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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane

Spaziergang im endlosen Landregen geschildert; die zahllosen philosophischen
Anspielungen sind voller Munterkeit, und doch ist ein gewisses Maß gewahrt,
die Subjektivität des Erzählers läßt der Gestaltung der Menschen und Vor¬
gänge Raum.

Von Raabe zu Redwitz ist ein starker Sprung. Es ist, als träte mau
ans dem Gemach eines geistvollen und reichen Kunstliebhabers in die gute
Stube eines nüchternen, wenn auch nicht unbemittelten Bürgerhauses. Dort
fesseln in allen Ecken und Winkeln größere und kleinere Kunstwerke unsern
Blick; halb berauscht stehen wir mitten in dem Reichtum, jedes Stück erzählt
uus etwas von der innern Geschichte des Hausherrn, von seinen Studien, von seinen
Reisen, von seinen Neigungen, wir möchten in dem stimmungsvollen Halbdunkel
nur immer so sitzend verweilen und den Mann bei seinen Schätzen reden hören.
Hier in der guten Stube ist alles recht brav, recht reinlich, recht beruhigend;
aber die Öldrucke an den Wänden sind Dutzendware, die modischen Möbel¬
stücke, die ganze spießbürgerliche Sonntäglichkeit des Zimmers übt auf uns
keinen besondern Reiz aus; deun so wie diese Stube, so sehen hundert
andre aus; von einer persönlichen Eigentümlichkeit ihres Besitzers erzählt sie
uns wenig.

Mit diesem Bilde hoffen wir unser Gefühl von dem neuesten Romane
Oskars von Redwitz: Glück (Berlin, Hertz, 1890) klar ausgesprochen zu
haben. Seit einer Reihe von Jahren ist Redwitz unter die Weihnachtsdichter
gegangen; die mehrfachen Auflagen seiner letzten Romane beweisen auch, daß
er seine Erfolge, sein Publikum gefunden hat, und wir begreifen sehr wohl,
daß er sein Publikum unterhält, deun die gute Stube, die wir hier geschildert
haben, besteht ja noch in weiten Kreisen des deutschen Volkes, und da finden
sich denn verwandte Seelen zu einander. Weniger Sauberkeit und Regel¬
mäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine
glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbarten. Redwitz steigt zum Alltags¬
leben herab, um selber alltäglich zu werden; er schildert die gediegene Prosa
in prosaischer Weise. Er ist kein Raabe, der die kleinliche Alltäglichkeit
humoristisch adelt; er ist kein Realist, der mit künstlerischem Behagen die Wirk¬
lichkeit, weil sie wirklich ist, studirt und mit malerisch geschulten Auge darzu¬
stellen sucht, was insofern auch der Beruf der Kunst ist, als sie doch in
Wahrheit das Sein im Empfinden des Gemüts erfassen soll. Redwitzens Ver¬
hältnis zur Welt ist überhaupt kein rein ästhetisches; die Menschen schildert er
nicht objektiv als Naturen, weil er selbst keine Natur ist; seine Weltanschauung
ist die eines wohlmeinenden Biedermannes, der Moralist in ihm ist stärker
als der Künstler. Seine Erfindungen sind plan, wenig originell, seine Ver¬
wicklung so fade wie matte Limonade. Seine Bücher können mit größter
Gemütsruhe der reifern Jugend in die Hand gegeben werden -- weniger Ge¬
mütsruhe wäre jedenfalls mehr Wertschätzung. Denn wenn man auch nichts


Neue Romane

Spaziergang im endlosen Landregen geschildert; die zahllosen philosophischen
Anspielungen sind voller Munterkeit, und doch ist ein gewisses Maß gewahrt,
die Subjektivität des Erzählers läßt der Gestaltung der Menschen und Vor¬
gänge Raum.

Von Raabe zu Redwitz ist ein starker Sprung. Es ist, als träte mau
ans dem Gemach eines geistvollen und reichen Kunstliebhabers in die gute
Stube eines nüchternen, wenn auch nicht unbemittelten Bürgerhauses. Dort
fesseln in allen Ecken und Winkeln größere und kleinere Kunstwerke unsern
Blick; halb berauscht stehen wir mitten in dem Reichtum, jedes Stück erzählt
uus etwas von der innern Geschichte des Hausherrn, von seinen Studien, von seinen
Reisen, von seinen Neigungen, wir möchten in dem stimmungsvollen Halbdunkel
nur immer so sitzend verweilen und den Mann bei seinen Schätzen reden hören.
Hier in der guten Stube ist alles recht brav, recht reinlich, recht beruhigend;
aber die Öldrucke an den Wänden sind Dutzendware, die modischen Möbel¬
stücke, die ganze spießbürgerliche Sonntäglichkeit des Zimmers übt auf uns
keinen besondern Reiz aus; deun so wie diese Stube, so sehen hundert
andre aus; von einer persönlichen Eigentümlichkeit ihres Besitzers erzählt sie
uns wenig.

