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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Litteratur

der Menschheit und der- Welt als einen einig veränderlichen Prozeß betrachtete
nichts ist ih", bleibend als eben der Wechsel, nichts so wahr und sicher als das
ununterbrochene Werden, das 7r"v?" ße?. Während aber Hegel als Idealist die
gesamte Welt ans dein dialektischen Prozeß der Idee begriffe" wissen wollte, da
das einzig Seiende eben nur die Idee für ihn war, während also Hegel die Welt
aus den Kopf stellte, stellt sie Bahr ans die Miste, indem er sich für einen
kritischen Realisten erklärt, d. h, er sagt- nichts ist in, menschlichen Bewusstsein
weder an konkreten Vorstellungen, noch an abstrakten Begriffen und sogar anch
nicht an Ideen, waS nicht in der außer dem Bewusstsein bestehenden Welt seinen
Grund oder sein Korrelat "litte. Auch nicht die Idee deS (Unter oder die Idee
des Schonen erkennt er als apriorisch an, wie er denn natürlich infolge seines
erkenntnistheoretischen Standpunktes alle Metaphysik leugnet. Da "un der InHall
des menschlichen Bewusstseins thatsächlich z" verschiednen Zeiten von verschiednen
Ideen beherrscht wird, daher in verschiednen Zeile" der Menschengeschichte der-
schiedne Weltanschauungen herrschend waren, so sucht Bahr nach dem diese Welt-
nnschauungen bedingenden letzten Grunde in der außer dem Bewußtsein bestehenden
Well; er sucht nach einem ,,realen Korrelat" zu dein stetig sich verändernden Be-
wußtseiuSProzeß der Menschheit. Und dieses Korrelat meint er nach den, Bor
'lauge von Karl Murr in dem ökonomischen Prozeß zu finden. Das Verhältnis
der Menschheit zur Natur, das Verhältnis der Menschen unter einander entwickelt
sich im Laufe der Geschichte: die Art der Produktion ändert sich. Die Arbeit ist
u" Mittelalter Hausindustrie, Arbeiter und Werkzeug find untrennbar. Die Ent¬
deckung der neue" Welt entfesselt den Handelsgeist: es entsteht der Wettkampf
unter den Nationen. Es wird nicht mehr für den Hausbedarf und den heimische"
Geschmack geschaffen, eS wird für fremden Geschmack und unübersehbar größern
Vedars gearbeitet. Der geringgeschätzte Krämer wird zum mächtigen Kaufmann
">>t dem weilen Blick, mit den berechnenden Bestellungen. Der Arbeiter gerät in
Abhängigkeit vom Kaufmann, die heimische Arbeitskraft vervielfacht ihre Produktion
>n einer Weise, die sie sich früher kaum selbst zugetraut hätte. Der Kaufmann
"is Besteller und Beschästiger so vieler Arbeiter sammelt Schätze, der Arbeiter
wird von ihm abhängig, von ihm oder vom Kapital. Noch aber ist der Arbeiter vom
Werkzeug nicht zu trenne". Da wird die Maschine erfunden, und diese Trennung
vollzieht sich. Der Arbeiter wird zum Proletarier, und wir stehen in der Gegen¬
wart, in der Zeit der sozialen Frage, Parallel mit diesen Wandlungen des öko-
uviuischen Prozesses vollzieht sich die Verschiebung der Stände, die Bürger rücken
vor, gewinnen politische Macht im schweren Kampfe mit den mächtige" Ständen
ti'r frühern Zeit, die Persönlichkeit wird befreit, der Sinn für das gemeine Staate
Wohl wird schwächer, da der Gedanke herrschend wird, das Glück des Einzelnen
>?i der letzte Zweck der staatlichen Ordnung, Dieser Geist des Individualismus
^herrscht die neuere Poesie seit der Aufklärungszeit bis zum Pessimismus in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Aus diesem individualistischen Geiste sind
Ideale gedichtet worden, ebenso wie sich Parallel mit den Wandlungen deS
Monomische,/Prozesses die Kunst der Maler entfaltet hal. Diese Parallele führt
^ahr in dem zweiten Aufsatz seines Buches in hübscher Weise dnrch, woraus wir
'>'^' nur verweisen könne".

