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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Die Abkürzung der Militärdienstzeit

daß jährlich wenigstens 90000 Mann zur Ersatzreserve und zum Landsturm
ersten Aufgebots übertreten, die sich sehr wohl für den Dienst im aktiven Heere
eignen würden. Die Veranlassung dazu, ebenfalls schon früher von uus erörtert,
ist die willkürlich festgesetzte Friedensstärke, die der Zahl der zum Dienst taug¬
lichen Volksangehörigen jetzt nicht mehr entspricht.

Sobald man aber die Friedensstärke bei Einführung der zweijährigen
Dienstzeit ebenso hoch läßt, wie unter der Herrschaft der dreijährigen, gewinnt
die Nation, als Ganzes gedacht, durch die Verkürzung der Dienstzeit gar nichts,
denn es ist höchst gleichgiltig, ob ihr die Arbeitskräfte von 170000 Menschen
auf drei Jahre oder die von 255000 Leuten auf zwei Jahre entzogen werden;
der Verlust an wirtschaftlicher Kraft bleibt derselbe. Zu gleicher Zeit fallen
auch die finanziellen Vorteile weg, sie sind mit der Höhe der Friedensstärke,
nicht mit der Dauer der Dienstzeit verknüpft.

Dagegen würde der Einzelne natürlich aus der kürzeren Dienstzeit für seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu unterschätzende Vorteile ziehen. Es leuchtet
ein, daß dem Handwerker, dem Kaufmann u. s. w. sehr viel daran gelegen sein
muß, möglichst kurze Zeit von seinem Beruf fern gehalten zu werden; er kommt
umso weniger in Gefahr, seine Befähigung dafür zu verlieren, je eher er zu ihm
zurückkehren kann. Daß die dreijährige Dienstzeit gegenüber der zweijährigen
für charakterschwache Menschen manche Gefahr im Hinblick auf die längere
Trennung von den geordneten bürgerlichen Verhältnissen in sich birgt, kann
nicht bestritten werden, obschon man anderseits wieder zugeben muß, daß sehr
"se gerade für solche Leute die lange EinPressung in die straffe militärische
Zucht Wunder wirkt, und daß auch zwei Jahre genügen, um arbeitsscheu zu
Werden. Wie dem aber auch sei, soviel ist sicher, daß, wenn die kürzere Dienst¬
zeit dem Einzelnen günstiger ist als die dreijährige, sie es auch für die Summe
der Einzelnen, für die Nation fein muß, die also auf diesem Umwege doch
aus ihr Gewinn zieht.

Auf solchen Schlüssen fußend wird man gegen die gegenwärtige Militär¬
dienstdauer Sturm zu laufett versuchen und dabei übersehen, daß. die scheinbar
?o klare Sache doch einen ganz gewaltigen Haken, ja viele Haken hat. Wenden
wir uns zu dem hauptsächlichsten.

Unsre Leser wissen aus der Schilderung der Wirkungen des neuesten
französischen Wehrgesetzes, daß wir in Zukunft nicht mehr darauf hoffen können,
unsern Gegner in der Zahl der Streitkräfte zu übertreffen. Selbst wenn wir
undt gegen die vereinigten Heere unsrer Nachbarn zur Rechten und zur Linken
fechten hätten, sondern mir gegen eins von beiden, so würden wir weder
Rußland noch Frankreich zu überbiete" imstande sein. Das eine nicht, weil
^ entsprechend seiner um vierzig Millionen größern Bevölkerungsziffer mehr
Soldaten ausbilden kann als wir, das andre nicht, weil es ohne jede Rücksicht
"uf die wirtschaftliche Kraft des Volkes alle Leute, die nur entfernt fähig sind,


Die Abkürzung der Militärdienstzeit

daß jährlich wenigstens 90000 Mann zur Ersatzreserve und zum Landsturm
ersten Aufgebots übertreten, die sich sehr wohl für den Dienst im aktiven Heere
eignen würden. Die Veranlassung dazu, ebenfalls schon früher von uus erörtert,
ist die willkürlich festgesetzte Friedensstärke, die der Zahl der zum Dienst taug¬
lichen Volksangehörigen jetzt nicht mehr entspricht.

Sobald man aber die Friedensstärke bei Einführung der zweijährigen
Dienstzeit ebenso hoch läßt, wie unter der Herrschaft der dreijährigen, gewinnt
die Nation, als Ganzes gedacht, durch die Verkürzung der Dienstzeit gar nichts,
denn es ist höchst gleichgiltig, ob ihr die Arbeitskräfte von 170000 Menschen
auf drei Jahre oder die von 255000 Leuten auf zwei Jahre entzogen werden;
der Verlust an wirtschaftlicher Kraft bleibt derselbe. Zu gleicher Zeit fallen
auch die finanziellen Vorteile weg, sie sind mit der Höhe der Friedensstärke,
nicht mit der Dauer der Dienstzeit verknüpft.

