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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zum böhmischen Ausgleich

Einrichtungen vergangner Zeiten wieder zu Ehren, Das Vetorecht der Kurier
hat bekanntlich in den alten ständischen Verfassungen eine große Rolle gespielt,
und wo dieses, wie auf den Generalständen in Frankreich, bestand, war eine
Vergewaltigung der bürgerlichen Abgeordneten durch Klerus und Adel nicht
möglich. Was damals einem sozialen Stande Schutz gewährte, kann es auch
heute noch einer nationalen Minderheit inmitten eines vorwiegend slawischen
Landes.

Die öffentliche Meinung in Osterreich hat den Ausgleich im allgemeinen
mit großer Befriedigung aufgenommen. Unzufriedne giebt es natürlich auch
diesmal. Da sind einmal die Juugtschecheu. Es ist ja unstreitig, daß ihre
Wahlerfvlge vom letzten Sommer, die Haltung ihrer Abgeordneten im Landtage
während der Krvuungsdebatte, ihre bei jeder Gelegenheit an den Tag tretende
Abneigung gegen die äußere Politik der Krone, endlich auch der Anstoß, den
ihre ungestüme Hußbegeisteruug den Katholiken aller Nationalitäten in Öster¬
reich gab, sehr viel dazu beigetragen hat, daß die Regierung sich endlich dazu
bequemte, das Ausgleichswerk in Allgriff zu nehmen. Aber die jnngtschechische
Unzufriedenheit wird dieses Werk einstweilen nicht stören können, denn Alt-
tschechen, Deutsche und Großgrundbesitz stellen, wie gesagt, im Landtage immer
noch eine überwältigende Mehrheit dar. Bei den nächsten Wahlen wird dann zu
Tage treten, ob die tschechische Bevölkerung Böhmens wirklich friedliebend ist
oder nicht. Sehr leicht möglich, daß viele, die im letzten Sommer jungtschechisch
wählten, nun der veränderten Lage Rechnung tragen und alttschechisch wählen
werden. Denn der Ausgleich ist doch auch von wirtschaftlicher Bedeutung.
Schon bei der bevorstehenden Landesnusstellnng, die nun ohne Zweifel auch
von den Deutschen beschickt werden wird, muß sich dies zeigen. In den ge¬
mischten Bezirken hat doch auch Handel und Wandel, ja das gesellige Leben
von demi nationalen Hader sehr gelitten. Wer -- wie der Verfasser dieser
Zeilen -- einige Jahre in Prag gelebt hat, wird dies bezeugen: es war alles
getrennt, die Geschäftswelt, die Wissenschaft, das Theater, Konzerte, Bulle --
wo Deutsche waren, erschienen die Tschechen nicht, wo Tschechen waren, hielten
sich die Deutschen fern, es war beinahe wie im alten Rom vor den Gesetzen
des Caiiulejus: zwei Bevölkerungskreise ohne voonrnzroiuln und vvvudiuin,
und doch in täglicher unvermeidlicher Berührung mit einander. Das wird
"un doch anders werden.

Neben den Jungtschechen sind es auch die extremen Dentschnativnnlen,
die allerlei zu tadeln und zu schelten haben. Sie verdächtigen wohl auch die
Männer, die von deutscher Seite an deu Konferenzen beteiligt waren: sie
wollten Minister werde", flüstern sie, Stellen, Gnaden, Auszeichnungen erHaschen.
Aber was liegt daran! Wie wenig gute Dinge sind auf der Welt durch Un-
eigennützigkeit zu Staude gekvmme"! Wenn nur das Gute überhaupt geschieht.
Uns Österreicher kann es wenig kümmern, ob Herr von Pierer sich am Aus-


Randglossen zum böhmischen Ausgleich

Einrichtungen vergangner Zeiten wieder zu Ehren, Das Vetorecht der Kurier
hat bekanntlich in den alten ständischen Verfassungen eine große Rolle gespielt,
und wo dieses, wie auf den Generalständen in Frankreich, bestand, war eine
Vergewaltigung der bürgerlichen Abgeordneten durch Klerus und Adel nicht
möglich. Was damals einem sozialen Stande Schutz gewährte, kann es auch
heute noch einer nationalen Minderheit inmitten eines vorwiegend slawischen
Landes.

Die öffentliche Meinung in Osterreich hat den Ausgleich im allgemeinen
mit großer Befriedigung aufgenommen. Unzufriedne giebt es natürlich auch
diesmal. Da sind einmal die Juugtschecheu. Es ist ja unstreitig, daß ihre
Wahlerfvlge vom letzten Sommer, die Haltung ihrer Abgeordneten im Landtage
während der Krvuungsdebatte, ihre bei jeder Gelegenheit an den Tag tretende
Abneigung gegen die äußere Politik der Krone, endlich auch der Anstoß, den
ihre ungestüme Hußbegeisteruug den Katholiken aller Nationalitäten in Öster¬
reich gab, sehr viel dazu beigetragen hat, daß die Regierung sich endlich dazu
bequemte, das Ausgleichswerk in Allgriff zu nehmen. Aber die jnngtschechische
Unzufriedenheit wird dieses Werk einstweilen nicht stören können, denn Alt-
tschechen, Deutsche und Großgrundbesitz stellen, wie gesagt, im Landtage immer
noch eine überwältigende Mehrheit dar. Bei den nächsten Wahlen wird dann zu
Tage treten, ob die tschechische Bevölkerung Böhmens wirklich friedliebend ist
oder nicht. Sehr leicht möglich, daß viele, die im letzten Sommer jungtschechisch
wählten, nun der veränderten Lage Rechnung tragen und alttschechisch wählen
werden. Denn der Ausgleich ist doch auch von wirtschaftlicher Bedeutung.
Schon bei der bevorstehenden Landesnusstellnng, die nun ohne Zweifel auch
von den Deutschen beschickt werden wird, muß sich dies zeigen. In den ge¬
mischten Bezirken hat doch auch Handel und Wandel, ja das gesellige Leben
von demi nationalen Hader sehr gelitten. Wer — wie der Verfasser dieser
Zeilen — einige Jahre in Prag gelebt hat, wird dies bezeugen: es war alles
getrennt, die Geschäftswelt, die Wissenschaft, das Theater, Konzerte, Bulle —
wo Deutsche waren, erschienen die Tschechen nicht, wo Tschechen waren, hielten
sich die Deutschen fern, es war beinahe wie im alten Rom vor den Gesetzen
des Caiiulejus: zwei Bevölkerungskreise ohne voonrnzroiuln und vvvudiuin,
und doch in täglicher unvermeidlicher Berührung mit einander. Das wird
»un doch anders werden.

