Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.den verschiedensten Stellen eine" durchaus brüchigen Guß. So Stockmnuns Man ist heutzutage von gewisser Seite, freilich mit mehr Eifer als den verschiedensten Stellen eine» durchaus brüchigen Guß. So Stockmnuns Man ist heutzutage von gewisser Seite, freilich mit mehr Eifer als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207428"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_364" prev="#ID_363"> den verschiedensten Stellen eine» durchaus brüchigen Guß. So Stockmnuns<lb/> Frmi, die deu engen Kreis der Familieninteressen mit wohlthuender Klarheit<lb/> übersieht. Aber plötzlich erfährt sie eine romantische Wandlung; sie holt zu<lb/> einer heroischen Pose aus, die gar nichts fördert und ihr umso fremder steht,<lb/> als sie vorher mit hausbackener Klugheit ihren Gatten vor jedem unüberlegten<lb/> Schritte zu bewahren gesucht hat und gleich »ach jener unvorbereiteter Auf¬<lb/> wallung wieder in ihre frühere Alltagssorge zurückfällt, gerade in dem<lb/> Augenblicke, wo ihr Manu, von aller Welt verlassen, wenigstens an seinem<lb/> Weibe eine mutige Gefährtin, eine geistige Stütze finden sollte. Zum Schluß<lb/> will Stockmanu seine Jungen aus der öffentliche,? Schule nehmen, sie zu<lb/> »freien, vornehmen Männern heranbilden" und ihnen als „Lebensaufgabe zu¬<lb/> weisen, dereinst alle Parteihäuptlinge, diese heißhungriger Wölfe, nach dem<lb/> fernen Westen fortzujagen!" Er baut rings um sich ein Uebelsein in die<lb/> Lüfte, das unter dem rauhen Hauch der Wirklichkeit in Trümmer gehen muß,<lb/> die den verrückten Baumeister samt den Seinigen unfehlbar unter sich begraben<lb/> werden. Mit einer solche» nicht tragisch versöhnenden, sondern trostlosen<lb/> Perspektive entläßt uns der Dichter.</p><lb/> <p xml:id="ID_365" next="#ID_366"> Man ist heutzutage von gewisser Seite, freilich mit mehr Eifer als<lb/> Klarheit, bestrebt, Ibsens sittliche Welt der Nation als unanfechtbaren Gewinn<lb/> anzuempfehlen, und um ihr Raum zu schaffen, kämpft mau mit Stockmannscher,<lb/> ^'üfnngsloser Heftigkeit gegen sittliche Anschauungen, die mit befruchtender,<lb/> umnchmal gehemmter, aber nie anf die Dauer versiegender Gewalt das Geistes-<lb/> Und Gemütsleben unsers Volkes durchdringen. Ganz besonders versuchen jene<lb/> Wortführer an der stillen Große Schillers ihren Witz, weil gerade er so macht¬<lb/> voll gegen den kalten Individualismus zu Felde zog, wie bald nach ihm Fichte<lb/> seinem Volke vom Geiste der Gemeinschaft und Aufopferung aller Selbstsucht<lb/> w erschütternden Worten sprach. Aber das war in ernster, trüber Zeit.<lb/> Heute sind wir eine große Nation geworden, die inmitten ihrer Errungen¬<lb/> schaften jene sittliche Beschränkung schon etwas leichter nehmen darf. Der<lb/> Einzelne fordert wieder das Recht des „freien, uneingeschränkte» Auslebens,"<lb/> das er in den Tagen nationaler Not gegenüber den mächtigern Interessen der<lb/> Gesamtheit unterdrücken mußte. Und um das neue Evangelium deu in der<lb/> Auffassung seiner edelsten Lehrer und Bildner uoch befangenen Schichten unsers<lb/> Volkes annehmbarer zu machen, knüpft man am liebsten gerade an diese an,<lb/> ^z so, wie einst die Koryphäen der Jenaer und Berliner Genialitätsepoche<lb/> l^h an Fichtes Rockschöße hängten. Aber der Begründer der idealistischen<lb/> Msenschaftslehre versteht sein „absolutes Ich" nur als ein solches der<lb/> uUellektnellen Anschauung, als ein Ich, das uoch nicht Individuum ist. Mit<lb/> co Begriff des Individuums verbindet er auch sogleich die Vorstellung von<lb/> '''wer Mehrheit solcher, denn „das Ich kauu zur Selbstbestimmung uur durch<lb/> ^" Vernunftwesen sollizitirt werden; es muß also nicht nnr die Sinnenwelt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0133]
