Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sittenrichter

Im dritten Roman "Villenhvf" kommen wir mit ihr wieder einige Jahre
Ipäter zusammen, nachdem sie bei einem alten blasirten Aristokraten, dem
nervösen Grafen Trieuitz, in die Schule der Lebenskunst gegangen ist. Sie
hat noch immer keinen Eintritt in die gute Gesellschaft gefunden, sie will sich
ihn nun mit allen Mitteln erkämpfen. Ihre Jngendschwächen hat sie besiegt;
der Liebe bedarf sie nicht mehr, nur der Achtung, die ihre Millionen verdienen.
Um endlich genannt zu werden, versucht sie es, als Kunstbeschützerin sich ein¬
zuführen , so gleichgültig ihr auch alle Künste im Grunde von jeher
waren. Von einem in adlichen Kreisen beliebten Bildhauer, dein Pro¬
zessor Raßmcum, kauft sie eine große Marmorgruppe und stellt sie in
>drein Wintergarten auf. Da geschieht ewas.sehr Merkwürdiges. In einer
Nacht wird an dieser Gruppe in wirklich vernichtender Weise Kritik geübt, in¬
dem einer ihrer Hauptfiguren der Kopf abgeschlagen wird. Der Nachbar
Rnßmcmns, der junge Bildhauer Reinhold Mathesius, wird als jener Kritiker
w>t dem Hammer verdächtigt; mit Unrecht, sein Verwandter, der sozialistische
Portier des Villenhvfes, hat es gethan, und zwar deswegen, weil Naßmann
d^n von dein armen Reinhold angekauften Entwarf jeuer Gruppe in der Aus¬
führung verdorben hat. Das erfährt Leontine, und nun macht sie sich an den
it'ngen, schönen, urwüchsigen, genialen Reinhold heran, sie will seine Gönnerin,
'^ne Muse, sein Modell werden, tiur um endlich die Aufmerksamkeit der Welt
"uf sich zu lenken. Und in der That stellt sie sich dem trägen Genie
Nackt als Modell hin, damit dieser endlich die Eva in seiner neuen Gruppe
des ersten Menschenpaares vollende. Da erfährt sie die boshafteste Ironie des
^ chlcksals. In aller Treuherzigkeit und auch mit wahrem Bedauern muß ihr
er Künstler nach lungern Versuchen gestehen, daß sie zum Urbild der Eva
"es schon z" alte Formen habe, es geht wirklich uicht, ihren Leib nachzubilden.
ud nun kommt die zweite Enttäuschung. Um sich mit der guten Gesellschaft in
^' setzen, hat sich Leontine an die Spitze eines neu zu gründenden Wvhl-
Migkeitsvereins gestellt. Natürlich ist die Wohlthätigkeit pure Heuchelei, die
' ^name der Ausschußmitglieder dafür die Hauptsache. In den weiten Räumen
^ prächtigen Villa veranstaltet sie nach bekannten Mustern einen Wohl-
^ ^gkeitsbazar, besten Verkaufsbuden schöne Mädchen und Frauen aus
s^r und vornehmsten Familien des Berliner Westens als Verkäuferinnen
im^"' ^"dlich hat die strebsame Kommerzienrätin ihr Ziel erreicht: sie ist
, " "ut der großen Welt. Sogar eine königliche Prinzessin und eine leib-
^ s"ge Königin beehren den Bazar mit ihrem Besuch. Als aber die Priu-
^N>> erfährt, daß die arme Rieke, die sich im Dienste 'der Wohlthätigkeit auf-
^en lM, die trotz ihrer lächerlichen Erscheinung der Schutzengel unzähliger
^ ^ Familien war, die ihren ganzen Besitz an verschämten Hausarmen dem von
zu"k"^^ ^'gründeten Verein abtreten mußte, ohne ihnen im geringsten damit dienen
"Wien, ohne im Vereine selbst zu Sitz und Stimme zu kommen -- daß also


Sittenrichter

Im dritten Roman „Villenhvf" kommen wir mit ihr wieder einige Jahre
Ipäter zusammen, nachdem sie bei einem alten blasirten Aristokraten, dem
nervösen Grafen Trieuitz, in die Schule der Lebenskunst gegangen ist. Sie
hat noch immer keinen Eintritt in die gute Gesellschaft gefunden, sie will sich
ihn nun mit allen Mitteln erkämpfen. Ihre Jngendschwächen hat sie besiegt;
der Liebe bedarf sie nicht mehr, nur der Achtung, die ihre Millionen verdienen.
