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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Neue Briefe von Goethes Mutter

Nur über eins kommt sie nicht hinweg: daß die Werke zum Teil mit la¬
teinischer Schrift gedruckt worden waren, "die hat die Großmutter zum Adrach-
melech gewünscht, Er lasse ja nichts mehr so in die Welt ausgehn -- halte
fest um teuschen Sinn -- teuschen Buchstaben den wenn das Ding so fort¬
geht; so wird in 50 Jahren kein Deusch mehr weder geredet noch geschrieben
-- und dn und Schiller Ihr seid hernach Classische Schriftsteller -- wie
Horatz Lisius -- Ovid und wie sie alle heißen, denn wo keine Sprache mehr
ist, da ist auch kein Volat -- was werden alsdann die Profesoren Euch zer¬
gliedern -- auslegen -- und der Jugend einplenen -- darum so lang es geht --
denses, denses geredet -- geschrieben und gedruckt." Bei andrer Gelegenheit
schreibt sie: "Die Lateinischen Lettern sind wie ein Lustgarten der Aristokraten
gehört -- unsere deusche Buchstaben sind wie der Prater in Wien wo der
Kahser Joseph drüber schrieben ließe Vor alle Menschen. Sollen denn nur
Leute von Stand aufgeklärt werden?"

Bei all ihrem Mutterglück und bei all ihrem Stolz auf den Sohn war
aber Frau Aja doch weit entfernt, sich dazu verleiten zu lassen, etwa keinen
andern Dichter neben ihm anzuerkennen. Nächst dem Sohne ist ihr Schiller
der erste Dichter, dessen Größe sie in vielen Briefen mit beredten Worten preist.
Daß in den vorliegende" Briefen im Gegensatz zu den früher veröffentlichten
Herder und Wieland zurücktreten, bedarf wohl keiner Erklärung, "Herder und
Wieland (nebst Goethe) sind Nahmen, die Teuschland immer mit Erfnrcht
nennen wird," aber ihr Glanz erlischt vor dem neu aufgehenden Stern, einem
Dichter so recht nach Frau Ajas Geschmack. Über die Aufführungen der Schiller-
schen Dramen wird eifrig durch den Sohn an Schiller berichtet. Mit
Freude und Stolz meldet sie, in ihrer Vergesellschaft den Marquis Posa, den
Grafen Terckki den Sein und den Westhauser (?) im Wallenstein gelesen zu haben.
,,Den Neujahrs Tag -- schreibt sie am 30.November 1804 --wird Teil von Schiller
bey uus aufgeführt. Da deuckt Abens um 6 Uhr an mich -- die Leute um
und neben mir sollen sich nicht unterstehen die Raßen zu putzen -- das mögen
sie zu Hauße thun." Wie hoch sie Schiller schätzte, geht aus der Freude
über die Freundschaft ihres Sohnes mit ihm hervor. Schon öfter sind die
schönen Worte vom 9. April 1804 angeführt worden: ,,Grüße Schiller! Und
sage Ihm, daß ich Ihn von Hertzen Hochschätze und Liebe -- mich daß Seine
Schrieften mir ein wahres Labsahl sind und bleiben -- Auch macht Schiller
und dn mir eine unaussprechliche Freude das Ihr auf allen den Schriek --
Schnack -- von Nezenziren -- gewäsche -- Frau Vaaßen getmsche nicht ein
Wort antwortet. Fahrt in diesem guten Verhalten immer fort -- Eure Wercke
bleiben vor die Ewigkeit."

Daß aber mit Goethe und Schiller, Herder und Wieland nicht die Zahl
der von Frau Rat eifrig gelesenen Dichter erschöpft war, beweisen die regel¬
mäßig wiederkehrenden Berichte über ihre Lektüre und die stete Bitte an den


Neue Briefe von Goethes Mutter

Nur über eins kommt sie nicht hinweg: daß die Werke zum Teil mit la¬
teinischer Schrift gedruckt worden waren, „die hat die Großmutter zum Adrach-
melech gewünscht, Er lasse ja nichts mehr so in die Welt ausgehn — halte
fest um teuschen Sinn — teuschen Buchstaben den wenn das Ding so fort¬
geht; so wird in 50 Jahren kein Deusch mehr weder geredet noch geschrieben
— und dn und Schiller Ihr seid hernach Classische Schriftsteller — wie
Horatz Lisius — Ovid und wie sie alle heißen, denn wo keine Sprache mehr
ist, da ist auch kein Volat — was werden alsdann die Profesoren Euch zer¬
gliedern — auslegen — und der Jugend einplenen — darum so lang es geht —
denses, denses geredet — geschrieben und gedruckt." Bei andrer Gelegenheit
schreibt sie: „Die Lateinischen Lettern sind wie ein Lustgarten der Aristokraten
gehört — unsere deusche Buchstaben sind wie der Prater in Wien wo der
Kahser Joseph drüber schrieben ließe Vor alle Menschen. Sollen denn nur
Leute von Stand aufgeklärt werden?"

