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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

!>> Zoiuu'lo an mon6s. Nur eins bedauern die Patrioten, daß die französische
Regierung bei diesem weltbewegenden Ereignis unterlassen hat, den Völkern
zu zeigen, zu welcher maßgebenden Stellung sich Frankreich in allen Zweigen
des geistigen Lebens, im Wettkampf um die Förderung der Wissenschaften, der
Künste und der Litteratur emporgeschwungen habe.

Bei (Gelegenheit der Pariser Weltausstellung vom Jahre 1807 ließ der
damalige Unterrichtsiuinister Duruy durch berufene Männer alle Versuche und
Ergebnisse zusammenstellen, die in Frankreich seit dem Anfang unsers Jahr¬
hunderts auf wissenschaftlichem und litterarischem Gebiete gewonnen worden
waren. Man bedauert, daß die französische Negierung bei Gelegenheit der
hundertjährigen Jubelfeier nicht auf den naheliegenden Gedanken gekommen ist,
diese fesselnde und lehrreiche Arbeit bis auf die Gegenwart fortzusetzen; man
hätte der Welt damit beweisen können, daß Frankreich trotz der unheilvollen
Niederlage von 1870/71 uicht aufgehört habe, am Ausbau der Wissenschaften!
kräftig mitzuwirken, daß die gebildeten Völker gerade Frankreich während
der letzten Jahre unendlich viel zu verdanken haben in der Geschichte und im
Erziehmigsweseu, in der Altertumswissenschaft und in deu orientalischen Stadien,
in der alte" und in der neuern Philologie, in den mathematischen, phhsito-
chemischeu und biologischen Fächern. Inmitten der Wunderdinge auf dem
Champ de Mars, meint Louis Linrd in der genannten Zeitschrift, würden diese
Errungenschaften ein Ruhmestitel ersten Ranges gewesen sein. Es wäre in
der That sehr auffallend, wenn die französische Regierung sich eine so günstige
Gelegenheit hatte entgehen lassen, der Eitelkeit des französischen Volkes durch
ein derartiges Denkmal seiner vermeintlichen Geisteshegemvnie zu schmeicheln;
vielleicht hat sie aber gefürchtet, durch einen solchen Versuch die andern Nationen
zu vergleichenden Betrachtungen zu veranlassen, die für Frankreich wohl nicht
gerade zu einem besondern titrv da g'loira führen würden; vielleicht hat sie die
Schwierigkeit der Aufgabe erkannt und es nicht gewagt, aus deu unzähligen
Forschungen und Leistungen die eine oder die andre als besondre Frucht
französischer Geistesarbeit aufzustelle". Und wenn Alfred Nambaud in seinem
gerühmten Werke: Li"toiro <Jo In, "Zivilisation vontomporaino an.iVranou (Paris,
1888) behauptet, in keinem Zeitabschnitt unsrer Geschichte sei der französische
Genius in allen Zweigen der Litteratur, der Minist und der Wissenschaft leb¬
hafter, thätiger und fruchtbarer gewesen, als in deu vierzig Jahre", die soeben
verflossen siud, so kann man dieses Urteil mit vollem Recht auf alle Kultur¬
völker der Gegenwart ausdehnen, denn bei allen ist in den letzten Jahrzehnten
der Strom des geistigen Lebens breiter und "tüchtiger geworden, von allen
verlangt heutzutage der allgemeine Wettstreit eine höhere Spannkraft, eine größere
Fruchtbarkeit und Ausdauer als die ruhige Kulturbewegung früherer Zeiten.
Kein Volk darf mehr die Anmaßung haben, die geistigen Wechselwirkung^"
der Nationen anßer Acht zu lasse" und die Entwicklungsgeschichte seiner Be-


Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

!>> Zoiuu'lo an mon6s. Nur eins bedauern die Patrioten, daß die französische
Regierung bei diesem weltbewegenden Ereignis unterlassen hat, den Völkern
zu zeigen, zu welcher maßgebenden Stellung sich Frankreich in allen Zweigen
des geistigen Lebens, im Wettkampf um die Förderung der Wissenschaften, der
Künste und der Litteratur emporgeschwungen habe.