Um endlich genannt zu werden, versucht sie es, als Kunstbeschützerin sich ein¬
zuführen , so gleichgültig ihr auch alle Künste im Grunde von jeher
waren. Von einem in adlichen Kreisen beliebten Bildhauer, dein Pro¬
zessor Raßmcum, kauft sie eine große Marmorgruppe und stellt sie in
>drein Wintergarten auf. Da geschieht ewas.sehr Merkwürdiges. In einer
Nacht wird an dieser Gruppe in wirklich vernichtender Weise Kritik geübt, in¬
dem einer ihrer Hauptfiguren der Kopf abgeschlagen wird. Der Nachbar
Rnßmcmns, der junge Bildhauer Reinhold Mathesius, wird als jener Kritiker
w>t dem Hammer verdächtigt; mit Unrecht, sein Verwandter, der sozialistische
Portier des Villenhvfes, hat es gethan, und zwar deswegen, weil Naßmann
d^n von dein armen Reinhold angekauften Entwarf jeuer Gruppe in der Aus¬
führung verdorben hat. Das erfährt Leontine, und nun macht sie sich an den
it'ngen, schönen, urwüchsigen, genialen Reinhold heran, sie will seine Gönnerin,
'^ne Muse, sein Modell werden, tiur um endlich die Aufmerksamkeit der Welt
"uf sich zu lenken. Und in der That stellt sie sich dem trägen Genie
Nackt als Modell hin, damit dieser endlich die Eva in seiner neuen Gruppe
des ersten Menschenpaares vollende. Da erfährt sie die boshafteste Ironie des
^ chlcksals. In aller Treuherzigkeit und auch mit wahrem Bedauern muß ihr
er Künstler nach lungern Versuchen gestehen, daß sie zum Urbild der Eva
"es schon z» alte Formen habe, es geht wirklich uicht, ihren Leib nachzubilden.
ud nun kommt die zweite Enttäuschung. Um sich mit der guten Gesellschaft in
^' setzen, hat sich Leontine an die Spitze eines neu zu gründenden Wvhl-
Migkeitsvereins gestellt. Natürlich ist die Wohlthätigkeit pure Heuchelei, die
' ^name der Ausschußmitglieder dafür die Hauptsache. In den weiten Räumen
^ prächtigen Villa veranstaltet sie nach bekannten Mustern einen Wohl-
^ ^gkeitsbazar, besten Verkaufsbuden schöne Mädchen und Frauen aus
s^r und vornehmsten Familien des Berliner Westens als Verkäuferinnen
im^"' ^"dlich hat die strebsame Kommerzienrätin ihr Ziel erreicht: sie ist
, " "ut der großen Welt. Sogar eine königliche Prinzessin und eine leib-
^ s«ge Königin beehren den Bazar mit ihrem Besuch. Als aber die Priu-
^N>> erfährt, daß die arme Rieke, die sich im Dienste 'der Wohlthätigkeit auf-
^en lM, die trotz ihrer lächerlichen Erscheinung der Schutzengel unzähliger
^ ^ Familien war, die ihren ganzen Besitz an verschämten Hausarmen dem von
zu"k"^^ ^'gründeten Verein abtreten mußte, ohne ihnen im geringsten damit dienen
"Wien, ohne im Vereine selbst zu Sitz und Stimme zu kommen — daß also


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207622"/>
          <fw type="header" place="top"> Sittenrichter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_906" next="#ID_907"> Im dritten Roman &#x201E;Villenhvf" kommen wir mit ihr wieder einige Jahre<lb/>
Ipäter zusammen, nachdem sie bei einem alten blasirten Aristokraten, dem<lb/>
nervösen Grafen Trieuitz, in die Schule der Lebenskunst gegangen ist. Sie<lb/>
hat noch immer keinen Eintritt in die gute Gesellschaft gefunden, sie will sich<lb/>
