Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Drei Dichterinnen
Diese Töne schwüler Leidenschaft sind die persönlichsten der Dichterin; die Gedichte
Rhetorik zwar, aber mit Schwung und Wärme. Übrigens ist die Sprache der
Es ist überhaupt fatal, wenn ein Lyriker so abstrakte Begriffe wie Sein, Raum Drei Dichterinnen
Diese Töne schwüler Leidenschaft sind die persönlichsten der Dichterin; die Gedichte
Rhetorik zwar, aber mit Schwung und Wärme. Übrigens ist die Sprache der
Es ist überhaupt fatal, wenn ein Lyriker so abstrakte Begriffe wie Sein, Raum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0614" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207259"/> <fw type="header" place="top"> Drei Dichterinnen</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_22" type="poem"> <l> Und das, mein Lieb, ist Leidenschaft,<lb/> Die selig wächst und sonder Mühen.<lb/> Erlöse sie aus Knospenhast —<lb/> Wie Rosen blühen.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1828"> Diese Töne schwüler Leidenschaft sind die persönlichsten der Dichterin; die Gedichte<lb/> „Lindcnblütenduft," „Nachtzaubcr," „Sommernachts," „Im Paradies," „Herbst-<lb/> akkvrd" sind in dieser Art von Stimmungspvesie vortrefflich. Wohlthuend heben sich<lb/> von den andern „Gestalten" jene erzählenden Gedichte ab, in denen die Dichterin<lb/> nach Art der schwäbischen Poeten Märchen mit schlichter und heiterer Anschau¬<lb/> lichkeit erzähl: „Das Weingeigerlein von Brunnstatt," „Hänschens Traum";<lb/> da ist sie kaum wiederzuerkennen. In einzelnen patriotischen Gelegenheits¬<lb/> dichtungen hat sie auch mit Glück einen großen Ton kräftig angeschlagen, wie<lb/> z. B. in der „Kaisermeldung, als der Kaiser Wilhelm I- am 10. September 1886<lb/> die Reichslande besuchte." Das Gedicht beginnt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_23" type="poem"> <l> Was rauscht mir zu Nächten um Giebel und Turm?<lb/> Rings schlafen die Lüfte — das ist nicht der Sturm.<lb/> Mit herrliche» Schwingen durcheilt es den Raum,<lb/> So schwirren nur Adler am felsigen Saum!<lb/> Ich kenne dies Haupt, das den Wolkenrand streift,<lb/> Und den Fang, der so kühn ins Unendliche greift,<lb/> Und die Federn, erschimmernd wie bräunliches Gold,<lb/> Und den siegenden Fittig, im Äther entrollt (!).<lb/> Der Herrliche ist es, der unsichtbar<lb/> Den Kaiser umkreiset, sein schlitzender Aar,<lb/> Der, Wege geleitend, zur Sonne hinan<lb/> Scharfäugig bewachet die siegende Bahn!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1829"> Rhetorik zwar, aber mit Schwung und Wärme. Übrigens ist die Sprache der<lb/> Gedichte nicht tadellos. Hiaten und unreinen Reimen, Härten im Ausdruck<lb/> begegnet man sehr häufig. Auch an Schwulst kann es bei einer solchen Vor¬<lb/> liebe für den Superlativ im Gefühl nicht fehlen, wie z.B. in dem Nvcturno:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_24" type="poem"> <l> Ein Kuß,^.so hingegeben atemlos,<lb/> Schloß sie zusammen, daß der Beiden Sinn<lb/> Gleichwie in Gottheit aufgelöst erschien.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1830" next="#ID_1831"> Es ist überhaupt fatal, wenn ein Lyriker so abstrakte Begriffe wie Sein, Raum<lb/> und Zeit, das Schöne u. dergl. in. so gern verwendet wie die Puttkamer. Sie<lb/> treibt auch ungeheuern Luxus mit Satzzeichen, mit gewissen drei Punkten, mit Ge¬<lb/> dankenstrichen, mit denen sie gleich lange Verszeilen ausfüllt. Wenn die Rede<lb/> nicht ohne solche Zeichen klar und bestimmt den dichterischen Gedanken aus¬<lb/> spricht, so ist es schlimm. Auch der massenhafte Verbrauch von Aus¬<lb/> rufungszeichen ist häßlich, nicht Minder die Vorliebe für den gesperrten<lb/> Druck vieler Wörter und ganzer Verse; das ist dilettantisch geschmacklos. Eine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0614]
Drei Dichterinnen
Und das, mein Lieb, ist Leidenschaft,
Die selig wächst und sonder Mühen.
Erlöse sie aus Knospenhast —
Wie Rosen blühen.
Diese Töne schwüler Leidenschaft sind die persönlichsten der Dichterin; die Gedichte
„Lindcnblütenduft," „Nachtzaubcr," „Sommernachts," „Im Paradies," „Herbst-
akkvrd" sind in dieser Art von Stimmungspvesie vortrefflich. Wohlthuend heben sich
von den andern „Gestalten" jene erzählenden Gedichte ab, in denen die Dichterin
nach Art der schwäbischen Poeten Märchen mit schlichter und heiterer Anschau¬
lichkeit erzähl: „Das Weingeigerlein von Brunnstatt," „Hänschens Traum";
da ist sie kaum wiederzuerkennen. In einzelnen patriotischen Gelegenheits¬
dichtungen hat sie auch mit Glück einen großen Ton kräftig angeschlagen, wie
z. B. in der „Kaisermeldung, als der Kaiser Wilhelm I- am 10. September 1886
die Reichslande besuchte." Das Gedicht beginnt:
Was rauscht mir zu Nächten um Giebel und Turm?
Rings schlafen die Lüfte — das ist nicht der Sturm.
Mit herrliche» Schwingen durcheilt es den Raum,
So schwirren nur Adler am felsigen Saum!
Ich kenne dies Haupt, das den Wolkenrand streift,
Und den Fang, der so kühn ins Unendliche greift,
Und die Federn, erschimmernd wie bräunliches Gold,
Und den siegenden Fittig, im Äther entrollt (!).
Der Herrliche ist es, der unsichtbar
Den Kaiser umkreiset, sein schlitzender Aar,
Der, Wege geleitend, zur Sonne hinan
Scharfäugig bewachet die siegende Bahn!
Rhetorik zwar, aber mit Schwung und Wärme. Übrigens ist die Sprache der
Gedichte nicht tadellos. Hiaten und unreinen Reimen, Härten im Ausdruck
begegnet man sehr häufig. Auch an Schwulst kann es bei einer solchen Vor¬
liebe für den Superlativ im Gefühl nicht fehlen, wie z.B. in dem Nvcturno:
Ein Kuß,^.so hingegeben atemlos,
Schloß sie zusammen, daß der Beiden Sinn
Gleichwie in Gottheit aufgelöst erschien.
Es ist überhaupt fatal, wenn ein Lyriker so abstrakte Begriffe wie Sein, Raum
und Zeit, das Schöne u. dergl. in. so gern verwendet wie die Puttkamer. Sie
treibt auch ungeheuern Luxus mit Satzzeichen, mit gewissen drei Punkten, mit Ge¬
dankenstrichen, mit denen sie gleich lange Verszeilen ausfüllt. Wenn die Rede
nicht ohne solche Zeichen klar und bestimmt den dichterischen Gedanken aus¬
spricht, so ist es schlimm. Auch der massenhafte Verbrauch von Aus¬
rufungszeichen ist häßlich, nicht Minder die Vorliebe für den gesperrten
Druck vieler Wörter und ganzer Verse; das ist dilettantisch geschmacklos. Eine
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