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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratin auf demi Lande und die evangelische Kirche

aus nicht wahr, daß in Deutschland alles Geld bei den Juden sei; wir haben
sehr viele reiche Evangelische, die nach allen Seiten mit freigebiger Hand ihre
Gaben austeilen, aber gegen unsre evangelische Kirche und ihre Anstalten bisher
ihre Hand fest zuhielten. Sie mögen sie weit öffnen. Warum müssen unsre
Kirchen so kahl und nüchtern sein? Warum geht es mit der Einführung von
Kirchengesangvereinen nicht besser vorwärts? Wilmin Nagen unsre Anstalten
der äußern und innern Mission über Mangel, während den katholischen An¬
stalten mehr zufließt, als sie brauchen? Es ist eine Wendung zum Bessern
eingetreten, aber es könnte noch viel besser werden. , :

' 3. Man trete selbst zur Kirche in ein besseres Verhältnis. Es herrscht
jetzt die Orthodoxie, und mit der kann ich mich nicht befreunden, wird
mancher sagen. Das ist in manchen Landeskirchen richtig, und diesen wäre
etwas mehr Duldsamkeit und Verständnis für die Bedürfnisse der Gegeu-
wnrt zu wünschen. Wir haben aber auch Landeskirchen, wo alle auf dem
Boden des Christentums stehende Parteien einträchtig zusammenwirken, wo
Mitglieder des Protestantenvereins, der doch gewiß nicht a" Orthodoxie krankt,
im Kirchenregiment sitzen. Wenn nun auch dein Prediger orthodoxer ist, als
du wünschest, so stehst du doch in vielem mit ihm auf gleichem Boden, z. B<
ist das ganze große Gebiet der christlichen Sitte allen Parteien gemeinsam.
Thatsache ist es ja, daß in dein gegenwärtigen Thevlogengeschlecht die posi¬
tiven Elemente überwiegen, und daß diese anch die tüchtigsten Kräfte haben.
Die Heidenmission, die Versorgung der wandernden Arbeiter, die Griindnng
von Diakonissenhäusern, die Gründung von Anstalten für Epileptische, Blöde
und sieche ist von dieser Seite ausgegangen. Vielleicht war dir auch die
Sprache der Predigt, die der Bibelsprüche nahekommen muß, fremd, und du
hast manches anders aufgefaßt, als es gemeint war. Endlich ist die Predigt
zwar immer die Hauptsache bei dem protestantischen Gottesdienst, aber nicht
das Einzige, was er bietet. Es werden jetzt Gottesdienste, und zwar nnter
großem Zulauf abgehalten, die gar leine Predigt haben und doch recht er¬
baulich siud.

An dem Vorbilde unsrer gebildeten Stände, besonders in den Städten,
hängt sehr viel. Die Landbevölkerung sieht ihr Vorbild in der städtischen.
Was sie dort sehen und hören, ahmen sie nach, so gut sie es können und
verstehen. Wenn also die Gebildeten, wie in der Einfachheit und Mäßigkeit,
so auch in der Frömmigkeit dem Landvolke ein gutes Beispiel gäben, so
wäre auch des Pfarrers Aufgabe in seiner Landgemeinde wesentlich leichter zu
erfüllen.

Der protestantische Pfarrer von heute hat keine Sinekure; die Verhältnisse
sind nicht mehr so, wie sie damals waren, als Voß seine Luise schrieb, es wird
ihm sehr schwer, der Hirte seiner Herde zu werden. Der Bauer hält von Hans
aus nicht viel von geistiger Arbeit; Pfarrer und Schullehrer, die von ihm


Die Sozialdemokratin auf demi Lande und die evangelische Kirche

aus nicht wahr, daß in Deutschland alles Geld bei den Juden sei; wir haben
sehr viele reiche Evangelische, die nach allen Seiten mit freigebiger Hand ihre
Gaben austeilen, aber gegen unsre evangelische Kirche und ihre Anstalten bisher
ihre Hand fest zuhielten. Sie mögen sie weit öffnen. Warum müssen unsre
Kirchen so kahl und nüchtern sein? Warum geht es mit der Einführung von
Kirchengesangvereinen nicht besser vorwärts? Wilmin Nagen unsre Anstalten
der äußern und innern Mission über Mangel, während den katholischen An¬
stalten mehr zufließt, als sie brauchen? Es ist eine Wendung zum Bessern
eingetreten, aber es könnte noch viel besser werden. , :

' 3. Man trete selbst zur Kirche in ein besseres Verhältnis. Es herrscht
jetzt die Orthodoxie, und mit der kann ich mich nicht befreunden, wird
mancher sagen. Das ist in manchen Landeskirchen richtig, und diesen wäre
etwas mehr Duldsamkeit und Verständnis für die Bedürfnisse der Gegeu-
wnrt zu wünschen. Wir haben aber auch Landeskirchen, wo alle auf dem
Boden des Christentums stehende Parteien einträchtig zusammenwirken, wo
Mitglieder des Protestantenvereins, der doch gewiß nicht a» Orthodoxie krankt,
im Kirchenregiment sitzen. Wenn nun auch dein Prediger orthodoxer ist, als
du wünschest, so stehst du doch in vielem mit ihm auf gleichem Boden, z. B<
ist das ganze große Gebiet der christlichen Sitte allen Parteien gemeinsam.
Thatsache ist es ja, daß in dein gegenwärtigen Thevlogengeschlecht die posi¬
tiven Elemente überwiegen, und daß diese anch die tüchtigsten Kräfte haben.
Die Heidenmission, die Versorgung der wandernden Arbeiter, die Griindnng
von Diakonissenhäusern, die Gründung von Anstalten für Epileptische, Blöde
und sieche ist von dieser Seite ausgegangen. Vielleicht war dir auch die
Sprache der Predigt, die der Bibelsprüche nahekommen muß, fremd, und du
hast manches anders aufgefaßt, als es gemeint war. Endlich ist die Predigt
zwar immer die Hauptsache bei dem protestantischen Gottesdienst, aber nicht
das Einzige, was er bietet. Es werden jetzt Gottesdienste, und zwar nnter
großem Zulauf abgehalten, die gar leine Predigt haben und doch recht er¬
baulich siud.

