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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Randglossen zum böhmischen Ausgleich

Autonomie des Königreiches Böhmen, die den Tschechen so sehr am Herzen
liegt, ein wichtiges Zugeständnis. Sie versprechen ferner der Schaffung eines
neuen tschechischen Handelskammergebietes im östlichen Böhmen nicht entgegen¬
zutreten. Von deu Errungenschaften, die die Tschechen während der letzten zehn
Jahre davongetragen haben, werden viele von den Deutschen stillschweigend
gutgeheißen, so die Schaffung der tschechischen Universität und vieler Mittel¬
schulen, die Übernahme zahlreicher Lehranstalten, die -- bei verhältnismäßig
geringem Bedürfnis -- von einzelnen Gemeinden gegründet worden sind, in
die Staatsverwaltung u. a. Alles das sind gewiß auch Erfolge der Tschechen.

Wenn dann einerseits die vielgenannte Verordnung vom 19. April 1880,
betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehr der Gerichts- und
staatsanwaltschaftlichen Behörde" mit den Parteien und autonomen Behörden,
die immer einen der vornehmsten Beschwerdepnnkte der Deutschen gebildet hat,
vorläufig aufrecht erhalte" bleibt,") so ist anderseits den staatsrechtlichen
Wünschen der Tschechen, die Sonderstellung des Königreiches Böhmen be¬
treffend, die ihren Ausdruck durch die Königskrönung in Prag findet, weder
von der Regierung noch von den Deutschen das geringste Zugeständnis gemacht
worden. Es ist in diesen Blättern einmal dargelegt worden, wie diese von
vielen tschechischen Patrioten so heiß ersehnte Krönung den Rechten der
Dentschen in Böhmen eigentlich keinen Abbruch thun und von ihnen, wenn
sie damit in andern wichtigen Dingen ihren Willen durchsetzen, füglich zuge¬
standen werden könnte; aber die Deutschen haben um einmal ein fast unüber¬
windliches Mißtrauen gegen diesen Akt, und wäre es auch eine bloße religiöse
Zeremonie. Und so war es denn sehr klug, diese Frage gar nicht zu berühren,
sie mag bis auf weiteres noch unentschieden bleiben -- Lebensinteressen der
beiden Nationen sind von ihrer Lösung nicht abhängig.

Von großer Wichtigkeit ist es, daß die Errichtung nationaler Kurieu im
böhmischen Landtage nnn bestimmt in Aussicht genommen wird: an Stelle der
bisherigen Kurier der städtischen und der Landbezirke sollen, unter Fortbestand
der Kurie des Großgrundbesitzes, eine tschechische und eine deutsche Kurie
treten; die Abgeordneten der Handelskammern werden dann beim Eintritt, in
den Landtag zu erklären haben, welcher von den beiden Kurier sie angehören
wollen. Jede der drei Kurieu wird "für Beschlüsse über Änderungen der
Landesordnung und der Landtagswahlordnuug sowie über Fragen, die den
Gebrauch der Sprachen im öffentlichen Leben bei autonomen Behörden und
bei solchen Bildungsnnstalten betreffen, die nicht ausschließlich einer Natio¬
nalität gewidmet sind," mit einem Vetorecht ausgestattet werden. So kommen



In den Wiener Pnnktatiouen wird zwar deren Revision in Aussicht gestellt, über
Deutsche und Tschechen wahrten sich für die Verhandlungen "ihren gruudsühlicheu Standpunkt,"
sodaß man nicht absieht, wie da ein Ausgleich zu Stande komme" soll.
Randglossen zum böhmischen Ausgleich

Autonomie des Königreiches Böhmen, die den Tschechen so sehr am Herzen
liegt, ein wichtiges Zugeständnis. Sie versprechen ferner der Schaffung eines
neuen tschechischen Handelskammergebietes im östlichen Böhmen nicht entgegen¬
zutreten. Von deu Errungenschaften, die die Tschechen während der letzten zehn
Jahre davongetragen haben, werden viele von den Deutschen stillschweigend
gutgeheißen, so die Schaffung der tschechischen Universität und vieler Mittel¬
schulen, die Übernahme zahlreicher Lehranstalten, die — bei verhältnismäßig
geringem Bedürfnis — von einzelnen Gemeinden gegründet worden sind, in
die Staatsverwaltung u. a. Alles das sind gewiß auch Erfolge der Tschechen.

Wenn dann einerseits die vielgenannte Verordnung vom 19. April 1880,
betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehr der Gerichts- und
staatsanwaltschaftlichen Behörde» mit den Parteien und autonomen Behörden,
die immer einen der vornehmsten Beschwerdepnnkte der Deutschen gebildet hat,
vorläufig aufrecht erhalte» bleibt,") so ist anderseits den staatsrechtlichen
Wünschen der Tschechen, die Sonderstellung des Königreiches Böhmen be¬
treffend, die ihren Ausdruck durch die Königskrönung in Prag findet, weder
von der Regierung noch von den Deutschen das geringste Zugeständnis gemacht
worden. Es ist in diesen Blättern einmal dargelegt worden, wie diese von
vielen tschechischen Patrioten so heiß ersehnte Krönung den Rechten der
Dentschen in Böhmen eigentlich keinen Abbruch thun und von ihnen, wenn
sie damit in andern wichtigen Dingen ihren Willen durchsetzen, füglich zuge¬
standen werden könnte; aber die Deutschen haben um einmal ein fast unüber¬
windliches Mißtrauen gegen diesen Akt, und wäre es auch eine bloße religiöse
Zeremonie. Und so war es denn sehr klug, diese Frage gar nicht zu berühren,
sie mag bis auf weiteres noch unentschieden bleiben — Lebensinteressen der
beiden Nationen sind von ihrer Lösung nicht abhängig.

