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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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den Großmächten, vorzüglich mit England, in gefährliche Spannung geraten
würden. Der zweite Weg wäre Lossagung vom Londoner Protokoll ohne
kriegerische Maßregeln. Dann möchte der Bund sich über die Erbfvlgefrage
entschließen und, wenn er sich für den Erbprinzen Friedrich entschiede, diesen
in Holstein einsetzen, Schleswig aber bliebe dann schutzlos, da wir uns hier
nnr mich den Verträgen von 1852 einmischen dürften, die wir mit der Los-
sngung vom Londoner Protokoll jn zerrissen hätten. Zur Prüfung des Erb¬
rechtes ans Schleswig wäre der Bund nicht befugt, und ließe sich auch das
Unrecht der Augustenbnrger hier nicht bestreikn, so wäre der Vnnd nicht ver¬
pflichtet, einem deutschen Fürsten ein außerdentsches Land zu erobern, sonst
hätte er Neuenburg für Preußen, Toskana für Österreich behaupten müssen.
Dieser Weg würde also nnr bis zur Eider führen. Wir würden Holstein von
Dänemark abtrennen, was vielleicht dnrch bloße Unterhandlungen zu erreichen
wäre, und Schleswig, den eigentlichen Gegenstand des Danisirnngseifers, preis¬
geben. Es bleibt somit nur übrig, daß Preußen und Osterreich sich gar nicht
über die Londoner Übereinkunft äußern, sondern einfach zur kriegerischen Aktion
vorschreiten, um die Erfüllung der dänischen Verpflichtungen von 1852 zu er¬
zwingen. Also um 1. Januar ein Ultimatum des Bundes oder, wenn dieser
nicht will, von seinen beiden Großmächten, oder auch sofortiges Einrücken >"
Schleswig, um den Gegenstand des Streites, dessen Dänemark sich eben be¬
mächtigt hätte, ihm zu entziehen. Der Krieg wäre dann energisch zu führen,
die andern Mächte hätten keine Befugnis, sich einzumischen, und unsre Stellung
in der Konferenz über die Sache würde durch den Besitz des Streitobjektes
nicht verschlechtert werden.

König Wilhelm ließ sich hiervon gern überzeugen, dn er so Österreich an
seiner Seite behielt, und es erging, nachdem auch Rechberg sich einverstanden
erklärt hatte, an Sydow, den preußischen, und Kübeck, den österreichischen
Gesandten beim Bundestage, die Weisung, den dringlichen Antrag zu stellen,
der Bund möge Schleswig für die Erfüllung der dänischen Verpflichtnnge"
von 1851/52 in Pfand nehmen, ein Antrag, bei dem die deutsche Auerkeuuuua
des Londoner Protokolls und seiner Thronfolge stille Voraussetzung war.
Um 28. Dezember wurde der Antrag gestellt und am ZI. ans Rechbergs Be¬
trieb das weitere Begehren, der Bund möge den Prinzen Friedrich anfforder",
Kiel und Holstein wieder zu verlassen. Am 2. Januar 18ti4 erfolgte die
Abstimmung über letzteres: es wurde mit !) gegen 7 Stimmen abgelehnt,
die Mehrheit der Diplomaten stand noch unter dem Eindrücke der Reden ""d
Beschlüsse des Abgevrdnetentages, und viele fürchteten den Ausbruch einer
Revolution.

Inzwischen hatten die Ausschüsse des Bundestages Pfordten mit eine"'
Berichte über das Erbrecht des Angnstenbnrgers beauftragt, und nach wenige"
Tagen lieferte dieser gewiegte Rechtsiwlehrte, der zur Zeit mit seiner Keckheit.


den Großmächten, vorzüglich mit England, in gefährliche Spannung geraten
würden. Der zweite Weg wäre Lossagung vom Londoner Protokoll ohne
kriegerische Maßregeln. Dann möchte der Bund sich über die Erbfvlgefrage
entschließen und, wenn er sich für den Erbprinzen Friedrich entschiede, diesen
in Holstein einsetzen, Schleswig aber bliebe dann schutzlos, da wir uns hier
nnr mich den Verträgen von 1852 einmischen dürften, die wir mit der Los-
sngung vom Londoner Protokoll jn zerrissen hätten. Zur Prüfung des Erb¬
rechtes ans Schleswig wäre der Bund nicht befugt, und ließe sich auch das
Unrecht der Augustenbnrger hier nicht bestreikn, so wäre der Vnnd nicht ver¬
pflichtet, einem deutschen Fürsten ein außerdentsches Land zu erobern, sonst
hätte er Neuenburg für Preußen, Toskana für Österreich behaupten müssen.
Dieser Weg würde also nnr bis zur Eider führen. Wir würden Holstein von
Dänemark abtrennen, was vielleicht dnrch bloße Unterhandlungen zu erreichen
wäre, und Schleswig, den eigentlichen Gegenstand des Danisirnngseifers, preis¬
geben. Es bleibt somit nur übrig, daß Preußen und Osterreich sich gar nicht
über die Londoner Übereinkunft äußern, sondern einfach zur kriegerischen Aktion
vorschreiten, um die Erfüllung der dänischen Verpflichtungen von 1852 zu er¬
zwingen. Also um 1. Januar ein Ultimatum des Bundes oder, wenn dieser
nicht will, von seinen beiden Großmächten, oder auch sofortiges Einrücken >»
Schleswig, um den Gegenstand des Streites, dessen Dänemark sich eben be¬
mächtigt hätte, ihm zu entziehen. Der Krieg wäre dann energisch zu führen,
die andern Mächte hätten keine Befugnis, sich einzumischen, und unsre Stellung
in der Konferenz über die Sache würde durch den Besitz des Streitobjektes
nicht verschlechtert werden.

König Wilhelm ließ sich hiervon gern überzeugen, dn er so Österreich an
seiner Seite behielt, und es erging, nachdem auch Rechberg sich einverstanden
erklärt hatte, an Sydow, den preußischen, und Kübeck, den österreichischen
Gesandten beim Bundestage, die Weisung, den dringlichen Antrag zu stellen,
der Bund möge Schleswig für die Erfüllung der dänischen Verpflichtnnge»
von 1851/52 in Pfand nehmen, ein Antrag, bei dem die deutsche Auerkeuuuua
des Londoner Protokolls und seiner Thronfolge stille Voraussetzung war.
Um 28. Dezember wurde der Antrag gestellt und am ZI. ans Rechbergs Be¬
trieb das weitere Begehren, der Bund möge den Prinzen Friedrich anfforder»,
Kiel und Holstein wieder zu verlassen. Am 2. Januar 18ti4 erfolgte die
Abstimmung über letzteres: es wurde mit !) gegen 7 Stimmen abgelehnt,
die Mehrheit der Diplomaten stand noch unter dem Eindrücke der Reden »»d
Beschlüsse des Abgevrdnetentages, und viele fürchteten den Ausbruch einer
Revolution.

Inzwischen hatten die Ausschüsse des Bundestages Pfordten mit eine»'
Berichte über das Erbrecht des Angnstenbnrgers beauftragt, und nach wenige»
Tagen lieferte dieser gewiegte Rechtsiwlehrte, der zur Zeit mit seiner Keckheit.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/250>, abgerufen am 29.06.2024.