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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Aus den Iugendjcchren der ^ozialdemvkrcitie

Seit I > I l erschiene" eine Anzahl von Schriften von ihm. In der ersten
stellt er in Gemeinschaft mit dem Geschichtschreiber Thierrh einen Plan ans,
.die europäische Gesellschaft umzugestalten und alle Völker Europas unbeschadet
ihrer nationalen Unabhängigkeit zu einem politischen Körper zu vereinigen."
Noch wichtiger sind sein KMe-ins inäustriöl (1821) und sein L^eoniLms av8
ineIu8trilZl8 (1823), die sich mit den Grundgedanken der neuen sozialen Philo¬
sophie befassen. Man hat hier die erste deutliche Erscheinung der Elemente
vor sich, die sich in Frankreich später bekämpfen sollten. Aber wir können hier
nur ihren wesentlichsten Ausgangspunkt mitteilen, der in dem Gedanken einer
Neugestaltung der Industrie liegt. Die arbeitende Kraft der Menschheit ist
dem Verfasser das Wichtigste des ganze" menschlichen Lebens, sie allein macht
die Gesamtheit und die Einzelnen reich, ohne sie giebt es keine wahre Ent¬
wicklung, und wie mir Ende alles durch die Industrie geschieht, so sollte auch
alles für sie geschehen. Der jetzige Zustand der Dinge aber zeigt das Gegen¬
teil; die in der Industrie thätige, die arbeitende Klasse ist "och immer die
letzte, die unterste Klasse. Wie hat um ein solches verkehrtes Verhältnis ent¬
stehen können? Und wie ist ihm abzuhelfen? Die Geschichte zeigt, wie sich
die Industrie allmählich vom Grundbesitz abgelöst und selbständig gemacht,
dann aber auch, wie das Kapital sie überwältigt und sich unterworfen hat,
"ud wie endlich die vermehrten Bedürfnisse der Staaten diesen Besitz an Kapi¬
talien zu einer Macht im Staate erhoben haben. So ist der Gegensatz zwischen
Kapital und Industrie oder Arbeit entstanden. Bei diesem nimmt aber der
Stand der Legisteu, der Rechtskundigen, eine Mittelstellung ein: er dient dem
Kapital, ist ihm jedoch innerlich feind, er beherrscht die Arbeit, erhält sie aber.
Das ganze System ist daher ein offenbarer Widerspruch; denn das Natürliche
ist, daß das nu sich Wichtigste auch für andre das erste, daß mit andern
Worten die Klasse der Industriellen, der Arbeitenden, im Staate die herrschende
sei, "und wir unternehmen es, fügt Se. Simon hinzu, die Industriellen auf
die erste Stufe des Ansehens und der Macht zu erheben."

Der bisher allerdings vorhandene und empfundene, aber uoch unklare
Gegensatz des Proletariats und der besitzenden Klasse war hier zum erstenmale
deutlich mlsgesprocheu und der Welt zum Bewußtsein gebracht, und darau
schloß sich in der letzten Schrift Se. Simons, die 1825> erschien und deu Titel
Nouvsau Ndrisdimnnne führte, der religiöse Teil des Systems. Die Er¬
hebung der Industriellen der Arbeitenden kann uur durch die liebende Hin¬
gebung der Menschen, "ur auf moralischem Gebiete und mit dessen Mitteln
bewirkt werden, und in der Überzeugung, daß er zwar keine neue Liebe predige,
aber der Liebe eine neue Aufgabe stelle, erhebt sich Se. Simon zu dem Glauben,
daß er berufen sei, eine neue Religion zu grttudem Ju der geununten kurzen
Schrift giebt er eine Kritik der bestehenden Religionen, die mit dem Aufrufe
schließt, mau wolle sich im Geiste des Christentums, das in seiner jetzigen


Aus den Iugendjcchren der ^ozialdemvkrcitie

Seit I > I l erschiene» eine Anzahl von Schriften von ihm. In der ersten
stellt er in Gemeinschaft mit dem Geschichtschreiber Thierrh einen Plan ans,
.die europäische Gesellschaft umzugestalten und alle Völker Europas unbeschadet
ihrer nationalen Unabhängigkeit zu einem politischen Körper zu vereinigen."
Noch wichtiger sind sein KMe-ins inäustriöl (1821) und sein L^eoniLms av8
ineIu8trilZl8 (1823), die sich mit den Grundgedanken der neuen sozialen Philo¬
sophie befassen. Man hat hier die erste deutliche Erscheinung der Elemente
vor sich, die sich in Frankreich später bekämpfen sollten. Aber wir können hier
nur ihren wesentlichsten Ausgangspunkt mitteilen, der in dem Gedanken einer
Neugestaltung der Industrie liegt. Die arbeitende Kraft der Menschheit ist
dem Verfasser das Wichtigste des ganze» menschlichen Lebens, sie allein macht
die Gesamtheit und die Einzelnen reich, ohne sie giebt es keine wahre Ent¬
wicklung, und wie mir Ende alles durch die Industrie geschieht, so sollte auch
alles für sie geschehen. Der jetzige Zustand der Dinge aber zeigt das Gegen¬
teil; die in der Industrie thätige, die arbeitende Klasse ist »och immer die
letzte, die unterste Klasse. Wie hat um ein solches verkehrtes Verhältnis ent¬
stehen können? Und wie ist ihm abzuhelfen? Die Geschichte zeigt, wie sich
die Industrie allmählich vom Grundbesitz abgelöst und selbständig gemacht,
dann aber auch, wie das Kapital sie überwältigt und sich unterworfen hat,
»ud wie endlich die vermehrten Bedürfnisse der Staaten diesen Besitz an Kapi¬
talien zu einer Macht im Staate erhoben haben. So ist der Gegensatz zwischen
Kapital und Industrie oder Arbeit entstanden. Bei diesem nimmt aber der
Stand der Legisteu, der Rechtskundigen, eine Mittelstellung ein: er dient dem
Kapital, ist ihm jedoch innerlich feind, er beherrscht die Arbeit, erhält sie aber.
Das ganze System ist daher ein offenbarer Widerspruch; denn das Natürliche
ist, daß das nu sich Wichtigste auch für andre das erste, daß mit andern
Worten die Klasse der Industriellen, der Arbeitenden, im Staate die herrschende
sei, „und wir unternehmen es, fügt Se. Simon hinzu, die Industriellen auf
die erste Stufe des Ansehens und der Macht zu erheben."

Der bisher allerdings vorhandene und empfundene, aber uoch unklare
Gegensatz des Proletariats und der besitzenden Klasse war hier zum erstenmale
deutlich mlsgesprocheu und der Welt zum Bewußtsein gebracht, und darau
schloß sich in der letzten Schrift Se. Simons, die 1825> erschien und deu Titel
Nouvsau Ndrisdimnnne führte, der religiöse Teil des Systems. Die Er¬
hebung der Industriellen der Arbeitenden kann uur durch die liebende Hin¬
gebung der Menschen, »ur auf moralischem Gebiete und mit dessen Mitteln
bewirkt werden, und in der Überzeugung, daß er zwar keine neue Liebe predige,
aber der Liebe eine neue Aufgabe stelle, erhebt sich Se. Simon zu dem Glauben,
daß er berufen sei, eine neue Religion zu grttudem Ju der geununten kurzen
Schrift giebt er eine Kritik der bestehenden Religionen, die mit dem Aufrufe
schließt, mau wolle sich im Geiste des Christentums, das in seiner jetzigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/29>, abgerufen am 24.08.2024.