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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Raimund-Reliquien

stillen großen Sinn für das Ziiständlichc ein ihm hervorzuheben, der zwar auch
eine echt deutsche Künstlereigenschast ist, welche jedoch, weil sie das Höchste der
künstlerischen Begabung, nämlich plastischen Geist, voraussetzt, mir sehr selten
und in eminenten Grade nur bei den größten Künstlern getroffen wird. Die
Schaulust ist eine alte Schwachheit der Deutschen und ihr opferten die deutsche"
Volksdichter, sei es nun, daß sie bloß dem geistigen Auge oder in wirklicher
Darstellung ihre Gebilde vorführten, anfänglich jeden andern Zweck, weil
er weniger von ihnen gefordert war. Auch Goethe hat im "Götz von
Berlichingen," im "Egmont" und im "Faust" dieser nationalen Eigentümlichkeit
Rechnung getragen, und vielleicht sind die Schönheiten wie die Schwächen
dieser Dichtungen, wenn mau sie als Dramen betrachtet, alle in dieser Erklä¬
rung eingeschlossen. Bei Naüuuud beobachte" wir im Grunde das nämliche.
Die Entwicklung der Seeleukoustikte hat er jedesmal durch geschickte Einfi'ch-
ruug eiues bequemen Zauber- und Götterapparates sich entweder ganz er-
spart oder ans das Notwendigste beschränkt. Alle seine Kunst hat er viel¬
mehr daran gewendet, eine glückliche Situation in ihrer ganzen komische
oder tiefernsten Natur zum schärfsten und breitesten Ausdruck zu bringen. Du'
Szene, nicht der Akt siud seine Einheiten. Diese an sich undramatische Ver¬
sa hrungsweise wird uns aber bei Raimund, der die Bühne im übrigen selp'
genau kennt, dnrch das eminente Gluck, womit er durch das Labyrinth der
Handlung zu führe" und uns fortwährend momentan zu spannen und z"
interessiren weiß, hinlänglich gut gemacht. Im Genusse der Szene vergessen
wir gern der vermißten Einheit der Gesamtanlage des Stückes" u. s. w.

Wir habe" die Stelle ganz mitgeteilt, weil in keiner der genannte"
Nnimundstndien diese sür die dramatische Technik des Dichters so wichtige Be¬
obachtung wiederholt worden ist. Und doch findet sie ihre Bestätigung bei
Raimund selbst, der seinen "Verschwender" ursprünglich nicht ein Drama z"
nennen den Mut hatte, sondern mit "Bilder aus dem. Leben eines Ver¬
schwenders" überschreiben wollte. In letzter Linie schließen sich Greiff Be¬
merkungen an Grillparzers oben angeführte Sätze an. Und um lasse ich bie
Erzählung Raimunds folgen.

Die "Gefesselte Phantasie" gehört zwar nicht zu den volkstümlichen, aber
dennoch zu den merkwürdigste" Stücken Raimunds. Seine" ganzen Dichter¬
stolz hat er i" diesem "Original-Zauberspiegel" ansgesprvche". Seine Manche
lautet: "Gelehrsamkeit allein verfasset kein Gedicht. Wissen ist ein gold"er
Schatz, der auf festem Grunde ruht; doch in das Reich der Lieder trägt ""-
mir der Phönix Phantasie" (II, 1!>5). Man hatte Raimund gleich nach sei"""
ersten Auftreten verdächtigt, daß er nicht selbst der Schöpfer seiner Stücke se>>
Das wurmte den mir allzu empfindlichen und sehr ehrgeizigen Dichter, "lib
die "Gefesselte Phantasie" war die Antwort an seine Verleumder. Die Schwäche
des Stückes hat Erich Schmidt ganz richtig bezeichnet, indem er schrieb.


Raimund-Reliquien

stillen großen Sinn für das Ziiständlichc ein ihm hervorzuheben, der zwar auch
eine echt deutsche Künstlereigenschast ist, welche jedoch, weil sie das Höchste der
künstlerischen Begabung, nämlich plastischen Geist, voraussetzt, mir sehr selten
und in eminenten Grade nur bei den größten Künstlern getroffen wird. Die
Schaulust ist eine alte Schwachheit der Deutschen und ihr opferten die deutsche»
Volksdichter, sei es nun, daß sie bloß dem geistigen Auge oder in wirklicher
Darstellung ihre Gebilde vorführten, anfänglich jeden andern Zweck, weil
er weniger von ihnen gefordert war. Auch Goethe hat im „Götz von
Berlichingen," im „Egmont" und im „Faust" dieser nationalen Eigentümlichkeit
Rechnung getragen, und vielleicht sind die Schönheiten wie die Schwächen
dieser Dichtungen, wenn mau sie als Dramen betrachtet, alle in dieser Erklä¬
rung eingeschlossen. Bei Naüuuud beobachte» wir im Grunde das nämliche.
Die Entwicklung der Seeleukoustikte hat er jedesmal durch geschickte Einfi'ch-
ruug eiues bequemen Zauber- und Götterapparates sich entweder ganz er-
spart oder ans das Notwendigste beschränkt. Alle seine Kunst hat er viel¬
mehr daran gewendet, eine glückliche Situation in ihrer ganzen komische
oder tiefernsten Natur zum schärfsten und breitesten Ausdruck zu bringen. Du'
Szene, nicht der Akt siud seine Einheiten. Diese an sich undramatische Ver¬
sa hrungsweise wird uns aber bei Raimund, der die Bühne im übrigen selp'
genau kennt, dnrch das eminente Gluck, womit er durch das Labyrinth der
Handlung zu führe» und uns fortwährend momentan zu spannen und z»
interessiren weiß, hinlänglich gut gemacht. Im Genusse der Szene vergessen
wir gern der vermißten Einheit der Gesamtanlage des Stückes" u. s. w.

Wir habe» die Stelle ganz mitgeteilt, weil in keiner der genannte»
Nnimundstndien diese sür die dramatische Technik des Dichters so wichtige Be¬
obachtung wiederholt worden ist. Und doch findet sie ihre Bestätigung bei
Raimund selbst, der seinen „Verschwender" ursprünglich nicht ein Drama z»
nennen den Mut hatte, sondern mit „Bilder aus dem. Leben eines Ver¬
schwenders" überschreiben wollte. In letzter Linie schließen sich Greiff Be¬
merkungen an Grillparzers oben angeführte Sätze an. Und um lasse ich bie
Erzählung Raimunds folgen.

Die „Gefesselte Phantasie" gehört zwar nicht zu den volkstümlichen, aber
dennoch zu den merkwürdigste« Stücken Raimunds. Seine» ganzen Dichter¬
stolz hat er i» diesem „Original-Zauberspiegel" ansgesprvche». Seine Manche
lautet: „Gelehrsamkeit allein verfasset kein Gedicht. Wissen ist ein gold»er
Schatz, der auf festem Grunde ruht; doch in das Reich der Lieder trägt »»-
mir der Phönix Phantasie" (II, 1!>5). Man hatte Raimund gleich nach sei»""
ersten Auftreten verdächtigt, daß er nicht selbst der Schöpfer seiner Stücke se>>
Das wurmte den mir allzu empfindlichen und sehr ehrgeizigen Dichter, »lib
die „Gefesselte Phantasie" war die Antwort an seine Verleumder. Die Schwäche
des Stückes hat Erich Schmidt ganz richtig bezeichnet, indem er schrieb.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/282>, abgerufen am 29.06.2024.