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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Drei Dichterinnen

in nicht gewöhnlichem Maße. Aber sie ist keine Natur, sondern ein Tempera¬
ment; sie kann nicht schlicht, einfältig empfinden und ebenso aussprechen, was
sie empfindet, sondern muß in Hitze geraten, um zu dichten. Das Feuer, der
Sturm, der Orkan, die Leidenschaft mit ihrer Grenzenlosigkeit und Maßlosig¬
keit, die sind ihr Element. Eine musikalische Frau und folglich mehr Gefühls-
als Phantasiemensch, ist sie selten imstande, die Fülle hochwogender Gefühle
in knappe Form, in anmutig anschauliche Bilder zu bannen. Sie bewegt sich
gern in Superlativen und kann mit den vielen Worten doch nicht alles
das sagen, wozu die Töne eines musikalischen Instruments oder gar eines
Orchesters weit geeigneter wären. In den episch-lyrischen Gedichten und in
den eigentlichen Liedern ihres neuen Bandes von Dichtungen: Akkorde und
Gesänge (Straßburg, Heitz) ist vorwiegend einunddieselbe Grundstimmung
bemerkbar: die der schwülen Sommernacht bei herannahendem Gewitter. Die
Motive, die sie ans der Geschichte wählt, sind allein schon bezeichnend für
diese überschwenglich leidenschaftliche Frauenseele. Sie schildert des kranken
Wüstlings Cesare Borgias Flucht aus dem Vatikan; sie erzählt von der plötz¬
lichen Begierde Nervs nach einer zum Tode in der Tierhetze verurteilten jung-
fräulichen Christin, die sich aber seiner Lust durch die Flucht in den Löwenkäfig
entzieht; eine Kleopatra, ein Judas Jscharivt fehlen anch nicht; eines dieser
episch-lyrischen Stücke ist geradezu "Nocturno" überschrieben und führt uns
das nächtliche süßberauschende Stelldichein eines Ritters mit der Gattin irgend
eines Seeräubers im ägeischen Meere vor: eine Art von lyrisch-musikalischer
Phantasie. Die "Gesänge" versuchen gar nichts andres, als die nebelhaft un¬
faßbare Stimmung eiues hoch erregten Wesens in der einsamen Sommernacht
zu beschreiben: durchweg aussichtslose Versuche, mit den Formen der Lyrik
das darzustellen, was nur die Musik vermag. Für die Leidenschaft der Dichterin
ist es bezeichnend, daß sie gern den Sturm der Schlachten, die Lust des Reiters
schildert. Gleichwohl muß man ihre Fähigkeit anerkennen, anch so zarte Ge¬
mütszustande wie eben die Stimmung einer Sommernacht in schönen Worten
festzuhalten, z. B. in dein Gedicht: "In heißer Zeit."


Das ist wie Duft von reifem Korn,
Der haucht vom Feld in Sommerfrüheu,
Aus roten Büschen droht der Dorn --
Die Rosen blühen.
Das ist wie Duft von reifem Glück,
Der haucht vou deinem Lippenglühen;
Kein herber Dorn schreckt mich zurück --
Die Rosen blühen.
Das ist der heiße Junitng
Mit Edelfrncht und Svnnensvrühen;
I" Funken flammt der schene Hnq --
Die Rosen blieben.

Drei Dichterinnen

in nicht gewöhnlichem Maße. Aber sie ist keine Natur, sondern ein Tempera¬
ment; sie kann nicht schlicht, einfältig empfinden und ebenso aussprechen, was
sie empfindet, sondern muß in Hitze geraten, um zu dichten. Das Feuer, der
Sturm, der Orkan, die Leidenschaft mit ihrer Grenzenlosigkeit und Maßlosig¬
keit, die sind ihr Element. Eine musikalische Frau und folglich mehr Gefühls-
als Phantasiemensch, ist sie selten imstande, die Fülle hochwogender Gefühle
in knappe Form, in anmutig anschauliche Bilder zu bannen. Sie bewegt sich
gern in Superlativen und kann mit den vielen Worten doch nicht alles
das sagen, wozu die Töne eines musikalischen Instruments oder gar eines
Orchesters weit geeigneter wären. In den episch-lyrischen Gedichten und in
den eigentlichen Liedern ihres neuen Bandes von Dichtungen: Akkorde und
Gesänge (Straßburg, Heitz) ist vorwiegend einunddieselbe Grundstimmung
bemerkbar: die der schwülen Sommernacht bei herannahendem Gewitter. Die
Motive, die sie ans der Geschichte wählt, sind allein schon bezeichnend für
diese überschwenglich leidenschaftliche Frauenseele. Sie schildert des kranken
Wüstlings Cesare Borgias Flucht aus dem Vatikan; sie erzählt von der plötz¬
lichen Begierde Nervs nach einer zum Tode in der Tierhetze verurteilten jung-
fräulichen Christin, die sich aber seiner Lust durch die Flucht in den Löwenkäfig
entzieht; eine Kleopatra, ein Judas Jscharivt fehlen anch nicht; eines dieser
episch-lyrischen Stücke ist geradezu „Nocturno" überschrieben und führt uns
das nächtliche süßberauschende Stelldichein eines Ritters mit der Gattin irgend
eines Seeräubers im ägeischen Meere vor: eine Art von lyrisch-musikalischer
Phantasie. Die „Gesänge" versuchen gar nichts andres, als die nebelhaft un¬
faßbare Stimmung eiues hoch erregten Wesens in der einsamen Sommernacht
zu beschreiben: durchweg aussichtslose Versuche, mit den Formen der Lyrik
das darzustellen, was nur die Musik vermag. Für die Leidenschaft der Dichterin
ist es bezeichnend, daß sie gern den Sturm der Schlachten, die Lust des Reiters
schildert. Gleichwohl muß man ihre Fähigkeit anerkennen, anch so zarte Ge¬
mütszustande wie eben die Stimmung einer Sommernacht in schönen Worten
festzuhalten, z. B. in dein Gedicht: „In heißer Zeit."