In nnserm Jahrhundert hat nun eine Reaktion gegen den Geist des Indi¬
vidualismus begonnen, den Bahr ans dem Gebiete der Kunst mit dem Schlagwort
^winantik bezeichnet, als Kampf gegen die Romantik, als Kampf gegen die Persön-
U'steil mit ihrer subjektiven Laune, Selbstsucht, Selbstbespiegelung, mit ihren ab


Litteratur

der Menschheit und der- Welt als einen einig veränderlichen Prozeß betrachtete
nichts ist ih», bleibend als eben der Wechsel, nichts so wahr und sicher als das
ununterbrochene Werden, das 7r«v?« ße?. Während aber Hegel als Idealist die
gesamte Welt ans dein dialektischen Prozeß der Idee begriffe» wissen wollte, da
das einzig Seiende eben nur die Idee für ihn war, während also Hegel die Welt
aus den Kopf stellte, stellt sie Bahr ans die Miste, indem er sich für einen
kritischen Realisten erklärt, d. h, er sagt- nichts ist in, menschlichen Bewusstsein
weder an konkreten Vorstellungen, noch an abstrakten Begriffen und sogar anch
nicht an Ideen, waS nicht in der außer dem Bewusstsein bestehenden Welt seinen
Grund oder sein Korrelat »litte. Auch nicht die Idee deS (Unter oder die Idee
des Schonen erkennt er als apriorisch an, wie er denn natürlich infolge seines
erkenntnistheoretischen Standpunktes alle Metaphysik leugnet. Da »un der InHall
des menschlichen Bewusstseins thatsächlich z» verschiednen Zeiten von verschiednen
Ideen beherrscht wird, daher in verschiednen Zeile» der Menschengeschichte der-
schiedne Weltanschauungen herrschend waren, so sucht Bahr nach dem diese Welt-
nnschauungen bedingenden letzten Grunde in der außer dem Bewußtsein bestehenden
Well; er sucht nach einem ,,realen Korrelat" zu dein stetig sich verändernden Be-
wußtseiuSProzeß der Menschheit. Und dieses Korrelat meint er nach den, Bor
'lauge von Karl Murr in dem ökonomischen Prozeß zu finden. Das Verhältnis
der Menschheit zur Natur, das Verhältnis der Menschen unter einander entwickelt
sich im Laufe der Geschichte: die Art der Produktion ändert sich. Die Arbeit ist
u» Mittelalter Hausindustrie, Arbeiter und Werkzeug find untrennbar. Die Ent¬
deckung der neue» Welt entfesselt den Handelsgeist: es entsteht der Wettkampf
unter den Nationen. Es wird nicht mehr für den Hausbedarf und den heimische»
Geschmack geschaffen, eS wird für fremden Geschmack und unübersehbar größern
Vedars gearbeitet. Der geringgeschätzte Krämer wird zum mächtigen Kaufmann
">>t dem weilen Blick, mit den berechnenden Bestellungen. Der Arbeiter gerät in
Abhängigkeit vom Kaufmann, die heimische Arbeitskraft vervielfacht ihre Produktion
>n einer Weise, die sie sich früher kaum selbst zugetraut hätte. Der Kaufmann
"is Besteller und Beschästiger so vieler Arbeiter sammelt Schätze, der Arbeiter
wird von ihm abhängig, von ihm oder vom Kapital. Noch aber ist der Arbeiter vom
Werkzeug nicht zu trenne». Da wird die Maschine erfunden, und diese Trennung
vollzieht sich. Der Arbeiter wird zum Proletarier, und wir stehen in der Gegen¬
wart, in der Zeit der sozialen Frage, Parallel mit diesen Wandlungen des öko-
uviuischen Prozesses vollzieht sich die Verschiebung der Stände, die Bürger rücken
vor, gewinnen politische Macht im schweren Kampfe mit den mächtige» Ständen
ti'r frühern Zeit, die Persönlichkeit wird befreit, der Sinn für das gemeine Staate
Wohl wird schwächer, da der Gedanke herrschend wird, das Glück des Einzelnen
>?i der letzte Zweck der staatlichen Ordnung, Dieser Geist des Individualismus
^herrscht die neuere Poesie seit der Aufklärungszeit bis zum Pessimismus in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Aus diesem individualistischen Geiste sind
Ideale gedichtet worden, ebenso wie sich Parallel mit den Wandlungen deS
Monomische,/Prozesses die Kunst der Maler entfaltet hal. Diese Parallele führt
^ahr in dem zweiten Aufsatz seines Buches in hübscher Weise dnrch, woraus wir
'>'^' nur verweisen könne».