Dagegen würde der Einzelne natürlich aus der kürzeren Dienstzeit für seine
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu unterschätzende Vorteile ziehen. Es leuchtet
ein, daß dem Handwerker, dem Kaufmann u. s. w. sehr viel daran gelegen sein
muß, möglichst kurze Zeit von seinem Beruf fern gehalten zu werden; er kommt
umso weniger in Gefahr, seine Befähigung dafür zu verlieren, je eher er zu ihm
zurückkehren kann. Daß die dreijährige Dienstzeit gegenüber der zweijährigen
für charakterschwache Menschen manche Gefahr im Hinblick auf die längere
Trennung von den geordneten bürgerlichen Verhältnissen in sich birgt, kann
nicht bestritten werden, obschon man anderseits wieder zugeben muß, daß sehr
"se gerade für solche Leute die lange EinPressung in die straffe militärische
Zucht Wunder wirkt, und daß auch zwei Jahre genügen, um arbeitsscheu zu
Werden. Wie dem aber auch sei, soviel ist sicher, daß, wenn die kürzere Dienst¬
zeit dem Einzelnen günstiger ist als die dreijährige, sie es auch für die Summe
der Einzelnen, für die Nation fein muß, die also auf diesem Umwege doch
aus ihr Gewinn zieht.

Auf solchen Schlüssen fußend wird man gegen die gegenwärtige Militär¬
dienstdauer Sturm zu laufett versuchen und dabei übersehen, daß. die scheinbar
?o klare Sache doch einen ganz gewaltigen Haken, ja viele Haken hat. Wenden
wir uns zu dem hauptsächlichsten.

Unsre Leser wissen aus der Schilderung der Wirkungen des neuesten
französischen Wehrgesetzes, daß wir in Zukunft nicht mehr darauf hoffen können,
unsern Gegner in der Zahl der Streitkräfte zu übertreffen. Selbst wenn wir
undt gegen die vereinigten Heere unsrer Nachbarn zur Rechten und zur Linken
fechten hätten, sondern mir gegen eins von beiden, so würden wir weder
Rußland noch Frankreich zu überbiete« imstande sein. Das eine nicht, weil
^ entsprechend seiner um vierzig Millionen größern Bevölkerungsziffer mehr
Soldaten ausbilden kann als wir, das andre nicht, weil es ohne jede Rücksicht
"uf die wirtschaftliche Kraft des Volkes alle Leute, die nur entfernt fähig sind,


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[0115] Die Abkürzung der Militärdienstzeit daß jährlich wenigstens 90000 Mann zur Ersatzreserve und zum Landsturm ersten Aufgebots übertreten, die sich sehr wohl für den Dienst im aktiven Heere eignen würden. Die Veranlassung dazu, ebenfalls schon früher von uus erörtert, ist die willkürlich festgesetzte Friedensstärke, die der Zahl der zum Dienst taug¬ lichen Volksangehörigen jetzt nicht mehr entspricht. Sobald man aber die Friedensstärke bei Einführung der zweijährigen Dienstzeit ebenso hoch läßt, wie unter der Herrschaft der dreijährigen, gewinnt die Nation, als Ganzes gedacht, durch die Verkürzung der Dienstzeit gar nichts, denn es ist höchst gleichgiltig, ob ihr die Arbeitskräfte von 170000 Menschen auf drei Jahre oder die von 255000 Leuten auf zwei Jahre entzogen werden; der Verlust an wirtschaftlicher Kraft bleibt derselbe. Zu gleicher Zeit fallen auch die finanziellen Vorteile weg, sie sind mit der Höhe der Friedensstärke, nicht mit der Dauer der Dienstzeit verknüpft. Dagegen würde der Einzelne natürlich aus der kürzeren Dienstzeit für seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht zu unterschätzende Vorteile ziehen. Es leuchtet ein, daß dem Handwerker, dem Kaufmann u. s. w. sehr viel daran gelegen sein muß, möglichst kurze Zeit von seinem Beruf fern gehalten zu werden; er kommt umso weniger in Gefahr, seine Befähigung dafür zu verlieren, je eher er zu ihm zurückkehren kann. Daß die dreijährige Dienstzeit gegenüber der zweijährigen für charakterschwache Menschen manche Gefahr im Hinblick auf die längere Trennung von den geordneten bürgerlichen Verhältnissen in sich birgt, kann nicht bestritten werden, obschon man anderseits wieder zugeben muß, daß sehr "se gerade für solche Leute die lange EinPressung in die straffe militärische Zucht Wunder wirkt, und daß auch zwei Jahre genügen, um arbeitsscheu zu Werden. Wie dem aber auch sei, soviel ist sicher, daß, wenn die kürzere Dienst¬ zeit dem Einzelnen günstiger ist als die dreijährige, sie es auch für die Summe der Einzelnen, für die Nation fein muß, die also auf diesem Umwege doch aus ihr Gewinn zieht. Auf solchen Schlüssen fußend wird man gegen die gegenwärtige Militär¬ dienstdauer Sturm zu laufett versuchen und dabei übersehen, daß. die scheinbar ?o klare Sache doch einen ganz gewaltigen Haken, ja viele Haken hat. Wenden wir uns zu dem hauptsächlichsten. Unsre Leser wissen aus der Schilderung der Wirkungen des neuesten französischen Wehrgesetzes, daß wir in Zukunft nicht mehr darauf hoffen können, unsern Gegner in der Zahl der Streitkräfte zu übertreffen. Selbst wenn wir undt gegen die vereinigten Heere unsrer Nachbarn zur Rechten und zur Linken fechten hätten, sondern mir gegen eins von beiden, so würden wir weder Rußland noch Frankreich zu überbiete« imstande sein. Das eine nicht, weil ^ entsprechend seiner um vierzig Millionen größern Bevölkerungsziffer mehr Soldaten ausbilden kann als wir, das andre nicht, weil es ohne jede Rücksicht "uf die wirtschaftliche Kraft des Volkes alle Leute, die nur entfernt fähig sind,

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/115>, abgerufen am 23.06.2024.