Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lismarck und Schleswig-Holstein

besetzt. Zu gleicher Zeit rief die Bevölkerung den "Herzog" Friedrich zum
Landesherrn aus und verjagte die Beamten und Geistlichen, die dem Könige
Christian gehuldigt hatten. Die Ziviltommissare verboten dies anfangs. Als
sich aber das Volk nicht daran kehrte, drückten sie die Augen zu, und als der
Erbprinz von Augustenburg gegen Ende des Jahres in Kiel selbst erschien
und bald nachher' "Minister" einsetzte, traten die Kommissare allmählich zu
ihm in vertrauliche Beziehungen und ließen sich von den Räten desselben bei
der Besetzung der leer gewordenen Beamtenstellen beeinflussen.

An die Spitze der Verwaltung trat eine "Landesregierung," die zwar die
Befehle der Kommissare zu vollstrecken hatte, aber viele Geschäfte selbständig
zu entscheiden befugt war und wie die neuen Unterbeamten nur aus Anhänger,,
des Augustenburgers bestand. Jede ihm abgeneigte Meinung wurde durch
eine Masse vou .^Schleswig-Holsteinischen" und "Knmpfgenossenvereinen," die
rasch aufgeschossen waren, terrorisirt. Kurz, die Exekution verwandelte sich
schnell in eine Okkupation. Das konnte in London und Petersburg nicht er¬
freuen, erregte aber in Deutschland fast allenthalben Jnbel, und in der Mehr¬
heit der Mittelstaaten waren Regierung und Volt eifrig dabei, die Sache des
Kieler Prätendenten weiter zu fordern. Baiern sollte uach Beschluß einer
Ministerkonferenz in München schleunige Prüfung des Augnstenburgischen Erb¬
rechts verlangen; wenn rasche Anerkennung desselben erreicht werde, sollte der Bund
die Okkupation beider Herzogtümer verfügen, und wollten Preußen und Österreich
nicht, so sollten die Truppen der Mittelstaaten Dänemark allein zwingen. Der
Abgeordnetentag, der am 21. Dezember in Frankfurt zusammentrat, ging hiermit
Hand in Hand und setzte einen Ausschuß vou sechsunddreißig Mitgliedern als
Mittelpunkt der gesetzmäßigen Thätigkeit der deutschen Nation für Schleswig-
Holstein und Friedrich VIII. ein. Gesetzmäßig, nicht revolutionär; denn Beust,
der damalige Führer der inittelstaatlichen Regierungen, hatte offen erklärt, sie
könnten der Bewegung des Volkes nicht widerstehen, müßten sich also an ihre
Spitze stelle". Die herrschende Vorstellung war nun: Anerkennung des
"Herzogs" durch den Bund, Zug des Königs Max mit seinem Heere nach
Norden, Anschluß Württembergs und Badens, dann Darmstadts und Sachsens,
zuletzt ganz Norddeutschlands an den patriotischen Strom, der auch die Be¬
völkerung Preußens mit sich fortreißt. Wenn nicht bloß gutmütige und un¬
erfahrene Volksvertreter, sondern auch einige leitende Staatsmänner sich
damals mit solchen Gedanken trugen, so sollte sich bald zeigen, daß sie Irr¬
lichtern, Stimmungsbilder" ohne allen Boden in der prosaischen Wirklich¬
st folgten, während Bismarck auf dem rechten Wege war.




Lismarck und Schleswig-Holstein

besetzt. Zu gleicher Zeit rief die Bevölkerung den „Herzog" Friedrich zum
Landesherrn aus und verjagte die Beamten und Geistlichen, die dem Könige
Christian gehuldigt hatten. Die Ziviltommissare verboten dies anfangs. Als
sich aber das Volk nicht daran kehrte, drückten sie die Augen zu, und als der
Erbprinz von Augustenburg gegen Ende des Jahres in Kiel selbst erschien
und bald nachher' „Minister" einsetzte, traten die Kommissare allmählich zu
ihm in vertrauliche Beziehungen und ließen sich von den Räten desselben bei
der Besetzung der leer gewordenen Beamtenstellen beeinflussen.