Mit diesem Bilde hoffen wir unser Gefühl von dem neuesten Romane
Oskars von Redwitz: Glück (Berlin, Hertz, 1890) klar ausgesprochen zu
haben. Seit einer Reihe von Jahren ist Redwitz unter die Weihnachtsdichter
gegangen; die mehrfachen Auflagen seiner letzten Romane beweisen auch, daß
er seine Erfolge, sein Publikum gefunden hat, und wir begreifen sehr wohl,
daß er sein Publikum unterhält, deun die gute Stube, die wir hier geschildert
haben, besteht ja noch in weiten Kreisen des deutschen Volkes, und da finden
sich denn verwandte Seelen zu einander. Weniger Sauberkeit und Regel¬
mäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine
glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbarten. Redwitz steigt zum Alltags¬
leben herab, um selber alltäglich zu werden; er schildert die gediegene Prosa
in prosaischer Weise. Er ist kein Raabe, der die kleinliche Alltäglichkeit
humoristisch adelt; er ist kein Realist, der mit künstlerischem Behagen die Wirk¬
lichkeit, weil sie wirklich ist, studirt und mit malerisch geschulten Auge darzu¬
stellen sucht, was insofern auch der Beruf der Kunst ist, als sie doch in
Wahrheit das Sein im Empfinden des Gemüts erfassen soll. Redwitzens Ver¬
hältnis zur Welt ist überhaupt kein rein ästhetisches; die Menschen schildert er
nicht objektiv als Naturen, weil er selbst keine Natur ist; seine Weltanschauung
ist die eines wohlmeinenden Biedermannes, der Moralist in ihm ist stärker
als der Künstler. Seine Erfindungen sind plan, wenig originell, seine Ver¬
wicklung so fade wie matte Limonade. Seine Bücher können mit größter
Gemütsruhe der reifern Jugend in die Hand gegeben werden — weniger Ge¬
mütsruhe wäre jedenfalls mehr Wertschätzung. Denn wenn man auch nichts


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[0567] Neue Romane Spaziergang im endlosen Landregen geschildert; die zahllosen philosophischen Anspielungen sind voller Munterkeit, und doch ist ein gewisses Maß gewahrt, die Subjektivität des Erzählers läßt der Gestaltung der Menschen und Vor¬ gänge Raum. Von Raabe zu Redwitz ist ein starker Sprung. Es ist, als träte mau ans dem Gemach eines geistvollen und reichen Kunstliebhabers in die gute Stube eines nüchternen, wenn auch nicht unbemittelten Bürgerhauses. Dort fesseln in allen Ecken und Winkeln größere und kleinere Kunstwerke unsern Blick; halb berauscht stehen wir mitten in dem Reichtum, jedes Stück erzählt uus etwas von der innern Geschichte des Hausherrn, von seinen Studien, von seinen Reisen, von seinen Neigungen, wir möchten in dem stimmungsvollen Halbdunkel nur immer so sitzend verweilen und den Mann bei seinen Schätzen reden hören. Hier in der guten Stube ist alles recht brav, recht reinlich, recht beruhigend; aber die Öldrucke an den Wänden sind Dutzendware, die modischen Möbel¬ stücke, die ganze spießbürgerliche Sonntäglichkeit des Zimmers übt auf uns keinen besondern Reiz aus; deun so wie diese Stube, so sehen hundert andre aus; von einer persönlichen Eigentümlichkeit ihres Besitzers erzählt sie uns wenig. Mit diesem Bilde hoffen wir unser Gefühl von dem neuesten Romane Oskars von Redwitz: Glück (Berlin, Hertz, 1890) klar ausgesprochen zu haben. Seit einer Reihe von Jahren ist Redwitz unter die Weihnachtsdichter gegangen; die mehrfachen Auflagen seiner letzten Romane beweisen auch, daß er seine Erfolge, sein Publikum gefunden hat, und wir begreifen sehr wohl, daß er sein Publikum unterhält, deun die gute Stube, die wir hier geschildert haben, besteht ja noch in weiten Kreisen des deutschen Volkes, und da finden sich denn verwandte Seelen zu einander. Weniger Sauberkeit und Regel¬ mäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbarten. Redwitz steigt zum Alltags¬ leben herab, um selber alltäglich zu werden; er schildert die gediegene Prosa in prosaischer Weise. Er ist kein Raabe, der die kleinliche Alltäglichkeit humoristisch adelt; er ist kein Realist, der mit künstlerischem Behagen die Wirk¬ lichkeit, weil sie wirklich ist, studirt und mit malerisch geschulten Auge darzu¬ stellen sucht, was insofern auch der Beruf der Kunst ist, als sie doch in Wahrheit das Sein im Empfinden des Gemüts erfassen soll. Redwitzens Ver¬ hältnis zur Welt ist überhaupt kein rein ästhetisches; die Menschen schildert er nicht objektiv als Naturen, weil er selbst keine Natur ist; seine Weltanschauung ist die eines wohlmeinenden Biedermannes, der Moralist in ihm ist stärker als der Künstler. Seine Erfindungen sind plan, wenig originell, seine Ver¬ wicklung so fade wie matte Limonade. Seine Bücher können mit größter Gemütsruhe der reifern Jugend in die Hand gegeben werden — weniger Ge¬ mütsruhe wäre jedenfalls mehr Wertschätzung. Denn wenn man auch nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/567>, abgerufen am 23.07.2024.