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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Lehrerinnenseminare

Eine Änderung ist hier nur zu schaffen, wem? sich die Regierung entschließt,
die Seminare von Grund aus umzugestalten. Bor allen Dingen müssen sie
ans der nachteiligen Verbindung mit den höher" Mädchenschulen gelöst und
als selbständige Lehranstalten eingerichtet werden. Es füllt keiner Negierung
ein, die Seminare für Volksschullehrer als Aufbau irgend einer Stadtschule
aufzusetzen, bei den Lehrerinnenseminaren aber nimmt man an einer ähnlichen
Vereinigung keinen Anstoß.

Auf einer Direktorenversammlnng im vorigen Jahre sind bereits die be¬
deutenden Mängel und Übelstände an den Lehrerinncnseminaren behandelt und
eine Reihe bemerkenswerte Vorschläge gemacht worden. Es wurde insbesondre
hervorgehoben, daß auf Grund der bestehenden Prüfungsordnung eine päda¬
gogische und methodische Durchbildung der Seminaristinnen nicht möglich sei,
daß man im einzelnen verhindert sei, den Zöglingen eine ihrer besondern Be¬
fähigung und Neigung entsprechende, über die Ziele der höhern Mädchenschule
hinausgehende, erweiterte und vertiefte Fachbildung zu vermitteln. Vor allen
Dingen ist die Einrichtung zu verwerfen, durch die einem jungen Mädchen auf
Grund einer einzigen Prüfung die Lehrbefähigung in sechzehn (!) oder, wenn
wir die Unterwissenschasten zusammenwerfen, in dreizehn Fächern von der
Staatsbehörde verliehen und amtlich bescheinigt wird; aus einem Mädchen¬
kopf laßt sich nun einmal kein pädagogischer Universalschraubeuschlüssel machen,
darüber werden wohl alle klar denkenden Männer einig sein. Wie im höhern
Lehrfach, müssen anch hier die Wissenschaften in Gruppen von einander getrennt
werden. Mag sich das Mädchen ihrer natürlichen Anlage gemäß die Sprachen
oder die Naturwissenschaften und Rechnen oder Geschichte und Geographie zum
gründlichen Studium auswählen, aber man verlange ausgedehnte Fachkenntnisse
nicht in sämtlichen sechzehn Disziplinen, sonst wird die ganze Ausbildung und
Prüfung zu einer Schaumschlägerei. Die preußische Regierung hat eine besondre
Prüfung für Sprachlehrerinnen mit erhöhten Fordrungen schon eingeführt; man
gehe noch einen Schritt weiter und scheide auch die übrigen Wissenschaften in
besondre Gruppen, und biete den Zöglingen Gelegenheit, sich in ihren Spezial-
fächern wirklich gründliche Kenntnisse anzueignen, die ihren spätern Unterricht
an Mädchenschulen erst fruchtbar machen können. In Frankreich -- man
glaube nur nicht, daß wir von Frankreich nichts mehr lernen könnten -- sind
die Scminaristinnen, die eine Lehrbefähigung für höhere Mädchenschulen erwerben
"vollen, in zwei Gruppen geschieden, je nachdem sie sich den lottrss, d. h. den
litterarisch-historischen Fächern, oder den soivneos, d. h. den naturtvissenschastlichen
Lehrzweigen widmen. Zur Aufnahmeprüfung in das Staatsseminar zu Sevres
werden, wie Wychgram in seinein Buche: "Das weibliche Unterrichtswesen in
Frankreich" mitteilt, nur Mädchen zugelassen, die entweder das Abgangs¬
zeugnis eines Mädchenlhccnms oder ein Baccalanreatszeugnis ausweisen können
oder die Prüfung als Bvllsschullehrerin auf einer Levle normale primoiro


Unsre Lehrerinnenseminare

Eine Änderung ist hier nur zu schaffen, wem? sich die Regierung entschließt,
die Seminare von Grund aus umzugestalten. Bor allen Dingen müssen sie
ans der nachteiligen Verbindung mit den höher» Mädchenschulen gelöst und
als selbständige Lehranstalten eingerichtet werden. Es füllt keiner Negierung
ein, die Seminare für Volksschullehrer als Aufbau irgend einer Stadtschule
aufzusetzen, bei den Lehrerinnenseminaren aber nimmt man an einer ähnlichen
Vereinigung keinen Anstoß.

