Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lessings Amtsgenosse in Molfeul'redet

bei dein fürstlichen Polizciamt Klage erheben "ut erlangte, das; die Möbel
Cladius trotz aller Gegenvorstellungen des Verklagten mit Beschlag belegt
wurden. Und da man ihm zutraute, daß er von seinem Hausrat heimlich
Stücke ans die Seite bringen möchte, schickte Dedekind Personen in sein Hans,
die dies verhindern sollten. Aber hören wir den weitern Verlauf der Ange¬
legenheit mit Cladius eignen Worten. "Ohne Gerichte und ohne Recht dazu
zu haben, schickte er vorgestern eigenmächtig gegen Abend, da ich mit meiner
Frau in dem neuen Hause war, seinen Copisten, welcher mit Gewalt eine alte
böse Fran und einen Soldaten in meine Gesinde-Stube introducierte mit Ver¬
meide,?, sie sollten sich genau nach ihrer OrclrL richten. Diese lautet über nach
des alten Weibes Aussage: daß sie sich mir und denen meinigen gewaltthätig
widersetzen sollten, sobald wir das mindeste aus dem. Hanse bringen wollten
-- MZ, lind doch ist der Wechsel immer noch in ihren Händen! -- Gegen
Abend kam auch des Soldaten seine Frau und blieb die Nacht da. Sie heitzen
sich ein, trvzen, rauchen Lansewentzel-Toback, daß das ganze Haus stinkt,
bringen des Abends Stroh in die Stube und brennen die ganze Nacht'die
Lampe, welches keine geringe Feuersgefahr verursacht. Ich mußte schweigen,
wollt' ich nicht riskieren, daß sich der Kerl an mir vergreife und ich ihn stecken
müßte. Die ersten zwey Tage waren sie ziemlich ruhig. Heute aber suchten
sie Händel, das alte Weib verdräng meine Frau in der Küche vom Heerde
mit naseweisen Worten. Des Nachmittages kam noch ein Kerl, der, wie ich
glnnbe, ein l^orwlmiöMträger ist, auch dieser blieb auf Orclra des Advoeut
vsclvlvmä im Hause. Endlich kam auch dessen Weib und des Soldaten Wenn
da ward ein Gelächter, Lärm und Lpöoweel in der Gesinde-Stube, daf>
Freunde, die bei mir auf der Stube waren, wo ich jetzo aus Noth auch meine
Magd sitzen lassen muß, sagten: Nein! da würde ich toll! Noch nicht genug!
Es war Zeit zu Bette zu gehen und das Haus zuzuschließen: meine Magd
sollte die Küche, wie gewöhnlich abschließen und den Schlüssel herausbringen,
allein der 1>0re0Lkiü"unträger Hütte ihn abgezogen und mir meine eigenen Sache"
verschlossen. Ich forderte selben selbst, konnte ihn aber nicht erhalten, und
das alte Weib antwortete mir: Er hat hier im Hause nichts mehr zu bi>
fehlen: weiß er das? Hier wäre freilich der kürzeste Weg gewesen, das alte
Weib an die Ohren zu schlagen und denen Kerls, die es hätten wehren und
ihr beystehen wollen, einen Flügel vom Leibe zu hanen! Allein ein ver¬
nünftiger Mensch muß sich niemals übereilen."

