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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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und durch diese zuletzt vielen mit, wird aber niemals Eigentum des Bewußt¬
seins der Massen. Ist es denn mit der "Idee" der Sozialdemokratie, soweit
dies edle Wort für ein solches Ding überhaupt gebraucht werden kann, anders?
Was und wo ist denn die Sozialdemokratie? Phantasie in den Köpfen von
Marx und seinen Vorgängern und einigen hundert Schwarmgeistern der Gegen¬
wart. Haben diese Leute die Sozialdemokratie etwa von den harmlosen Arbeiter¬
massen gelernt, wird sie nicht vielmehr umgekehrt diesen von jenen wenigen
Einzelnen vorgeredet? Mit welchem Rechte nennen sich also diese Phantasten
Demokraten?

Der Sozialismus wird immer monarchisch sein, oder er wird nicht sein.
David Strauß, dieses gleich Karl Marx nach einer vereinzelten Richtung ver¬
irrte deutsche Dcnkhnhn, hat die Monarchie ein Mysterium genannt. Nichts,
was mehr zu Tage läge, als dieses vermeintliche Mhsterium! Der Segen der
zivilisatorischer Gesamtgewalt des Staates kann eben nur in der Form der
Monarchie dem Einzelnen ganz zu gute kommen, weil der Monarch von allen
Einzelnen, also allen Sonderinteresseu unabhängig, weil er souverän gemacht
ist. Nun hängt die Macht des Monarchen ab von der Macht des gesamten
Staates, also von einem gesunden Zusammenwirken aller seiner Teile; mithin
ist der erleuchtete Monarch dnrch seineu Selbsterhaltungstrieb, seinen ver¬
nünftigen Egoismus, d. h. seine Natur, jederzeit darauf hingewiesen, alle seine
Angehörigen, nicht bloß Einzelne, ihre angeborenen Kräfte nach Maßgabe de5
Interesses aller ganz entwickeln zu kniffen. Kaiser Wilhelm I. war, Kaiser
Wilhelm II. und König Albert von Sachsen sind in eminenten Grade
Sozialisten. Wenn in der Geschichte die Monarchie ihre Schuldigkeit nicht
immer gethan hat, so lag die Schuld uicht an dem monarchischen Prinzip,
sondern an der Gebrechlichkeit des menschlichen Trägers, die Gott eben nicht
bloß in Hütten, sondern auch auf Thronen zuläßt. Denn Leidenschaft und
Irrtum sind nun einmal des Menschen Erbteil, sind nnn einmal die höllischen
Geschwister, die den Sterblichen den Eingang in den Tempel der Vollkommen¬
heit für immer verwehren.

Monarchismus und Sozialismus decken sich also. Demokratie ist der
gerade Gegensatz des Sozialismus. Die Demokratie möchte ich die große
Dummheit in der Geschichte nennen, weil sich der Begriff nie mit der Sache
deckte. Sozialdemokratie ist aber nicht einmal ein vvllziehbarer Begriff, sondern,
wie die Quadratur des Zirkels, ein bloßes Wort ohne jeglichen Inhalt; sie
ist nicht einmal als Dummheit möglich.

Solche Barbarei im Denken würde nun unser Zeitalter gar nicht erlebt
haben, wenn es nicht das Zeitalter der Gottlosigkeit, nicht der Anbeter des
unbewiesenen souveränen Menschenichs wäre. Unsre Sitten verfallen im
Pessimismus, unsre Wissenschaft läuft in das seichte Geschwätz eingebildeten
endlichen Seins aus. Der Hochmut unsrer sogenannten exakten Wissenschaften


und durch diese zuletzt vielen mit, wird aber niemals Eigentum des Bewußt¬
seins der Massen. Ist es denn mit der „Idee" der Sozialdemokratie, soweit
dies edle Wort für ein solches Ding überhaupt gebraucht werden kann, anders?
Was und wo ist denn die Sozialdemokratie? Phantasie in den Köpfen von
Marx und seinen Vorgängern und einigen hundert Schwarmgeistern der Gegen¬
wart. Haben diese Leute die Sozialdemokratie etwa von den harmlosen Arbeiter¬
massen gelernt, wird sie nicht vielmehr umgekehrt diesen von jenen wenigen
Einzelnen vorgeredet? Mit welchem Rechte nennen sich also diese Phantasten
Demokraten?

Der Sozialismus wird immer monarchisch sein, oder er wird nicht sein.
David Strauß, dieses gleich Karl Marx nach einer vereinzelten Richtung ver¬
irrte deutsche Dcnkhnhn, hat die Monarchie ein Mysterium genannt. Nichts,
was mehr zu Tage läge, als dieses vermeintliche Mhsterium! Der Segen der
zivilisatorischer Gesamtgewalt des Staates kann eben nur in der Form der
Monarchie dem Einzelnen ganz zu gute kommen, weil der Monarch von allen
Einzelnen, also allen Sonderinteresseu unabhängig, weil er souverän gemacht
ist. Nun hängt die Macht des Monarchen ab von der Macht des gesamten
Staates, also von einem gesunden Zusammenwirken aller seiner Teile; mithin
ist der erleuchtete Monarch dnrch seineu Selbsterhaltungstrieb, seinen ver¬
nünftigen Egoismus, d. h. seine Natur, jederzeit darauf hingewiesen, alle seine
Angehörigen, nicht bloß Einzelne, ihre angeborenen Kräfte nach Maßgabe de5
Interesses aller ganz entwickeln zu kniffen. Kaiser Wilhelm I. war, Kaiser
Wilhelm II. und König Albert von Sachsen sind in eminenten Grade
Sozialisten. Wenn in der Geschichte die Monarchie ihre Schuldigkeit nicht
immer gethan hat, so lag die Schuld uicht an dem monarchischen Prinzip,
sondern an der Gebrechlichkeit des menschlichen Trägers, die Gott eben nicht
bloß in Hütten, sondern auch auf Thronen zuläßt. Denn Leidenschaft und
Irrtum sind nun einmal des Menschen Erbteil, sind nnn einmal die höllischen
Geschwister, die den Sterblichen den Eingang in den Tempel der Vollkommen¬
heit für immer verwehren.