Das ist wie Duft von reifem Korn,
Der haucht vom Feld in Sommerfrüheu,
Aus roten Büschen droht der Dorn —
Die Rosen blühen.
Das ist wie Duft von reifem Glück,
Der haucht vou deinem Lippenglühen;
Kein herber Dorn schreckt mich zurück —
Die Rosen blühen.
Das ist der heiße Junitng
Mit Edelfrncht und Svnnensvrühen;
I» Funken flammt der schene Hnq —
Die Rosen blieben.

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[0613] Drei Dichterinnen in nicht gewöhnlichem Maße. Aber sie ist keine Natur, sondern ein Tempera¬ ment; sie kann nicht schlicht, einfältig empfinden und ebenso aussprechen, was sie empfindet, sondern muß in Hitze geraten, um zu dichten. Das Feuer, der Sturm, der Orkan, die Leidenschaft mit ihrer Grenzenlosigkeit und Maßlosig¬ keit, die sind ihr Element. Eine musikalische Frau und folglich mehr Gefühls- als Phantasiemensch, ist sie selten imstande, die Fülle hochwogender Gefühle in knappe Form, in anmutig anschauliche Bilder zu bannen. Sie bewegt sich gern in Superlativen und kann mit den vielen Worten doch nicht alles das sagen, wozu die Töne eines musikalischen Instruments oder gar eines Orchesters weit geeigneter wären. In den episch-lyrischen Gedichten und in den eigentlichen Liedern ihres neuen Bandes von Dichtungen: Akkorde und Gesänge (Straßburg, Heitz) ist vorwiegend einunddieselbe Grundstimmung bemerkbar: die der schwülen Sommernacht bei herannahendem Gewitter. Die Motive, die sie ans der Geschichte wählt, sind allein schon bezeichnend für diese überschwenglich leidenschaftliche Frauenseele. Sie schildert des kranken Wüstlings Cesare Borgias Flucht aus dem Vatikan; sie erzählt von der plötz¬ lichen Begierde Nervs nach einer zum Tode in der Tierhetze verurteilten jung- fräulichen Christin, die sich aber seiner Lust durch die Flucht in den Löwenkäfig entzieht; eine Kleopatra, ein Judas Jscharivt fehlen anch nicht; eines dieser episch-lyrischen Stücke ist geradezu „Nocturno" überschrieben und führt uns das nächtliche süßberauschende Stelldichein eines Ritters mit der Gattin irgend eines Seeräubers im ägeischen Meere vor: eine Art von lyrisch-musikalischer Phantasie. Die „Gesänge" versuchen gar nichts andres, als die nebelhaft un¬ faßbare Stimmung eiues hoch erregten Wesens in der einsamen Sommernacht zu beschreiben: durchweg aussichtslose Versuche, mit den Formen der Lyrik das darzustellen, was nur die Musik vermag. Für die Leidenschaft der Dichterin ist es bezeichnend, daß sie gern den Sturm der Schlachten, die Lust des Reiters schildert. Gleichwohl muß man ihre Fähigkeit anerkennen, anch so zarte Ge¬ mütszustande wie eben die Stimmung einer Sommernacht in schönen Worten festzuhalten, z. B. in dein Gedicht: „In heißer Zeit." Das ist wie Duft von reifem Korn, Der haucht vom Feld in Sommerfrüheu, Aus roten Büschen droht der Dorn — Die Rosen blühen. Das ist wie Duft von reifem Glück, Der haucht vou deinem Lippenglühen; Kein herber Dorn schreckt mich zurück — Die Rosen blühen. Das ist der heiße Junitng Mit Edelfrncht und Svnnensvrühen; I» Funken flammt der schene Hnq — Die Rosen blieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/613>, abgerufen am 23.07.2024.