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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

seine Tochter untergebracht hat, Sem Gärtner stirbt und hinterläßt eine
Tochter Söverme, ein schmuckes, keckes Mädchen von dreizehn Jahren, das der
Präsident in scheinbarer Anwandlung von Edelmut in sein Haus aufnimmt
und mit seiner Tochter erziehen läßt, Ssveriue entwickelt sich sehr bald mit
allen körperlichen Reizen zur wachsenden Freude des alten Schwerenöters und
wird von ihm nach kurzer Zeit in die letzten Geheimnisse der Liebe eingeweiht.
Um den fortwährenden Nachstellungen des Alten zu entgehen, heiratet sie den
Eiseubahubecuntcu Noubaud, eiuen Menschen von ehrgeizigem und leidenschaft¬
lichem Charakter, der in Havre angestellt ist und durch Grnndmorins Einfluß
zur Stellung eines Unterchefs gelangt. Hin und wieder fährt Svverine, von
dem Präsidenten eingeladen, mich dem Schlosse Croix-de-Manfras, wo sie,
natürlich ohne Wissen ihres Mannes, mit dem alten Pflegevater traute Schäfer-
stuudeu feiert. Eines Tages befinden sich Roubaud und Frau in Paris, um
sich wegen eines Dienstvergehens zu verantworten; sie bewohnen in der
Nähe der Eisenbahn ein Zimmer, von dem man das Leben und Treiben
auf dem Bahnhofe, das Nangiren der Lokomotiven, das Ein- und Ausfahren
der Züge, das Hin- und Herflnten der Reisenden mit Behagen genießen kann.
Hier setzt nun Zola mit seiner Erzählung ein und schwelgt in einer weit¬
schweifigen Beschreibung aller Vorgänge und Erscheinungen des Bahnlebens.
Nvnband wartet schon lange auf seine Gattin. Endlich erscheint sie, angenehm
erregt von der Pariser Luft, von ihren Einkäufen und Bestellungen. Nach
einer naturalistischen Liebesszenc kommt es zwischen beiden zu Auseinander¬
setzungen; ein unbedachtes Wort Severines wühlt die ganze Eifersucht des
Mannes auf. Der Gedanke an Grandmorin, der in Paris wohnt, hat ihn
schon lange gemartert; jetzt erfährt er, daß seine Frau die Mätresse des Präsi¬
denten gewesen ist und noch zu sein scheint. Er tobt und rast, schleift sein
Weib a" den Haaren durchs Zimmer und zwingt sie schließlich, an den Präsi¬
denten einen Brief zu schreiben und ihn darin zu bitten, schon heute Abend
'"it demselben Zuge nach Rouen zu fahren, den sie benutzen würden. Ron-
bauds Entschluß ist fest; Grandmorin muß fort ans der Welt -- da haben
^'ir la too llunmino, aufgeweckt durch den Stachel der Eifersucht.

Zu derselben Zeit spielt sich in dem Wärterhaus vor Croix-de-Maufras
eine andre Szene ab. Der Lokomotivführer Jacques Ländler, der Hauptheld
^es Romans, ein Sprößling der aus Plassaus stammenden Säuferfamilie, die
s^se in allen Romanen Zolas ihre Rolle spielt, läßt seine Lokomotive an einer
Station bei Eroir-de-Maufras ausbessern und besucht unterdessen seine Pate,
^ Frau eines Bahnwärters. Zola erzält von ihm: "Zu gewissen Zeiten
peinigte ihn zwar jenes Erbgebrechen; nicht als hätte er eine schlechte Gesund¬
et, denn nur die Angst und die Scham vor seinen Anfällen hatten ihn früh
^'geinagert, aber er empfand in seinem Wesen manchmal den Verlust des
Eichgewichts, gleichsam brüchige Stelle", Löcher, durch die sein wahres Ich


Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

seine Tochter untergebracht hat, Sem Gärtner stirbt und hinterläßt eine
Tochter Söverme, ein schmuckes, keckes Mädchen von dreizehn Jahren, das der
Präsident in scheinbarer Anwandlung von Edelmut in sein Haus aufnimmt
und mit seiner Tochter erziehen läßt, Ssveriue entwickelt sich sehr bald mit
allen körperlichen Reizen zur wachsenden Freude des alten Schwerenöters und
wird von ihm nach kurzer Zeit in die letzten Geheimnisse der Liebe eingeweiht.
Um den fortwährenden Nachstellungen des Alten zu entgehen, heiratet sie den
Eiseubahubecuntcu Noubaud, eiuen Menschen von ehrgeizigem und leidenschaft¬
lichem Charakter, der in Havre angestellt ist und durch Grnndmorins Einfluß
zur Stellung eines Unterchefs gelangt. Hin und wieder fährt Svverine, von
dem Präsidenten eingeladen, mich dem Schlosse Croix-de-Manfras, wo sie,
natürlich ohne Wissen ihres Mannes, mit dem alten Pflegevater traute Schäfer-
stuudeu feiert. Eines Tages befinden sich Roubaud und Frau in Paris, um
sich wegen eines Dienstvergehens zu verantworten; sie bewohnen in der
Nähe der Eisenbahn ein Zimmer, von dem man das Leben und Treiben
auf dem Bahnhofe, das Nangiren der Lokomotiven, das Ein- und Ausfahren
der Züge, das Hin- und Herflnten der Reisenden mit Behagen genießen kann.
Hier setzt nun Zola mit seiner Erzählung ein und schwelgt in einer weit¬
schweifigen Beschreibung aller Vorgänge und Erscheinungen des Bahnlebens.
Nvnband wartet schon lange auf seine Gattin. Endlich erscheint sie, angenehm
erregt von der Pariser Luft, von ihren Einkäufen und Bestellungen. Nach
einer naturalistischen Liebesszenc kommt es zwischen beiden zu Auseinander¬
setzungen; ein unbedachtes Wort Severines wühlt die ganze Eifersucht des
Mannes auf. Der Gedanke an Grandmorin, der in Paris wohnt, hat ihn
schon lange gemartert; jetzt erfährt er, daß seine Frau die Mätresse des Präsi¬
denten gewesen ist und noch zu sein scheint. Er tobt und rast, schleift sein
Weib a» den Haaren durchs Zimmer und zwingt sie schließlich, an den Präsi¬
denten einen Brief zu schreiben und ihn darin zu bitten, schon heute Abend
'"it demselben Zuge nach Rouen zu fahren, den sie benutzen würden. Ron-
bauds Entschluß ist fest; Grandmorin muß fort ans der Welt — da haben
^'ir la too llunmino, aufgeweckt durch den Stachel der Eifersucht.