An die Spitze der Verwaltung trat eine „Landesregierung," die zwar die
Befehle der Kommissare zu vollstrecken hatte, aber viele Geschäfte selbständig
zu entscheiden befugt war und wie die neuen Unterbeamten nur aus Anhänger,,
des Augustenburgers bestand. Jede ihm abgeneigte Meinung wurde durch
eine Masse vou .^Schleswig-Holsteinischen" und „Knmpfgenossenvereinen," die
rasch aufgeschossen waren, terrorisirt. Kurz, die Exekution verwandelte sich
schnell in eine Okkupation. Das konnte in London und Petersburg nicht er¬
freuen, erregte aber in Deutschland fast allenthalben Jnbel, und in der Mehr¬
heit der Mittelstaaten waren Regierung und Volt eifrig dabei, die Sache des
Kieler Prätendenten weiter zu fordern. Baiern sollte uach Beschluß einer
Ministerkonferenz in München schleunige Prüfung des Augnstenburgischen Erb¬
rechts verlangen; wenn rasche Anerkennung desselben erreicht werde, sollte der Bund
die Okkupation beider Herzogtümer verfügen, und wollten Preußen und Österreich
nicht, so sollten die Truppen der Mittelstaaten Dänemark allein zwingen. Der
Abgeordnetentag, der am 21. Dezember in Frankfurt zusammentrat, ging hiermit
Hand in Hand und setzte einen Ausschuß vou sechsunddreißig Mitgliedern als
Mittelpunkt der gesetzmäßigen Thätigkeit der deutschen Nation für Schleswig-
Holstein und Friedrich VIII. ein. Gesetzmäßig, nicht revolutionär; denn Beust,
der damalige Führer der inittelstaatlichen Regierungen, hatte offen erklärt, sie
könnten der Bewegung des Volkes nicht widerstehen, müßten sich also an ihre
Spitze stelle». Die herrschende Vorstellung war nun: Anerkennung des
"Herzogs" durch den Bund, Zug des Königs Max mit seinem Heere nach
Norden, Anschluß Württembergs und Badens, dann Darmstadts und Sachsens,
zuletzt ganz Norddeutschlands an den patriotischen Strom, der auch die Be¬
völkerung Preußens mit sich fortreißt. Wenn nicht bloß gutmütige und un¬
erfahrene Volksvertreter, sondern auch einige leitende Staatsmänner sich
damals mit solchen Gedanken trugen, so sollte sich bald zeigen, daß sie Irr¬
lichtern, Stimmungsbilder» ohne allen Boden in der prosaischen Wirklich¬
st folgten, während Bismarck auf dem rechten Wege war.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207506"/>
          <fw type="header" place="top"> Lismarck und Schleswig-Holstein</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_579" prev="#ID_578"> besetzt. Zu gleicher Zeit rief die Bevölkerung den &#x201E;Herzog" Friedrich zum<lb/>
Landesherrn aus und verjagte die Beamten und Geistlichen, die dem Könige<lb/>
Christian gehuldigt hatten. Die Ziviltommissare verboten dies anfangs. Als<lb/>
sich aber das Volk nicht daran kehrte, drückten sie die Augen zu, und als der<lb/>
Erbprinz von Augustenburg gegen Ende des Jahres in Kiel selbst erschien<lb/>
und bald nachher' &#x201E;Minister" einsetzte, traten die Kommissare allmählich zu<lb/>
ihm in vertrauliche Beziehungen und ließen sich von den Räten desselben bei<lb/>
der Besetzung der leer gewordenen Beamtenstellen beeinflussen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_580"> An die Spitze der Verwaltung trat eine &#x201E;Landesregierung," die zwar die<lb/>
Befehle der Kommissare zu vollstrecken hatte, aber viele Geschäfte selbständig<lb/>
zu entscheiden befugt war und wie die neuen Unterbeamten nur aus Anhänger,,<lb/>
des Augustenburgers bestand. Jede ihm abgeneigte Meinung wurde durch<lb/>
eine Masse vou .^Schleswig-Holsteinischen" und &#x201E;Knmpfgenossenvereinen," die<lb/>
rasch aufgeschossen waren, terrorisirt. Kurz, die Exekution verwandelte sich<lb/>
schnell in eine Okkupation. Das konnte in London und Petersburg nicht er¬<lb/>
freuen, erregte aber in Deutschland fast allenthalben Jnbel, und in der Mehr¬<lb/>
heit der Mittelstaaten waren Regierung und Volt eifrig dabei, die Sache des<lb/>
Kieler Prätendenten weiter zu fordern. Baiern sollte uach Beschluß einer<lb/>
Ministerkonferenz in München schleunige Prüfung des Augnstenburgischen Erb¬<lb/>
rechts verlangen; wenn rasche Anerkennung desselben erreicht werde, sollte der Bund<lb/>
die Okkupation beider Herzogtümer verfügen, und wollten Preußen und Österreich<lb/>
