Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorhang und Drama

Erst unser", größten dramatischen Dichter war es vorbehalten, die vollen
Konsequenzen aus der Verwendung jenes technischen Mittels zu ziehen, mit
dem absichtlich gewollten, notwendig an seiner Stelle eintretenden wirksamen
Abschlüsse den Akt zu einem für sich abgeschlossenen, in sich selbst ein kleines
Drama bildenden Teil eines Ganzen zu gestalten. In den Dramen seiner greife
kehrt Schiller zu der gewiß berechtigten Ziegel Lessings zurück, innerhalb des
Aktes so wenig als möglich den Ort zu wechseln, auch Goethe folgt diesem
Gesetz in den spätern Dramen; aber Schiller beginnt jeden neuen Akt mit
einem neuen Ort. So werden die Akte, auch äußerlich durch den Vorhang
getrennt, Bilder für sich mit der ihnen eignen Stimmung. Alles, was an dem
gegebnen Orte geschehen soll, muß der Dichter in demselben Akte geschehen
lassen, weil der'Vorhang das Bild schließt. Das Äußerliche des Aktschlusses
wird zu einem Zwingenden, notwendigen, und damit auch gleich die Ver¬
teilung des Stoffes in die fünf Akte. Die Wirkung des Schlusses erhöht
Schiller durch eine vortreffliche Neuerung, die von seinem genialen Blick für
das Wirkungsvolle zeugt: er giebt am Ende des Auszuges mit einem kurze",
epigrammartigeu Ausspruch den Inhalt des Aktes kräftig wieder, befestigt so
das Bild des Auszuges nochmals im Zuschauer. Mit wie sicherer Hand ist
B. im Fiesko der Stoff auf die fünf Akte verteilt! "Ich hab einen Ty¬
rannen" ruft Burgoguiuo am Schlüsse des erstem Aktes aus. Die Exposition
ist beendet. Auch dem Zuschauer ist es klar, daß der Tyrann gestürzt werden
"uiß. Daß Fiesko allein ihn stürzen kann, zeigt der zweite Akt. "Geh unter,
Tyrann! Sei frei, Genua, und ich dein glücklichster Bürger!" Ein wirklicher
Abschluß eines kleinen Dramas für sich, das mit der Hoffnung auf eine große
"ud edle That schließt! Mit dem dritten Akte beginnt eine neue Handlung,
ber zünnpf Fieskos, sich zum Tyrannen aufzuwerfen, und zugleich damit das
Gegenspiel des Verrinn. Der Schluß des dritten Aktes führt uns eine sehr
wirkungsvolle Szene im Toilettenzimmer der Julia vor. Fiesko überlistet den
Doria, der ihn in seine Falle gelockt zu haben glaubt, und krönt so die Hand¬
lung des Aktes, seine Vorbereitungen zum Untergang des Tyranus. Der
schneidende Hohn der letzten Worte: "O es ist zum Toblacher, Gräfin!" führt
zur Vergangenheit zurück und leitet zur Zukunft über. Der vierte Akt giebt
"ach dem letzten Versuche Lcvuorens die Gewißheit von Fieskos Tod. Auch
hierin erzielt der Dichter durch seine von Lessing völlig abweichenden Aktschlüsse
große Wirkung. Fiesko bleibt am Schlüsse des zweiten Aktes auf der Bühne,
"ud seine Worte, die gesprochen werden, während der Vorhang langsam fällt,
Prägen sich in uns ein, wie das Bild, das wir zuletzt gesehen habe". So
Ichließt auch der vierte Akt. Die ohnmächtige Gräfin bleibt, von ihren Dienern
umgeben, auf der Bühne, während der Vorhang fällt. Wir ahnen, daß dies
Abschied für die Ewigkeit ist. Jede Aussicht ans Rettung ist verloren.
Ein gewaltiger Abschluß!