Von großer Wichtigkeit ist es, daß die Errichtung nationaler Kurieu im
böhmischen Landtage nnn bestimmt in Aussicht genommen wird: an Stelle der
bisherigen Kurier der städtischen und der Landbezirke sollen, unter Fortbestand
der Kurie des Großgrundbesitzes, eine tschechische und eine deutsche Kurie
treten; die Abgeordneten der Handelskammern werden dann beim Eintritt, in
den Landtag zu erklären haben, welcher von den beiden Kurier sie angehören
wollen. Jede der drei Kurieu wird „für Beschlüsse über Änderungen der
Landesordnung und der Landtagswahlordnuug sowie über Fragen, die den
Gebrauch der Sprachen im öffentlichen Leben bei autonomen Behörden und
bei solchen Bildungsnnstalten betreffen, die nicht ausschließlich einer Natio¬
nalität gewidmet sind," mit einem Vetorecht ausgestattet werden. So kommen



In den Wiener Pnnktatiouen wird zwar deren Revision in Aussicht gestellt, über
Deutsche und Tschechen wahrten sich für die Verhandlungen „ihren gruudsühlicheu Standpunkt,"
sodaß man nicht absieht, wie da ein Ausgleich zu Stande komme» soll.
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[0404] Randglossen zum böhmischen Ausgleich Autonomie des Königreiches Böhmen, die den Tschechen so sehr am Herzen liegt, ein wichtiges Zugeständnis. Sie versprechen ferner der Schaffung eines neuen tschechischen Handelskammergebietes im östlichen Böhmen nicht entgegen¬ zutreten. Von deu Errungenschaften, die die Tschechen während der letzten zehn Jahre davongetragen haben, werden viele von den Deutschen stillschweigend gutgeheißen, so die Schaffung der tschechischen Universität und vieler Mittel¬ schulen, die Übernahme zahlreicher Lehranstalten, die — bei verhältnismäßig geringem Bedürfnis — von einzelnen Gemeinden gegründet worden sind, in die Staatsverwaltung u. a. Alles das sind gewiß auch Erfolge der Tschechen. Wenn dann einerseits die vielgenannte Verordnung vom 19. April 1880, betreffend den Gebrauch der Landessprachen im Verkehr der Gerichts- und staatsanwaltschaftlichen Behörde» mit den Parteien und autonomen Behörden, die immer einen der vornehmsten Beschwerdepnnkte der Deutschen gebildet hat, vorläufig aufrecht erhalte» bleibt,") so ist anderseits den staatsrechtlichen Wünschen der Tschechen, die Sonderstellung des Königreiches Böhmen be¬ treffend, die ihren Ausdruck durch die Königskrönung in Prag findet, weder von der Regierung noch von den Deutschen das geringste Zugeständnis gemacht worden. Es ist in diesen Blättern einmal dargelegt worden, wie diese von vielen tschechischen Patrioten so heiß ersehnte Krönung den Rechten der Dentschen in Böhmen eigentlich keinen Abbruch thun und von ihnen, wenn sie damit in andern wichtigen Dingen ihren Willen durchsetzen, füglich zuge¬ standen werden könnte; aber die Deutschen haben um einmal ein fast unüber¬ windliches Mißtrauen gegen diesen Akt, und wäre es auch eine bloße religiöse Zeremonie. Und so war es denn sehr klug, diese Frage gar nicht zu berühren, sie mag bis auf weiteres noch unentschieden bleiben — Lebensinteressen der beiden Nationen sind von ihrer Lösung nicht abhängig. Von großer Wichtigkeit ist es, daß die Errichtung nationaler Kurieu im böhmischen Landtage nnn bestimmt in Aussicht genommen wird: an Stelle der bisherigen Kurier der städtischen und der Landbezirke sollen, unter Fortbestand der Kurie des Großgrundbesitzes, eine tschechische und eine deutsche Kurie treten; die Abgeordneten der Handelskammern werden dann beim Eintritt, in den Landtag zu erklären haben, welcher von den beiden Kurier sie angehören wollen. Jede der drei Kurieu wird „für Beschlüsse über Änderungen der Landesordnung und der Landtagswahlordnuug sowie über Fragen, die den Gebrauch der Sprachen im öffentlichen Leben bei autonomen Behörden und bei solchen Bildungsnnstalten betreffen, die nicht ausschließlich einer Natio¬ nalität gewidmet sind," mit einem Vetorecht ausgestattet werden. So kommen In den Wiener Pnnktatiouen wird zwar deren Revision in Aussicht gestellt, über Deutsche und Tschechen wahrten sich für die Verhandlungen „ihren gruudsühlicheu Standpunkt," sodaß man nicht absieht, wie da ein Ausgleich zu Stande komme» soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/404>, abgerufen am 23.07.2024.