nicht, so sollten die Truppen der Mittelstaaten Dänemark allein zwingen. Der<lb/>
Abgeordnetentag, der am 21. Dezember in Frankfurt zusammentrat, ging hiermit<lb/>
Hand in Hand und setzte einen Ausschuß vou sechsunddreißig Mitgliedern als<lb/>
Mittelpunkt der gesetzmäßigen Thätigkeit der deutschen Nation für Schleswig-<lb/>
Holstein und Friedrich VIII. ein. Gesetzmäßig, nicht revolutionär; denn Beust,<lb/>
der damalige Führer der inittelstaatlichen Regierungen, hatte offen erklärt, sie<lb/>
könnten der Bewegung des Volkes nicht widerstehen, müßten sich also an ihre<lb/>
Spitze stelle». Die herrschende Vorstellung war nun: Anerkennung des<lb/>
"Herzogs" durch den Bund, Zug des Königs Max mit seinem Heere nach<lb/>
Norden, Anschluß Württembergs und Badens, dann Darmstadts und Sachsens,<lb/>
zuletzt ganz Norddeutschlands an den patriotischen Strom, der auch die Be¬<lb/>
völkerung Preußens mit sich fortreißt. Wenn nicht bloß gutmütige und un¬<lb/>
erfahrene Volksvertreter, sondern auch einige leitende Staatsmänner sich<lb/>
damals mit solchen Gedanken trugen, so sollte sich bald zeigen, daß sie Irr¬<lb/>
lichtern, Stimmungsbilder» ohne allen Boden in der prosaischen Wirklich¬<lb/>
st folgten, während Bismarck auf dem rechten Wege war.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Lismarck und Schleswig-Holstein besetzt. Zu gleicher Zeit rief die Bevölkerung den „Herzog" Friedrich zum Landesherrn aus und verjagte die Beamten und Geistlichen, die dem Könige Christian gehuldigt hatten. Die Ziviltommissare verboten dies anfangs. Als sich aber das Volk nicht daran kehrte, drückten sie die Augen zu, und als der Erbprinz von Augustenburg gegen Ende des Jahres in Kiel selbst erschien und bald nachher' „Minister" einsetzte, traten die Kommissare allmählich zu ihm in vertrauliche Beziehungen und ließen sich von den Räten desselben bei der Besetzung der leer gewordenen Beamtenstellen beeinflussen. An die Spitze der Verwaltung trat eine „Landesregierung," die zwar die Befehle der Kommissare zu vollstrecken hatte, aber viele Geschäfte selbständig zu entscheiden befugt war und wie die neuen Unterbeamten nur aus Anhänger,, des Augustenburgers bestand. Jede ihm abgeneigte Meinung wurde durch eine Masse vou .^Schleswig-Holsteinischen" und „Knmpfgenossenvereinen," die rasch aufgeschossen waren, terrorisirt. Kurz, die Exekution verwandelte sich schnell in eine Okkupation. Das konnte in London und Petersburg nicht er¬ freuen, erregte aber in Deutschland fast allenthalben Jnbel, und in der Mehr¬ heit der Mittelstaaten waren Regierung und Volt eifrig dabei, die Sache des Kieler Prätendenten weiter zu fordern. Baiern sollte uach Beschluß einer Ministerkonferenz in München schleunige Prüfung des Augnstenburgischen Erb¬ rechts verlangen; wenn rasche Anerkennung desselben erreicht werde, sollte der Bund die Okkupation beider Herzogtümer verfügen, und wollten Preußen und Österreich nicht, so sollten die Truppen der Mittelstaaten Dänemark allein zwingen. Der Abgeordnetentag, der am 21. Dezember in Frankfurt zusammentrat, ging hiermit Hand in Hand und setzte einen Ausschuß vou sechsunddreißig Mitgliedern als Mittelpunkt der gesetzmäßigen Thätigkeit der deutschen Nation für Schleswig- Holstein und Friedrich VIII. ein. Gesetzmäßig, nicht revolutionär; denn Beust, der damalige Führer der inittelstaatlichen Regierungen, hatte offen erklärt, sie könnten der Bewegung des Volkes nicht widerstehen, müßten sich also an ihre Spitze stelle». Die herrschende Vorstellung war nun: Anerkennung des "Herzogs" durch den Bund, Zug des Königs Max mit seinem Heere nach Norden, Anschluß Württembergs und Badens, dann Darmstadts und Sachsens, zuletzt ganz Norddeutschlands an den patriotischen Strom, der auch die Be¬ völkerung Preußens mit sich fortreißt. Wenn nicht bloß gutmütige und un¬ erfahrene Volksvertreter, sondern auch einige leitende Staatsmänner sich damals mit solchen Gedanken trugen, so sollte sich bald zeigen, daß sie Irr¬ lichtern, Stimmungsbilder» ohne allen Boden in der prosaischen Wirklich¬ st folgten, während Bismarck auf dem rechten Wege war.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/211>, abgerufen am 24.08.2024.