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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Maßgebliches und Umnaßgcl'liebes

Eine Republik herbeiführen lvollen, ist kein Wert liinstlicher Agitation. Ich
bin Demokrat in dem Sinne, daß nur der Staat und seine Form nnr des
Volkes wegen da ist. Ich anerkenne nur das Recht der Könige, das ihnen die
Rücksicht sür das Wohl aller übertragen hat. Die preußische Dynastie leidet noch
zu sehr an der Selbstüberhebung der Eitelkeit, am Stolz angeborener Einbildungen.
Diese sind zu bekämpfen, diesen gegenüber ist das freie Bürgerbewußtsein mit
edlem Mute aufrecht zu erhalten, mit aller Entsagung geltend zu machen. Doch
wollen wir uns hüten, den Preußischen Staat gerade jetzt, wo er Deutschland und
der Welt gegenüber eine so große Ausgabe zu losen hat, innerlich zu schwächen.
Der Prinzipienstreit darf das Gewicht nicht schmälern, mit welchem Preußen
seineu Einfluß, seine Geltung in die Wagschale der Entscheidung zu legen hat.
Deshalb bin ich nicht dafür, daß die neuen Vertreter mit zuviel Leidenschaft an
dasjenige Werk anknüpfen sollen, das am 9. November in Berlin stehen geblieben
ist. Eine großartige Satisfaktion muß der intelligente Teil unsers Vaterlandes
den Dcpulirien geben, die nach dem 9. November nnter den Bajonetten fortzn-
tngen wagten -- das ist Ehrenpflicht, der jämmerlichen reaktionären Wühlerei
gegenüber -- aber eine Persönlichkeitsfrage darf die allgemeine Sache des
Landes nicht werden. Die Krone soll erfahren, daß sie Unrecht gethan hat die
eben erst grünenden Keime eines neuen ans der Märzrevolution hervorblühenden
Rechtes, das Recht der Vereinbarung, zertreten zu haben. Sie soll wissen, daß
sie die Gefahren vergrößerte, die Unfreiheit der Versammlung in Berlin über¬
trieb, nur um ihre alte einseitige Kraft zu zeigen und dem Soldatengeiste, der
nach Wiedereinsetzung in seine alte Herrlichkeit verlangte, eine Genugthuung zu
geben. Die oktroyirte Verfassung soll uns als ein ZngestiiudniS willkommen sein,
keineswegs aber als ein Gesetz. Die Revision, die der König voraussehe,
bietet die friedlichste Handhabe zu einer Versöhnung; die Revision setzt die Arbeit
da fort, wo wir am 9. November standen und beide Kammern vereinigen sich >u
jene frühere Generalrepräsentation des Volkes, das mit seinen Fürsten über
die Bedingungen gegenseitiger Rechte und Pflichten unterhandelt. Unterliegt
diese Ansicht, so mögen die. die die Gewalt haben, der Geschichte dafür verant¬
wortlich bleiben! Der Boltsfreuud kauu dann nnr noch an das Einzelne sich
halten, an diejenigen Gesetze, die dazu beitragen sollen die Lasten zu erleichtern,
das Vertrauen wieder Herznsteilen mit" jene innere Freiheit der Geister anzu¬
bahnen, mit der wir bei aller Bildung doch bei uns leider noch sehr wenig ge¬
segnet sind

Ich habe achtzehn Jahre unabhängig gelebt, ich habe leinen andern Ehrgeiz,
als die Wahrheit zu befördern. Ich gehe ruhig meinen Weg, aber ich gehe ihn
fest und unerschrocken. Ich siihle mehr für die Niedrigen als für die Hohen, ich
gestehe, daß ich den Übermut der letztern hasse, ebenso wie ich mich nimmermehr
"nterfangen würde, von unsrer irdischen Bestimmung zu sagen, sie könne eine günz
vollkommene werden. Man soll dein Armen Hilfe geben, aber nicht mit Glück¬
seligkeiten quälen, die keine menschliche Hand beschaffen kann.¬

Ich gliche für die großen und schönen Zwecke des Lebens, für Freiheit, Vater
land, für Aufklärung, für allgemeine Bildung. Was diesen Zwecken im Wege
steht, ist mir verhaßt, und nimmer würd' ich ruhen, es zu verfolgen. Aber ich
prüfe gern, ich höre gern beide Ansichten, ich urteile erst, wenn ich die Thatsachen
übersehen habe. Vielleicht giebt mir diese Stimmung Beruf zum Gesetzgeber. Beruf
zum Anwalt des Volkes; denn das Volk ist eben der Ausdruck der widerstreilendsten
Interessen.


