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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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sonder" auch ihren Gegnern den Kampf "ngemein erleichtern. Wir beschränken
nus für heute ans den zweiten Punkt und versuchen den Ausweg aus der
Klemme anzudeuten.

Unsre Zünftler erwarten das Heil vom Lehrlingsparagraphen und vom
Befähigungsnachweis, Gegen den ersten wäre höchstens einzuwenden, daß er
nichts nützen wird. Der zweite aber ist schlechthin unzulässig. Unter den
klassischen Zeugnissen dafür, daß der Befähigungsuachweis die Leistungen der
Handwerker nicht hebt, sondern herunterbringt, indem er durch Beseitigung
aller Konkurrenz dem Schlendrian Vorschub leistet, befinden sich bekanntlich
auch solche vom Fürsten Bismarck. Das mittelalterliche Gewerbe ist ohne den
Befähigungsnachweis groß geworden. So oft in Florenz die kleinen Leute
ihn forderten, schlugen die Signoren das Ansinnen rund ab. Denn, pflegten
sie zu sagen, vom Arzte und vom Anwalt muß man zwar den Befähigungs¬
nachweis fordern, weil sie ihre .Kunden schädigen, wenn sie ihre Kunst nicht
verstehen; der Handwerker aber schädigt durch die schlechte Ware, die ihm ja
auf dem Halse bleibt, niemand als sich selber, und es ist nicht unsre Auf¬
gabe, erwachsene Personen vor Schädigungen zu bewahren, die sie sich selbst
zuziehen. Etwas anders verhielt sich die Sache bei Erzeugnissen für die Aus¬
fuhr, z. B. bei Tuch und Seidenstoffen. Hier würde durch Verschickung schlechter
Ware der gute Ruf des UrspruugsorteS vernichtet worden, sein Absatz verloren
gegangen sein, und das wäre eine Schädigung nicht allein sämtlicher Gewerbe-
genvssen, sondern sogar der ganzen Stadt gewesen. Hier war also eine Prüfung
notwendig. Aber man prüfte nicht deu aufzunehmenden Mann -- das wäre
gar keine Bürgschaft gewesen gegen leichtfertiges und unehrliches Gebahren in
der Zukunft sondern jedes einzelne Erzeugnis des Aufgenommenen; kein
Stück Tuch wurde gestempelt und herausgelassen, ehe es in Beziehung auf
Maß und Güte geprüft worden war; jedes zu kurze, zu schmale oder schlechte
Stück wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit verbrannt.

Die Meisterprüfung wurde später eingeführt, nicht um die Güte der Er¬
zeugnisse zu sichern, sondern um die Zahl der Gewerbtreibenden zu beschränken
und die Zunft abzusperren, während in der Blütezeit des Handwerkes jeder
aufgenommen worden war, der nur das mäßige Eintrittsgeld zahlte. Es ist
nun ein offenes Geheimnis, daß unsre heutigen Zünftler nur darum an die
Verfallzeit anstatt an die Blütezeit der alten Innungen anknüpfen, weil es
ihnen ebenfalls weit weniger um die Güte ihrer Erzeugnisse und um die tüchtige
Ausbildung der Lehrlinge, als um die Beseitigung der Konkurrenz zu thu"
ist. Es wäre ja auch wirklich recht schou, wenn sie die Zahl der Gewerbe¬
genossen willkürlich beschränke!,, dann die Preise willkürlich festsetzen und ihre
Kunden ganz nach Bequemlichkeit, d. h. so schlecht wie möglich bedienen könnten,
und wir würden das den arme" Schuhmachern und Schneidern als Ent¬
schädigung für die a"sgestaud"e" Nöte von Herze" gönne", wenn es ginge,


sonder» auch ihren Gegnern den Kampf »ngemein erleichtern. Wir beschränken
nus für heute ans den zweiten Punkt und versuchen den Ausweg aus der
Klemme anzudeuten.

Unsre Zünftler erwarten das Heil vom Lehrlingsparagraphen und vom
Befähigungsnachweis, Gegen den ersten wäre höchstens einzuwenden, daß er
nichts nützen wird. Der zweite aber ist schlechthin unzulässig. Unter den
klassischen Zeugnissen dafür, daß der Befähigungsuachweis die Leistungen der
Handwerker nicht hebt, sondern herunterbringt, indem er durch Beseitigung
aller Konkurrenz dem Schlendrian Vorschub leistet, befinden sich bekanntlich
auch solche vom Fürsten Bismarck. Das mittelalterliche Gewerbe ist ohne den
Befähigungsnachweis groß geworden. So oft in Florenz die kleinen Leute
ihn forderten, schlugen die Signoren das Ansinnen rund ab. Denn, pflegten
sie zu sagen, vom Arzte und vom Anwalt muß man zwar den Befähigungs¬
nachweis fordern, weil sie ihre .Kunden schädigen, wenn sie ihre Kunst nicht
verstehen; der Handwerker aber schädigt durch die schlechte Ware, die ihm ja
auf dem Halse bleibt, niemand als sich selber, und es ist nicht unsre Auf¬
gabe, erwachsene Personen vor Schädigungen zu bewahren, die sie sich selbst
zuziehen. Etwas anders verhielt sich die Sache bei Erzeugnissen für die Aus¬
fuhr, z. B. bei Tuch und Seidenstoffen. Hier würde durch Verschickung schlechter
Ware der gute Ruf des UrspruugsorteS vernichtet worden, sein Absatz verloren
gegangen sein, und das wäre eine Schädigung nicht allein sämtlicher Gewerbe-
genvssen, sondern sogar der ganzen Stadt gewesen. Hier war also eine Prüfung
notwendig. Aber man prüfte nicht deu aufzunehmenden Mann — das wäre
gar keine Bürgschaft gewesen gegen leichtfertiges und unehrliches Gebahren in
der Zukunft sondern jedes einzelne Erzeugnis des Aufgenommenen; kein
Stück Tuch wurde gestempelt und herausgelassen, ehe es in Beziehung auf
Maß und Güte geprüft worden war; jedes zu kurze, zu schmale oder schlechte
Stück wurde ohne Gnade und Barmherzigkeit verbrannt.

Die Meisterprüfung wurde später eingeführt, nicht um die Güte der Er¬
zeugnisse zu sichern, sondern um die Zahl der Gewerbtreibenden zu beschränken
und die Zunft abzusperren, während in der Blütezeit des Handwerkes jeder
aufgenommen worden war, der nur das mäßige Eintrittsgeld zahlte. Es ist
nun ein offenes Geheimnis, daß unsre heutigen Zünftler nur darum an die
Verfallzeit anstatt an die Blütezeit der alten Innungen anknüpfen, weil es
ihnen ebenfalls weit weniger um die Güte ihrer Erzeugnisse und um die tüchtige
Ausbildung der Lehrlinge, als um die Beseitigung der Konkurrenz zu thu»
ist. Es wäre ja auch wirklich recht schou, wenn sie die Zahl der Gewerbe¬
genossen willkürlich beschränke!,, dann die Preise willkürlich festsetzen und ihre
Kunden ganz nach Bequemlichkeit, d. h. so schlecht wie möglich bedienen könnten,
und wir würden das den arme» Schuhmachern und Schneidern als Ent¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/456>, abgerufen am 03.07.2024.