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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen

stören, die seinem Schaffen bedenkliche Nachwirkungen auf Geist und Gemüt
des jungen Geschlechts glaubten zuschreiben zu müssen. Ich meine das Schau¬
spiel: Die Frau vom Meer.

Das moderne Drama ist die Darstellung eines Vorgangs, worin sich das
Schicksal der beteiligten Hauptpersonen als das folgerichtige Ergebnis ihrer in
sittlicher Freiheit und dumm eigenster Verantwortlichkeit unternommenen Hand¬
lungen erfüllt. Sehen wir zu, wie Ibsens neuestes Stück dieser Forderung
entspricht.

Johnston, der Untersteuermann eines Schiffes, das Havarie erlitten hat,
lernt bei einem Besuche des Leuchtturms von Skioldvik die Tochter des Ver¬
walters kennen. Er erklärt ihr kurzweg, daß sie sich mit ihm verloben müsse --
sie hat keinen Willen in seiner Nähe. Eines Morgens zieht er einen Ring
vom eignen und einen von ihrem Finger, fügt fie zusammen auf einen Schlüssel¬
ring, sagt, daß fie sich jetzt dem Meer vermählen müßten, und wirft die Ringe
weit hinaus in die Flut. Dann verreist er. Ellida -- so heißt die Heldin --
kommt bald darauf zur Besinnung und schreibt ihm wiederholt, daß zwischen
ihnen alles zu Ende sein müsse. Johnston antwortet immer nur, ohne ihre
Absage mit einem Worte zu berühren, daß sie auf ihn warten solle. Der
Briefwechsel schlummert endlich ganz ein, und Ellida folgt etwa fünf Jahre
nach jener seltsamen, von ihr aber aufs bestimmteste wieder gelösten Verlobung
dein Doktor Mangel als dessen zweite Gattin. Zwei Jahre darauf beschenkt
sie diesen mit einem Knaben, der aber bald stirbt. Die beiden Töchter aus
der ersten Ehe des Doktors, bereits erwachsen, stehen der Stiefmutter mit
passiver Feindseligkeit gegenüber. Sie selbst liebt ihren Mann herzlich und
wird ebenso von ihm geliebt. Aber der Vorgang, der sich vor zehn Jahren
draußen an der Küste abgespielt hat, beschäftigt sie noch immer insgeheim,
Und diese Unruhe, der stille Kampf gegen den widrigen, aber nicht überwundenen
Umdruck jener Stunde raubt ihr die klare Sicherheit im Kreise ihrer Pflichten,
durchweht das Haus des Doktors mit einer von keinem Familienglied offen
^kannten, aber allen peinlich fühlbaren Frostigkeit. Da erfährt Ellida aus
der Unterhaltung mit einem Freunde des Hauses, daß Johnston aus Zeitungen
Hre Vermählung entnommen und in Schmerz und Wut darüber ausgerufen
habe, sie sei dennoch sein und sie müsse dennoch ihm folgen. Die Kunde ver-
"'^hre ihre Unruhe bis zur Unerträglichkeit, sie teilt sich ihrem Manne mit
^ud klagt sich an, daß der Knabe, der doch Mangels Sohn war, das eigen¬
tümlich irisirende Ange jenes fremden Mannes gehabt habe, und darum will
Und darf sie ferner mit Mangel nicht mehr als dessen Gattin zusammenleben.
Kaum hat sie sich diese Last vom Herzen geredet, als Johnston selbst erscheint,
^w sie ^ holen. Ellida weist ihn erst aufs schroffste zurück, dann aber fleht
zu ihrem Gatten: "Rette mich vor diesem Mann -- schütze mich vor nur
Mist!" fasert nun von ihm die volle Freiheit wieder, um ganz unab-


Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen

stören, die seinem Schaffen bedenkliche Nachwirkungen auf Geist und Gemüt
des jungen Geschlechts glaubten zuschreiben zu müssen. Ich meine das Schau¬
spiel: Die Frau vom Meer.

Das moderne Drama ist die Darstellung eines Vorgangs, worin sich das
Schicksal der beteiligten Hauptpersonen als das folgerichtige Ergebnis ihrer in
sittlicher Freiheit und dumm eigenster Verantwortlichkeit unternommenen Hand¬
lungen erfüllt. Sehen wir zu, wie Ibsens neuestes Stück dieser Forderung
entspricht.