Maßgebliches und Umnaßgcl'liebes

Eine Republik herbeiführen lvollen, ist kein Wert liinstlicher Agitation. Ich
bin Demokrat in dem Sinne, daß nur der Staat und seine Form nnr des
Volkes wegen da ist. Ich anerkenne nur das Recht der Könige, das ihnen die
Rücksicht sür das Wohl aller übertragen hat. Die preußische Dynastie leidet noch
zu sehr an der Selbstüberhebung der Eitelkeit, am Stolz angeborener Einbildungen.
Diese sind zu bekämpfen, diesen gegenüber ist das freie Bürgerbewußtsein mit
edlem Mute aufrecht zu erhalten, mit aller Entsagung geltend zu machen. Doch
wollen wir uns hüten, den Preußischen Staat gerade jetzt, wo er Deutschland und
der Welt gegenüber eine so große Ausgabe zu losen hat, innerlich zu schwächen.
Der Prinzipienstreit darf das Gewicht nicht schmälern, mit welchem Preußen
seineu Einfluß, seine Geltung in die Wagschale der Entscheidung zu legen hat.
Deshalb bin ich nicht dafür, daß die neuen Vertreter mit zuviel Leidenschaft an
dasjenige Werk anknüpfen sollen, das am 9. November in Berlin stehen geblieben
ist. Eine großartige Satisfaktion muß der intelligente Teil unsers Vaterlandes
den Dcpulirien geben, die nach dem 9. November nnter den Bajonetten fortzn-
tngen wagten — das ist Ehrenpflicht, der jämmerlichen reaktionären Wühlerei
gegenüber — aber eine Persönlichkeitsfrage darf die allgemeine Sache des
Landes nicht werden. Die Krone soll erfahren, daß sie Unrecht gethan hat die
eben erst grünenden Keime eines neuen ans der Märzrevolution hervorblühenden
Rechtes, das Recht der Vereinbarung, zertreten zu haben. Sie soll wissen, daß
sie die Gefahren vergrößerte, die Unfreiheit der Versammlung in Berlin über¬
trieb, nur um ihre alte einseitige Kraft zu zeigen und dem Soldatengeiste, der
nach Wiedereinsetzung in seine alte Herrlichkeit verlangte, eine Genugthuung zu
geben. Die oktroyirte Verfassung soll uns als ein ZngestiiudniS willkommen sein,
keineswegs aber als ein Gesetz. Die Revision, die der König voraussehe,
bietet die friedlichste Handhabe zu einer Versöhnung; die Revision setzt die Arbeit
da fort, wo wir am 9. November standen und beide Kammern vereinigen sich >u
jene frühere Generalrepräsentation des Volkes, das mit seinen Fürsten über
die Bedingungen gegenseitiger Rechte und Pflichten unterhandelt. Unterliegt
diese Ansicht, so mögen die. die die Gewalt haben, der Geschichte dafür verant¬
wortlich bleiben! Der Boltsfreuud kauu dann nnr noch an das Einzelne sich
halten, an diejenigen Gesetze, die dazu beitragen sollen die Lasten zu erleichtern,
das Vertrauen wieder Herznsteilen mit» jene innere Freiheit der Geister anzu¬
bahnen, mit der wir bei aller Bildung doch bei uns leider noch sehr wenig ge¬
segnet sind

Ich habe achtzehn Jahre unabhängig gelebt, ich habe leinen andern Ehrgeiz,
als die Wahrheit zu befördern. Ich gehe ruhig meinen Weg, aber ich gehe ihn
fest und unerschrocken. Ich siihle mehr für die Niedrigen als für die Hohen, ich
gestehe, daß ich den Übermut der letztern hasse, ebenso wie ich mich nimmermehr
»nterfangen würde, von unsrer irdischen Bestimmung zu sagen, sie könne eine günz
vollkommene werden. Man soll dein Armen Hilfe geben, aber nicht mit Glück¬
seligkeiten quälen, die keine menschliche Hand beschaffen kann.¬

Ich gliche für die großen und schönen Zwecke des Lebens, für Freiheit, Vater
land, für Aufklärung, für allgemeine Bildung. Was diesen Zwecken im Wege
steht, ist mir verhaßt, und nimmer würd' ich ruhen, es zu verfolgen. Aber ich
prüfe gern, ich höre gern beide Ansichten, ich urteile erst, wenn ich die Thatsachen
übersehen habe. Vielleicht giebt mir diese Stimmung Beruf zum Gesetzgeber. Beruf
zum Anwalt des Volkes; denn das Volk ist eben der Ausdruck der widerstreilendsten
Interessen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/292>, abgerufen am 27.12.2024.