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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Reichstagswcchlen

ständigen Organe der Staatsgewalt notwendig voraussetzen. Allein diese Ver¬
mehrung wäre verhältnismäßig leicht denkbar in der Form der Genossenschaften
als staatlicher Delegationen. Der Staat müßte die Gewerbe sich in Genossen¬
schaften gliedern lassen, er müßte diesen gewisse Pflichten gegen die Gesamtheit
auferlegen und sie zur Erfüllung dieser Pflichten mit gewissen Befugnissen
wider ihre einzelnen Mitglieder ausstatten, kurz, er müßte einen Teil seiner
Gewalt den Genossenschaften übertragen.

Endlich gehört zu den zivilisatorischer Aufgaben des Staates, also zum
Sozialismus, die Verteidigung nicht bloß unsers nationalen, sondern auch
unsers wirtschaftlichen Daseins nach außen, die er nur durch Schutzzölle führen
kann, und da besonders die Getreidezölle ein viel gebrauchtes Kampfmittel der
jetzigen Opposition siud, so will ich auch darüber ein paar Worte bemerken.

Nur die produktive Arbeit dient der Kultur. Produktiv nennt man die
Arbeit, die sich mit Naturstoff verbindet, die also irgend welchen Naturstvff,
Eisen, Holz, Getreide u. f. w. geschickt macht, menschliche Bedürfnisse zu be¬
friedigen. Alle Handelsthätigkeit, mag sie unter andern Gesichtspunkten noch
so notwendig und nützlich sein, dient nicht unmittelbar der Kultur. Die
Kultursubstanz in einem Zentner Getreide ist vollendet, wenn dieser ans der
Dreschmaschine kommt. Wenn er hernach beliebig oft gekauft und verkauft
wird, so wird zwar der Preis fortgesetzt wechseln, aber alle Preisveränderung
kann kein Atom zu seinem Kulturinhalt hinzuthun oder wegnehmen. Ferner
ist der Preis an sich für die wirtschaftliche Wohlfahrt ein völlig gleichgiltiges
Ding; die Gesetzgebung hat es nicht im mindesten damit zu thun, daß die
Lebeusmittelpreise hoch oder niedrig seien, sondern ausschließlich damit, daß
das Verhältnis zwischen dem, was ein Mensch erwerben kann und dem, was
er verbrauchen muß, so günstig als möglich sei. Wen" die Gesetzgebung z. B.
die Wahl Hütte zwischen einem Erwerb von 20 Mark die Woche bei 10 Mark
für Lebensmittel und einem Erwerb von 15> Mark die Woche bei et Mark für
Lebensmittel, so müßte sie unstreitig nach dem erstern Verhältnis streben,
trotzdem daß sie dabei die Lebensmittel um 4 Mark teurer zu machen haben
würde. Auf der produktiven Arbeit allein und keiner rudern beruht das
Dasein jedes großen Volkes. In dem Grade, wie sie sich vermindert, ver¬
armt ein Volk; wo sie ganz aufhörte, müßte ein Volk ganz zu Grnnde gehen.
Nun leuchtet ein, daß diese produktive Arbeit in dein Umfange ergiebig sein
muß, wie eben die Natur Beihilfe leistet. Mithin wird ein Volk, das von
Natur weniger gesegnet ist, nicht mit einem andern konkurriren können, das
von Natur mehr gesegnet ist, wenn es sich nicht durch Zölle schützt.

Nehmen wir das Beispiel des Getreidebaues. Amerika und Südrußland
sind so außerordentlich fruchtbar, daß dort hundert Arbeiter vielleicht die
doppelte oder dreifache Menge von Getreide in derselben Zeit erzeugen, wie
hundert deutsche Arbeiter. Mithin können Rußland und Amerika ihr Getreide


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ständigen Organe der Staatsgewalt notwendig voraussetzen. Allein diese Ver¬
mehrung wäre verhältnismäßig leicht denkbar in der Form der Genossenschaften
als staatlicher Delegationen. Der Staat müßte die Gewerbe sich in Genossen¬
schaften gliedern lassen, er müßte diesen gewisse Pflichten gegen die Gesamtheit
auferlegen und sie zur Erfüllung dieser Pflichten mit gewissen Befugnissen
wider ihre einzelnen Mitglieder ausstatten, kurz, er müßte einen Teil seiner
Gewalt den Genossenschaften übertragen.

Endlich gehört zu den zivilisatorischer Aufgaben des Staates, also zum
Sozialismus, die Verteidigung nicht bloß unsers nationalen, sondern auch
unsers wirtschaftlichen Daseins nach außen, die er nur durch Schutzzölle führen
kann, und da besonders die Getreidezölle ein viel gebrauchtes Kampfmittel der
jetzigen Opposition siud, so will ich auch darüber ein paar Worte bemerken.

