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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Bismarck und Schlesivig-Holstein

die Annahme deS von Bismarck veränderte" Artikels, und sie erfolgte im Hin-
blick nuf den Bundestag, wo die Mittel- und Kleinstaaten durch ein an sie
gerichtetes Rundschreiben der französischen Regierung ermutigt worden, waren,
daS, vou> 8. Januar datirt, das Londoner Protokoll ein ohnmächtiges Wert
nannte, die Teilnahme des deutschen Bundes an der von England vorgeschlagenen
Konferenz als wünschenswert bezeichnete und bis zu erlangter Auskunft hierüber
Frankreichs Entschließung über die Konferenz vertagte.

Dieser ungewöhnliche Schritt des mächtigen Nachbarn machte großen Ein¬
druck: die Mittelstädte" dachten wohl nicht gerade an einen neuen Rheinbund,
aber wahrscheinlich an die Möglichkeit einer Anlehnung an Frankreich für den
Notfall. Dieses schien der angnstenburgischen Sache geneigt, und so konnte
Ulan in Frankfurt ""bedenklicher für sie weitergehen. Die Abstimmung über
den Vertrag vom 28. Dezember sollte am 1-l. Januar stattfinden, und Sydow
und Kübeck berichteten, sie werde wahrscheinlich eine Ablehnung sein, worauf
sie von ihren Regierungen angewiesen wurden, in diesem Falle zu erklären,
daß Preußen und Österreich nun die Pfändung Schleswigs als europäische
Grvßncächte, unabhängig vom Bunde, vollziehen würden, und das geschah
deun anch, als der Antrag vom 28. Dezember mit großer Stimmenmehr¬
heit verworfen wurde. Darob gewaltige Überraschung, Entrüstung und
Begriffsverwirrung in den Kreisen der Mittel- und Kleinstaaten. Baiern ließ
eine feierliche Verwahrung aller Rechte des Bundes vom Stapel, wozu gar
kein Grund vorlag, viele andre schlössen sich dein nu, und Sachsen protestirte
sogar gegen den Durchmarsch der nach Schleswig bestimmte!? Truppen der
(Großmächte dnrch das jetzt unter Bundesverwaltung stehende Holstein. Die
Vertretungen, Vereine und Versammlungen des Volkes lärmten dein entsprechend
und forderten zu bewaffnetem Widerstande ans. Der Sechsnnddreißiger-Aus-
schuß erklärte, die beiden Großmächte hätten die Führerschaft in Dentschland
verwirkt. Das preußische Abgeordnetenhaus verweigerte die Anleihe, weil
Preußen von Deutschland abfalle und seine Grvßinachtsstellung mißbrauche.
Alle Welt war überzeugt, der Zweck der angekündigte" Besetzung Schleswigs
sei Auslieferung der Herzogtümer a" deu Prvtokvllpriuzen Christian, was doch
nur Österreichs Absicht war. Ju gleicher Weise sahen, die Eiderdäueu die
Sache nu: die wahren Gegner, meinten sie, die die deutschen Großmächte treffe"
wollen, siud die Mittelstaaten und die revolutionären Parteien, die jetzt Öster¬
reich, Preußen und Dänemark gleichmäßig bedrohen; die Angelegenheit wird
also wie 1850 verlaufen.

Die amtliche Unterzeichnung der preußisch-österreichischen Punktation erfolgte
am 1<i. Januar, und noch an demselben Tage erging telegraphisch an die Ge¬
sandten Preußens und Österreichs in Kopenhagen der Befehl zur Aufforderung
der dänischen Regierung, die Novemberverfassnng binnen achtundvierzig Stunden
zurückzunehmen. Mvnrad lehnte ab; daß die Däne!, Schleswig nicht wie Hol-


Bismarck und Schlesivig-Holstein

die Annahme deS von Bismarck veränderte» Artikels, und sie erfolgte im Hin-
blick nuf den Bundestag, wo die Mittel- und Kleinstaaten durch ein an sie
gerichtetes Rundschreiben der französischen Regierung ermutigt worden, waren,
daS, vou> 8. Januar datirt, das Londoner Protokoll ein ohnmächtiges Wert
nannte, die Teilnahme des deutschen Bundes an der von England vorgeschlagenen
Konferenz als wünschenswert bezeichnete und bis zu erlangter Auskunft hierüber
Frankreichs Entschließung über die Konferenz vertagte.