Monarchismus und Sozialismus decken sich also. Demokratie ist der
gerade Gegensatz des Sozialismus. Die Demokratie möchte ich die große
Dummheit in der Geschichte nennen, weil sich der Begriff nie mit der Sache
deckte. Sozialdemokratie ist aber nicht einmal ein vvllziehbarer Begriff, sondern,
wie die Quadratur des Zirkels, ein bloßes Wort ohne jeglichen Inhalt; sie
ist nicht einmal als Dummheit möglich.

Solche Barbarei im Denken würde nun unser Zeitalter gar nicht erlebt
haben, wenn es nicht das Zeitalter der Gottlosigkeit, nicht der Anbeter des
unbewiesenen souveränen Menschenichs wäre. Unsre Sitten verfallen im
Pessimismus, unsre Wissenschaft läuft in das seichte Geschwätz eingebildeten
endlichen Seins aus. Der Hochmut unsrer sogenannten exakten Wissenschaften


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[0556] und durch diese zuletzt vielen mit, wird aber niemals Eigentum des Bewußt¬ seins der Massen. Ist es denn mit der „Idee" der Sozialdemokratie, soweit dies edle Wort für ein solches Ding überhaupt gebraucht werden kann, anders? Was und wo ist denn die Sozialdemokratie? Phantasie in den Köpfen von Marx und seinen Vorgängern und einigen hundert Schwarmgeistern der Gegen¬ wart. Haben diese Leute die Sozialdemokratie etwa von den harmlosen Arbeiter¬ massen gelernt, wird sie nicht vielmehr umgekehrt diesen von jenen wenigen Einzelnen vorgeredet? Mit welchem Rechte nennen sich also diese Phantasten Demokraten? Der Sozialismus wird immer monarchisch sein, oder er wird nicht sein. David Strauß, dieses gleich Karl Marx nach einer vereinzelten Richtung ver¬ irrte deutsche Dcnkhnhn, hat die Monarchie ein Mysterium genannt. Nichts, was mehr zu Tage läge, als dieses vermeintliche Mhsterium! Der Segen der zivilisatorischer Gesamtgewalt des Staates kann eben nur in der Form der Monarchie dem Einzelnen ganz zu gute kommen, weil der Monarch von allen Einzelnen, also allen Sonderinteresseu unabhängig, weil er souverän gemacht ist. Nun hängt die Macht des Monarchen ab von der Macht des gesamten Staates, also von einem gesunden Zusammenwirken aller seiner Teile; mithin ist der erleuchtete Monarch dnrch seineu Selbsterhaltungstrieb, seinen ver¬ nünftigen Egoismus, d. h. seine Natur, jederzeit darauf hingewiesen, alle seine Angehörigen, nicht bloß Einzelne, ihre angeborenen Kräfte nach Maßgabe de5 Interesses aller ganz entwickeln zu kniffen. Kaiser Wilhelm I. war, Kaiser Wilhelm II. und König Albert von Sachsen sind in eminenten Grade Sozialisten. Wenn in der Geschichte die Monarchie ihre Schuldigkeit nicht immer gethan hat, so lag die Schuld uicht an dem monarchischen Prinzip, sondern an der Gebrechlichkeit des menschlichen Trägers, die Gott eben nicht bloß in Hütten, sondern auch auf Thronen zuläßt. Denn Leidenschaft und Irrtum sind nun einmal des Menschen Erbteil, sind nnn einmal die höllischen Geschwister, die den Sterblichen den Eingang in den Tempel der Vollkommen¬ heit für immer verwehren. Monarchismus und Sozialismus decken sich also. Demokratie ist der gerade Gegensatz des Sozialismus. Die Demokratie möchte ich die große Dummheit in der Geschichte nennen, weil sich der Begriff nie mit der Sache deckte. Sozialdemokratie ist aber nicht einmal ein vvllziehbarer Begriff, sondern, wie die Quadratur des Zirkels, ein bloßes Wort ohne jeglichen Inhalt; sie ist nicht einmal als Dummheit möglich. Solche Barbarei im Denken würde nun unser Zeitalter gar nicht erlebt haben, wenn es nicht das Zeitalter der Gottlosigkeit, nicht der Anbeter des unbewiesenen souveränen Menschenichs wäre. Unsre Sitten verfallen im Pessimismus, unsre Wissenschaft läuft in das seichte Geschwätz eingebildeten endlichen Seins aus. Der Hochmut unsrer sogenannten exakten Wissenschaften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/556>, abgerufen am 28.09.2024.