Neben den Jungtschechen sind es auch die extremen Dentschnativnnlen,
die allerlei zu tadeln und zu schelten haben. Sie verdächtigen wohl auch die
Männer, die von deutscher Seite an deu Konferenzen beteiligt waren: sie
wollten Minister werde», flüstern sie, Stellen, Gnaden, Auszeichnungen erHaschen.
Aber was liegt daran! Wie wenig gute Dinge sind auf der Welt durch Un-
eigennützigkeit zu Staude gekvmme»! Wenn nur das Gute überhaupt geschieht.
Uns Österreicher kann es wenig kümmern, ob Herr von Pierer sich am Aus-


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[0405] Randglossen zum böhmischen Ausgleich Einrichtungen vergangner Zeiten wieder zu Ehren, Das Vetorecht der Kurier hat bekanntlich in den alten ständischen Verfassungen eine große Rolle gespielt, und wo dieses, wie auf den Generalständen in Frankreich, bestand, war eine Vergewaltigung der bürgerlichen Abgeordneten durch Klerus und Adel nicht möglich. Was damals einem sozialen Stande Schutz gewährte, kann es auch heute noch einer nationalen Minderheit inmitten eines vorwiegend slawischen Landes. Die öffentliche Meinung in Osterreich hat den Ausgleich im allgemeinen mit großer Befriedigung aufgenommen. Unzufriedne giebt es natürlich auch diesmal. Da sind einmal die Juugtschecheu. Es ist ja unstreitig, daß ihre Wahlerfvlge vom letzten Sommer, die Haltung ihrer Abgeordneten im Landtage während der Krvuungsdebatte, ihre bei jeder Gelegenheit an den Tag tretende Abneigung gegen die äußere Politik der Krone, endlich auch der Anstoß, den ihre ungestüme Hußbegeisteruug den Katholiken aller Nationalitäten in Öster¬ reich gab, sehr viel dazu beigetragen hat, daß die Regierung sich endlich dazu bequemte, das Ausgleichswerk in Allgriff zu nehmen. Aber die jnngtschechische Unzufriedenheit wird dieses Werk einstweilen nicht stören können, denn Alt- tschechen, Deutsche und Großgrundbesitz stellen, wie gesagt, im Landtage immer noch eine überwältigende Mehrheit dar. Bei den nächsten Wahlen wird dann zu Tage treten, ob die tschechische Bevölkerung Böhmens wirklich friedliebend ist oder nicht. Sehr leicht möglich, daß viele, die im letzten Sommer jungtschechisch wählten, nun der veränderten Lage Rechnung tragen und alttschechisch wählen werden. Denn der Ausgleich ist doch auch von wirtschaftlicher Bedeutung. Schon bei der bevorstehenden Landesnusstellnng, die nun ohne Zweifel auch von den Deutschen beschickt werden wird, muß sich dies zeigen. In den ge¬ mischten Bezirken hat doch auch Handel und Wandel, ja das gesellige Leben von demi nationalen Hader sehr gelitten. Wer — wie der Verfasser dieser Zeilen — einige Jahre in Prag gelebt hat, wird dies bezeugen: es war alles getrennt, die Geschäftswelt, die Wissenschaft, das Theater, Konzerte, Bulle — wo Deutsche waren, erschienen die Tschechen nicht, wo Tschechen waren, hielten sich die Deutschen fern, es war beinahe wie im alten Rom vor den Gesetzen des Caiiulejus: zwei Bevölkerungskreise ohne voonrnzroiuln und vvvudiuin, und doch in täglicher unvermeidlicher Berührung mit einander. Das wird »un doch anders werden. Neben den Jungtschechen sind es auch die extremen Dentschnativnnlen, die allerlei zu tadeln und zu schelten haben. Sie verdächtigen wohl auch die Männer, die von deutscher Seite an deu Konferenzen beteiligt waren: sie wollten Minister werde», flüstern sie, Stellen, Gnaden, Auszeichnungen erHaschen. Aber was liegt daran! Wie wenig gute Dinge sind auf der Welt durch Un- eigennützigkeit zu Staude gekvmme»! Wenn nur das Gute überhaupt geschieht. Uns Österreicher kann es wenig kümmern, ob Herr von Pierer sich am Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/405>, abgerufen am 25.08.2024.