In nnserm Jahrhundert hat nun eine Reaktion gegen den Geist des Indi¬
vidualismus begonnen, den Bahr ans dem Gebiete der Kunst mit dem Schlagwort
^winantik bezeichnet, als Kampf gegen die Romantik, als Kampf gegen die Persön-
U'steil mit ihrer subjektiven Laune, Selbstsucht, Selbstbespiegelung, mit ihren ab


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[0101] Litteratur der Menschheit und der- Welt als einen einig veränderlichen Prozeß betrachtete nichts ist ih», bleibend als eben der Wechsel, nichts so wahr und sicher als das ununterbrochene Werden, das 7r«v?« ße?. Während aber Hegel als Idealist die gesamte Welt ans dein dialektischen Prozeß der Idee begriffe» wissen wollte, da das einzig Seiende eben nur die Idee für ihn war, während also Hegel die Welt aus den Kopf stellte, stellt sie Bahr ans die Miste, indem er sich für einen kritischen Realisten erklärt, d. h, er sagt- nichts ist in, menschlichen Bewusstsein weder an konkreten Vorstellungen, noch an abstrakten Begriffen und sogar anch nicht an Ideen, waS nicht in der außer dem Bewusstsein bestehenden Welt seinen Grund oder sein Korrelat »litte. Auch nicht die Idee deS (Unter oder die Idee des Schonen erkennt er als apriorisch an, wie er denn natürlich infolge seines erkenntnistheoretischen Standpunktes alle Metaphysik leugnet. Da »un der InHall des menschlichen Bewusstseins thatsächlich z» verschiednen Zeiten von verschiednen Ideen beherrscht wird, daher in verschiednen Zeile» der Menschengeschichte der- schiedne Weltanschauungen herrschend waren, so sucht Bahr nach dem diese Welt- nnschauungen bedingenden letzten Grunde in der außer dem Bewußtsein bestehenden Well; er sucht nach einem ,,realen Korrelat" zu dein stetig sich verändernden Be- wußtseiuSProzeß der Menschheit. Und dieses Korrelat meint er nach den, Bor 'lauge von Karl Murr in dem ökonomischen Prozeß zu finden. Das Verhältnis der Menschheit zur Natur, das Verhältnis der Menschen unter einander entwickelt sich im Laufe der Geschichte: die Art der Produktion ändert sich. Die Arbeit ist u» Mittelalter Hausindustrie, Arbeiter und Werkzeug find untrennbar. Die Ent¬ deckung der neue» Welt entfesselt den Handelsgeist: es entsteht der Wettkampf unter den Nationen. Es wird nicht mehr für den Hausbedarf und den heimische» Geschmack geschaffen, eS wird für fremden Geschmack und unübersehbar größern Vedars gearbeitet. Der geringgeschätzte Krämer wird zum mächtigen Kaufmann ">>t dem weilen Blick, mit den berechnenden Bestellungen. Der Arbeiter gerät in Abhängigkeit vom Kaufmann, die heimische Arbeitskraft vervielfacht ihre Produktion >n einer Weise, die sie sich früher kaum selbst zugetraut hätte. Der Kaufmann "is Besteller und Beschästiger so vieler Arbeiter sammelt Schätze, der Arbeiter wird von ihm abhängig, von ihm oder vom Kapital. Noch aber ist der Arbeiter vom Werkzeug nicht zu trenne». Da wird die Maschine erfunden, und diese Trennung vollzieht sich. Der Arbeiter wird zum Proletarier, und wir stehen in der Gegen¬ wart, in der Zeit der sozialen Frage, Parallel mit diesen Wandlungen des öko- uviuischen Prozesses vollzieht sich die Verschiebung der Stände, die Bürger rücken vor, gewinnen politische Macht im schweren Kampfe mit den mächtige» Ständen ti'r frühern Zeit, die Persönlichkeit wird befreit, der Sinn für das gemeine Staate Wohl wird schwächer, da der Gedanke herrschend wird, das Glück des Einzelnen >?i der letzte Zweck der staatlichen Ordnung, Dieser Geist des Individualismus ^herrscht die neuere Poesie seit der Aufklärungszeit bis zum Pessimismus in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. Aus diesem individualistischen Geiste sind Ideale gedichtet worden, ebenso wie sich Parallel mit den Wandlungen deS Monomische,/Prozesses die Kunst der Maler entfaltet hal. Diese Parallele führt ^ahr in dem zweiten Aufsatz seines Buches in hübscher Weise dnrch, woraus wir '>'^' nur verweisen könne». In nnserm Jahrhundert hat nun eine Reaktion gegen den Geist des Indi¬ vidualismus begonnen, den Bahr ans dem Gebiete der Kunst mit dem Schlagwort ^winantik bezeichnet, als Kampf gegen die Romantik, als Kampf gegen die Persön- U'steil mit ihrer subjektiven Laune, Selbstsucht, Selbstbespiegelung, mit ihren ab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/101>, abgerufen am 27.12.2024.