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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis

"Cicerone." Dagegen läßt sich aber der sehr triftige Einwand erheben, das;
Bode für die gegenwärtige Gestalt dieser "Anleitung zum Genuß der Kunstwerke
Italiens" uicht allem verantwortlich zu macheu ist. Wie Bode selbst bei einer
Besprechung des Morcllischen Buches in der letzten Sitzung der "Kunstge¬
schichtlichen Gesellschaft" in Berlin betont hat, konnte er sich uicht entschließen,
ein beliebtes und gerade wegen der glücklichen Einkleidung und Fassung seiner
Urteile viel zitirtes Buch wie den "Cicerone" in alle" Teilen so umzugestalten,
wie es den Ansichten Bodes und dem gegenwärtigen Stande der wissenschaft¬
lichen Forschung durchweg entsprochen hätte. Aber Morellis Kampflust ist ja
nicht allein durch den Bearbeiter des "Cicerone" erweckt worden. Oft genug
läßt er deu "Cicerone" beiseite und sucht seinen Gegner auf audern Gebieten
feiner literarischen Thätigkeit auf, wobei er ihn nicht immer bei Namen nennt,
sondern sich bisweilen mit eiuer Anspielung begnügt. Wenn er z. B. sagt,
daß man von einem Kunsthistoriker verlangen dürfe, "daß er wenigstens mit
den Bahnbrechern, mit den Hnuptmeistern jeder Kunstschule vertraut sei, um
die Werke derselben von denen ihrer Schüler und Nachahmer unterscheiden zu
können, und nicht etwa, wie dies noch immer geschieht, eine beliebige Statue
für ein Werk des Michelangelo oder zweideutige Bilder für Arbeiten Verroechios
oder gar Lionardos dem Publikum aufdränge, welche, bei Lichte betrachtet,
doch nur als Erzeugnisse schwacher Nachahmer der großen Künstler sich heraus¬
stellen," so wird sich kaum verkennen lassen, daß diese allgemeinen Bemerkungen
n" besondern ans den Berliner Kunstgelehrten abzielen, der bei der Auffindung
von Werken des Verroechio von besondern! Glücke begünstigt ist und eine aus
den Magazinen des Berliner Museums hervorgezogene "Himmelfahrt Christi"
mit ebensoviel Gelehrsamkeit nud Scharfsinn als Erfolglosigkeit als eine eigen¬
händige Arbeit des Lionardo da Vinci verteidigt hat.

Wie man sich aber mich zu der Berechtigung dieser Art von Polemik stellen
wäg, soviel ist sicher, daß sie um Ende einen Grad von Bitterkeit hervorruft,
der der Sache selbst nicht förderlich ist. Mau wirft sich gegenseitig Dilettan¬
tismus vor, und das letzte Ergebnis dieses Streites ist, daß die Grundlagen
der Bilderkenntnis wieder völlig erschüttert sind, und die Unsicherheit in der
^astigen Benennung hervorragender Denkmäler der Malerei ärger ist als je
zuvor. Und gerade um deu Meister, dessen künstlerischer Nachlaß am klarsten
Und übersichtlichsten geordnet erschien, um Naffael, tobt der Streit gegenwärtig
">u heftigsten, und nicht etwa blos um die frühestem Werke Raffaels, dessen
^Ugendentwicklnng allerdings noch in verschiedenen Punkten einer Aufhellung
bedarf, sondern anch um Schöpfungen seiner Reife. Die sogenannte Fornarina
w der Tribuna der Uffizien zu Florenz z. B. gilt Morelli und der Mehrzahl
Forscher jetzt als ein vortreffliches Werk des Sebastiane" del Pivinbv,
Mährend Bode es neuerdings (in der Li^steh ävs böMx-g.re.K) wieder für Naffael
Anspruch genommen und dabei merkwürdiger Weise dieselben Dinge: die


Die Kennzeichenlehre Giovanni Morellis

„Cicerone." Dagegen läßt sich aber der sehr triftige Einwand erheben, das;
Bode für die gegenwärtige Gestalt dieser „Anleitung zum Genuß der Kunstwerke
Italiens" uicht allem verantwortlich zu macheu ist. Wie Bode selbst bei einer
Besprechung des Morcllischen Buches in der letzten Sitzung der „Kunstge¬
schichtlichen Gesellschaft" in Berlin betont hat, konnte er sich uicht entschließen,
ein beliebtes und gerade wegen der glücklichen Einkleidung und Fassung seiner
Urteile viel zitirtes Buch wie den „Cicerone" in alle» Teilen so umzugestalten,
wie es den Ansichten Bodes und dem gegenwärtigen Stande der wissenschaft¬
lichen Forschung durchweg entsprochen hätte. Aber Morellis Kampflust ist ja
nicht allein durch den Bearbeiter des „Cicerone" erweckt worden. Oft genug
läßt er deu „Cicerone" beiseite und sucht seinen Gegner auf audern Gebieten
feiner literarischen Thätigkeit auf, wobei er ihn nicht immer bei Namen nennt,
sondern sich bisweilen mit eiuer Anspielung begnügt. Wenn er z. B. sagt,
daß man von einem Kunsthistoriker verlangen dürfe, „daß er wenigstens mit
den Bahnbrechern, mit den Hnuptmeistern jeder Kunstschule vertraut sei, um
die Werke derselben von denen ihrer Schüler und Nachahmer unterscheiden zu
können, und nicht etwa, wie dies noch immer geschieht, eine beliebige Statue
für ein Werk des Michelangelo oder zweideutige Bilder für Arbeiten Verroechios
oder gar Lionardos dem Publikum aufdränge, welche, bei Lichte betrachtet,
doch nur als Erzeugnisse schwacher Nachahmer der großen Künstler sich heraus¬
stellen," so wird sich kaum verkennen lassen, daß diese allgemeinen Bemerkungen
n» besondern ans den Berliner Kunstgelehrten abzielen, der bei der Auffindung
von Werken des Verroechio von besondern! Glücke begünstigt ist und eine aus
den Magazinen des Berliner Museums hervorgezogene „Himmelfahrt Christi"
mit ebensoviel Gelehrsamkeit nud Scharfsinn als Erfolglosigkeit als eine eigen¬
händige Arbeit des Lionardo da Vinci verteidigt hat.

Wie man sich aber mich zu der Berechtigung dieser Art von Polemik stellen
wäg, soviel ist sicher, daß sie um Ende einen Grad von Bitterkeit hervorruft,
der der Sache selbst nicht förderlich ist. Mau wirft sich gegenseitig Dilettan¬
tismus vor, und das letzte Ergebnis dieses Streites ist, daß die Grundlagen
der Bilderkenntnis wieder völlig erschüttert sind, und die Unsicherheit in der
^astigen Benennung hervorragender Denkmäler der Malerei ärger ist als je
zuvor. Und gerade um deu Meister, dessen künstlerischer Nachlaß am klarsten
Und übersichtlichsten geordnet erschien, um Naffael, tobt der Streit gegenwärtig
">u heftigsten, und nicht etwa blos um die frühestem Werke Raffaels, dessen
^Ugendentwicklnng allerdings noch in verschiedenen Punkten einer Aufhellung
bedarf, sondern anch um Schöpfungen seiner Reife. Die sogenannte Fornarina
w der Tribuna der Uffizien zu Florenz z. B. gilt Morelli und der Mehrzahl
Forscher jetzt als ein vortreffliches Werk des Sebastiane» del Pivinbv,
Mährend Bode es neuerdings (in der Li^steh ävs böMx-g.re.K) wieder für Naffael
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/445>, abgerufen am 23.07.2024.