Nur die produktive Arbeit dient der Kultur. Produktiv nennt man die
Arbeit, die sich mit Naturstoff verbindet, die also irgend welchen Naturstvff,
Eisen, Holz, Getreide u. f. w. geschickt macht, menschliche Bedürfnisse zu be¬
friedigen. Alle Handelsthätigkeit, mag sie unter andern Gesichtspunkten noch
so notwendig und nützlich sein, dient nicht unmittelbar der Kultur. Die
Kultursubstanz in einem Zentner Getreide ist vollendet, wenn dieser ans der
Dreschmaschine kommt. Wenn er hernach beliebig oft gekauft und verkauft
wird, so wird zwar der Preis fortgesetzt wechseln, aber alle Preisveränderung
kann kein Atom zu seinem Kulturinhalt hinzuthun oder wegnehmen. Ferner
ist der Preis an sich für die wirtschaftliche Wohlfahrt ein völlig gleichgiltiges
Ding; die Gesetzgebung hat es nicht im mindesten damit zu thun, daß die
Lebeusmittelpreise hoch oder niedrig seien, sondern ausschließlich damit, daß
das Verhältnis zwischen dem, was ein Mensch erwerben kann und dem, was
er verbrauchen muß, so günstig als möglich sei. Wen» die Gesetzgebung z. B.
die Wahl Hütte zwischen einem Erwerb von 20 Mark die Woche bei 10 Mark
für Lebensmittel und einem Erwerb von 15> Mark die Woche bei et Mark für
Lebensmittel, so müßte sie unstreitig nach dem erstern Verhältnis streben,
trotzdem daß sie dabei die Lebensmittel um 4 Mark teurer zu machen haben
würde. Auf der produktiven Arbeit allein und keiner rudern beruht das
Dasein jedes großen Volkes. In dem Grade, wie sie sich vermindert, ver¬
armt ein Volk; wo sie ganz aufhörte, müßte ein Volk ganz zu Grnnde gehen.
Nun leuchtet ein, daß diese produktive Arbeit in dein Umfange ergiebig sein
muß, wie eben die Natur Beihilfe leistet. Mithin wird ein Volk, das von
Natur weniger gesegnet ist, nicht mit einem andern konkurriren können, das
von Natur mehr gesegnet ist, wenn es sich nicht durch Zölle schützt.

Nehmen wir das Beispiel des Getreidebaues. Amerika und Südrußland
sind so außerordentlich fruchtbar, daß dort hundert Arbeiter vielleicht die
doppelte oder dreifache Menge von Getreide in derselben Zeit erzeugen, wie
hundert deutsche Arbeiter. Mithin können Rußland und Amerika ihr Getreide


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[0548] Nach den Reichstagswcchlen ständigen Organe der Staatsgewalt notwendig voraussetzen. Allein diese Ver¬ mehrung wäre verhältnismäßig leicht denkbar in der Form der Genossenschaften als staatlicher Delegationen. Der Staat müßte die Gewerbe sich in Genossen¬ schaften gliedern lassen, er müßte diesen gewisse Pflichten gegen die Gesamtheit auferlegen und sie zur Erfüllung dieser Pflichten mit gewissen Befugnissen wider ihre einzelnen Mitglieder ausstatten, kurz, er müßte einen Teil seiner Gewalt den Genossenschaften übertragen. Endlich gehört zu den zivilisatorischer Aufgaben des Staates, also zum Sozialismus, die Verteidigung nicht bloß unsers nationalen, sondern auch unsers wirtschaftlichen Daseins nach außen, die er nur durch Schutzzölle führen kann, und da besonders die Getreidezölle ein viel gebrauchtes Kampfmittel der jetzigen Opposition siud, so will ich auch darüber ein paar Worte bemerken. Nur die produktive Arbeit dient der Kultur. Produktiv nennt man die Arbeit, die sich mit Naturstoff verbindet, die also irgend welchen Naturstvff, Eisen, Holz, Getreide u. f. w. geschickt macht, menschliche Bedürfnisse zu be¬ friedigen. Alle Handelsthätigkeit, mag sie unter andern Gesichtspunkten noch so notwendig und nützlich sein, dient nicht unmittelbar der Kultur. Die Kultursubstanz in einem Zentner Getreide ist vollendet, wenn dieser ans der Dreschmaschine kommt. Wenn er hernach beliebig oft gekauft und verkauft wird, so wird zwar der Preis fortgesetzt wechseln, aber alle Preisveränderung kann kein Atom zu seinem Kulturinhalt hinzuthun oder wegnehmen. Ferner ist der Preis an sich für die wirtschaftliche Wohlfahrt ein völlig gleichgiltiges Ding; die Gesetzgebung hat es nicht im mindesten damit zu thun, daß die Lebeusmittelpreise hoch oder niedrig seien, sondern ausschließlich damit, daß das Verhältnis zwischen dem, was ein Mensch erwerben kann und dem, was er verbrauchen muß, so günstig als möglich sei. Wen» die Gesetzgebung z. B. die Wahl Hütte zwischen einem Erwerb von 20 Mark die Woche bei 10 Mark für Lebensmittel und einem Erwerb von 15> Mark die Woche bei et Mark für Lebensmittel, so müßte sie unstreitig nach dem erstern Verhältnis streben, trotzdem daß sie dabei die Lebensmittel um 4 Mark teurer zu machen haben würde. Auf der produktiven Arbeit allein und keiner rudern beruht das Dasein jedes großen Volkes. In dem Grade, wie sie sich vermindert, ver¬ armt ein Volk; wo sie ganz aufhörte, müßte ein Volk ganz zu Grnnde gehen. Nun leuchtet ein, daß diese produktive Arbeit in dein Umfange ergiebig sein muß, wie eben die Natur Beihilfe leistet. Mithin wird ein Volk, das von Natur weniger gesegnet ist, nicht mit einem andern konkurriren können, das von Natur mehr gesegnet ist, wenn es sich nicht durch Zölle schützt. Nehmen wir das Beispiel des Getreidebaues. Amerika und Südrußland sind so außerordentlich fruchtbar, daß dort hundert Arbeiter vielleicht die doppelte oder dreifache Menge von Getreide in derselben Zeit erzeugen, wie hundert deutsche Arbeiter. Mithin können Rußland und Amerika ihr Getreide

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/548>, abgerufen am 23.07.2024.