Vorhang und Drama

Erst unser», größten dramatischen Dichter war es vorbehalten, die vollen
Konsequenzen aus der Verwendung jenes technischen Mittels zu ziehen, mit
dem absichtlich gewollten, notwendig an seiner Stelle eintretenden wirksamen
Abschlüsse den Akt zu einem für sich abgeschlossenen, in sich selbst ein kleines
Drama bildenden Teil eines Ganzen zu gestalten. In den Dramen seiner greife
kehrt Schiller zu der gewiß berechtigten Ziegel Lessings zurück, innerhalb des
Aktes so wenig als möglich den Ort zu wechseln, auch Goethe folgt diesem
Gesetz in den spätern Dramen; aber Schiller beginnt jeden neuen Akt mit
einem neuen Ort. So werden die Akte, auch äußerlich durch den Vorhang
getrennt, Bilder für sich mit der ihnen eignen Stimmung. Alles, was an dem
gegebnen Orte geschehen soll, muß der Dichter in demselben Akte geschehen
lassen, weil der'Vorhang das Bild schließt. Das Äußerliche des Aktschlusses
wird zu einem Zwingenden, notwendigen, und damit auch gleich die Ver¬
teilung des Stoffes in die fünf Akte. Die Wirkung des Schlusses erhöht
Schiller durch eine vortreffliche Neuerung, die von seinem genialen Blick für
das Wirkungsvolle zeugt: er giebt am Ende des Auszuges mit einem kurze»,
epigrammartigeu Ausspruch den Inhalt des Aktes kräftig wieder, befestigt so
das Bild des Auszuges nochmals im Zuschauer. Mit wie sicherer Hand ist
B. im Fiesko der Stoff auf die fünf Akte verteilt! „Ich hab einen Ty¬
rannen" ruft Burgoguiuo am Schlüsse des erstem Aktes aus. Die Exposition
ist beendet. Auch dem Zuschauer ist es klar, daß der Tyrann gestürzt werden
»uiß. Daß Fiesko allein ihn stürzen kann, zeigt der zweite Akt. „Geh unter,
Tyrann! Sei frei, Genua, und ich dein glücklichster Bürger!" Ein wirklicher
Abschluß eines kleinen Dramas für sich, das mit der Hoffnung auf eine große
"ud edle That schließt! Mit dem dritten Akte beginnt eine neue Handlung,
ber zünnpf Fieskos, sich zum Tyrannen aufzuwerfen, und zugleich damit das
Gegenspiel des Verrinn. Der Schluß des dritten Aktes führt uns eine sehr
wirkungsvolle Szene im Toilettenzimmer der Julia vor. Fiesko überlistet den
Doria, der ihn in seine Falle gelockt zu haben glaubt, und krönt so die Hand¬
lung des Aktes, seine Vorbereitungen zum Untergang des Tyranus. Der
schneidende Hohn der letzten Worte: „O es ist zum Toblacher, Gräfin!" führt
zur Vergangenheit zurück und leitet zur Zukunft über. Der vierte Akt giebt
"ach dem letzten Versuche Lcvuorens die Gewißheit von Fieskos Tod. Auch
hierin erzielt der Dichter durch seine von Lessing völlig abweichenden Aktschlüsse
große Wirkung. Fiesko bleibt am Schlüsse des zweiten Aktes auf der Bühne,
»ud seine Worte, die gesprochen werden, während der Vorhang langsam fällt,
Prägen sich in uns ein, wie das Bild, das wir zuletzt gesehen habe». So
Ichließt auch der vierte Akt. Die ohnmächtige Gräfin bleibt, von ihren Dienern
umgeben, auf der Bühne, während der Vorhang fällt. Wir ahnen, daß dies
Abschied für die Ewigkeit ist. Jede Aussicht ans Rettung ist verloren.