Dieser ungewöhnliche Schritt des mächtigen Nachbarn machte großen Ein¬
druck: die Mittelstädte» dachten wohl nicht gerade an einen neuen Rheinbund,
aber wahrscheinlich an die Möglichkeit einer Anlehnung an Frankreich für den
Notfall. Dieses schien der angnstenburgischen Sache geneigt, und so konnte
Ulan in Frankfurt »»bedenklicher für sie weitergehen. Die Abstimmung über
den Vertrag vom 28. Dezember sollte am 1-l. Januar stattfinden, und Sydow
und Kübeck berichteten, sie werde wahrscheinlich eine Ablehnung sein, worauf
sie von ihren Regierungen angewiesen wurden, in diesem Falle zu erklären,
daß Preußen und Österreich nun die Pfändung Schleswigs als europäische
Grvßncächte, unabhängig vom Bunde, vollziehen würden, und das geschah
deun anch, als der Antrag vom 28. Dezember mit großer Stimmenmehr¬
heit verworfen wurde. Darob gewaltige Überraschung, Entrüstung und
Begriffsverwirrung in den Kreisen der Mittel- und Kleinstaaten. Baiern ließ
eine feierliche Verwahrung aller Rechte des Bundes vom Stapel, wozu gar
kein Grund vorlag, viele andre schlössen sich dein nu, und Sachsen protestirte
sogar gegen den Durchmarsch der nach Schleswig bestimmte!? Truppen der
(Großmächte dnrch das jetzt unter Bundesverwaltung stehende Holstein. Die
Vertretungen, Vereine und Versammlungen des Volkes lärmten dein entsprechend
und forderten zu bewaffnetem Widerstande ans. Der Sechsnnddreißiger-Aus-
schuß erklärte, die beiden Großmächte hätten die Führerschaft in Dentschland
verwirkt. Das preußische Abgeordnetenhaus verweigerte die Anleihe, weil
Preußen von Deutschland abfalle und seine Grvßinachtsstellung mißbrauche.
Alle Welt war überzeugt, der Zweck der angekündigte» Besetzung Schleswigs
sei Auslieferung der Herzogtümer a» deu Prvtokvllpriuzen Christian, was doch
nur Österreichs Absicht war. Ju gleicher Weise sahen, die Eiderdäueu die
Sache nu: die wahren Gegner, meinten sie, die die deutschen Großmächte treffe»
wollen, siud die Mittelstaaten und die revolutionären Parteien, die jetzt Öster¬
reich, Preußen und Dänemark gleichmäßig bedrohen; die Angelegenheit wird
also wie 1850 verlaufen.

Die amtliche Unterzeichnung der preußisch-österreichischen Punktation erfolgte
am 1<i. Januar, und noch an demselben Tage erging telegraphisch an die Ge¬
sandten Preußens und Österreichs in Kopenhagen der Befehl zur Aufforderung
der dänischen Regierung, die Novemberverfassnng binnen achtundvierzig Stunden
zurückzunehmen. Mvnrad lehnte ab; daß die Däne!, Schleswig nicht wie Hol-


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[0254] Bismarck und Schlesivig-Holstein die Annahme deS von Bismarck veränderte» Artikels, und sie erfolgte im Hin- blick nuf den Bundestag, wo die Mittel- und Kleinstaaten durch ein an sie gerichtetes Rundschreiben der französischen Regierung ermutigt worden, waren, daS, vou> 8. Januar datirt, das Londoner Protokoll ein ohnmächtiges Wert nannte, die Teilnahme des deutschen Bundes an der von England vorgeschlagenen Konferenz als wünschenswert bezeichnete und bis zu erlangter Auskunft hierüber Frankreichs Entschließung über die Konferenz vertagte. Dieser ungewöhnliche Schritt des mächtigen Nachbarn machte großen Ein¬ druck: die Mittelstädte» dachten wohl nicht gerade an einen neuen Rheinbund, aber wahrscheinlich an die Möglichkeit einer Anlehnung an Frankreich für den Notfall. Dieses schien der angnstenburgischen Sache geneigt, und so konnte Ulan in Frankfurt »»bedenklicher für sie weitergehen. Die Abstimmung über den Vertrag vom 28. Dezember sollte am 1-l. Januar stattfinden, und Sydow und Kübeck berichteten, sie werde wahrscheinlich eine Ablehnung sein, worauf sie von ihren Regierungen angewiesen wurden, in diesem Falle zu erklären, daß Preußen und Österreich nun die Pfändung Schleswigs als europäische Grvßncächte, unabhängig vom Bunde, vollziehen würden, und das geschah deun anch, als der Antrag vom 28. Dezember mit großer Stimmenmehr¬ heit verworfen wurde. Darob gewaltige Überraschung, Entrüstung und Begriffsverwirrung in den Kreisen der Mittel- und Kleinstaaten. Baiern ließ eine feierliche Verwahrung aller Rechte des Bundes vom Stapel, wozu gar kein Grund vorlag, viele andre schlössen sich dein nu, und Sachsen protestirte sogar gegen den Durchmarsch der nach Schleswig bestimmte!? Truppen der (Großmächte dnrch das jetzt unter Bundesverwaltung stehende Holstein. Die Vertretungen, Vereine und Versammlungen des Volkes lärmten dein entsprechend und forderten zu bewaffnetem Widerstande ans. Der Sechsnnddreißiger-Aus- schuß erklärte, die beiden Großmächte hätten die Führerschaft in Dentschland verwirkt. Das preußische Abgeordnetenhaus verweigerte die Anleihe, weil Preußen von Deutschland abfalle und seine Grvßinachtsstellung mißbrauche. Alle Welt war überzeugt, der Zweck der angekündigte» Besetzung Schleswigs sei Auslieferung der Herzogtümer a» deu Prvtokvllpriuzen Christian, was doch nur Österreichs Absicht war. Ju gleicher Weise sahen, die Eiderdäueu die Sache nu: die wahren Gegner, meinten sie, die die deutschen Großmächte treffe» wollen, siud die Mittelstaaten und die revolutionären Parteien, die jetzt Öster¬ reich, Preußen und Dänemark gleichmäßig bedrohen; die Angelegenheit wird also wie 1850 verlaufen. Die amtliche Unterzeichnung der preußisch-österreichischen Punktation erfolgte am 1<i. Januar, und noch an demselben Tage erging telegraphisch an die Ge¬ sandten Preußens und Österreichs in Kopenhagen der Befehl zur Aufforderung der dänischen Regierung, die Novemberverfassnng binnen achtundvierzig Stunden zurückzunehmen. Mvnrad lehnte ab; daß die Däne!, Schleswig nicht wie Hol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/254>, abgerufen am 03.07.2024.