Wenn schon in dieser Geschichtserzählung der gewaltige Grimm hervor¬
bricht, womit ihn das Vorgehen des Advokaten erfüllt hatte, so steigert sich
dieser noch da, wo er den Herzog selbst apostrophirt: "Durchlauchtigster Herzog-
Der niederträchtigste Bettler darf nach dem Hansfriedensrecht des Nachts "i
seiner Ruhe nicht gestöret werden, und der ärmste Schuhflicker würde, oh"c
eine Strafe befürchten zu müssen, denjenigen aus dem Hause schmeißen, der


Lessings Amtsgenosse in Molfeul'redet

bei dein fürstlichen Polizciamt Klage erheben »ut erlangte, das; die Möbel
Cladius trotz aller Gegenvorstellungen des Verklagten mit Beschlag belegt
wurden. Und da man ihm zutraute, daß er von seinem Hausrat heimlich
Stücke ans die Seite bringen möchte, schickte Dedekind Personen in sein Hans,
die dies verhindern sollten. Aber hören wir den weitern Verlauf der Ange¬
legenheit mit Cladius eignen Worten. „Ohne Gerichte und ohne Recht dazu
zu haben, schickte er vorgestern eigenmächtig gegen Abend, da ich mit meiner
Frau in dem neuen Hause war, seinen Copisten, welcher mit Gewalt eine alte
böse Fran und einen Soldaten in meine Gesinde-Stube introducierte mit Ver¬
meide,?, sie sollten sich genau nach ihrer OrclrL richten. Diese lautet über nach
des alten Weibes Aussage: daß sie sich mir und denen meinigen gewaltthätig
widersetzen sollten, sobald wir das mindeste aus dem. Hanse bringen wollten
— MZ, lind doch ist der Wechsel immer noch in ihren Händen! — Gegen
Abend kam auch des Soldaten seine Frau und blieb die Nacht da. Sie heitzen
sich ein, trvzen, rauchen Lansewentzel-Toback, daß das ganze Haus stinkt,
bringen des Abends Stroh in die Stube und brennen die ganze Nacht'die
Lampe, welches keine geringe Feuersgefahr verursacht. Ich mußte schweigen,
wollt' ich nicht riskieren, daß sich der Kerl an mir vergreife und ich ihn stecken
müßte. Die ersten zwey Tage waren sie ziemlich ruhig. Heute aber suchten
sie Händel, das alte Weib verdräng meine Frau in der Küche vom Heerde
mit naseweisen Worten. Des Nachmittages kam noch ein Kerl, der, wie ich
glnnbe, ein l^orwlmiöMträger ist, auch dieser blieb auf Orclra des Advoeut
vsclvlvmä im Hause. Endlich kam auch dessen Weib und des Soldaten Wenn
da ward ein Gelächter, Lärm und Lpöoweel in der Gesinde-Stube, daf>
Freunde, die bei mir auf der Stube waren, wo ich jetzo aus Noth auch meine
Magd sitzen lassen muß, sagten: Nein! da würde ich toll! Noch nicht genug!
Es war Zeit zu Bette zu gehen und das Haus zuzuschließen: meine Magd
sollte die Küche, wie gewöhnlich abschließen und den Schlüssel herausbringen,
allein der 1>0re0Lkiü»unträger Hütte ihn abgezogen und mir meine eigenen Sache»
verschlossen. Ich forderte selben selbst, konnte ihn aber nicht erhalten, und
das alte Weib antwortete mir: Er hat hier im Hause nichts mehr zu bi>
fehlen: weiß er das? Hier wäre freilich der kürzeste Weg gewesen, das alte
Weib an die Ohren zu schlagen und denen Kerls, die es hätten wehren und
ihr beystehen wollen, einen Flügel vom Leibe zu hanen! Allein ein ver¬
nünftiger Mensch muß sich niemals übereilen."