Bei all ihrem Mutterglück und bei all ihrem Stolz auf den Sohn war
aber Frau Aja doch weit entfernt, sich dazu verleiten zu lassen, etwa keinen
andern Dichter neben ihm anzuerkennen. Nächst dem Sohne ist ihr Schiller
der erste Dichter, dessen Größe sie in vielen Briefen mit beredten Worten preist.
Daß in den vorliegende« Briefen im Gegensatz zu den früher veröffentlichten
Herder und Wieland zurücktreten, bedarf wohl keiner Erklärung, „Herder und
Wieland (nebst Goethe) sind Nahmen, die Teuschland immer mit Erfnrcht
nennen wird," aber ihr Glanz erlischt vor dem neu aufgehenden Stern, einem
Dichter so recht nach Frau Ajas Geschmack. Über die Aufführungen der Schiller-
schen Dramen wird eifrig durch den Sohn an Schiller berichtet. Mit
Freude und Stolz meldet sie, in ihrer Vergesellschaft den Marquis Posa, den
Grafen Terckki den Sein und den Westhauser (?) im Wallenstein gelesen zu haben.
,,Den Neujahrs Tag — schreibt sie am 30.November 1804 —wird Teil von Schiller
bey uus aufgeführt. Da deuckt Abens um 6 Uhr an mich — die Leute um
und neben mir sollen sich nicht unterstehen die Raßen zu putzen — das mögen
sie zu Hauße thun." Wie hoch sie Schiller schätzte, geht aus der Freude
über die Freundschaft ihres Sohnes mit ihm hervor. Schon öfter sind die
schönen Worte vom 9. April 1804 angeführt worden: ,,Grüße Schiller! Und
sage Ihm, daß ich Ihn von Hertzen Hochschätze und Liebe — mich daß Seine
Schrieften mir ein wahres Labsahl sind und bleiben — Auch macht Schiller
und dn mir eine unaussprechliche Freude das Ihr auf allen den Schriek —
Schnack — von Nezenziren — gewäsche — Frau Vaaßen getmsche nicht ein
Wort antwortet. Fahrt in diesem guten Verhalten immer fort — Eure Wercke
bleiben vor die Ewigkeit."

Daß aber mit Goethe und Schiller, Herder und Wieland nicht die Zahl
der von Frau Rat eifrig gelesenen Dichter erschöpft war, beweisen die regel¬
mäßig wiederkehrenden Berichte über ihre Lektüre und die stete Bitte an den


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[0044] Neue Briefe von Goethes Mutter Nur über eins kommt sie nicht hinweg: daß die Werke zum Teil mit la¬ teinischer Schrift gedruckt worden waren, „die hat die Großmutter zum Adrach- melech gewünscht, Er lasse ja nichts mehr so in die Welt ausgehn — halte fest um teuschen Sinn — teuschen Buchstaben den wenn das Ding so fort¬ geht; so wird in 50 Jahren kein Deusch mehr weder geredet noch geschrieben — und dn und Schiller Ihr seid hernach Classische Schriftsteller — wie Horatz Lisius — Ovid und wie sie alle heißen, denn wo keine Sprache mehr ist, da ist auch kein Volat — was werden alsdann die Profesoren Euch zer¬ gliedern — auslegen — und der Jugend einplenen — darum so lang es geht — denses, denses geredet — geschrieben und gedruckt." Bei andrer Gelegenheit schreibt sie: „Die Lateinischen Lettern sind wie ein Lustgarten der Aristokraten gehört — unsere deusche Buchstaben sind wie der Prater in Wien wo der Kahser Joseph drüber schrieben ließe Vor alle Menschen. Sollen denn nur Leute von Stand aufgeklärt werden?" Bei all ihrem Mutterglück und bei all ihrem Stolz auf den Sohn war aber Frau Aja doch weit entfernt, sich dazu verleiten zu lassen, etwa keinen andern Dichter neben ihm anzuerkennen. Nächst dem Sohne ist ihr Schiller der erste Dichter, dessen Größe sie in vielen Briefen mit beredten Worten preist. Daß in den vorliegende« Briefen im Gegensatz zu den früher veröffentlichten Herder und Wieland zurücktreten, bedarf wohl keiner Erklärung, „Herder und Wieland (nebst Goethe) sind Nahmen, die Teuschland immer mit Erfnrcht nennen wird," aber ihr Glanz erlischt vor dem neu aufgehenden Stern, einem Dichter so recht nach Frau Ajas Geschmack. Über die Aufführungen der Schiller- schen Dramen wird eifrig durch den Sohn an Schiller berichtet. Mit Freude und Stolz meldet sie, in ihrer Vergesellschaft den Marquis Posa, den Grafen Terckki den Sein und den Westhauser (?) im Wallenstein gelesen zu haben. ,,Den Neujahrs Tag — schreibt sie am 30.November 1804 —wird Teil von Schiller bey uus aufgeführt. Da deuckt Abens um 6 Uhr an mich — die Leute um und neben mir sollen sich nicht unterstehen die Raßen zu putzen — das mögen sie zu Hauße thun." Wie hoch sie Schiller schätzte, geht aus der Freude über die Freundschaft ihres Sohnes mit ihm hervor. Schon öfter sind die schönen Worte vom 9. April 1804 angeführt worden: ,,Grüße Schiller! Und sage Ihm, daß ich Ihn von Hertzen Hochschätze und Liebe — mich daß Seine Schrieften mir ein wahres Labsahl sind und bleiben — Auch macht Schiller und dn mir eine unaussprechliche Freude das Ihr auf allen den Schriek — Schnack — von Nezenziren — gewäsche — Frau Vaaßen getmsche nicht ein Wort antwortet. Fahrt in diesem guten Verhalten immer fort — Eure Wercke bleiben vor die Ewigkeit." Daß aber mit Goethe und Schiller, Herder und Wieland nicht die Zahl der von Frau Rat eifrig gelesenen Dichter erschöpft war, beweisen die regel¬ mäßig wiederkehrenden Berichte über ihre Lektüre und die stete Bitte an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/44>, abgerufen am 23.07.2024.