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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wiener Volksstücke

ihn natürlich unter anderm mich in ein galantes Abenteuer verwickelt und die
Eifersucht seiner strengen Gemahlin erregt. Man wird zugeben, daß das alte
Motiv nicht ungeschickt verwendet ist; insbesondre ist es ein glücklicher und
zugleich "lokalpatrivtischer" Zug, daß die in London und Paris umsonst ge¬
suchte Hutform zuletzt bei einem bescheidenen Wiener Vorstadthntmacher ge¬
funden wird.

Von den Neuigkeiten, die das Josefstädtertheater diesen Winter gebracht
hat, sind bemerkenswert: "Der dumme August," "Die Grabenfinker," "Frau
Svpherl (Sophie) vom Nafchmarkt" und die Parodie auf Dumas' "Fall Clv-
meneean": "Die Fälle Clsmeneeau." Was die ersten drei betrifft, so sind es
auch darin, mehr noch als in den "Gigerln," einzelne Figuren, die ihren Wert
ausmachen, nicht die Verwicklung oder die eingeflochtenen Possen, am aller¬
wenigsten die leidigen Couplets, die -- wenn sie nicht sehr witzig sind, und
das waren sie Heuer nie -- dein Zuhörer von Geschmack auch ein gutes Volks¬
stück unausstehlich machen müssen. Im "Dummen August" ist es die Frau
eines Knffeesieders, eine "Daitsche ans Prag," die den Mittelpunkt des Stückes
bildet. Sie ist jung, hübsch und sehr anständig, dabei stolz auf ihr "scheenes
Daitsch"; dem Dichter Znwadil, der sie als Mädchen in glühenden Versen
besungen hat, hat sie nur darum einen Korb gegeben, weil sie eine "Daitsche"
ist und darum den Namen Znwadil nicht tragen will. Aber in der Prosa des
Ehelebens mit ihrem Kaffeesieder, dem "dummen August," ist die Erinnerung
an die Huldigungen Zawadils ihre Poesie. Nach Jahren sehen sich beide
wieder: eine köstliche Szene. "Setzen Sie sich Ihnen, Herr Zawadil," sagt
sie; er darauf: "Warum Herr Zawadil? Sagen Sie denn Herr Schiller,
Herr Gelbe? Sie sagen Schiller, Gelbe! So sagen Sie auch Zawadil."
Sie -- die Hand aufs Herz gelegt, mit wogendem Busen, hinschmelzend --:
"No so gut, Zawadil! Setzen Sie sich Ihnen!" -- Die Handlung des Stückes
bildet wieder die Jagd nach einem Verlornen Dinge; diesmal ist es ein Findel¬
kind, das vor zwanzig Jahren geboren worden ist. Origineller Züge entbehrt
die Handlung gänzlich, aber so wie in den "Gigerln" die Vorführung des
Sonntagsvergnügens bei den "Schrnmmeln" in Nußdorf Gelegenheit giebt,
allerlei Wiener Typen gleichsam im Profil vorzuführen, so diesmal die Vor¬
bereitungen zu einem Gartenfest in einem Wiener Vvrstadtwirtshans.

In den "Grabenfiakern" erscheint der berühmte Wiener Nosselenker in
seinen verschiedenen Spielarten vor uns, daneben episodisch der "Wasserer," d. h.
der Knecht, der die Wagen wäscht und die Pferde tränkt. Wie nicht selten in
solchen Stücken, wird darin der guten alten Zeit ein Loblied gesungen: die
niedern Stunde sehen ohne Haß und Neid auf die Hähern, sie begegnen ihnen
respektvoll, aber doch nicht ohne bürgerliches Selbstbewußtsein, der Vornehme
verschmäht es nicht, in das Haus des einfachen Mannes zu treten, an seinen
Feste" teilzunehmen, der alte Graf und der alte Fiaker gedenken gemeinsam


Wiener Volksstücke

ihn natürlich unter anderm mich in ein galantes Abenteuer verwickelt und die
Eifersucht seiner strengen Gemahlin erregt. Man wird zugeben, daß das alte
Motiv nicht ungeschickt verwendet ist; insbesondre ist es ein glücklicher und
zugleich „lokalpatrivtischer" Zug, daß die in London und Paris umsonst ge¬
suchte Hutform zuletzt bei einem bescheidenen Wiener Vorstadthntmacher ge¬
funden wird.

Von den Neuigkeiten, die das Josefstädtertheater diesen Winter gebracht
hat, sind bemerkenswert: „Der dumme August," „Die Grabenfinker," „Frau
Svpherl (Sophie) vom Nafchmarkt" und die Parodie auf Dumas' „Fall Clv-
meneean": „Die Fälle Clsmeneeau." Was die ersten drei betrifft, so sind es
auch darin, mehr noch als in den „Gigerln," einzelne Figuren, die ihren Wert
ausmachen, nicht die Verwicklung oder die eingeflochtenen Possen, am aller¬
wenigsten die leidigen Couplets, die — wenn sie nicht sehr witzig sind, und
das waren sie Heuer nie — dein Zuhörer von Geschmack auch ein gutes Volks¬
stück unausstehlich machen müssen. Im „Dummen August" ist es die Frau
eines Knffeesieders, eine „Daitsche ans Prag," die den Mittelpunkt des Stückes
bildet. Sie ist jung, hübsch und sehr anständig, dabei stolz auf ihr „scheenes
Daitsch"; dem Dichter Znwadil, der sie als Mädchen in glühenden Versen
besungen hat, hat sie nur darum einen Korb gegeben, weil sie eine „Daitsche"
ist und darum den Namen Znwadil nicht tragen will. Aber in der Prosa des
Ehelebens mit ihrem Kaffeesieder, dem „dummen August," ist die Erinnerung
an die Huldigungen Zawadils ihre Poesie. Nach Jahren sehen sich beide
wieder: eine köstliche Szene. „Setzen Sie sich Ihnen, Herr Zawadil," sagt
sie; er darauf: „Warum Herr Zawadil? Sagen Sie denn Herr Schiller,
Herr Gelbe? Sie sagen Schiller, Gelbe! So sagen Sie auch Zawadil."
Sie — die Hand aufs Herz gelegt, mit wogendem Busen, hinschmelzend —:
„No so gut, Zawadil! Setzen Sie sich Ihnen!" — Die Handlung des Stückes
bildet wieder die Jagd nach einem Verlornen Dinge; diesmal ist es ein Findel¬
kind, das vor zwanzig Jahren geboren worden ist. Origineller Züge entbehrt
die Handlung gänzlich, aber so wie in den „Gigerln" die Vorführung des
Sonntagsvergnügens bei den „Schrnmmeln" in Nußdorf Gelegenheit giebt,
allerlei Wiener Typen gleichsam im Profil vorzuführen, so diesmal die Vor¬
bereitungen zu einem Gartenfest in einem Wiener Vvrstadtwirtshans.

