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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Denkwürdigkeiten des Herzogs von Koburg

bestimmt vorauszusagen, sondern vielmehr etwas höchst Zweifelhaftes. "Die
Herren vou der sogenannten ^ Regierung in Kiel formulirten thatsächlich ihre
Überzeugung dahin, daß die Abstimmung, wenn sie eine freiwillige Ware, ent¬
schieden ungünstig ausfallen wurde; nur wenn der Herzog die Sache befehle,
würden seine getreuen Schleswig-Hvisteiner entsprechende Voden liefern." In
der Umgebung des Erbprinzen selbst hörte Tempeltey die Äußerung: "So sind
die Schleswig-Hvlsteiner einmal: von selber thun sie nichts, aber wenn es der
Herzog gebietet, werden sie es gleich thun." In einem der Kieler Regierung er¬
stattete!, Bericht über die öffentliche Meinung in Schleswig hieß es: "Es
herrscht hier nicht mehr die bleierne Apathie von früher, doch sind Ängstlich¬
keit, Lauheit und Zurückhaltung geblieben. Nirgends el" begeistertes Auf¬
flammen der Volkskraft." Zu dem immer seltner und schwächer werdenden
Hervortreten der Anhänglichkeit an das Augustenburger Haus kam die in vielen
Teilen beider Herzogtümer herrschende Abneigung der bäuerlichen Bevölkerung
gegen alles, was Adel heißt. "Schon 184!) -- schreibt Herzog Ernst -- habe
ich selbst die Bemerkung gemacht, daß die ständischen Gegensätze einen absolut
verderblichen Einfluß auf alle politischem und nationalen Ideen in diesem Laude
ausübten, jetzt schien dies noch erheblich gewachsen zu sein. Während das
demokratische und teilweise radikale Bürgertum in den Städten nichts vom
Adel wissen wollte, zeigte sich hinwieder der Adel mindestens sehr gleichgültig
gegen den Herzog und recht feindselig gegen dessen Räte. Selbst mit einer
gewissen Dänenfreundlichkeit war es durchaus nicht in allen Bezirken so gänzlich
vorbei, wie mau gern angenommen Hütte." Ein für den Herzog Friedrich
Persönlich bestimmter Bericht sagte: "Im sogenannten eidlichen Güterdistrikt
in Dänisch-Wohld und Schwcmsen ist wenig reges Leben, wenig thatkräftiges
Eintreten für die Sache zu finden, bloß ein allgemeiner guter Wille. Einen
vorteilhaften Eindruck macht Angeln, hier herrscht vor allem Klarheit und
Entschiedenheit der Gesinnung, aber auch Mangel an Selbstvertrauen und
Thatkraft, und die langjährige Gewohnheit passiven Widerstandes. Wenig
erfreulich ist die Mitte des Landes, der unfruchtbare Heiderücken, überall
Polnischer Indifferentismus. Befremdend ist dieselbe Eigenschaft in der frucht¬
baren und reichen Landschaft Stapelholm." Dieser Bericht gelangte zufällig
um demselben Tage in die Hände des Herzogs Ernst, wo er von Reuse eine
freudige Depesche mit der Nachricht erhielt, Frankreich werde auf der Konferenz
in London für die Volksabstimmung eintreten. Es war ein ironischer Zufall;
"während ich -- bemerkt der Herzog -- den vollständigen Erfolg meiner Reise
"ach Paris konstatiren konnte, schien es, als ob die deutschen Verhältnisse selbst
jede günstige Lösung ausschlossen."

Vor allen Dingen mußte jetzt eine Grundlage zur Verständigung zwischen
König Wilhelm und Herzog Friedrich gesucht und gefunden werden, und "ohne
Zweifel hätte dies durch ein allgemeines Zusammenwirken der Fürsten, die


Denkwürdigkeiten des Herzogs von Koburg

bestimmt vorauszusagen, sondern vielmehr etwas höchst Zweifelhaftes. „Die
Herren vou der sogenannten ^ Regierung in Kiel formulirten thatsächlich ihre
Überzeugung dahin, daß die Abstimmung, wenn sie eine freiwillige Ware, ent¬
schieden ungünstig ausfallen wurde; nur wenn der Herzog die Sache befehle,
würden seine getreuen Schleswig-Hvisteiner entsprechende Voden liefern." In
der Umgebung des Erbprinzen selbst hörte Tempeltey die Äußerung: „So sind
die Schleswig-Hvlsteiner einmal: von selber thun sie nichts, aber wenn es der
Herzog gebietet, werden sie es gleich thun." In einem der Kieler Regierung er¬
stattete!, Bericht über die öffentliche Meinung in Schleswig hieß es: „Es
herrscht hier nicht mehr die bleierne Apathie von früher, doch sind Ängstlich¬
keit, Lauheit und Zurückhaltung geblieben. Nirgends el» begeistertes Auf¬
flammen der Volkskraft." Zu dem immer seltner und schwächer werdenden
Hervortreten der Anhänglichkeit an das Augustenburger Haus kam die in vielen
Teilen beider Herzogtümer herrschende Abneigung der bäuerlichen Bevölkerung
gegen alles, was Adel heißt. „Schon 184!) — schreibt Herzog Ernst — habe
ich selbst die Bemerkung gemacht, daß die ständischen Gegensätze einen absolut
verderblichen Einfluß auf alle politischem und nationalen Ideen in diesem Laude
ausübten, jetzt schien dies noch erheblich gewachsen zu sein. Während das
demokratische und teilweise radikale Bürgertum in den Städten nichts vom
Adel wissen wollte, zeigte sich hinwieder der Adel mindestens sehr gleichgültig
gegen den Herzog und recht feindselig gegen dessen Räte. Selbst mit einer
gewissen Dänenfreundlichkeit war es durchaus nicht in allen Bezirken so gänzlich
vorbei, wie mau gern angenommen Hütte." Ein für den Herzog Friedrich
Persönlich bestimmter Bericht sagte: „Im sogenannten eidlichen Güterdistrikt
in Dänisch-Wohld und Schwcmsen ist wenig reges Leben, wenig thatkräftiges
Eintreten für die Sache zu finden, bloß ein allgemeiner guter Wille. Einen
vorteilhaften Eindruck macht Angeln, hier herrscht vor allem Klarheit und
Entschiedenheit der Gesinnung, aber auch Mangel an Selbstvertrauen und
Thatkraft, und die langjährige Gewohnheit passiven Widerstandes. Wenig
erfreulich ist die Mitte des Landes, der unfruchtbare Heiderücken, überall
Polnischer Indifferentismus. Befremdend ist dieselbe Eigenschaft in der frucht¬
baren und reichen Landschaft Stapelholm." Dieser Bericht gelangte zufällig
um demselben Tage in die Hände des Herzogs Ernst, wo er von Reuse eine
freudige Depesche mit der Nachricht erhielt, Frankreich werde auf der Konferenz
in London für die Volksabstimmung eintreten. Es war ein ironischer Zufall;
„während ich — bemerkt der Herzog — den vollständigen Erfolg meiner Reise
»ach Paris konstatiren konnte, schien es, als ob die deutschen Verhältnisse selbst
jede günstige Lösung ausschlossen."

