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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Das Nationalgefiihl

Seit 1807 bereits gährte es mit deutlichen Zeichen und immer mächtiger
in den nachfolgenden Jahren im Lande, ein Klang, wie in Lüften gehört, füllte die
Herzen mit brennendem Verlangen. Viele Tapfere hatten, wie Arndt es nannte,
spanische und tirolische Gedanken; man dachte schon an die Möglichkeit von
Aufstand und Volkserhebung. Die kühnen Unternehmungen des preußischen
Hnsarenmajors Schill und anderseits Dörnbergs im Königreich Westfalen fanden
begeistertes Zujauchzen und treuen thätigen Anschluß mit Wehr und Hand bei
Hunderten von opferfreudigen Männern; der tragische Ausgang der helden¬
mütigen Treuen, zumal des Schillschen Streifkorps, ward nicht wieder aus¬
gelöscht im Herzen des Volkes. Nur in Preußen konnte die neue Hoffnung
anknüpfen, nur hier der neue Geist der Zeit in weitem Umkreise Wurzeln
schlagen; hier allein fand der öffentliche Wunsch uach Befreiung uoch politisches
Ehrgefühl vor und politische Kraft, die, wenn auch noch so schwer, sich wieder
emporzuringen vermochte, und was wesentlich war, er fand ein Volk, das unter
Regierungen, die nur die Pflicht als Richtschnur gekannt hatten, längst einer
individuellen Freiheit sich bewußt geworden war, aber auch zugleich eines, das
stolz geworden war seines preußischen Namens und seiner großen Geschichte und
das sein großer König angeleitet hatte, nicht nur nach dem Rechte zu ver¬
langen, sondern sich selbst zu erfüllen mit dem Begriffe der Pflicht, die jenem
Stolze die sittliche Grundlage gab, auch schon mit dein ganzen Ernste der
Staatsauffassung des .Königsberger Philosophen, der 1784 den Staat aufgestellt
hatte als den Zweck und das Endziel alles menschlichen geschichtlichen Werdens.
Und diese preußische Monarchie, die fast bis zum Tode zusammengeknickt worden
war, sie sollte um, wie es nie bewunderungswürdiger irgendwo und irgend¬
wann geschehen war, aus dieser ihrer bittersten Not, ihrer tiefsten Zer¬
trümmerung und Erschöpfung heraus die in ihr verborgnen sittlichen Kräfte be¬
währen. Das verdeutlichte sich zuerst durch die äußere Anziehungskraft dieses
Staates, der der Hoffnung in all dem deutschen Jammer doch eben noch die
einzige, letzte Zuflucht bot. Nie so bedeutsam, so ganz besonders, wie gerade da¬
mals tritt eine Erscheinung, die Preußen eigentlich zu alleu Zeiten darbietet,
hervor: uümlich die, daß dieser Staat von jeher einen so großen Reiz auf be¬
deutende NichtPreußen ausgeübt hat, die dann aus freien Stücken ihm ihre
Kraft und ihren Eifer gewidmet und nicht als die Geringsten seine Größe mit
begründet haben.

Da ist zunächst Ernst Moritz Arndt, der schwedische Unterthan vom vstsee-
umspülten Rügen. Er hatte, wie er später selbst bekräftigt hat, zu viel Zorn
und Haß in seiner Brust, er dachte und wußte, daß viele, jn die meisten auch
noch genug davon im Herzen trugen; so hing er denn seine schwedische Greifs-
walder Professur an den Nagel, um fortan in Preußens Sinne "als armer
antinapvleonischer Federnheld schwache Gänsespnlen gegen den Gewaltigen zu
wetzen." Einst hatte Arndt zu Jena zu den Füßen Fichtes gesessen, und dort


Das Nationalgefiihl

Seit 1807 bereits gährte es mit deutlichen Zeichen und immer mächtiger
in den nachfolgenden Jahren im Lande, ein Klang, wie in Lüften gehört, füllte die
Herzen mit brennendem Verlangen. Viele Tapfere hatten, wie Arndt es nannte,
spanische und tirolische Gedanken; man dachte schon an die Möglichkeit von
Aufstand und Volkserhebung. Die kühnen Unternehmungen des preußischen
Hnsarenmajors Schill und anderseits Dörnbergs im Königreich Westfalen fanden
begeistertes Zujauchzen und treuen thätigen Anschluß mit Wehr und Hand bei
Hunderten von opferfreudigen Männern; der tragische Ausgang der helden¬
mütigen Treuen, zumal des Schillschen Streifkorps, ward nicht wieder aus¬
gelöscht im Herzen des Volkes. Nur in Preußen konnte die neue Hoffnung
anknüpfen, nur hier der neue Geist der Zeit in weitem Umkreise Wurzeln
schlagen; hier allein fand der öffentliche Wunsch uach Befreiung uoch politisches
Ehrgefühl vor und politische Kraft, die, wenn auch noch so schwer, sich wieder
emporzuringen vermochte, und was wesentlich war, er fand ein Volk, das unter
Regierungen, die nur die Pflicht als Richtschnur gekannt hatten, längst einer
individuellen Freiheit sich bewußt geworden war, aber auch zugleich eines, das
stolz geworden war seines preußischen Namens und seiner großen Geschichte und
das sein großer König angeleitet hatte, nicht nur nach dem Rechte zu ver¬
langen, sondern sich selbst zu erfüllen mit dem Begriffe der Pflicht, die jenem
Stolze die sittliche Grundlage gab, auch schon mit dein ganzen Ernste der
Staatsauffassung des .Königsberger Philosophen, der 1784 den Staat aufgestellt
hatte als den Zweck und das Endziel alles menschlichen geschichtlichen Werdens.
Und diese preußische Monarchie, die fast bis zum Tode zusammengeknickt worden
war, sie sollte um, wie es nie bewunderungswürdiger irgendwo und irgend¬
wann geschehen war, aus dieser ihrer bittersten Not, ihrer tiefsten Zer¬
trümmerung und Erschöpfung heraus die in ihr verborgnen sittlichen Kräfte be¬
währen. Das verdeutlichte sich zuerst durch die äußere Anziehungskraft dieses
Staates, der der Hoffnung in all dem deutschen Jammer doch eben noch die
einzige, letzte Zuflucht bot. Nie so bedeutsam, so ganz besonders, wie gerade da¬
mals tritt eine Erscheinung, die Preußen eigentlich zu alleu Zeiten darbietet,
hervor: uümlich die, daß dieser Staat von jeher einen so großen Reiz auf be¬
deutende NichtPreußen ausgeübt hat, die dann aus freien Stücken ihm ihre
Kraft und ihren Eifer gewidmet und nicht als die Geringsten seine Größe mit
begründet haben.