ihn nun mit allen Mitteln erkämpfen. Ihre Jngendschwächen hat sie besiegt;<lb/>
der Liebe bedarf sie nicht mehr, nur der Achtung, die ihre Millionen verdienen.<lb/>
Um endlich genannt zu werden, versucht sie es, als Kunstbeschützerin sich ein¬<lb/>
zuführen , so gleichgültig ihr auch alle Künste im Grunde von jeher<lb/>
waren. Von einem in adlichen Kreisen beliebten Bildhauer, dein Pro¬<lb/>
zessor Raßmcum, kauft sie eine große Marmorgruppe und stellt sie in<lb/>
&gt;drein Wintergarten auf. Da geschieht ewas.sehr Merkwürdiges. In einer<lb/>
Nacht wird an dieser Gruppe in wirklich vernichtender Weise Kritik geübt, in¬<lb/>
dem einer ihrer Hauptfiguren der Kopf abgeschlagen wird. Der Nachbar<lb/>
Rnßmcmns, der junge Bildhauer Reinhold Mathesius, wird als jener Kritiker<lb/>
w&gt;t dem Hammer verdächtigt; mit Unrecht, sein Verwandter, der sozialistische<lb/>
Portier des Villenhvfes, hat es gethan, und zwar deswegen, weil Naßmann<lb/>
d^n von dein armen Reinhold angekauften Entwarf jeuer Gruppe in der Aus¬<lb/>
führung verdorben hat. Das erfährt Leontine, und nun macht sie sich an den<lb/>
it'ngen, schönen, urwüchsigen, genialen Reinhold heran, sie will seine Gönnerin,<lb/>
'^ne Muse, sein Modell werden, tiur um endlich die Aufmerksamkeit der Welt<lb/>
"uf sich zu lenken. Und in der That stellt sie sich dem trägen Genie<lb/>
Nackt als Modell hin, damit dieser endlich die Eva in seiner neuen Gruppe<lb/>
des ersten Menschenpaares vollende. Da erfährt sie die boshafteste Ironie des<lb/>
^ chlcksals. In aller Treuherzigkeit und auch mit wahrem Bedauern muß ihr<lb/>
er Künstler nach lungern Versuchen gestehen, daß sie zum Urbild der Eva<lb/>
"es schon z» alte Formen habe, es geht wirklich uicht, ihren Leib nachzubilden.<lb/>
ud nun kommt die zweite Enttäuschung. Um sich mit der guten Gesellschaft in<lb/>
^'  setzen, hat sich Leontine an die Spitze eines neu zu gründenden Wvhl-<lb/>
Migkeitsvereins gestellt. Natürlich ist die Wohlthätigkeit pure Heuchelei, die<lb/>
' ^name der Ausschußmitglieder dafür die Hauptsache. In den weiten Räumen<lb/>
^ prächtigen Villa veranstaltet sie nach bekannten Mustern einen Wohl-<lb/>
^ ^gkeitsbazar, besten Verkaufsbuden schöne Mädchen und Frauen aus<lb/>
s^r und vornehmsten Familien des Berliner Westens als Verkäuferinnen<lb/>
im^"' ^"dlich hat die strebsame Kommerzienrätin ihr Ziel erreicht: sie ist<lb/>
, " "ut der großen Welt. Sogar eine königliche Prinzessin und eine leib-<lb/>
^ s«ge Königin beehren den Bazar mit ihrem Besuch. Als aber die Priu-<lb/>
^N&gt;&gt; erfährt, daß die arme Rieke, die sich im Dienste 'der Wohlthätigkeit auf-<lb/>
^en lM, die trotz ihrer lächerlichen Erscheinung der Schutzengel unzähliger<lb/>
^ ^ Familien war, die ihren ganzen Besitz an verschämten Hausarmen dem von<lb/>
zu"k"^^ ^'gründeten Verein abtreten mußte, ohne ihnen im geringsten damit dienen<lb/>
