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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane

mit dein Naturalismus zu thun haben will, so kann man doch nicht der
Schablvnenpoesie das Wort reden. Zwischen diesen Gegensätzen unsers litte¬
rarischen Schaffens wird es doch wohl noch eine Mitte geben.

Redwitz hat einen stattlichen Band geschrieben, um die nagelneue Weis¬
heit zu lehren, daß das menschliche Gluck nicht in dem äußern Besitz an Geld
und Gut, sondern in der Güte und Nuhe des Herzens bestehe. Er sorgt
allerdings dafür, daß seine braven armen Menschen schließlich doch noch zu
einer sehr erklecklichen Versorgung gelangen, aber das Geld allein, beweist er
uns umständlich, macht nicht glücklich; man kann Millionen besitzen, und Gicht
und Herzbeutelwassersucht thun doch sehr weh, kein Bettler möchte mit so einem
Millionär tauschen. Das ist die Moral seines Buches -- ohne Zweifel so
wahr als möglich, aber auch ebenso trivial als möglich. Nichts ist langweiliger
als die Auseinandersetzungen Redwitzens, die sich immer nur ums Geldhaben
oder ums Geldnichthaben drehen. Offenbar wollte auch er in der Nomanform
der Strömung der Gegenwart folgen und Stellung zur sozialen Frage nehmen.
Als guter Mensch empfindet auch er das Elend der arbeitenden Klassen, das
in schroffem Gegensatze zu dem Dasein von Millionären besteht. Dem Mitleid
mit der Not der Arbeiter redet auch er bieder und wohlmeinend das Wort.
Er geißelt den Fabrikanten, der für die Arbeiter feiner großen Spinnfabrik
nicht erträgliche Wohnungen schaffen will; in seinem Eifer macht er den reichen
Emporkömmling zu einem brutaleren Selbstsnchtsmanne, als gerade nötig ist;
aber er vertritt die Absichten des Realismus ohne die künstlerische Kraft eines
guten Realisten. Die Fähigkeit, in den Dingen aufzugehen, eine reiche Anschauung
von der Wirklichkeit, sei es des Volkslebens, sei es des Bürgertums, besitzt
Redwitz nicht. Er bewegt sich nicht in einer unmöglichen, aber doch in einer
unwirtlichen Welt. Es ist z. B. gewiß nicht unmöglich, daß ein kenntnisreicher
und ungewöhnlich tüchtiger Gutsbesitzer bei voller Kraft sein ganzes Gut
dein Sohne bei seiner Heirat liebevoll überläßt, um diesem allen Spielraum
zu lassen; aber es ist unwirklich und grenzenlos thöricht, denn derselbe Mann,
der sein Lebtag fleißig gearbeitet hat, muß sich in der großen Stadt, in die
er nun übersiedelt, aus Müßiggang zu Tode langweilen, und alle Attribute
der Weisheit, die ihm Redwitz beilegt, werden durch diese Handlung so un¬
wahr gemacht, als es nur denkbar ist. Poetisch genommen, fängt der müßige
Landwirt in der Stadt eigentlich erst an, interessant zu werden. Wie wenig
humoristische Gestaltungskraft Redwitz besitzt, erkennt man ans der Zeichnung
einer andern Figur, des Gymnasialdirektors "Sozusagen" Dr. Weise: eines
Wohlthäters im Stillen, der unbeholfen und befangen wird, wenn er sprechen
soll. Was Hütte Raabe aus dieser Gestalt gemacht! Bezeichnend für den
philiströsen Mangel an Humor bei Redwitz ist die ernsthafte Predigt gegen die
Scherze über die Schwiegermütter, die eine Zeit lang von den Witzblättern
gebracht wurden. Da thut sich der moralisirende Biedermann eine Güte!


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mit dein Naturalismus zu thun haben will, so kann man doch nicht der
Schablvnenpoesie das Wort reden. Zwischen diesen Gegensätzen unsers litte¬
rarischen Schaffens wird es doch wohl noch eine Mitte geben.

