Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Sprachdummheiten

Daß Präpositionen mit dem Relativpronomen durch die Adverbia worin,
woraus, womit, wobei ersetzt werden können (entsprechend den demonstra¬
tiven darin, daraus, damit, dabei) und in der lebendigen Sprache immer
ersetzt werden, wie wenigen fällt das beim Schreiben ein! Ein Brief, worin --
eine Fläche, worauf -- eine Waffe, womit -- eine Regel, wobei -- ein Ge¬
schenk, worüber -- eine Gefahr, wovor -- ein Mittel, wodurch -- wie wenigen
will das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch! Der Schulmeister
hat ihnen einmal bange davor gemacht, und so schreiben sie lieber: neben der Kirche
steht ein Thurm, in welchem man hinauffahren kann -- einzelnen Städten ge¬
lang es, Brücken über die Ströme, an welchen sie lagen, zu erbauen -- der
innige Zusammenhang, in welchem Glaube, Recht und Sitte steheu -- das
einfache, schmucklose Gewand, mit welchem sie uns wie eine Mutter umfängt
u. f. w. Nun gar das einfache wo (das Gebäude, wo -- ein Gebiet, wo
-- in einer Stadt, wo -- in allen den Fällen, wo) und vollends dieses ein¬
fache wo in temporalem Sinne (wir gedenken an jene Zeit der Jugend, wo
wir zuerst auszogen -- die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang ihrer
Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, wo deren Anlagen noch
viel zu wenig hervorgetreten sind -- seit dem 29. März, wo die neue Be¬
rechnung begann -- er ist von dieser Schwärmerei von dem Augenblicke an
zurückgekommen, wo er die Ueberzeugung erlangt hatte --) wie wenige ge¬
trauen sich das zu schreibe", wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das
grammatisch durchaus richtig ist und hundertmal schöner als: seit dem 29. März,
an welchem Tage oder: zu einer Zeit, in welcher er u. s. w. Ist es nicht
kläglich komisch, in einem Manuskript zu sehen, wie der Verfasser erst schreibt:
diese Depesche gelangte an demselben Tage in seine Hände, als u. s. w., dann
das als wieder ausstreicht und drüber setzt: an welchem, aber auf das gute,
einfache, vernünftige wo nicht verfällt? Und ganz so ist es mit wie: die
Art und Weise, wie -- in dem Grade, wie -- in jenem Sinne, wie -- wie
wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktiv¬
genossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, in welchem jeder Staat es
ist -- so ist es richtig papieren!

Wie steht es denn nun aber mit der Abwechslung zwischen der und
welcher, von der ich ausgegangen bin? Hatte ich Recht, wenn ich sie unter
Umstünden empfahl, oder hatte der andre Recht, wenn er sagte: ich mag das
welcher überhaupt nicht?

Ja mit dieser Abwechslung ist es so eine Sache. Ich habe schon wieder¬
holt gesagt, daß ich die Regel, man dürfe nicht kurz oder gar unmittelbar
hinter einander zweimal dasselbe Wort schreiben, für bloßen Aberglauben halte.
Das erste Erfordernis alles Sprachausdrucks ist doch immer Deutlichkeit, das
zweite einfache, natürliche Schönheit. Zu welcher Unnatur aber der gewöhnliche
Unterricht mit der mechanischen Durchführung jener angeblichen Schönheitsregel


Allerhand Sprachdummheiten

Daß Präpositionen mit dem Relativpronomen durch die Adverbia worin,
woraus, womit, wobei ersetzt werden können (entsprechend den demonstra¬
tiven darin, daraus, damit, dabei) und in der lebendigen Sprache immer
ersetzt werden, wie wenigen fällt das beim Schreiben ein! Ein Brief, worin —
eine Fläche, worauf — eine Waffe, womit — eine Regel, wobei — ein Ge¬
schenk, worüber — eine Gefahr, wovor — ein Mittel, wodurch — wie wenigen
will das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch! Der Schulmeister
hat ihnen einmal bange davor gemacht, und so schreiben sie lieber: neben der Kirche
steht ein Thurm, in welchem man hinauffahren kann — einzelnen Städten ge¬
lang es, Brücken über die Ströme, an welchen sie lagen, zu erbauen — der
innige Zusammenhang, in welchem Glaube, Recht und Sitte steheu — das
einfache, schmucklose Gewand, mit welchem sie uns wie eine Mutter umfängt
u. f. w. Nun gar das einfache wo (das Gebäude, wo — ein Gebiet, wo
— in einer Stadt, wo — in allen den Fällen, wo) und vollends dieses ein¬
fache wo in temporalem Sinne (wir gedenken an jene Zeit der Jugend, wo
wir zuerst auszogen — die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang ihrer
Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, wo deren Anlagen noch
viel zu wenig hervorgetreten sind — seit dem 29. März, wo die neue Be¬
rechnung begann — er ist von dieser Schwärmerei von dem Augenblicke an
zurückgekommen, wo er die Ueberzeugung erlangt hatte —) wie wenige ge¬
trauen sich das zu schreibe«, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das
grammatisch durchaus richtig ist und hundertmal schöner als: seit dem 29. März,
an welchem Tage oder: zu einer Zeit, in welcher er u. s. w. Ist es nicht
kläglich komisch, in einem Manuskript zu sehen, wie der Verfasser erst schreibt:
diese Depesche gelangte an demselben Tage in seine Hände, als u. s. w., dann
das als wieder ausstreicht und drüber setzt: an welchem, aber auf das gute,
einfache, vernünftige wo nicht verfällt? Und ganz so ist es mit wie: die
Art und Weise, wie — in dem Grade, wie — in jenem Sinne, wie — wie
wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktiv¬
genossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, in welchem jeder Staat es
ist — so ist es richtig papieren!