Wenn schon in dieser Geschichtserzählung der gewaltige Grimm hervor¬
bricht, womit ihn das Vorgehen des Advokaten erfüllt hatte, so steigert sich
dieser noch da, wo er den Herzog selbst apostrophirt: „Durchlauchtigster Herzog-
Der niederträchtigste Bettler darf nach dem Hansfriedensrecht des Nachts "i
seiner Ruhe nicht gestöret werden, und der ärmste Schuhflicker würde, oh»c
eine Strafe befürchten zu müssen, denjenigen aus dem Hause schmeißen, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207565"/>
          <fw type="header" place="top"> Lessings Amtsgenosse in Molfeul'redet</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_738" prev="#ID_737"> bei dein fürstlichen Polizciamt Klage erheben »ut erlangte, das; die Möbel<lb/>
Cladius trotz aller Gegenvorstellungen des Verklagten mit Beschlag belegt<lb/>
wurden. Und da man ihm zutraute, daß er von seinem Hausrat heimlich<lb/>
Stücke ans die Seite bringen möchte, schickte Dedekind Personen in sein Hans,<lb/>
die dies verhindern sollten. Aber hören wir den weitern Verlauf der Ange¬<lb/>
legenheit mit Cladius eignen Worten. &#x201E;Ohne Gerichte und ohne Recht dazu<lb/>
zu haben, schickte er vorgestern eigenmächtig gegen Abend, da ich mit meiner<lb/>
Frau in dem neuen Hause war, seinen Copisten, welcher mit Gewalt eine alte<lb/>
böse Fran und einen Soldaten in meine Gesinde-Stube introducierte mit Ver¬<lb/>
meide,?, sie sollten sich genau nach ihrer OrclrL richten. Diese lautet über nach<lb/>
des alten Weibes Aussage: daß sie sich mir und denen meinigen gewaltthätig<lb/>
widersetzen sollten, sobald wir das mindeste aus dem. Hanse bringen wollten<lb/>
&#x2014; MZ, lind doch ist der Wechsel immer noch in ihren Händen! &#x2014; Gegen<lb/>
Abend kam auch des Soldaten seine Frau und blieb die Nacht da. Sie heitzen<lb/>
sich ein, trvzen, rauchen Lansewentzel-Toback, daß das ganze Haus stinkt,<lb/>
bringen des Abends Stroh in die Stube und brennen die ganze Nacht'die<lb/>
Lampe, welches keine geringe Feuersgefahr verursacht. Ich mußte schweigen,<lb/>
wollt' ich nicht riskieren, daß sich der Kerl an mir vergreife und ich ihn stecken<lb/>
müßte. Die ersten zwey Tage waren sie ziemlich ruhig. Heute aber suchten<lb/>
sie Händel, das alte Weib verdräng meine Frau in der Küche vom Heerde<lb/>
mit naseweisen Worten. Des Nachmittages kam noch ein Kerl, der, wie ich<lb/>
glnnbe, ein l^orwlmiöMträger ist, auch dieser blieb auf Orclra des Advoeut<lb/>
vsclvlvmä im Hause. Endlich kam auch dessen Weib und des Soldaten Wenn<lb/>
da ward ein Gelächter, Lärm und Lpöoweel in der Gesinde-Stube, daf&gt;<lb/>
Freunde, die bei mir auf der Stube waren, wo ich jetzo aus Noth auch meine<lb/>
Magd sitzen lassen muß, sagten: Nein! da würde ich toll! Noch nicht genug!<lb/>
Es war Zeit zu Bette zu gehen und das Haus zuzuschließen: meine Magd<lb/>
sollte die Küche, wie gewöhnlich abschließen und den Schlüssel herausbringen,<lb/>
allein der 1&gt;0re0Lkiü»unträger Hütte ihn abgezogen und mir meine eigenen Sache»<lb/>
verschlossen. Ich forderte selben selbst, konnte ihn aber nicht erhalten, und<lb/>
das alte Weib antwortete mir: Er hat hier im Hause nichts mehr zu bi&gt;<lb/>
fehlen: weiß er das? Hier wäre freilich der kürzeste Weg gewesen, das alte<lb/>
Weib an die Ohren zu schlagen und denen Kerls, die es hätten wehren und<lb/>
ihr beystehen wollen, einen Flügel vom Leibe zu hanen! Allein ein ver¬<lb/>
nünftiger Mensch muß sich niemals übereilen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Wenn schon in dieser Geschichtserzählung der gewaltige Grimm hervor¬<lb/>