Redwitz hat einen stattlichen Band geschrieben, um die nagelneue Weis¬
heit zu lehren, daß das menschliche Gluck nicht in dem äußern Besitz an Geld
und Gut, sondern in der Güte und Nuhe des Herzens bestehe. Er sorgt
allerdings dafür, daß seine braven armen Menschen schließlich doch noch zu
einer sehr erklecklichen Versorgung gelangen, aber das Geld allein, beweist er
uns umständlich, macht nicht glücklich; man kann Millionen besitzen, und Gicht
und Herzbeutelwassersucht thun doch sehr weh, kein Bettler möchte mit so einem
Millionär tauschen. Das ist die Moral seines Buches — ohne Zweifel so
wahr als möglich, aber auch ebenso trivial als möglich. Nichts ist langweiliger
als die Auseinandersetzungen Redwitzens, die sich immer nur ums Geldhaben
oder ums Geldnichthaben drehen. Offenbar wollte auch er in der Nomanform
der Strömung der Gegenwart folgen und Stellung zur sozialen Frage nehmen.
Als guter Mensch empfindet auch er das Elend der arbeitenden Klassen, das
in schroffem Gegensatze zu dem Dasein von Millionären besteht. Dem Mitleid
mit der Not der Arbeiter redet auch er bieder und wohlmeinend das Wort.
Er geißelt den Fabrikanten, der für die Arbeiter feiner großen Spinnfabrik
nicht erträgliche Wohnungen schaffen will; in seinem Eifer macht er den reichen
Emporkömmling zu einem brutaleren Selbstsnchtsmanne, als gerade nötig ist;
aber er vertritt die Absichten des Realismus ohne die künstlerische Kraft eines
guten Realisten. Die Fähigkeit, in den Dingen aufzugehen, eine reiche Anschauung
von der Wirklichkeit, sei es des Volkslebens, sei es des Bürgertums, besitzt
Redwitz nicht. Er bewegt sich nicht in einer unmöglichen, aber doch in einer
unwirtlichen Welt. Es ist z. B. gewiß nicht unmöglich, daß ein kenntnisreicher
und ungewöhnlich tüchtiger Gutsbesitzer bei voller Kraft sein ganzes Gut
dein Sohne bei seiner Heirat liebevoll überläßt, um diesem allen Spielraum
zu lassen; aber es ist unwirklich und grenzenlos thöricht, denn derselbe Mann,
der sein Lebtag fleißig gearbeitet hat, muß sich in der großen Stadt, in die
er nun übersiedelt, aus Müßiggang zu Tode langweilen, und alle Attribute
der Weisheit, die ihm Redwitz beilegt, werden durch diese Handlung so un¬
wahr gemacht, als es nur denkbar ist. Poetisch genommen, fängt der müßige
Landwirt in der Stadt eigentlich erst an, interessant zu werden. Wie wenig
humoristische Gestaltungskraft Redwitz besitzt, erkennt man ans der Zeichnung
einer andern Figur, des Gymnasialdirektors „Sozusagen" Dr. Weise: eines
Wohlthäters im Stillen, der unbeholfen und befangen wird, wenn er sprechen
soll. Was Hütte Raabe aus dieser Gestalt gemacht! Bezeichnend für den
philiströsen Mangel an Humor bei Redwitz ist die ernsthafte Predigt gegen die
Scherze über die Schwiegermütter, die eine Zeit lang von den Witzblättern
gebracht wurden. Da thut sich der moralisirende Biedermann eine Güte!


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[0568] Neue Romane mit dein Naturalismus zu thun haben will, so kann man doch nicht der Schablvnenpoesie das Wort reden. Zwischen diesen Gegensätzen unsers litte¬ rarischen Schaffens wird es doch wohl noch eine Mitte geben. Redwitz hat einen stattlichen Band geschrieben, um die nagelneue Weis¬ heit zu lehren, daß das menschliche Gluck nicht in dem äußern Besitz an Geld und Gut, sondern in der Güte und Nuhe des Herzens bestehe. Er sorgt allerdings dafür, daß seine braven armen Menschen schließlich doch noch zu einer sehr erklecklichen Versorgung gelangen, aber das Geld allein, beweist er uns umständlich, macht nicht glücklich; man kann Millionen besitzen, und Gicht und Herzbeutelwassersucht thun doch sehr weh, kein Bettler möchte mit so einem Millionär tauschen. Das ist die Moral seines Buches — ohne Zweifel so wahr als möglich, aber auch ebenso trivial als möglich. Nichts ist langweiliger als die Auseinandersetzungen Redwitzens, die sich immer nur ums Geldhaben oder ums Geldnichthaben drehen. Offenbar wollte auch er in der Nomanform der Strömung der Gegenwart folgen und Stellung zur sozialen Frage nehmen. Als guter Mensch empfindet auch er das Elend der arbeitenden Klassen, das in schroffem Gegensatze zu dem Dasein von Millionären besteht. Dem Mitleid mit der Not der Arbeiter redet auch er bieder und wohlmeinend das Wort. Er geißelt den Fabrikanten, der für die Arbeiter feiner großen Spinnfabrik nicht erträgliche Wohnungen schaffen will; in seinem Eifer macht er den reichen Emporkömmling zu einem brutaleren Selbstsnchtsmanne, als gerade nötig ist; aber er vertritt die Absichten des Realismus ohne die künstlerische Kraft eines guten Realisten. Die Fähigkeit, in den Dingen aufzugehen, eine reiche Anschauung von der Wirklichkeit, sei es des Volkslebens, sei es des Bürgertums, besitzt Redwitz nicht. Er bewegt sich nicht in einer unmöglichen, aber doch in einer unwirtlichen Welt. Es ist z. B. gewiß nicht unmöglich, daß ein kenntnisreicher und ungewöhnlich tüchtiger Gutsbesitzer bei voller Kraft sein ganzes Gut dein Sohne bei seiner Heirat liebevoll überläßt, um diesem allen Spielraum zu lassen; aber es ist unwirklich und grenzenlos thöricht, denn derselbe Mann, der sein Lebtag fleißig gearbeitet hat, muß sich in der großen Stadt, in die er nun übersiedelt, aus Müßiggang zu Tode langweilen, und alle Attribute der Weisheit, die ihm Redwitz beilegt, werden durch diese Handlung so un¬ wahr gemacht, als es nur denkbar ist. Poetisch genommen, fängt der müßige Landwirt in der Stadt eigentlich erst an, interessant zu werden. Wie wenig humoristische Gestaltungskraft Redwitz besitzt, erkennt man ans der Zeichnung einer andern Figur, des Gymnasialdirektors „Sozusagen" Dr. Weise: eines Wohlthäters im Stillen, der unbeholfen und befangen wird, wenn er sprechen soll. Was Hütte Raabe aus dieser Gestalt gemacht! Bezeichnend für den philiströsen Mangel an Humor bei Redwitz ist die ernsthafte Predigt gegen die Scherze über die Schwiegermütter, die eine Zeit lang von den Witzblättern gebracht wurden. Da thut sich der moralisirende Biedermann eine Güte!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/568>, abgerufen am 23.07.2024.