Wie steht es denn nun aber mit der Abwechslung zwischen der und
welcher, von der ich ausgegangen bin? Hatte ich Recht, wenn ich sie unter
Umstünden empfahl, oder hatte der andre Recht, wenn er sagte: ich mag das
welcher überhaupt nicht?

Ja mit dieser Abwechslung ist es so eine Sache. Ich habe schon wieder¬
holt gesagt, daß ich die Regel, man dürfe nicht kurz oder gar unmittelbar
hinter einander zweimal dasselbe Wort schreiben, für bloßen Aberglauben halte.
Das erste Erfordernis alles Sprachausdrucks ist doch immer Deutlichkeit, das
zweite einfache, natürliche Schönheit. Zu welcher Unnatur aber der gewöhnliche
Unterricht mit der mechanischen Durchführung jener angeblichen Schönheitsregel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/207167"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Sprachdummheiten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1475"> Daß Präpositionen mit dem Relativpronomen durch die Adverbia worin,<lb/>
woraus, womit, wobei ersetzt werden können (entsprechend den demonstra¬<lb/>
tiven darin, daraus, damit, dabei) und in der lebendigen Sprache immer<lb/>
ersetzt werden, wie wenigen fällt das beim Schreiben ein! Ein Brief, worin &#x2014;<lb/>
eine Fläche, worauf &#x2014; eine Waffe, womit &#x2014; eine Regel, wobei &#x2014; ein Ge¬<lb/>
schenk, worüber &#x2014; eine Gefahr, wovor &#x2014; ein Mittel, wodurch &#x2014; wie wenigen<lb/>
will das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch! Der Schulmeister<lb/>
hat ihnen einmal bange davor gemacht, und so schreiben sie lieber: neben der Kirche<lb/>
steht ein Thurm, in welchem man hinauffahren kann &#x2014; einzelnen Städten ge¬<lb/>
lang es, Brücken über die Ströme, an welchen sie lagen, zu erbauen &#x2014; der<lb/>
innige Zusammenhang, in welchem Glaube, Recht und Sitte steheu &#x2014; das<lb/>
einfache, schmucklose Gewand, mit welchem sie uns wie eine Mutter umfängt<lb/>
u. f. w. Nun gar das einfache wo (das Gebäude, wo &#x2014; ein Gebiet, wo<lb/>
&#x2014; in einer Stadt, wo &#x2014; in allen den Fällen, wo) und vollends dieses ein¬<lb/>
fache wo in temporalem Sinne (wir gedenken an jene Zeit der Jugend, wo<lb/>
wir zuerst auszogen &#x2014; die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang ihrer<lb/>
Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, wo deren Anlagen noch<lb/>
viel zu wenig hervorgetreten sind &#x2014; seit dem 29. März, wo die neue Be¬<lb/>
rechnung begann &#x2014; er ist von dieser Schwärmerei von dem Augenblicke an<lb/>
zurückgekommen, wo er die Ueberzeugung erlangt hatte &#x2014;) wie wenige ge¬<lb/>
trauen sich das zu schreibe«, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das<lb/>
grammatisch durchaus richtig ist und hundertmal schöner als: seit dem 29. März,<lb/>
an welchem Tage oder: zu einer Zeit, in welcher er u. s. w. Ist es nicht<lb/>
kläglich komisch, in einem Manuskript zu sehen, wie der Verfasser erst schreibt:<lb/>
diese Depesche gelangte an demselben Tage in seine Hände, als u. s. w., dann<lb/>
das als wieder ausstreicht und drüber setzt: an welchem, aber auf das gute,<lb/>
einfache, vernünftige wo nicht verfällt? Und ganz so ist es mit wie: die<lb/>
Art und Weise, wie &#x2014; in dem Grade, wie &#x2014; in jenem Sinne, wie &#x2014; wie<lb/>
wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktiv¬<lb/>
genossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, in welchem jeder Staat es<lb/>
ist &#x2014; so ist es richtig papieren!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1476"> Wie steht es denn nun aber mit der Abwechslung zwischen der und<lb/>
welcher, von der ich ausgegangen bin? Hatte ich Recht, wenn ich sie unter<lb/>
Umstünden empfahl, oder hatte der andre Recht, wenn er sagte: ich mag das<lb/>