An dem Vorbilde unsrer gebildeten Stände, besonders in den Städten,
hängt sehr viel. Die Landbevölkerung sieht ihr Vorbild in der städtischen.
Was sie dort sehen und hören, ahmen sie nach, so gut sie es können und
verstehen. Wenn also die Gebildeten, wie in der Einfachheit und Mäßigkeit,
so auch in der Frömmigkeit dem Landvolke ein gutes Beispiel gäben, so
wäre auch des Pfarrers Aufgabe in seiner Landgemeinde wesentlich leichter zu
erfüllen.

Der protestantische Pfarrer von heute hat keine Sinekure; die Verhältnisse
sind nicht mehr so, wie sie damals waren, als Voß seine Luise schrieb, es wird
ihm sehr schwer, der Hirte seiner Herde zu werden. Der Bauer hält von Hans
aus nicht viel von geistiger Arbeit; Pfarrer und Schullehrer, die von ihm


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[0454] Die Sozialdemokratin auf demi Lande und die evangelische Kirche aus nicht wahr, daß in Deutschland alles Geld bei den Juden sei; wir haben sehr viele reiche Evangelische, die nach allen Seiten mit freigebiger Hand ihre Gaben austeilen, aber gegen unsre evangelische Kirche und ihre Anstalten bisher ihre Hand fest zuhielten. Sie mögen sie weit öffnen. Warum müssen unsre Kirchen so kahl und nüchtern sein? Warum geht es mit der Einführung von Kirchengesangvereinen nicht besser vorwärts? Wilmin Nagen unsre Anstalten der äußern und innern Mission über Mangel, während den katholischen An¬ stalten mehr zufließt, als sie brauchen? Es ist eine Wendung zum Bessern eingetreten, aber es könnte noch viel besser werden. , : ' 3. Man trete selbst zur Kirche in ein besseres Verhältnis. Es herrscht jetzt die Orthodoxie, und mit der kann ich mich nicht befreunden, wird mancher sagen. Das ist in manchen Landeskirchen richtig, und diesen wäre etwas mehr Duldsamkeit und Verständnis für die Bedürfnisse der Gegeu- wnrt zu wünschen. Wir haben aber auch Landeskirchen, wo alle auf dem Boden des Christentums stehende Parteien einträchtig zusammenwirken, wo Mitglieder des Protestantenvereins, der doch gewiß nicht a» Orthodoxie krankt, im Kirchenregiment sitzen. Wenn nun auch dein Prediger orthodoxer ist, als du wünschest, so stehst du doch in vielem mit ihm auf gleichem Boden, z. B< ist das ganze große Gebiet der christlichen Sitte allen Parteien gemeinsam. Thatsache ist es ja, daß in dein gegenwärtigen Thevlogengeschlecht die posi¬ tiven Elemente überwiegen, und daß diese anch die tüchtigsten Kräfte haben. Die Heidenmission, die Versorgung der wandernden Arbeiter, die Griindnng von Diakonissenhäusern, die Gründung von Anstalten für Epileptische, Blöde und sieche ist von dieser Seite ausgegangen. Vielleicht war dir auch die Sprache der Predigt, die der Bibelsprüche nahekommen muß, fremd, und du hast manches anders aufgefaßt, als es gemeint war. Endlich ist die Predigt zwar immer die Hauptsache bei dem protestantischen Gottesdienst, aber nicht das Einzige, was er bietet. Es werden jetzt Gottesdienste, und zwar nnter großem Zulauf abgehalten, die gar leine Predigt haben und doch recht er¬ baulich siud. An dem Vorbilde unsrer gebildeten Stände, besonders in den Städten, hängt sehr viel. Die Landbevölkerung sieht ihr Vorbild in der städtischen. Was sie dort sehen und hören, ahmen sie nach, so gut sie es können und verstehen. Wenn also die Gebildeten, wie in der Einfachheit und Mäßigkeit, so auch in der Frömmigkeit dem Landvolke ein gutes Beispiel gäben, so wäre auch des Pfarrers Aufgabe in seiner Landgemeinde wesentlich leichter zu erfüllen. Der protestantische Pfarrer von heute hat keine Sinekure; die Verhältnisse sind nicht mehr so, wie sie damals waren, als Voß seine Luise schrieb, es wird ihm sehr schwer, der Hirte seiner Herde zu werden. Der Bauer hält von Hans aus nicht viel von geistiger Arbeit; Pfarrer und Schullehrer, die von ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/454>, abgerufen am 23.07.2024.