"Wien, ohne im Vereine selbst zu Sitz und Stimme zu kommen &#x2014; daß also</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] Sittenrichter Im dritten Roman „Villenhvf" kommen wir mit ihr wieder einige Jahre Ipäter zusammen, nachdem sie bei einem alten blasirten Aristokraten, dem nervösen Grafen Trieuitz, in die Schule der Lebenskunst gegangen ist. Sie hat noch immer keinen Eintritt in die gute Gesellschaft gefunden, sie will sich ihn nun mit allen Mitteln erkämpfen. Ihre Jngendschwächen hat sie besiegt; der Liebe bedarf sie nicht mehr, nur der Achtung, die ihre Millionen verdienen. Um endlich genannt zu werden, versucht sie es, als Kunstbeschützerin sich ein¬ zuführen , so gleichgültig ihr auch alle Künste im Grunde von jeher waren. Von einem in adlichen Kreisen beliebten Bildhauer, dein Pro¬ zessor Raßmcum, kauft sie eine große Marmorgruppe und stellt sie in >drein Wintergarten auf. Da geschieht ewas.sehr Merkwürdiges. In einer Nacht wird an dieser Gruppe in wirklich vernichtender Weise Kritik geübt, in¬ dem einer ihrer Hauptfiguren der Kopf abgeschlagen wird. Der Nachbar Rnßmcmns, der junge Bildhauer Reinhold Mathesius, wird als jener Kritiker w>t dem Hammer verdächtigt; mit Unrecht, sein Verwandter, der sozialistische Portier des Villenhvfes, hat es gethan, und zwar deswegen, weil Naßmann d^n von dein armen Reinhold angekauften Entwarf jeuer Gruppe in der Aus¬ führung verdorben hat. Das erfährt Leontine, und nun macht sie sich an den it'ngen, schönen, urwüchsigen, genialen Reinhold heran, sie will seine Gönnerin, '^ne Muse, sein Modell werden, tiur um endlich die Aufmerksamkeit der Welt "uf sich zu lenken. Und in der That stellt sie sich dem trägen Genie Nackt als Modell hin, damit dieser endlich die Eva in seiner neuen Gruppe des ersten Menschenpaares vollende. Da erfährt sie die boshafteste Ironie des ^ chlcksals. In aller Treuherzigkeit und auch mit wahrem Bedauern muß ihr er Künstler nach lungern Versuchen gestehen, daß sie zum Urbild der Eva "es schon z» alte Formen habe, es geht wirklich uicht, ihren Leib nachzubilden. ud nun kommt die zweite Enttäuschung. Um sich mit der guten Gesellschaft in ^' setzen, hat sich Leontine an die Spitze eines neu zu gründenden Wvhl- Migkeitsvereins gestellt. Natürlich ist die Wohlthätigkeit pure Heuchelei, die ' ^name der Ausschußmitglieder dafür die Hauptsache. In den weiten Räumen ^ prächtigen Villa veranstaltet sie nach bekannten Mustern einen Wohl- ^ ^gkeitsbazar, besten Verkaufsbuden schöne Mädchen und Frauen aus s^r und vornehmsten Familien des Berliner Westens als Verkäuferinnen im^"' ^"dlich hat die strebsame Kommerzienrätin ihr Ziel erreicht: sie ist , " "ut der großen Welt. Sogar eine königliche Prinzessin und eine leib- ^ s«ge Königin beehren den Bazar mit ihrem Besuch. Als aber die Priu- ^N>> erfährt, daß die arme Rieke, die sich im Dienste 'der Wohlthätigkeit auf- ^en lM, die trotz ihrer lächerlichen Erscheinung der Schutzengel unzähliger ^ ^ Familien war, die ihren ganzen Besitz an verschämten Hausarmen dem von zu"k"^^ ^'gründeten Verein abtreten mußte, ohne ihnen im geringsten damit dienen "Wien, ohne im Vereine selbst zu Sitz und Stimme zu kommen — daß also

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/327>, abgerufen am 21.06.2024.