In den „Grabenfiakern" erscheint der berühmte Wiener Nosselenker in
seinen verschiedenen Spielarten vor uns, daneben episodisch der „Wasserer," d. h.
der Knecht, der die Wagen wäscht und die Pferde tränkt. Wie nicht selten in
solchen Stücken, wird darin der guten alten Zeit ein Loblied gesungen: die
niedern Stunde sehen ohne Haß und Neid auf die Hähern, sie begegnen ihnen
respektvoll, aber doch nicht ohne bürgerliches Selbstbewußtsein, der Vornehme
verschmäht es nicht, in das Haus des einfachen Mannes zu treten, an seinen
Feste» teilzunehmen, der alte Graf und der alte Fiaker gedenken gemeinsam


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[0572] Wiener Volksstücke ihn natürlich unter anderm mich in ein galantes Abenteuer verwickelt und die Eifersucht seiner strengen Gemahlin erregt. Man wird zugeben, daß das alte Motiv nicht ungeschickt verwendet ist; insbesondre ist es ein glücklicher und zugleich „lokalpatrivtischer" Zug, daß die in London und Paris umsonst ge¬ suchte Hutform zuletzt bei einem bescheidenen Wiener Vorstadthntmacher ge¬ funden wird. Von den Neuigkeiten, die das Josefstädtertheater diesen Winter gebracht hat, sind bemerkenswert: „Der dumme August," „Die Grabenfinker," „Frau Svpherl (Sophie) vom Nafchmarkt" und die Parodie auf Dumas' „Fall Clv- meneean": „Die Fälle Clsmeneeau." Was die ersten drei betrifft, so sind es auch darin, mehr noch als in den „Gigerln," einzelne Figuren, die ihren Wert ausmachen, nicht die Verwicklung oder die eingeflochtenen Possen, am aller¬ wenigsten die leidigen Couplets, die — wenn sie nicht sehr witzig sind, und das waren sie Heuer nie — dein Zuhörer von Geschmack auch ein gutes Volks¬ stück unausstehlich machen müssen. Im „Dummen August" ist es die Frau eines Knffeesieders, eine „Daitsche ans Prag," die den Mittelpunkt des Stückes bildet. Sie ist jung, hübsch und sehr anständig, dabei stolz auf ihr „scheenes Daitsch"; dem Dichter Znwadil, der sie als Mädchen in glühenden Versen besungen hat, hat sie nur darum einen Korb gegeben, weil sie eine „Daitsche" ist und darum den Namen Znwadil nicht tragen will. Aber in der Prosa des Ehelebens mit ihrem Kaffeesieder, dem „dummen August," ist die Erinnerung an die Huldigungen Zawadils ihre Poesie. Nach Jahren sehen sich beide wieder: eine köstliche Szene. „Setzen Sie sich Ihnen, Herr Zawadil," sagt sie; er darauf: „Warum Herr Zawadil? Sagen Sie denn Herr Schiller, Herr Gelbe? Sie sagen Schiller, Gelbe! So sagen Sie auch Zawadil." Sie — die Hand aufs Herz gelegt, mit wogendem Busen, hinschmelzend —: „No so gut, Zawadil! Setzen Sie sich Ihnen!" — Die Handlung des Stückes bildet wieder die Jagd nach einem Verlornen Dinge; diesmal ist es ein Findel¬ kind, das vor zwanzig Jahren geboren worden ist. Origineller Züge entbehrt die Handlung gänzlich, aber so wie in den „Gigerln" die Vorführung des Sonntagsvergnügens bei den „Schrnmmeln" in Nußdorf Gelegenheit giebt, allerlei Wiener Typen gleichsam im Profil vorzuführen, so diesmal die Vor¬ bereitungen zu einem Gartenfest in einem Wiener Vvrstadtwirtshans. In den „Grabenfiakern" erscheint der berühmte Wiener Nosselenker in seinen verschiedenen Spielarten vor uns, daneben episodisch der „Wasserer," d. h. der Knecht, der die Wagen wäscht und die Pferde tränkt. Wie nicht selten in solchen Stücken, wird darin der guten alten Zeit ein Loblied gesungen: die niedern Stunde sehen ohne Haß und Neid auf die Hähern, sie begegnen ihnen respektvoll, aber doch nicht ohne bürgerliches Selbstbewußtsein, der Vornehme verschmäht es nicht, in das Haus des einfachen Mannes zu treten, an seinen Feste» teilzunehmen, der alte Graf und der alte Fiaker gedenken gemeinsam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/572>, abgerufen am 25.08.2024.