den verschiedensten Stellen eine» durchaus brüchigen Guß. So Stockmnuns
Frmi, die deu engen Kreis der Familieninteressen mit wohlthuender Klarheit
übersieht. Aber plötzlich erfährt sie eine romantische Wandlung; sie holt zu
einer heroischen Pose aus, die gar nichts fördert und ihr umso fremder steht,
als sie vorher mit hausbackener Klugheit ihren Gatten vor jedem unüberlegten
Schritte zu bewahren gesucht hat und gleich »ach jener unvorbereiteter Auf¬
wallung wieder in ihre frühere Alltagssorge zurückfällt, gerade in dem
Augenblicke, wo ihr Manu, von aller Welt verlassen, wenigstens an seinem
Weibe eine mutige Gefährtin, eine geistige Stütze finden sollte. Zum Schluß
will Stockmanu seine Jungen aus der öffentliche,? Schule nehmen, sie zu
»freien, vornehmen Männern heranbilden" und ihnen als „Lebensaufgabe zu¬
weisen, dereinst alle Parteihäuptlinge, diese heißhungriger Wölfe, nach dem
fernen Westen fortzujagen!" Er baut rings um sich ein Uebelsein in die
Lüfte, das unter dem rauhen Hauch der Wirklichkeit in Trümmer gehen muß,
die den verrückten Baumeister samt den Seinigen unfehlbar unter sich begraben
werden. Mit einer solche» nicht tragisch versöhnenden, sondern trostlosen
Perspektive entläßt uns der Dichter.
Man ist heutzutage von gewisser Seite, freilich mit mehr Eifer als
Klarheit, bestrebt, Ibsens sittliche Welt der Nation als unanfechtbaren Gewinn
anzuempfehlen, und um ihr Raum zu schaffen, kämpft mau mit Stockmannscher,
^'üfnngsloser Heftigkeit gegen sittliche Anschauungen, die mit befruchtender,
umnchmal gehemmter, aber nie anf die Dauer versiegender Gewalt das Geistes-
Und Gemütsleben unsers Volkes durchdringen. Ganz besonders versuchen jene
Wortführer an der stillen Große Schillers ihren Witz, weil gerade er so macht¬
voll gegen den kalten Individualismus zu Felde zog, wie bald nach ihm Fichte
seinem Volke vom Geiste der Gemeinschaft und Aufopferung aller Selbstsucht
w erschütternden Worten sprach. Aber das war in ernster, trüber Zeit.
Heute sind wir eine große Nation geworden, die inmitten ihrer Errungen¬
schaften jene sittliche Beschränkung schon etwas leichter nehmen darf. Der
Einzelne fordert wieder das Recht des „freien, uneingeschränkte» Auslebens,"
das er in den Tagen nationaler Not gegenüber den mächtigern Interessen der
Gesamtheit unterdrücken mußte. Und um das neue Evangelium deu in der
Auffassung seiner edelsten Lehrer und Bildner uoch befangenen Schichten unsers
Volkes annehmbarer zu machen, knüpft man am liebsten gerade an diese an,
^z so, wie einst die Koryphäen der Jenaer und Berliner Genialitätsepoche
l^h an Fichtes Rockschöße hängten. Aber der Begründer der idealistischen
Msenschaftslehre versteht sein „absolutes Ich" nur als ein solches der
uUellektnellen Anschauung, als ein Ich, das uoch nicht Individuum ist. Mit
co Begriff des Individuums verbindet er auch sogleich die Vorstellung von
'''wer Mehrheit solcher, denn „das Ich kauu zur Selbstbestimmung uur durch
^" Vernunftwesen sollizitirt werden; es muß also nicht nnr die Sinnenwelt,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |