie vielmehr an
die Spitze ihres Programms die Forderung der Umformung der bestehenden
Staaten in den sozialistischen Volksstaat stelle und darum jede Mitwirkung
der bestehenden Regierung grundsätzlich zurückweise. Hiermit hebt Bismarck
bereits damals, im Jahre 1871, aufs schärfste deu grundsätzlichen Unterschied
hervor, der sich einerseits zwischen beiden damals bestehenden sozialistischen
Arbeiterparteien vorfand, anderseits zwischen der sogenannten Internationale,
die heutzutage die herrschende Arbeiterpartei geworden ist, und zwischen dem
Staate bestand und sort und fort besteht. Mit der erstern, der Lassallischeu
Partei, hatte Bismarck, seitdem sie im Jahre 1864 in Fluß gekommen war,
Fühlung gesucht. Er erkannte die Bedeutung Lassalles, dessen Streben dahin
ging, durch den Staat und die Staatsregierung eine Verbesserung des Loses
der Arbeiter zu erreichen, ein Streben, mit dem Bismarck grundsätzlich ein¬
verstanden war und das auch in der That Lassalle nicht gehindert haben
würde, sich zu einem konservativen Staatsmann zu entwickeln, wenn ihm das
Geschick vergönnt hätte, spätere Tage zu erleben. An Lassalle konnte Bismarck
nicht so vorübergehen, ivie es Jtzenplitz that, dem der Verkehr mit dem klugem
Agitator ein Greuel gewesen wäre und der in der Proviuzialkorrespondenz
(15. Februar 1865) das Treiben und Sinnen Lassalles als "revolutionär"


Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

sie selbst gewissermaßen provozirt hatte." Dann vergegenwärtigt er, was alles
in Preußen ans dem praktisch in Betracht klimmenden Gebiete erreicht sei,
Sparkassenwesen, Vorschuß- und Konsumvereine, Kuappschnftskassen, gelverbliche
Hilfskassen, Haftpflichtgesetz, gelverbliche Schiedsgerichte n. s. w. Aus den ge¬
lverblichen Schiedsgerichten hofft der Handelsminister Schieds- und Einignngs-
cimter nach englischem Vorbilde hervorlvachsen zu sehen. Das scheint ihm aber
zu genügen. „Nach der Gesamtheit der vorstehend dargelegten Erwägungen
muß ich es für zweifelhaft erachten, ob von der Veranstaltung kommissarischer
Erörterungen seitens meines Ressorts, wie Ew. Durchlaucht dieselben anregen,
ein praktisch wertvolles Resultat erhofft werden kann, so lange wenigstens nicht
mit größerer Bestimmtheit die Ziele festgestellt sind, welche dabei ins Ange
zu fassen sein könnten, und ich würde Ew. Durchlaucht, wenn Hochdieselben
gleichwohl bei dem Gedanken beharren sollten, für eine derartige nähere Be¬
zeichnung der mit Bezug auf vorhandene Bedürfnisse dabei zu stellenden Auf¬
gaben zu Dank verpflichtet sein."

Ans dieses schreibet! des Handelsmiuisters folgte eine Erwiderung Bis-
marcks, datirt vom 17. November 1871. Bismarck erneuert seine Bitte ein
den Handelsminister, ihm zur Vorbereitung der weiter zu treffenden Maßregeln
seiue Mitwirkung nicht zu versagen, da er dessen Gedanken als ausschlag¬
gebend nicht anerkennen kann. Er weist darauf hin, daß die internationale
Sozialdemokratie (in Deutschland die Bebel-Liebknechtische Partei) im Gegensatz
zur Lassallischeu mit dem jetzigen Staate überhaupt nicht rechne, weder in
seiner nationalen noch in seiner prinzipiellen Bedeutung, daß sie vielmehr an
die Spitze ihres Programms die Forderung der Umformung der bestehenden
Staaten in den sozialistischen Volksstaat stelle und darum jede Mitwirkung
der bestehenden Regierung grundsätzlich zurückweise. Hiermit hebt Bismarck
bereits damals, im Jahre 1871, aufs schärfste deu grundsätzlichen Unterschied
hervor, der sich einerseits zwischen beiden damals bestehenden sozialistischen
Arbeiterparteien vorfand, anderseits zwischen der sogenannten Internationale,
die heutzutage die herrschende Arbeiterpartei geworden ist, und zwischen dem
Staate bestand und sort und fort besteht. Mit der erstern, der Lassallischeu
Partei, hatte Bismarck, seitdem sie im Jahre 1864 in Fluß gekommen war,
Fühlung gesucht. Er erkannte die Bedeutung Lassalles, dessen Streben dahin
ging, durch den Staat und die Staatsregierung eine Verbesserung des Loses
der Arbeiter zu erreichen, ein Streben, mit dem Bismarck grundsätzlich ein¬
verstanden war und das auch in der That Lassalle nicht gehindert haben
würde, sich zu einem konservativen Staatsmann zu entwickeln, wenn ihm das
Geschick vergönnt hätte, spätere Tage zu erleben. An Lassalle konnte Bismarck
nicht so vorübergehen, ivie es Jtzenplitz that, dem der Verkehr mit dem klugem
Agitator ein Greuel gewesen wäre und der in der Proviuzialkorrespondenz
(15. Februar 1865) das Treiben und Sinnen Lassalles als „revolutionär"