Johnston, der Untersteuermann eines Schiffes, das Havarie erlitten hat,
lernt bei einem Besuche des Leuchtturms von Skioldvik die Tochter des Ver¬
walters kennen. Er erklärt ihr kurzweg, daß sie sich mit ihm verloben müsse —
sie hat keinen Willen in seiner Nähe. Eines Morgens zieht er einen Ring
vom eignen und einen von ihrem Finger, fügt fie zusammen auf einen Schlüssel¬
ring, sagt, daß fie sich jetzt dem Meer vermählen müßten, und wirft die Ringe
weit hinaus in die Flut. Dann verreist er. Ellida — so heißt die Heldin —
kommt bald darauf zur Besinnung und schreibt ihm wiederholt, daß zwischen
ihnen alles zu Ende sein müsse. Johnston antwortet immer nur, ohne ihre
Absage mit einem Worte zu berühren, daß sie auf ihn warten solle. Der
Briefwechsel schlummert endlich ganz ein, und Ellida folgt etwa fünf Jahre
nach jener seltsamen, von ihr aber aufs bestimmteste wieder gelösten Verlobung
dein Doktor Mangel als dessen zweite Gattin. Zwei Jahre darauf beschenkt
sie diesen mit einem Knaben, der aber bald stirbt. Die beiden Töchter aus
der ersten Ehe des Doktors, bereits erwachsen, stehen der Stiefmutter mit
passiver Feindseligkeit gegenüber. Sie selbst liebt ihren Mann herzlich und
wird ebenso von ihm geliebt. Aber der Vorgang, der sich vor zehn Jahren
draußen an der Küste abgespielt hat, beschäftigt sie noch immer insgeheim,
Und diese Unruhe, der stille Kampf gegen den widrigen, aber nicht überwundenen
Umdruck jener Stunde raubt ihr die klare Sicherheit im Kreise ihrer Pflichten,
durchweht das Haus des Doktors mit einer von keinem Familienglied offen
^kannten, aber allen peinlich fühlbaren Frostigkeit. Da erfährt Ellida aus
der Unterhaltung mit einem Freunde des Hauses, daß Johnston aus Zeitungen
Hre Vermählung entnommen und in Schmerz und Wut darüber ausgerufen
habe, sie sei dennoch sein und sie müsse dennoch ihm folgen. Die Kunde ver-
"'^hre ihre Unruhe bis zur Unerträglichkeit, sie teilt sich ihrem Manne mit
^ud klagt sich an, daß der Knabe, der doch Mangels Sohn war, das eigen¬
tümlich irisirende Ange jenes fremden Mannes gehabt habe, und darum will
Und darf sie ferner mit Mangel nicht mehr als dessen Gattin zusammenleben.
Kaum hat sie sich diese Last vom Herzen geredet, als Johnston selbst erscheint,
^w sie ^ holen. Ellida weist ihn erst aufs schroffste zurück, dann aber fleht
zu ihrem Gatten: „Rette mich vor diesem Mann — schütze mich vor nur
Mist!" fasert nun von ihm die volle Freiheit wieder, um ganz unab-


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[0135] Zwei Schauspiele von Henrik Ibsen stören, die seinem Schaffen bedenkliche Nachwirkungen auf Geist und Gemüt des jungen Geschlechts glaubten zuschreiben zu müssen. Ich meine das Schau¬ spiel: Die Frau vom Meer. Das moderne Drama ist die Darstellung eines Vorgangs, worin sich das Schicksal der beteiligten Hauptpersonen als das folgerichtige Ergebnis ihrer in sittlicher Freiheit und dumm eigenster Verantwortlichkeit unternommenen Hand¬ lungen erfüllt. Sehen wir zu, wie Ibsens neuestes Stück dieser Forderung entspricht. Johnston, der Untersteuermann eines Schiffes, das Havarie erlitten hat, lernt bei einem Besuche des Leuchtturms von Skioldvik die Tochter des Ver¬ walters kennen. Er erklärt ihr kurzweg, daß sie sich mit ihm verloben müsse — sie hat keinen Willen in seiner Nähe. Eines Morgens zieht er einen Ring vom eignen und einen von ihrem Finger, fügt fie zusammen auf einen Schlüssel¬ ring, sagt, daß fie sich jetzt dem Meer vermählen müßten, und wirft die Ringe weit hinaus in die Flut. Dann verreist er. Ellida — so heißt die Heldin — kommt bald darauf zur Besinnung und schreibt ihm wiederholt, daß zwischen ihnen alles zu Ende sein müsse. Johnston antwortet immer nur, ohne ihre Absage mit einem Worte zu berühren, daß sie auf ihn warten solle. Der Briefwechsel schlummert endlich ganz ein, und Ellida folgt etwa fünf Jahre nach jener seltsamen, von ihr aber aufs bestimmteste wieder gelösten Verlobung dein Doktor Mangel als dessen zweite Gattin. Zwei Jahre darauf beschenkt sie diesen mit einem Knaben, der aber bald stirbt. Die beiden Töchter aus der ersten Ehe des Doktors, bereits erwachsen, stehen der Stiefmutter mit passiver Feindseligkeit gegenüber. Sie selbst liebt ihren Mann herzlich und wird ebenso von ihm geliebt. Aber der Vorgang, der sich vor zehn Jahren draußen an der Küste abgespielt hat, beschäftigt sie noch immer insgeheim, Und diese Unruhe, der stille Kampf gegen den widrigen, aber nicht überwundenen Umdruck jener Stunde raubt ihr die klare Sicherheit im Kreise ihrer Pflichten, durchweht das Haus des Doktors mit einer von keinem Familienglied offen ^kannten, aber allen peinlich fühlbaren Frostigkeit. Da erfährt Ellida aus der Unterhaltung mit einem Freunde des Hauses, daß Johnston aus Zeitungen Hre Vermählung entnommen und in Schmerz und Wut darüber ausgerufen habe, sie sei dennoch sein und sie müsse dennoch ihm folgen. Die Kunde ver- "'^hre ihre Unruhe bis zur Unerträglichkeit, sie teilt sich ihrem Manne mit ^ud klagt sich an, daß der Knabe, der doch Mangels Sohn war, das eigen¬ tümlich irisirende Ange jenes fremden Mannes gehabt habe, und darum will Und darf sie ferner mit Mangel nicht mehr als dessen Gattin zusammenleben. Kaum hat sie sich diese Last vom Herzen geredet, als Johnston selbst erscheint, ^w sie ^ holen. Ellida weist ihn erst aufs schroffste zurück, dann aber fleht zu ihrem Gatten: „Rette mich vor diesem Mann — schütze mich vor nur Mist!" fasert nun von ihm die volle Freiheit wieder, um ganz unab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/135>, abgerufen am 28.12.2024.