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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

hier reden, im Gange, und wir werden die Verminderung der bürgerlichen
Freiheit, die uns durch die Güte der Fortschrittspartei beschert werden wird,
bald genug zu schmecken bekommen. Wir werden dann erst wieder durch die
Erfahrung klug werden, wie es sich denn auch im staatlichen Leben zeigt, daß
ein ganzes Geschlecht gerade so wie der Einzelne erst durch die Erfahrung klug
werden muß, die es selber macht. Manchmal kommt aber dann diese Erfahrung
zu spät, um noch heilsam zu sein. Doch wir wollen hier niemand belehren
und niemand bekehren.

Wir kommen auf das Schreiben Bismarcks zurück. Er sagt darin weiter,
daß er in Übereinstimmung mit dem Vertreter Österreichs zum weitern Vor¬
gehe"? in der angegebnen doppelten Weise an kommissarische Beratungen sach¬
kundiger ans beiden Ländern denke, und zu diesem Zwecke wünscht er von dem
Handelsminister Material für die Beratungen. Er will, daß der Handels¬
minister einen geeigneten Beamten aus seinen: Ressort bezeichne, um den sich
einige Männer sammeln sollen, die mit den Verhältnissen der Arbeiter in den
verschiedenen Gegenden des preußischen Staates vertraut wären, Grundbesitzer,
die ihre Güter selbst bewirtschafteten, Fabrikanten, die sich mit werkthätiger
Fürsorge für Ernährung, Gesundheit und Bildung der Arbeiter beschäftigten,
endlich Schriftsteller, die die verschiednen wissenschaftlichen Richtungen auf diesem
Gebiete verträten. Auch die Vernehmung von intelligenten Arbeitern soll nicht
ausgeschlossen sein. Es war also an eine Versammlung mit den wirtschaftlichen
Verhältnissen in den betreffenden Kreisen unterrichteter Männer gedacht, die
zunächst für den preususchen Staat die Punkte feststellen sollten, die sür eine
Besserung der wirtschaftlichen Lage der arbeitenden Klassen ins Auge zu fassen
wären, um dann weiter zu Entschlüssen zu führen, die in den größern euro¬
päischen Staaten, allen voran in Deutschland und Österreich-Ungarn, ihre Ver¬
wirklichung finden sollten. Es ist also derselbe Gedanke hier ausgesprochen
und zum Zwecke positiver Forderung der Arbeiterthätigkeit und ihrer Interessen
aufgestellt, der der Zusammenberufung einer internationalen Arbeiterschntz-
konferenz zu Grunde lag, wie sie Kaiser Wilhelm II. jüngst zur Erreichung
vorbeugender Maßregeln berief.

Der Haudelsmimster Graf Jtzenplitz wies es von sich, "dem Übel durch
stnatssozialistische Mittel" abzuhelfen. Vornehmlich wies er es von sich, durch
Einsetzung seiner Autorität oder seines Kredits bei Begründung oder Leitung
von Produktivassoziationen oder bei Auseinandersetzungen über den Anteil der
Arbeiter am Ertrage der gemeinsamen Arbeit auf die wirtschaftlichen Verhält¬
nisse einzuwirken. Damit kehrte sich der Handelsminister gegen ausgesprochene
Anstehen Bismarcks selbst. Denn Bismarck hatte bereis seit dem 15. Februar
1864 die Begründung von Produktivassoziationen durch Einsetzung eines ge¬
wissen staatlichen Kredits unterstützt, indem er die Deputation der Weber des
Waldenburger Kreises aus Wnstegiersdorf beim König eingeführt und es be-


Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung

hier reden, im Gange, und wir werden die Verminderung der bürgerlichen
Freiheit, die uns durch die Güte der Fortschrittspartei beschert werden wird,
bald genug zu schmecken bekommen. Wir werden dann erst wieder durch die
Erfahrung klug werden, wie es sich denn auch im staatlichen Leben zeigt, daß
ein ganzes Geschlecht gerade so wie der Einzelne erst durch die Erfahrung klug
werden muß, die es selber macht. Manchmal kommt aber dann diese Erfahrung
zu spät, um noch heilsam zu sein. Doch wir wollen hier niemand belehren
und niemand bekehren.

Wir kommen auf das Schreiben Bismarcks zurück. Er sagt darin weiter,
daß er in Übereinstimmung mit dem Vertreter Österreichs zum weitern Vor¬
gehe»? in der angegebnen doppelten Weise an kommissarische Beratungen sach¬
kundiger ans beiden Ländern denke, und zu diesem Zwecke wünscht er von dem
Handelsminister Material für die Beratungen. Er will, daß der Handels¬
minister einen geeigneten Beamten aus seinen: Ressort bezeichne, um den sich
einige Männer sammeln sollen, die mit den Verhältnissen der Arbeiter in den
verschiedenen Gegenden des preußischen Staates vertraut wären, Grundbesitzer,
die ihre Güter selbst bewirtschafteten, Fabrikanten, die sich mit werkthätiger
Fürsorge für Ernährung, Gesundheit und Bildung der Arbeiter beschäftigten,
endlich Schriftsteller, die die verschiednen wissenschaftlichen Richtungen auf diesem
Gebiete verträten. Auch die Vernehmung von intelligenten Arbeitern soll nicht
ausgeschlossen sein. Es war also an eine Versammlung mit den wirtschaftlichen
Verhältnissen in den betreffenden Kreisen unterrichteter Männer gedacht, die
zunächst für den preususchen Staat die Punkte feststellen sollten, die sür eine
Besserung der wirtschaftlichen Lage der arbeitenden Klassen ins Auge zu fassen
wären, um dann weiter zu Entschlüssen zu führen, die in den größern euro¬
päischen Staaten, allen voran in Deutschland und Österreich-Ungarn, ihre Ver¬
wirklichung finden sollten. Es ist also derselbe Gedanke hier ausgesprochen
und zum Zwecke positiver Forderung der Arbeiterthätigkeit und ihrer Interessen
aufgestellt, der der Zusammenberufung einer internationalen Arbeiterschntz-
konferenz zu Grunde lag, wie sie Kaiser Wilhelm II. jüngst zur Erreichung
vorbeugender Maßregeln berief.