Bei (Gelegenheit der Pariser Weltausstellung vom Jahre 1807 ließ der
damalige Unterrichtsiuinister Duruy durch berufene Männer alle Versuche und
Ergebnisse zusammenstellen, die in Frankreich seit dem Anfang unsers Jahr¬
hunderts auf wissenschaftlichem und litterarischem Gebiete gewonnen worden
waren. Man bedauert, daß die französische Negierung bei Gelegenheit der
hundertjährigen Jubelfeier nicht auf den naheliegenden Gedanken gekommen ist,
diese fesselnde und lehrreiche Arbeit bis auf die Gegenwart fortzusetzen; man
hätte der Welt damit beweisen können, daß Frankreich trotz der unheilvollen
Niederlage von 1870/71 uicht aufgehört habe, am Ausbau der Wissenschaften!
kräftig mitzuwirken, daß die gebildeten Völker gerade Frankreich während
der letzten Jahre unendlich viel zu verdanken haben in der Geschichte und im
Erziehmigsweseu, in der Altertumswissenschaft und in deu orientalischen Stadien,
in der alte» und in der neuern Philologie, in den mathematischen, phhsito-
chemischeu und biologischen Fächern. Inmitten der Wunderdinge auf dem
Champ de Mars, meint Louis Linrd in der genannten Zeitschrift, würden diese
Errungenschaften ein Ruhmestitel ersten Ranges gewesen sein. Es wäre in
der That sehr auffallend, wenn die französische Regierung sich eine so günstige
Gelegenheit hatte entgehen lassen, der Eitelkeit des französischen Volkes durch
ein derartiges Denkmal seiner vermeintlichen Geisteshegemvnie zu schmeicheln;
vielleicht hat sie aber gefürchtet, durch einen solchen Versuch die andern Nationen
zu vergleichenden Betrachtungen zu veranlassen, die für Frankreich wohl nicht
gerade zu einem besondern titrv da g'loira führen würden; vielleicht hat sie die
Schwierigkeit der Aufgabe erkannt und es nicht gewagt, aus deu unzähligen
Forschungen und Leistungen die eine oder die andre als besondre Frucht
französischer Geistesarbeit aufzustelle». Und wenn Alfred Nambaud in seinem
gerühmten Werke: Li»toiro <Jo In, «Zivilisation vontomporaino an.iVranou (Paris,
1888) behauptet, in keinem Zeitabschnitt unsrer Geschichte sei der französische
Genius in allen Zweigen der Litteratur, der Minist und der Wissenschaft leb¬
hafter, thätiger und fruchtbarer gewesen, als in deu vierzig Jahre», die soeben
verflossen siud, so kann man dieses Urteil mit vollem Recht auf alle Kultur¬
völker der Gegenwart ausdehnen, denn bei allen ist in den letzten Jahrzehnten
der Strom des geistigen Lebens breiter und »tüchtiger geworden, von allen
verlangt heutzutage der allgemeine Wettstreit eine höhere Spannkraft, eine größere
Fruchtbarkeit und Ausdauer als die ruhige Kulturbewegung früherer Zeiten.
Kein Volk darf mehr die Anmaßung haben, die geistigen Wechselwirkung^»
der Nationen anßer Acht zu lasse» und die Entwicklungsgeschichte seiner Be-


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[0174] Streifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart !>> Zoiuu'lo an mon6s. Nur eins bedauern die Patrioten, daß die französische Regierung bei diesem weltbewegenden Ereignis unterlassen hat, den Völkern zu zeigen, zu welcher maßgebenden Stellung sich Frankreich in allen Zweigen des geistigen Lebens, im Wettkampf um die Förderung der Wissenschaften, der Künste und der Litteratur emporgeschwungen habe. Bei (Gelegenheit der Pariser Weltausstellung vom Jahre 1807 ließ der damalige Unterrichtsiuinister Duruy durch berufene Männer alle Versuche und Ergebnisse zusammenstellen, die in Frankreich seit dem Anfang unsers Jahr¬ hunderts auf wissenschaftlichem und litterarischem Gebiete gewonnen worden waren. Man bedauert, daß die französische Negierung bei Gelegenheit der hundertjährigen Jubelfeier nicht auf den naheliegenden Gedanken gekommen ist, diese fesselnde und lehrreiche Arbeit bis auf die Gegenwart fortzusetzen; man hätte der Welt damit beweisen können, daß Frankreich trotz der unheilvollen Niederlage von 1870/71 uicht aufgehört habe, am Ausbau der Wissenschaften! kräftig mitzuwirken, daß die gebildeten Völker gerade Frankreich während der letzten Jahre unendlich viel zu verdanken haben in der Geschichte und im Erziehmigsweseu, in der Altertumswissenschaft und in deu orientalischen Stadien, in der alte» und in der neuern Philologie, in den mathematischen, phhsito- chemischeu und biologischen Fächern. Inmitten der Wunderdinge auf dem Champ de Mars, meint Louis Linrd in der genannten Zeitschrift, würden diese Errungenschaften ein Ruhmestitel ersten Ranges gewesen sein. Es wäre in der That sehr auffallend, wenn die französische Regierung sich eine so günstige Gelegenheit hatte entgehen lassen, der Eitelkeit des französischen Volkes durch ein derartiges Denkmal seiner vermeintlichen Geisteshegemvnie zu schmeicheln; vielleicht hat sie aber gefürchtet, durch einen solchen Versuch die andern Nationen zu vergleichenden Betrachtungen zu veranlassen, die für Frankreich wohl nicht gerade zu einem besondern titrv da g'loira führen würden; vielleicht hat sie die Schwierigkeit der Aufgabe erkannt und es nicht gewagt, aus deu unzähligen Forschungen und Leistungen die eine oder die andre als besondre Frucht französischer Geistesarbeit aufzustelle». Und wenn Alfred Nambaud in seinem gerühmten Werke: Li»toiro <Jo In, «Zivilisation vontomporaino an.iVranou (Paris, 1888) behauptet, in keinem Zeitabschnitt unsrer Geschichte sei der französische Genius in allen Zweigen der Litteratur, der Minist und der Wissenschaft leb¬ hafter, thätiger und fruchtbarer gewesen, als in deu vierzig Jahre», die soeben verflossen siud, so kann man dieses Urteil mit vollem Recht auf alle Kultur¬ völker der Gegenwart ausdehnen, denn bei allen ist in den letzten Jahrzehnten der Strom des geistigen Lebens breiter und »tüchtiger geworden, von allen verlangt heutzutage der allgemeine Wettstreit eine höhere Spannkraft, eine größere Fruchtbarkeit und Ausdauer als die ruhige Kulturbewegung früherer Zeiten. Kein Volk darf mehr die Anmaßung haben, die geistigen Wechselwirkung^» der Nationen anßer Acht zu lasse» und die Entwicklungsgeschichte seiner Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/174>, abgerufen am 29.06.2024.