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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Weiteres zur Charakteristik der Deutschfreismnigen

fortschrittliche" llnbelehrbnrkeit ist vielmehr anzunehmen, das, wenn der Freisinn
die Unmöglichkeit erkennt, die kaiserliche Politik in sein Netz einzufangen, er
sofort wieder das neuerfundne Schlagwort vom "patriarchalischen Imperialis¬
mus" in die Arbeiterwelt hinauszuposaunen beginnen wird, um ja uicht die
Masse zum Gefühl des Vertrauens und der Befriedigung kommen zu lassen.
Das rohe Wort von der "verfluchten Zufriedenheit" ist freilich sozialdemokra¬
tischen Ursprungs, aber darnach gehandelt ward bis jetzt wenigstens vom
Freisinn gerade so gut wie von den sozialdemokratischen Agitatoren.

In Frankreich erging vor kurzem von den Revolutionären ein Aufruf,
für die deutschen Sozialdemokraten Geld zu den Wahlen zu sammeln. Der
Aufruf verlangte "Munition" für die deutschen Brüder gegen die deutschen
Feinde. Da auch französische Sozialisten stets zuerst Franzosen sind, und da
es keinen französischen Sozialisten giebt, der nicht vor allem andern Elsaß-
Lothringen als französisches Eigentum in Anspruch nähme, so ist natürlich die
"Munition" für die deutschen Brüder zuerst zu dem Zwecke der Wiedereroberung
von Elsaß-Lothringen bestimmt. Man spekulirt auf die schamlosen Seelen in
Deutschland, die mit Liebknecht und Bebel bereit seien, das uralte deutsche
Land an den Landesfeind auszuliefern. Es soll zunächst mit den Geldern
Revolution in Deutschland hervorgerufen werden, und mit ihr hofft nur" der
deutschen Macht und Größe ein jähes Ende zu bereiten. Daß um die deutschen
Sozialdemokraten es fertig bringen, ihr Vaterland mit Füßen zu treten, das
wissen wir; es gehört das mit zu den Zielen dieser vaterlandslosen Partei,
-kund daß ein Teil der Ultrnmontanen auf die Schwächung des deutschen
Reiches lauert, wisse" wir und wundern uns nicht. Aber daß der Freisinn
>n seiner Verblendung so weit geht, daß er mit den Sozialdemokraten auch
noch unter solchen Umständen, wo die Fremden in ihren Zeitungen nach
"Munition" gegen die Deutschen rufen, zusammen zu arbeiten bereit ist, das
">uß schier Wunder nehmen, auch uach allein, was wir vom Freisinn wissen.

Wie auch in ihrer innern Politik die Freisinnigen in die sozialdemokratischen
Kreise munter hineinsteuern, das haben sie in ihre", Wahlaufruf zu deu jetzigen
Wahlen aufs neue gezeigt. Da heben sie als die wesentlichsten Punkte wieder
hervor! Abkürzung der Dienstzeit, Abänderung der Zölle und Steuern, Be¬
seitigung des Sozialistengesetzes. Diesem Aufruf haben auch die sogenannten
^'Mäßigten Elemente der Partei mit unterschrieben, z. B. Professor Hänel, der
°-"es seinen Frieden in Kunststudien zu suchen sich vorgenommen zu haben
schien und zu Klaus Grvths siebzigsten Geburtstag in der Anrede an diesen
ä^gte, daß er über die Grenzen der Kunst auch zu einem gewissen Ergebnis
gekommen sei. Über die Grenzen der Politik scheint er noch nicht soweit ge¬
kommen zu sein; sonst würde er Nüssen, daß für einen verständigen Mann
Punkte wie die Abänderung der Zölle und der (indirekten) Steuern heutzutage
Deutschland uicht mehr in einem politischen Programm möglich sind. Oder


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fortschrittliche» llnbelehrbnrkeit ist vielmehr anzunehmen, das, wenn der Freisinn
die Unmöglichkeit erkennt, die kaiserliche Politik in sein Netz einzufangen, er
sofort wieder das neuerfundne Schlagwort vom „patriarchalischen Imperialis¬
mus" in die Arbeiterwelt hinauszuposaunen beginnen wird, um ja uicht die
Masse zum Gefühl des Vertrauens und der Befriedigung kommen zu lassen.
Das rohe Wort von der „verfluchten Zufriedenheit" ist freilich sozialdemokra¬
tischen Ursprungs, aber darnach gehandelt ward bis jetzt wenigstens vom
Freisinn gerade so gut wie von den sozialdemokratischen Agitatoren.