Auf einer Direktorenversammlnng im vorigen Jahre sind bereits die be¬
deutenden Mängel und Übelstände an den Lehrerinncnseminaren behandelt und
eine Reihe bemerkenswerte Vorschläge gemacht worden. Es wurde insbesondre
hervorgehoben, daß auf Grund der bestehenden Prüfungsordnung eine päda¬
gogische und methodische Durchbildung der Seminaristinnen nicht möglich sei,
daß man im einzelnen verhindert sei, den Zöglingen eine ihrer besondern Be¬
fähigung und Neigung entsprechende, über die Ziele der höhern Mädchenschule
hinausgehende, erweiterte und vertiefte Fachbildung zu vermitteln. Vor allen
Dingen ist die Einrichtung zu verwerfen, durch die einem jungen Mädchen auf
Grund einer einzigen Prüfung die Lehrbefähigung in sechzehn (!) oder, wenn
wir die Unterwissenschasten zusammenwerfen, in dreizehn Fächern von der
Staatsbehörde verliehen und amtlich bescheinigt wird; aus einem Mädchen¬
kopf laßt sich nun einmal kein pädagogischer Universalschraubeuschlüssel machen,
darüber werden wohl alle klar denkenden Männer einig sein. Wie im höhern
Lehrfach, müssen anch hier die Wissenschaften in Gruppen von einander getrennt
werden. Mag sich das Mädchen ihrer natürlichen Anlage gemäß die Sprachen
oder die Naturwissenschaften und Rechnen oder Geschichte und Geographie zum
gründlichen Studium auswählen, aber man verlange ausgedehnte Fachkenntnisse
nicht in sämtlichen sechzehn Disziplinen, sonst wird die ganze Ausbildung und
Prüfung zu einer Schaumschlägerei. Die preußische Regierung hat eine besondre
Prüfung für Sprachlehrerinnen mit erhöhten Fordrungen schon eingeführt; man
gehe noch einen Schritt weiter und scheide auch die übrigen Wissenschaften in
besondre Gruppen, und biete den Zöglingen Gelegenheit, sich in ihren Spezial-
fächern wirklich gründliche Kenntnisse anzueignen, die ihren spätern Unterricht
an Mädchenschulen erst fruchtbar machen können. In Frankreich — man
glaube nur nicht, daß wir von Frankreich nichts mehr lernen könnten — sind
die Scminaristinnen, die eine Lehrbefähigung für höhere Mädchenschulen erwerben
»vollen, in zwei Gruppen geschieden, je nachdem sie sich den lottrss, d. h. den
litterarisch-historischen Fächern, oder den soivneos, d. h. den naturtvissenschastlichen
Lehrzweigen widmen. Zur Aufnahmeprüfung in das Staatsseminar zu Sevres
werden, wie Wychgram in seinein Buche: „Das weibliche Unterrichtswesen in
Frankreich" mitteilt, nur Mädchen zugelassen, die entweder das Abgangs¬
zeugnis eines Mädchenlhccnms oder ein Baccalanreatszeugnis ausweisen können
oder die Prüfung als Bvllsschullehrerin auf einer Levle normale primoiro


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[0411] Unsre Lehrerinnenseminare Eine Änderung ist hier nur zu schaffen, wem? sich die Regierung entschließt, die Seminare von Grund aus umzugestalten. Bor allen Dingen müssen sie ans der nachteiligen Verbindung mit den höher» Mädchenschulen gelöst und als selbständige Lehranstalten eingerichtet werden. Es füllt keiner Negierung ein, die Seminare für Volksschullehrer als Aufbau irgend einer Stadtschule aufzusetzen, bei den Lehrerinnenseminaren aber nimmt man an einer ähnlichen Vereinigung keinen Anstoß. Auf einer Direktorenversammlnng im vorigen Jahre sind bereits die be¬ deutenden Mängel und Übelstände an den Lehrerinncnseminaren behandelt und eine Reihe bemerkenswerte Vorschläge gemacht worden. Es wurde insbesondre hervorgehoben, daß auf Grund der bestehenden Prüfungsordnung eine päda¬ gogische und methodische Durchbildung der Seminaristinnen nicht möglich sei, daß man im einzelnen verhindert sei, den Zöglingen eine ihrer besondern Be¬ fähigung und Neigung entsprechende, über die Ziele der höhern Mädchenschule hinausgehende, erweiterte und vertiefte Fachbildung zu vermitteln. Vor allen Dingen ist die Einrichtung zu verwerfen, durch die einem jungen Mädchen auf Grund einer einzigen Prüfung die Lehrbefähigung in sechzehn (!) oder, wenn wir die Unterwissenschasten zusammenwerfen, in dreizehn Fächern von der Staatsbehörde verliehen und amtlich bescheinigt wird; aus einem Mädchen¬ kopf laßt sich nun einmal kein pädagogischer Universalschraubeuschlüssel machen, darüber werden wohl alle klar denkenden Männer einig sein. Wie im höhern Lehrfach, müssen anch hier die Wissenschaften in Gruppen von einander getrennt werden. Mag sich das Mädchen ihrer natürlichen Anlage gemäß die Sprachen oder die Naturwissenschaften und Rechnen oder Geschichte und Geographie zum gründlichen Studium auswählen, aber man verlange ausgedehnte Fachkenntnisse nicht in sämtlichen sechzehn Disziplinen, sonst wird die ganze Ausbildung und Prüfung zu einer Schaumschlägerei. Die preußische Regierung hat eine besondre Prüfung für Sprachlehrerinnen mit erhöhten Fordrungen schon eingeführt; man gehe noch einen Schritt weiter und scheide auch die übrigen Wissenschaften in besondre Gruppen, und biete den Zöglingen Gelegenheit, sich in ihren Spezial- fächern wirklich gründliche Kenntnisse anzueignen, die ihren spätern Unterricht an Mädchenschulen erst fruchtbar machen können. In Frankreich — man glaube nur nicht, daß wir von Frankreich nichts mehr lernen könnten — sind die Scminaristinnen, die eine Lehrbefähigung für höhere Mädchenschulen erwerben »vollen, in zwei Gruppen geschieden, je nachdem sie sich den lottrss, d. h. den litterarisch-historischen Fächern, oder den soivneos, d. h. den naturtvissenschastlichen Lehrzweigen widmen. Zur Aufnahmeprüfung in das Staatsseminar zu Sevres werden, wie Wychgram in seinein Buche: „Das weibliche Unterrichtswesen in Frankreich" mitteilt, nur Mädchen zugelassen, die entweder das Abgangs¬ zeugnis eines Mädchenlhccnms oder ein Baccalanreatszeugnis ausweisen können oder die Prüfung als Bvllsschullehrerin auf einer Levle normale primoiro

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/411>, abgerufen am 03.07.2024.