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[0352] Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung sie selbst gewissermaßen provozirt hatte." Dann vergegenwärtigt er, was alles in Preußen ans dem praktisch in Betracht klimmenden Gebiete erreicht sei, Sparkassenwesen, Vorschuß- und Konsumvereine, Kuappschnftskassen, gelverbliche Hilfskassen, Haftpflichtgesetz, gelverbliche Schiedsgerichte n. s. w. Aus den ge¬ lverblichen Schiedsgerichten hofft der Handelsminister Schieds- und Einignngs- cimter nach englischem Vorbilde hervorlvachsen zu sehen. Das scheint ihm aber zu genügen. „Nach der Gesamtheit der vorstehend dargelegten Erwägungen muß ich es für zweifelhaft erachten, ob von der Veranstaltung kommissarischer Erörterungen seitens meines Ressorts, wie Ew. Durchlaucht dieselben anregen, ein praktisch wertvolles Resultat erhofft werden kann, so lange wenigstens nicht mit größerer Bestimmtheit die Ziele festgestellt sind, welche dabei ins Ange zu fassen sein könnten, und ich würde Ew. Durchlaucht, wenn Hochdieselben gleichwohl bei dem Gedanken beharren sollten, für eine derartige nähere Be¬ zeichnung der mit Bezug auf vorhandene Bedürfnisse dabei zu stellenden Auf¬ gaben zu Dank verpflichtet sein." Ans dieses schreibet! des Handelsmiuisters folgte eine Erwiderung Bis- marcks, datirt vom 17. November 1871. Bismarck erneuert seine Bitte ein den Handelsminister, ihm zur Vorbereitung der weiter zu treffenden Maßregeln seiue Mitwirkung nicht zu versagen, da er dessen Gedanken als ausschlag¬ gebend nicht anerkennen kann. Er weist darauf hin, daß die internationale Sozialdemokratie (in Deutschland die Bebel-Liebknechtische Partei) im Gegensatz zur Lassallischeu mit dem jetzigen Staate überhaupt nicht rechne, weder in seiner nationalen noch in seiner prinzipiellen Bedeutung, daß sie vielmehr an die Spitze ihres Programms die Forderung der Umformung der bestehenden Staaten in den sozialistischen Volksstaat stelle und darum jede Mitwirkung der bestehenden Regierung grundsätzlich zurückweise. Hiermit hebt Bismarck bereits damals, im Jahre 1871, aufs schärfste deu grundsätzlichen Unterschied hervor, der sich einerseits zwischen beiden damals bestehenden sozialistischen Arbeiterparteien vorfand, anderseits zwischen der sogenannten Internationale, die heutzutage die herrschende Arbeiterpartei geworden ist, und zwischen dem Staate bestand und sort und fort besteht. Mit der erstern, der Lassallischeu Partei, hatte Bismarck, seitdem sie im Jahre 1864 in Fluß gekommen war, Fühlung gesucht. Er erkannte die Bedeutung Lassalles, dessen Streben dahin ging, durch den Staat und die Staatsregierung eine Verbesserung des Loses der Arbeiter zu erreichen, ein Streben, mit dem Bismarck grundsätzlich ein¬ verstanden war und das auch in der That Lassalle nicht gehindert haben würde, sich zu einem konservativen Staatsmann zu entwickeln, wenn ihm das Geschick vergönnt hätte, spätere Tage zu erleben. An Lassalle konnte Bismarck nicht so vorübergehen, ivie es Jtzenplitz that, dem der Verkehr mit dem klugem Agitator ein Greuel gewesen wäre und der in der Proviuzialkorrespondenz (15. Februar 1865) das Treiben und Sinnen Lassalles als „revolutionär"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/352>, abgerufen am 28.12.2024.