Ein gewaltiger Abschluß!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207178"/>
          <fw type="header" place="top"> Vorhang und Drama</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1510"> Erst unser», größten dramatischen Dichter war es vorbehalten, die vollen<lb/>
Konsequenzen aus der Verwendung jenes technischen Mittels zu ziehen, mit<lb/>
dem absichtlich gewollten, notwendig an seiner Stelle eintretenden wirksamen<lb/>
Abschlüsse den Akt zu einem für sich abgeschlossenen, in sich selbst ein kleines<lb/>
Drama bildenden Teil eines Ganzen zu gestalten. In den Dramen seiner greife<lb/>
kehrt Schiller zu der gewiß berechtigten Ziegel Lessings zurück, innerhalb des<lb/>
Aktes so wenig als möglich den Ort zu wechseln, auch Goethe folgt diesem<lb/>
Gesetz in den spätern Dramen; aber Schiller beginnt jeden neuen Akt mit<lb/>
einem neuen Ort. So werden die Akte, auch äußerlich durch den Vorhang<lb/>
getrennt, Bilder für sich mit der ihnen eignen Stimmung. Alles, was an dem<lb/>
gegebnen Orte geschehen soll, muß der Dichter in demselben Akte geschehen<lb/>
lassen, weil der'Vorhang das Bild schließt. Das Äußerliche des Aktschlusses<lb/>
wird zu einem Zwingenden, notwendigen, und damit auch gleich die Ver¬<lb/>
teilung des Stoffes in die fünf Akte. Die Wirkung des Schlusses erhöht<lb/>
Schiller durch eine vortreffliche Neuerung, die von seinem genialen Blick für<lb/>
das Wirkungsvolle zeugt: er giebt am Ende des Auszuges mit einem kurze»,<lb/>
epigrammartigeu Ausspruch den Inhalt des Aktes kräftig wieder, befestigt so<lb/>
das Bild des Auszuges nochmals im Zuschauer.  Mit wie sicherer Hand ist<lb/>
B. im Fiesko der Stoff auf die fünf Akte verteilt! &#x201E;Ich hab einen Ty¬<lb/>
rannen" ruft Burgoguiuo am Schlüsse des erstem Aktes aus. Die Exposition<lb/>
ist beendet. Auch dem Zuschauer ist es klar, daß der Tyrann gestürzt werden<lb/>
»uiß. Daß Fiesko allein ihn stürzen kann, zeigt der zweite Akt. &#x201E;Geh unter,<lb/>
Tyrann! Sei frei, Genua, und ich dein glücklichster Bürger!" Ein wirklicher<lb/>
Abschluß eines kleinen Dramas für sich, das mit der Hoffnung auf eine große<lb/>
"ud edle That schließt! Mit dem dritten Akte beginnt eine neue Handlung,<lb/>
ber zünnpf Fieskos, sich zum Tyrannen aufzuwerfen, und zugleich damit das<lb/>
Gegenspiel des Verrinn. Der Schluß des dritten Aktes führt uns eine sehr<lb/>
wirkungsvolle Szene im Toilettenzimmer der Julia vor. Fiesko überlistet den<lb/>
Doria, der ihn in seine Falle gelockt zu haben glaubt, und krönt so die Hand¬<lb/>
lung des Aktes, seine Vorbereitungen zum Untergang des Tyranus. Der<lb/>
schneidende Hohn der letzten Worte: &#x201E;O es ist zum Toblacher, Gräfin!" führt<lb/>
zur Vergangenheit zurück und leitet zur Zukunft über. Der vierte Akt giebt<lb/>
"ach dem letzten Versuche Lcvuorens die Gewißheit von Fieskos Tod. Auch<lb/>
hierin erzielt der Dichter durch seine von Lessing völlig abweichenden Aktschlüsse<lb/>
große Wirkung. Fiesko bleibt am Schlüsse des zweiten Aktes auf der Bühne,<lb/>
»ud seine Worte, die gesprochen werden, während der Vorhang langsam fällt,<lb/>
Prägen sich in uns ein, wie das Bild, das wir zuletzt gesehen habe». So<lb/>
Ichließt auch der vierte Akt. Die ohnmächtige Gräfin bleibt, von ihren Dienern<lb/>
umgeben, auf der Bühne, während der Vorhang fällt.  Wir ahnen, daß dies<lb/>
