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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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gesetzlich vorgeschriebnen Lehrplan festhalten. Neue pädagogische Ideen können
also nur auf einem großen Umwege praktische Geltung erlangen. Erst wenn
die meisten Kollegien, Bürgerschaften und Behörden überzeugt sind, läßt sich auf
Änderungen des Bestehenden in der einzelnen Anstalt hoffen, so wünschenswert
sie auch dem Leiter und den Lehrern erscheinen mögen. Daher die Streit¬
schriften, die Vereine, die Versammlungen und Agitationen, daher der oftmals
erbitterte Kampf der Meinungen, der wenig Frucht bringt, weil er die Ver-
besserungen aufhält! Denn die Negierung zögert natürlich, irgend eine Änderung
zu treffen, so lange die Berufsgenossen selbst nicht einig sind, und das wird
so leicht uicht geschehen.

Beinahe seit dreißig Jahren ringt das Realgymnasium mit dem huma¬
nistischen Gymnasium, die "moderne" Bildung mit der "altklassischer" um die
Berechtigungen für das Universitätsstudium. Man sieht ans diesem Streite
deutlich, mit welchen Schwierigkeiten jede Verschiebung des Räderwerkes in der
Handhabung unsers staatlich patentirter Bildungsapparates ist, denn im Grunde
bewegen sich beide Schulen in demselben Gleise des von Alters her über¬
lieferten philologisch-mathematischen Unterrichtes fort. Das Realgymnasium
ist dnrch die Aufnahme des Latein in seinen Lehrplan mit einer gewissen Ab¬
sichtlichkeit der Spur des humanistischen Gymnasiums gefolgt, es würde sich
wahrscheinlich auch uicht sträuben, wenn ihm das Griechische als fakultativer
Unterrichtsgegenstand zugewiesen würde. Damit würde es sich nun sehr der
"Einheitsschule" nähern, deren Verkündiger in der höhern Schule die moderne
Bildung mit der altklassischer vereinigen möchten, ohne daß eine Überbürdung
der Schüler einträte. Dieses Wagestück glauben sie in der Weise möglich
machen zu können, daß sie die Methode reformiren, z. B. die neuern Sprachen
und zum Teil auch die alten auf dem Wege der Konversation beibringen oder
die Gegenstände verschmelzen, etwa Geschichte und Geographie, Geographie und
Naturkunde u. dergl. Sie glauben damit die Mannichfaltigkeit der Unterrichts-
gegenstünde unschädlich zu machen. Aber sie täuschen sich und andre. Aller¬
dings bedarf die Methode der höhern Schule, besonders des Gymnasiums,
einer gründlichen Erneuerung, sie ist seit der Zeit der Humanisten wenig fort¬
geschritten, aber die Methode allein bewirkt keine Reform des Schulwesens.
Das haben die Bestrebungen Pestalozzis und Basedows gezeigt. Immer von
neuem wird die Methode von der Masse des Stoffes erstickt, besonders in der
höhern Schule. So lange die Pädagogik dem Grundsatze huldigt, daß sie kein
Bildungsmittel aufgeben, ja nicht einmal das eine oder andre einschränken
dürfe, so lange drehen wir uns im Kreise und kommen keinen Schritt weiter.
Damit aber quält sich die Einheitsschule ab.

Einen rudern Vorschlag macht der "Verein für Schulreform." Er will
den Oberbau der lateinisch-griechischen Bildung von seinen alten Grundmauern
abheben und auf ein modernes Hintergebäude setzen, auf die höhere Bürger-


gesetzlich vorgeschriebnen Lehrplan festhalten. Neue pädagogische Ideen können
also nur auf einem großen Umwege praktische Geltung erlangen. Erst wenn
die meisten Kollegien, Bürgerschaften und Behörden überzeugt sind, läßt sich auf
Änderungen des Bestehenden in der einzelnen Anstalt hoffen, so wünschenswert
sie auch dem Leiter und den Lehrern erscheinen mögen. Daher die Streit¬
schriften, die Vereine, die Versammlungen und Agitationen, daher der oftmals
erbitterte Kampf der Meinungen, der wenig Frucht bringt, weil er die Ver-
besserungen aufhält! Denn die Negierung zögert natürlich, irgend eine Änderung
zu treffen, so lange die Berufsgenossen selbst nicht einig sind, und das wird
so leicht uicht geschehen.