Vor allen Dingen mußte jetzt eine Grundlage zur Verständigung zwischen
König Wilhelm und Herzog Friedrich gesucht und gefunden werden, und „ohne
Zweifel hätte dies durch ein allgemeines Zusammenwirken der Fürsten, die


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[0419] Denkwürdigkeiten des Herzogs von Koburg bestimmt vorauszusagen, sondern vielmehr etwas höchst Zweifelhaftes. „Die Herren vou der sogenannten ^ Regierung in Kiel formulirten thatsächlich ihre Überzeugung dahin, daß die Abstimmung, wenn sie eine freiwillige Ware, ent¬ schieden ungünstig ausfallen wurde; nur wenn der Herzog die Sache befehle, würden seine getreuen Schleswig-Hvisteiner entsprechende Voden liefern." In der Umgebung des Erbprinzen selbst hörte Tempeltey die Äußerung: „So sind die Schleswig-Hvlsteiner einmal: von selber thun sie nichts, aber wenn es der Herzog gebietet, werden sie es gleich thun." In einem der Kieler Regierung er¬ stattete!, Bericht über die öffentliche Meinung in Schleswig hieß es: „Es herrscht hier nicht mehr die bleierne Apathie von früher, doch sind Ängstlich¬ keit, Lauheit und Zurückhaltung geblieben. Nirgends el» begeistertes Auf¬ flammen der Volkskraft." Zu dem immer seltner und schwächer werdenden Hervortreten der Anhänglichkeit an das Augustenburger Haus kam die in vielen Teilen beider Herzogtümer herrschende Abneigung der bäuerlichen Bevölkerung gegen alles, was Adel heißt. „Schon 184!) — schreibt Herzog Ernst — habe ich selbst die Bemerkung gemacht, daß die ständischen Gegensätze einen absolut verderblichen Einfluß auf alle politischem und nationalen Ideen in diesem Laude ausübten, jetzt schien dies noch erheblich gewachsen zu sein. Während das demokratische und teilweise radikale Bürgertum in den Städten nichts vom Adel wissen wollte, zeigte sich hinwieder der Adel mindestens sehr gleichgültig gegen den Herzog und recht feindselig gegen dessen Räte. Selbst mit einer gewissen Dänenfreundlichkeit war es durchaus nicht in allen Bezirken so gänzlich vorbei, wie mau gern angenommen Hütte." Ein für den Herzog Friedrich Persönlich bestimmter Bericht sagte: „Im sogenannten eidlichen Güterdistrikt in Dänisch-Wohld und Schwcmsen ist wenig reges Leben, wenig thatkräftiges Eintreten für die Sache zu finden, bloß ein allgemeiner guter Wille. Einen vorteilhaften Eindruck macht Angeln, hier herrscht vor allem Klarheit und Entschiedenheit der Gesinnung, aber auch Mangel an Selbstvertrauen und Thatkraft, und die langjährige Gewohnheit passiven Widerstandes. Wenig erfreulich ist die Mitte des Landes, der unfruchtbare Heiderücken, überall Polnischer Indifferentismus. Befremdend ist dieselbe Eigenschaft in der frucht¬ baren und reichen Landschaft Stapelholm." Dieser Bericht gelangte zufällig um demselben Tage in die Hände des Herzogs Ernst, wo er von Reuse eine freudige Depesche mit der Nachricht erhielt, Frankreich werde auf der Konferenz in London für die Volksabstimmung eintreten. Es war ein ironischer Zufall; „während ich — bemerkt der Herzog — den vollständigen Erfolg meiner Reise »ach Paris konstatiren konnte, schien es, als ob die deutschen Verhältnisse selbst jede günstige Lösung ausschlossen." Vor allen Dingen mußte jetzt eine Grundlage zur Verständigung zwischen König Wilhelm und Herzog Friedrich gesucht und gefunden werden, und „ohne Zweifel hätte dies durch ein allgemeines Zusammenwirken der Fürsten, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/419>, abgerufen am 23.07.2024.