Zu derselben Zeit spielt sich in dem Wärterhaus vor Croix-de-Maufras
eine andre Szene ab. Der Lokomotivführer Jacques Ländler, der Hauptheld
^es Romans, ein Sprößling der aus Plassaus stammenden Säuferfamilie, die
s^se in allen Romanen Zolas ihre Rolle spielt, läßt seine Lokomotive an einer
Station bei Eroir-de-Maufras ausbessern und besucht unterdessen seine Pate,
^ Frau eines Bahnwärters. Zola erzält von ihm: „Zu gewissen Zeiten
peinigte ihn zwar jenes Erbgebrechen; nicht als hätte er eine schlechte Gesund¬
et, denn nur die Angst und die Scham vor seinen Anfällen hatten ihn früh
^'geinagert, aber er empfand in seinem Wesen manchmal den Verlust des
Eichgewichts, gleichsam brüchige Stelle», Löcher, durch die sein wahres Ich


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[0179] Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart seine Tochter untergebracht hat, Sem Gärtner stirbt und hinterläßt eine Tochter Söverme, ein schmuckes, keckes Mädchen von dreizehn Jahren, das der Präsident in scheinbarer Anwandlung von Edelmut in sein Haus aufnimmt und mit seiner Tochter erziehen läßt, Ssveriue entwickelt sich sehr bald mit allen körperlichen Reizen zur wachsenden Freude des alten Schwerenöters und wird von ihm nach kurzer Zeit in die letzten Geheimnisse der Liebe eingeweiht. Um den fortwährenden Nachstellungen des Alten zu entgehen, heiratet sie den Eiseubahubecuntcu Noubaud, eiuen Menschen von ehrgeizigem und leidenschaft¬ lichem Charakter, der in Havre angestellt ist und durch Grnndmorins Einfluß zur Stellung eines Unterchefs gelangt. Hin und wieder fährt Svverine, von dem Präsidenten eingeladen, mich dem Schlosse Croix-de-Manfras, wo sie, natürlich ohne Wissen ihres Mannes, mit dem alten Pflegevater traute Schäfer- stuudeu feiert. Eines Tages befinden sich Roubaud und Frau in Paris, um sich wegen eines Dienstvergehens zu verantworten; sie bewohnen in der Nähe der Eisenbahn ein Zimmer, von dem man das Leben und Treiben auf dem Bahnhofe, das Nangiren der Lokomotiven, das Ein- und Ausfahren der Züge, das Hin- und Herflnten der Reisenden mit Behagen genießen kann. Hier setzt nun Zola mit seiner Erzählung ein und schwelgt in einer weit¬ schweifigen Beschreibung aller Vorgänge und Erscheinungen des Bahnlebens. Nvnband wartet schon lange auf seine Gattin. Endlich erscheint sie, angenehm erregt von der Pariser Luft, von ihren Einkäufen und Bestellungen. Nach einer naturalistischen Liebesszenc kommt es zwischen beiden zu Auseinander¬ setzungen; ein unbedachtes Wort Severines wühlt die ganze Eifersucht des Mannes auf. Der Gedanke an Grandmorin, der in Paris wohnt, hat ihn schon lange gemartert; jetzt erfährt er, daß seine Frau die Mätresse des Präsi¬ denten gewesen ist und noch zu sein scheint. Er tobt und rast, schleift sein Weib a» den Haaren durchs Zimmer und zwingt sie schließlich, an den Präsi¬ denten einen Brief zu schreiben und ihn darin zu bitten, schon heute Abend '"it demselben Zuge nach Rouen zu fahren, den sie benutzen würden. Ron- bauds Entschluß ist fest; Grandmorin muß fort ans der Welt — da haben ^'ir la too llunmino, aufgeweckt durch den Stachel der Eifersucht. Zu derselben Zeit spielt sich in dem Wärterhaus vor Croix-de-Maufras eine andre Szene ab. Der Lokomotivführer Jacques Ländler, der Hauptheld ^es Romans, ein Sprößling der aus Plassaus stammenden Säuferfamilie, die s^se in allen Romanen Zolas ihre Rolle spielt, läßt seine Lokomotive an einer Station bei Eroir-de-Maufras ausbessern und besucht unterdessen seine Pate, ^ Frau eines Bahnwärters. Zola erzält von ihm: „Zu gewissen Zeiten peinigte ihn zwar jenes Erbgebrechen; nicht als hätte er eine schlechte Gesund¬ et, denn nur die Angst und die Scham vor seinen Anfällen hatten ihn früh ^'geinagert, aber er empfand in seinem Wesen manchmal den Verlust des Eichgewichts, gleichsam brüchige Stelle», Löcher, durch die sein wahres Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/179>, abgerufen am 23.07.2024.