bricht, womit ihn das Vorgehen des Advokaten erfüllt hatte, so steigert sich<lb/>
dieser noch da, wo er den Herzog selbst apostrophirt: &#x201E;Durchlauchtigster Herzog-<lb/>
Der niederträchtigste Bettler darf nach dem Hansfriedensrecht des Nachts "i<lb/>
seiner Ruhe nicht gestöret werden, und der ärmste Schuhflicker würde, oh»c<lb/>
eine Strafe befürchten zu müssen, denjenigen aus dem Hause schmeißen, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Lessings Amtsgenosse in Molfeul'redet bei dein fürstlichen Polizciamt Klage erheben »ut erlangte, das; die Möbel Cladius trotz aller Gegenvorstellungen des Verklagten mit Beschlag belegt wurden. Und da man ihm zutraute, daß er von seinem Hausrat heimlich Stücke ans die Seite bringen möchte, schickte Dedekind Personen in sein Hans, die dies verhindern sollten. Aber hören wir den weitern Verlauf der Ange¬ legenheit mit Cladius eignen Worten. „Ohne Gerichte und ohne Recht dazu zu haben, schickte er vorgestern eigenmächtig gegen Abend, da ich mit meiner Frau in dem neuen Hause war, seinen Copisten, welcher mit Gewalt eine alte böse Fran und einen Soldaten in meine Gesinde-Stube introducierte mit Ver¬ meide,?, sie sollten sich genau nach ihrer OrclrL richten. Diese lautet über nach des alten Weibes Aussage: daß sie sich mir und denen meinigen gewaltthätig widersetzen sollten, sobald wir das mindeste aus dem. Hanse bringen wollten — MZ, lind doch ist der Wechsel immer noch in ihren Händen! — Gegen Abend kam auch des Soldaten seine Frau und blieb die Nacht da. Sie heitzen sich ein, trvzen, rauchen Lansewentzel-Toback, daß das ganze Haus stinkt, bringen des Abends Stroh in die Stube und brennen die ganze Nacht'die Lampe, welches keine geringe Feuersgefahr verursacht. Ich mußte schweigen, wollt' ich nicht riskieren, daß sich der Kerl an mir vergreife und ich ihn stecken müßte. Die ersten zwey Tage waren sie ziemlich ruhig. Heute aber suchten sie Händel, das alte Weib verdräng meine Frau in der Küche vom Heerde mit naseweisen Worten. Des Nachmittages kam noch ein Kerl, der, wie ich glnnbe, ein l^orwlmiöMträger ist, auch dieser blieb auf Orclra des Advoeut vsclvlvmä im Hause. Endlich kam auch dessen Weib und des Soldaten Wenn da ward ein Gelächter, Lärm und Lpöoweel in der Gesinde-Stube, daf> Freunde, die bei mir auf der Stube waren, wo ich jetzo aus Noth auch meine Magd sitzen lassen muß, sagten: Nein! da würde ich toll! Noch nicht genug! Es war Zeit zu Bette zu gehen und das Haus zuzuschließen: meine Magd sollte die Küche, wie gewöhnlich abschließen und den Schlüssel herausbringen, allein der 1>0re0Lkiü»unträger Hütte ihn abgezogen und mir meine eigenen Sache» verschlossen. Ich forderte selben selbst, konnte ihn aber nicht erhalten, und das alte Weib antwortete mir: Er hat hier im Hause nichts mehr zu bi> fehlen: weiß er das? Hier wäre freilich der kürzeste Weg gewesen, das alte Weib an die Ohren zu schlagen und denen Kerls, die es hätten wehren und ihr beystehen wollen, einen Flügel vom Leibe zu hanen! Allein ein ver¬ nünftiger Mensch muß sich niemals übereilen." Wenn schon in dieser Geschichtserzählung der gewaltige Grimm hervor¬ bricht, womit ihn das Vorgehen des Advokaten erfüllt hatte, so steigert sich dieser noch da, wo er den Herzog selbst apostrophirt: „Durchlauchtigster Herzog- Der niederträchtigste Bettler darf nach dem Hansfriedensrecht des Nachts "i seiner Ruhe nicht gestöret werden, und der ärmste Schuhflicker würde, oh»c eine Strafe befürchten zu müssen, denjenigen aus dem Hause schmeißen, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/270>, abgerufen am 02.07.2024.