Da ist zunächst Ernst Moritz Arndt, der schwedische Unterthan vom vstsee-
umspülten Rügen. Er hatte, wie er später selbst bekräftigt hat, zu viel Zorn
und Haß in seiner Brust, er dachte und wußte, daß viele, jn die meisten auch
noch genug davon im Herzen trugen; so hing er denn seine schwedische Greifs-
walder Professur an den Nagel, um fortan in Preußens Sinne „als armer
antinapvleonischer Federnheld schwache Gänsespnlen gegen den Gewaltigen zu
wetzen." Einst hatte Arndt zu Jena zu den Füßen Fichtes gesessen, und dort


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[0078] Das Nationalgefiihl Seit 1807 bereits gährte es mit deutlichen Zeichen und immer mächtiger in den nachfolgenden Jahren im Lande, ein Klang, wie in Lüften gehört, füllte die Herzen mit brennendem Verlangen. Viele Tapfere hatten, wie Arndt es nannte, spanische und tirolische Gedanken; man dachte schon an die Möglichkeit von Aufstand und Volkserhebung. Die kühnen Unternehmungen des preußischen Hnsarenmajors Schill und anderseits Dörnbergs im Königreich Westfalen fanden begeistertes Zujauchzen und treuen thätigen Anschluß mit Wehr und Hand bei Hunderten von opferfreudigen Männern; der tragische Ausgang der helden¬ mütigen Treuen, zumal des Schillschen Streifkorps, ward nicht wieder aus¬ gelöscht im Herzen des Volkes. Nur in Preußen konnte die neue Hoffnung anknüpfen, nur hier der neue Geist der Zeit in weitem Umkreise Wurzeln schlagen; hier allein fand der öffentliche Wunsch uach Befreiung uoch politisches Ehrgefühl vor und politische Kraft, die, wenn auch noch so schwer, sich wieder emporzuringen vermochte, und was wesentlich war, er fand ein Volk, das unter Regierungen, die nur die Pflicht als Richtschnur gekannt hatten, längst einer individuellen Freiheit sich bewußt geworden war, aber auch zugleich eines, das stolz geworden war seines preußischen Namens und seiner großen Geschichte und das sein großer König angeleitet hatte, nicht nur nach dem Rechte zu ver¬ langen, sondern sich selbst zu erfüllen mit dem Begriffe der Pflicht, die jenem Stolze die sittliche Grundlage gab, auch schon mit dein ganzen Ernste der Staatsauffassung des .Königsberger Philosophen, der 1784 den Staat aufgestellt hatte als den Zweck und das Endziel alles menschlichen geschichtlichen Werdens. Und diese preußische Monarchie, die fast bis zum Tode zusammengeknickt worden war, sie sollte um, wie es nie bewunderungswürdiger irgendwo und irgend¬ wann geschehen war, aus dieser ihrer bittersten Not, ihrer tiefsten Zer¬ trümmerung und Erschöpfung heraus die in ihr verborgnen sittlichen Kräfte be¬ währen. Das verdeutlichte sich zuerst durch die äußere Anziehungskraft dieses Staates, der der Hoffnung in all dem deutschen Jammer doch eben noch die einzige, letzte Zuflucht bot. Nie so bedeutsam, so ganz besonders, wie gerade da¬ mals tritt eine Erscheinung, die Preußen eigentlich zu alleu Zeiten darbietet, hervor: uümlich die, daß dieser Staat von jeher einen so großen Reiz auf be¬ deutende NichtPreußen ausgeübt hat, die dann aus freien Stücken ihm ihre Kraft und ihren Eifer gewidmet und nicht als die Geringsten seine Größe mit begründet haben. Da ist zunächst Ernst Moritz Arndt, der schwedische Unterthan vom vstsee- umspülten Rügen. Er hatte, wie er später selbst bekräftigt hat, zu viel Zorn und Haß in seiner Brust, er dachte und wußte, daß viele, jn die meisten auch noch genug davon im Herzen trugen; so hing er denn seine schwedische Greifs- walder Professur an den Nagel, um fortan in Preußens Sinne „als armer antinapvleonischer Federnheld schwache Gänsespnlen gegen den Gewaltigen zu wetzen." Einst hatte Arndt zu Jena zu den Füßen Fichtes gesessen, und dort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/78>, abgerufen am 23.07.2024.