Der Haudelsmimster Graf Jtzenplitz wies es von sich, „dem Übel durch
stnatssozialistische Mittel" abzuhelfen. Vornehmlich wies er es von sich, durch
Einsetzung seiner Autorität oder seines Kredits bei Begründung oder Leitung
von Produktivassoziationen oder bei Auseinandersetzungen über den Anteil der
Arbeiter am Ertrage der gemeinsamen Arbeit auf die wirtschaftlichen Verhält¬
nisse einzuwirken. Damit kehrte sich der Handelsminister gegen ausgesprochene
Anstehen Bismarcks selbst. Denn Bismarck hatte bereis seit dem 15. Februar
1864 die Begründung von Produktivassoziationen durch Einsetzung eines ge¬
wissen staatlichen Kredits unterstützt, indem er die Deputation der Weber des
Waldenburger Kreises aus Wnstegiersdorf beim König eingeführt und es be-


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[0348] Bismarck und die sozialpolitische Gesetzgebung hier reden, im Gange, und wir werden die Verminderung der bürgerlichen Freiheit, die uns durch die Güte der Fortschrittspartei beschert werden wird, bald genug zu schmecken bekommen. Wir werden dann erst wieder durch die Erfahrung klug werden, wie es sich denn auch im staatlichen Leben zeigt, daß ein ganzes Geschlecht gerade so wie der Einzelne erst durch die Erfahrung klug werden muß, die es selber macht. Manchmal kommt aber dann diese Erfahrung zu spät, um noch heilsam zu sein. Doch wir wollen hier niemand belehren und niemand bekehren. Wir kommen auf das Schreiben Bismarcks zurück. Er sagt darin weiter, daß er in Übereinstimmung mit dem Vertreter Österreichs zum weitern Vor¬ gehe»? in der angegebnen doppelten Weise an kommissarische Beratungen sach¬ kundiger ans beiden Ländern denke, und zu diesem Zwecke wünscht er von dem Handelsminister Material für die Beratungen. Er will, daß der Handels¬ minister einen geeigneten Beamten aus seinen: Ressort bezeichne, um den sich einige Männer sammeln sollen, die mit den Verhältnissen der Arbeiter in den verschiedenen Gegenden des preußischen Staates vertraut wären, Grundbesitzer, die ihre Güter selbst bewirtschafteten, Fabrikanten, die sich mit werkthätiger Fürsorge für Ernährung, Gesundheit und Bildung der Arbeiter beschäftigten, endlich Schriftsteller, die die verschiednen wissenschaftlichen Richtungen auf diesem Gebiete verträten. Auch die Vernehmung von intelligenten Arbeitern soll nicht ausgeschlossen sein. Es war also an eine Versammlung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen in den betreffenden Kreisen unterrichteter Männer gedacht, die zunächst für den preususchen Staat die Punkte feststellen sollten, die sür eine Besserung der wirtschaftlichen Lage der arbeitenden Klassen ins Auge zu fassen wären, um dann weiter zu Entschlüssen zu führen, die in den größern euro¬ päischen Staaten, allen voran in Deutschland und Österreich-Ungarn, ihre Ver¬ wirklichung finden sollten. Es ist also derselbe Gedanke hier ausgesprochen und zum Zwecke positiver Forderung der Arbeiterthätigkeit und ihrer Interessen aufgestellt, der der Zusammenberufung einer internationalen Arbeiterschntz- konferenz zu Grunde lag, wie sie Kaiser Wilhelm II. jüngst zur Erreichung vorbeugender Maßregeln berief. Der Haudelsmimster Graf Jtzenplitz wies es von sich, „dem Übel durch stnatssozialistische Mittel" abzuhelfen. Vornehmlich wies er es von sich, durch Einsetzung seiner Autorität oder seines Kredits bei Begründung oder Leitung von Produktivassoziationen oder bei Auseinandersetzungen über den Anteil der Arbeiter am Ertrage der gemeinsamen Arbeit auf die wirtschaftlichen Verhält¬ nisse einzuwirken. Damit kehrte sich der Handelsminister gegen ausgesprochene Anstehen Bismarcks selbst. Denn Bismarck hatte bereis seit dem 15. Februar 1864 die Begründung von Produktivassoziationen durch Einsetzung eines ge¬ wissen staatlichen Kredits unterstützt, indem er die Deputation der Weber des Waldenburger Kreises aus Wnstegiersdorf beim König eingeführt und es be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/348>, abgerufen am 22.07.2024.