Abschied für die Ewigkeit ist. Jede Aussicht ans Rettung ist verloren.<lb/>
Ein gewaltiger Abschluß!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0533] Vorhang und Drama Erst unser», größten dramatischen Dichter war es vorbehalten, die vollen Konsequenzen aus der Verwendung jenes technischen Mittels zu ziehen, mit dem absichtlich gewollten, notwendig an seiner Stelle eintretenden wirksamen Abschlüsse den Akt zu einem für sich abgeschlossenen, in sich selbst ein kleines Drama bildenden Teil eines Ganzen zu gestalten. In den Dramen seiner greife kehrt Schiller zu der gewiß berechtigten Ziegel Lessings zurück, innerhalb des Aktes so wenig als möglich den Ort zu wechseln, auch Goethe folgt diesem Gesetz in den spätern Dramen; aber Schiller beginnt jeden neuen Akt mit einem neuen Ort. So werden die Akte, auch äußerlich durch den Vorhang getrennt, Bilder für sich mit der ihnen eignen Stimmung. Alles, was an dem gegebnen Orte geschehen soll, muß der Dichter in demselben Akte geschehen lassen, weil der'Vorhang das Bild schließt. Das Äußerliche des Aktschlusses wird zu einem Zwingenden, notwendigen, und damit auch gleich die Ver¬ teilung des Stoffes in die fünf Akte. Die Wirkung des Schlusses erhöht Schiller durch eine vortreffliche Neuerung, die von seinem genialen Blick für das Wirkungsvolle zeugt: er giebt am Ende des Auszuges mit einem kurze», epigrammartigeu Ausspruch den Inhalt des Aktes kräftig wieder, befestigt so das Bild des Auszuges nochmals im Zuschauer. Mit wie sicherer Hand ist B. im Fiesko der Stoff auf die fünf Akte verteilt! „Ich hab einen Ty¬ rannen" ruft Burgoguiuo am Schlüsse des erstem Aktes aus. Die Exposition ist beendet. Auch dem Zuschauer ist es klar, daß der Tyrann gestürzt werden »uiß. Daß Fiesko allein ihn stürzen kann, zeigt der zweite Akt. „Geh unter, Tyrann! Sei frei, Genua, und ich dein glücklichster Bürger!" Ein wirklicher Abschluß eines kleinen Dramas für sich, das mit der Hoffnung auf eine große "ud edle That schließt! Mit dem dritten Akte beginnt eine neue Handlung, ber zünnpf Fieskos, sich zum Tyrannen aufzuwerfen, und zugleich damit das Gegenspiel des Verrinn. Der Schluß des dritten Aktes führt uns eine sehr wirkungsvolle Szene im Toilettenzimmer der Julia vor. Fiesko überlistet den Doria, der ihn in seine Falle gelockt zu haben glaubt, und krönt so die Hand¬ lung des Aktes, seine Vorbereitungen zum Untergang des Tyranus. Der schneidende Hohn der letzten Worte: „O es ist zum Toblacher, Gräfin!" führt zur Vergangenheit zurück und leitet zur Zukunft über. Der vierte Akt giebt "ach dem letzten Versuche Lcvuorens die Gewißheit von Fieskos Tod. Auch hierin erzielt der Dichter durch seine von Lessing völlig abweichenden Aktschlüsse große Wirkung. Fiesko bleibt am Schlüsse des zweiten Aktes auf der Bühne, »ud seine Worte, die gesprochen werden, während der Vorhang langsam fällt, Prägen sich in uns ein, wie das Bild, das wir zuletzt gesehen habe». So Ichließt auch der vierte Akt. Die ohnmächtige Gräfin bleibt, von ihren Dienern umgeben, auf der Bühne, während der Vorhang fällt. Wir ahnen, daß dies Abschied für die Ewigkeit ist. Jede Aussicht ans Rettung ist verloren. Ein gewaltiger Abschluß!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/533
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/533>, abgerufen am 23.07.2024.