Beinahe seit dreißig Jahren ringt das Realgymnasium mit dem huma¬
nistischen Gymnasium, die „moderne" Bildung mit der „altklassischer" um die
Berechtigungen für das Universitätsstudium. Man sieht ans diesem Streite
deutlich, mit welchen Schwierigkeiten jede Verschiebung des Räderwerkes in der
Handhabung unsers staatlich patentirter Bildungsapparates ist, denn im Grunde
bewegen sich beide Schulen in demselben Gleise des von Alters her über¬
lieferten philologisch-mathematischen Unterrichtes fort. Das Realgymnasium
ist dnrch die Aufnahme des Latein in seinen Lehrplan mit einer gewissen Ab¬
sichtlichkeit der Spur des humanistischen Gymnasiums gefolgt, es würde sich
wahrscheinlich auch uicht sträuben, wenn ihm das Griechische als fakultativer
Unterrichtsgegenstand zugewiesen würde. Damit würde es sich nun sehr der
„Einheitsschule" nähern, deren Verkündiger in der höhern Schule die moderne
Bildung mit der altklassischer vereinigen möchten, ohne daß eine Überbürdung
der Schüler einträte. Dieses Wagestück glauben sie in der Weise möglich
machen zu können, daß sie die Methode reformiren, z. B. die neuern Sprachen
und zum Teil auch die alten auf dem Wege der Konversation beibringen oder
die Gegenstände verschmelzen, etwa Geschichte und Geographie, Geographie und
Naturkunde u. dergl. Sie glauben damit die Mannichfaltigkeit der Unterrichts-
gegenstünde unschädlich zu machen. Aber sie täuschen sich und andre. Aller¬
dings bedarf die Methode der höhern Schule, besonders des Gymnasiums,
einer gründlichen Erneuerung, sie ist seit der Zeit der Humanisten wenig fort¬
geschritten, aber die Methode allein bewirkt keine Reform des Schulwesens.
Das haben die Bestrebungen Pestalozzis und Basedows gezeigt. Immer von
neuem wird die Methode von der Masse des Stoffes erstickt, besonders in der
höhern Schule. So lange die Pädagogik dem Grundsatze huldigt, daß sie kein
Bildungsmittel aufgeben, ja nicht einmal das eine oder andre einschränken
dürfe, so lange drehen wir uns im Kreise und kommen keinen Schritt weiter.
Damit aber quält sich die Einheitsschule ab.

Einen rudern Vorschlag macht der „Verein für Schulreform." Er will
den Oberbau der lateinisch-griechischen Bildung von seinen alten Grundmauern
abheben und auf ein modernes Hintergebäude setzen, auf die höhere Bürger-


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[0602] gesetzlich vorgeschriebnen Lehrplan festhalten. Neue pädagogische Ideen können also nur auf einem großen Umwege praktische Geltung erlangen. Erst wenn die meisten Kollegien, Bürgerschaften und Behörden überzeugt sind, läßt sich auf Änderungen des Bestehenden in der einzelnen Anstalt hoffen, so wünschenswert sie auch dem Leiter und den Lehrern erscheinen mögen. Daher die Streit¬ schriften, die Vereine, die Versammlungen und Agitationen, daher der oftmals erbitterte Kampf der Meinungen, der wenig Frucht bringt, weil er die Ver- besserungen aufhält! Denn die Negierung zögert natürlich, irgend eine Änderung zu treffen, so lange die Berufsgenossen selbst nicht einig sind, und das wird so leicht uicht geschehen. Beinahe seit dreißig Jahren ringt das Realgymnasium mit dem huma¬ nistischen Gymnasium, die „moderne" Bildung mit der „altklassischer" um die Berechtigungen für das Universitätsstudium. Man sieht ans diesem Streite deutlich, mit welchen Schwierigkeiten jede Verschiebung des Räderwerkes in der Handhabung unsers staatlich patentirter Bildungsapparates ist, denn im Grunde bewegen sich beide Schulen in demselben Gleise des von Alters her über¬ lieferten philologisch-mathematischen Unterrichtes fort. Das Realgymnasium ist dnrch die Aufnahme des Latein in seinen Lehrplan mit einer gewissen Ab¬ sichtlichkeit der Spur des humanistischen Gymnasiums gefolgt, es würde sich wahrscheinlich auch uicht sträuben, wenn ihm das Griechische als fakultativer Unterrichtsgegenstand zugewiesen würde. Damit würde es sich nun sehr der „Einheitsschule" nähern, deren Verkündiger in der höhern Schule die moderne Bildung mit der altklassischer vereinigen möchten, ohne daß eine Überbürdung der Schüler einträte. Dieses Wagestück glauben sie in der Weise möglich machen zu können, daß sie die Methode reformiren, z. B. die neuern Sprachen und zum Teil auch die alten auf dem Wege der Konversation beibringen oder die Gegenstände verschmelzen, etwa Geschichte und Geographie, Geographie und Naturkunde u. dergl. Sie glauben damit die Mannichfaltigkeit der Unterrichts- gegenstünde unschädlich zu machen. Aber sie täuschen sich und andre. Aller¬ dings bedarf die Methode der höhern Schule, besonders des Gymnasiums, einer gründlichen Erneuerung, sie ist seit der Zeit der Humanisten wenig fort¬ geschritten, aber die Methode allein bewirkt keine Reform des Schulwesens. Das haben die Bestrebungen Pestalozzis und Basedows gezeigt. Immer von neuem wird die Methode von der Masse des Stoffes erstickt, besonders in der höhern Schule. So lange die Pädagogik dem Grundsatze huldigt, daß sie kein Bildungsmittel aufgeben, ja nicht einmal das eine oder andre einschränken dürfe, so lange drehen wir uns im Kreise und kommen keinen Schritt weiter. Damit aber quält sich die Einheitsschule ab. Einen rudern Vorschlag macht der „Verein für Schulreform." Er will den Oberbau der lateinisch-griechischen Bildung von seinen alten Grundmauern abheben und auf ein modernes Hintergebäude setzen, auf die höhere Bürger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/602>, abgerufen am 23.07.2024.