welcher überhaupt nicht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1477" next="#ID_1478"> Ja mit dieser Abwechslung ist es so eine Sache. Ich habe schon wieder¬<lb/>
holt gesagt, daß ich die Regel, man dürfe nicht kurz oder gar unmittelbar<lb/>
hinter einander zweimal dasselbe Wort schreiben, für bloßen Aberglauben halte.<lb/>
Das erste Erfordernis alles Sprachausdrucks ist doch immer Deutlichkeit, das<lb/>
zweite einfache, natürliche Schönheit. Zu welcher Unnatur aber der gewöhnliche<lb/>
Unterricht mit der mechanischen Durchführung jener angeblichen Schönheitsregel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] Allerhand Sprachdummheiten Daß Präpositionen mit dem Relativpronomen durch die Adverbia worin, woraus, womit, wobei ersetzt werden können (entsprechend den demonstra¬ tiven darin, daraus, damit, dabei) und in der lebendigen Sprache immer ersetzt werden, wie wenigen fällt das beim Schreiben ein! Ein Brief, worin — eine Fläche, worauf — eine Waffe, womit — eine Regel, wobei — ein Ge¬ schenk, worüber — eine Gefahr, wovor — ein Mittel, wodurch — wie wenigen will das aus der Feder! Sie halten es womöglich gar für falsch! Der Schulmeister hat ihnen einmal bange davor gemacht, und so schreiben sie lieber: neben der Kirche steht ein Thurm, in welchem man hinauffahren kann — einzelnen Städten ge¬ lang es, Brücken über die Ströme, an welchen sie lagen, zu erbauen — der innige Zusammenhang, in welchem Glaube, Recht und Sitte steheu — das einfache, schmucklose Gewand, mit welchem sie uns wie eine Mutter umfängt u. f. w. Nun gar das einfache wo (das Gebäude, wo — ein Gebiet, wo — in einer Stadt, wo — in allen den Fällen, wo) und vollends dieses ein¬ fache wo in temporalem Sinne (wir gedenken an jene Zeit der Jugend, wo wir zuerst auszogen — die Eltern sind genötigt, über den Bildungsgang ihrer Kinder schon zu einer Zeit Bestimmungen zu treffen, wo deren Anlagen noch viel zu wenig hervorgetreten sind — seit dem 29. März, wo die neue Be¬ rechnung begann — er ist von dieser Schwärmerei von dem Augenblicke an zurückgekommen, wo er die Ueberzeugung erlangt hatte —) wie wenige ge¬ trauen sich das zu schreibe«, wie wenige haben eine Ahnung davon, daß auch das grammatisch durchaus richtig ist und hundertmal schöner als: seit dem 29. März, an welchem Tage oder: zu einer Zeit, in welcher er u. s. w. Ist es nicht kläglich komisch, in einem Manuskript zu sehen, wie der Verfasser erst schreibt: diese Depesche gelangte an demselben Tage in seine Hände, als u. s. w., dann das als wieder ausstreicht und drüber setzt: an welchem, aber auf das gute, einfache, vernünftige wo nicht verfällt? Und ganz so ist es mit wie: die Art und Weise, wie — in dem Grade, wie — in jenem Sinne, wie — wie wenige getrauen sich das zu schreiben! Die alten Innungen waren Produktiv¬ genossenschaften in jenem vernünftigen Sinne, in welchem jeder Staat es ist — so ist es richtig papieren! Wie steht es denn nun aber mit der Abwechslung zwischen der und welcher, von der ich ausgegangen bin? Hatte ich Recht, wenn ich sie unter Umstünden empfahl, oder hatte der andre Recht, wenn er sagte: ich mag das welcher überhaupt nicht? Ja mit dieser Abwechslung ist es so eine Sache. Ich habe schon wieder¬ holt gesagt, daß ich die Regel, man dürfe nicht kurz oder gar unmittelbar hinter einander zweimal dasselbe Wort schreiben, für bloßen Aberglauben halte. Das erste Erfordernis alles Sprachausdrucks ist doch immer Deutlichkeit, das zweite einfache, natürliche Schönheit. Zu welcher Unnatur aber der gewöhnliche Unterricht mit der mechanischen Durchführung jener angeblichen Schönheitsregel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/522>, abgerufen am 23.07.2024.