In Frankreich erging vor kurzem von den Revolutionären ein Aufruf,
für die deutschen Sozialdemokraten Geld zu den Wahlen zu sammeln. Der
Aufruf verlangte „Munition" für die deutschen Brüder gegen die deutschen
Feinde. Da auch französische Sozialisten stets zuerst Franzosen sind, und da
es keinen französischen Sozialisten giebt, der nicht vor allem andern Elsaß-
Lothringen als französisches Eigentum in Anspruch nähme, so ist natürlich die
„Munition" für die deutschen Brüder zuerst zu dem Zwecke der Wiedereroberung
von Elsaß-Lothringen bestimmt. Man spekulirt auf die schamlosen Seelen in
Deutschland, die mit Liebknecht und Bebel bereit seien, das uralte deutsche
Land an den Landesfeind auszuliefern. Es soll zunächst mit den Geldern
Revolution in Deutschland hervorgerufen werden, und mit ihr hofft nur» der
deutschen Macht und Größe ein jähes Ende zu bereiten. Daß um die deutschen
Sozialdemokraten es fertig bringen, ihr Vaterland mit Füßen zu treten, das
wissen wir; es gehört das mit zu den Zielen dieser vaterlandslosen Partei,
-kund daß ein Teil der Ultrnmontanen auf die Schwächung des deutschen
Reiches lauert, wisse» wir und wundern uns nicht. Aber daß der Freisinn
>n seiner Verblendung so weit geht, daß er mit den Sozialdemokraten auch
noch unter solchen Umständen, wo die Fremden in ihren Zeitungen nach
»Munition" gegen die Deutschen rufen, zusammen zu arbeiten bereit ist, das
">uß schier Wunder nehmen, auch uach allein, was wir vom Freisinn wissen.

Wie auch in ihrer innern Politik die Freisinnigen in die sozialdemokratischen
Kreise munter hineinsteuern, das haben sie in ihre», Wahlaufruf zu deu jetzigen
Wahlen aufs neue gezeigt. Da heben sie als die wesentlichsten Punkte wieder
hervor! Abkürzung der Dienstzeit, Abänderung der Zölle und Steuern, Be¬
seitigung des Sozialistengesetzes. Diesem Aufruf haben auch die sogenannten
^'Mäßigten Elemente der Partei mit unterschrieben, z. B. Professor Hänel, der
°-"es seinen Frieden in Kunststudien zu suchen sich vorgenommen zu haben
schien und zu Klaus Grvths siebzigsten Geburtstag in der Anrede an diesen
ä^gte, daß er über die Grenzen der Kunst auch zu einem gewissen Ergebnis
gekommen sei. Über die Grenzen der Politik scheint er noch nicht soweit ge¬
kommen zu sein; sonst würde er Nüssen, daß für einen verständigen Mann
Punkte wie die Abänderung der Zölle und der (indirekten) Steuern heutzutage
Deutschland uicht mehr in einem politischen Programm möglich sind. Oder


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[0389] Weiteres zur Charakteristik der Deutschfreismnigen fortschrittliche» llnbelehrbnrkeit ist vielmehr anzunehmen, das, wenn der Freisinn die Unmöglichkeit erkennt, die kaiserliche Politik in sein Netz einzufangen, er sofort wieder das neuerfundne Schlagwort vom „patriarchalischen Imperialis¬ mus" in die Arbeiterwelt hinauszuposaunen beginnen wird, um ja uicht die Masse zum Gefühl des Vertrauens und der Befriedigung kommen zu lassen. Das rohe Wort von der „verfluchten Zufriedenheit" ist freilich sozialdemokra¬ tischen Ursprungs, aber darnach gehandelt ward bis jetzt wenigstens vom Freisinn gerade so gut wie von den sozialdemokratischen Agitatoren. In Frankreich erging vor kurzem von den Revolutionären ein Aufruf, für die deutschen Sozialdemokraten Geld zu den Wahlen zu sammeln. Der Aufruf verlangte „Munition" für die deutschen Brüder gegen die deutschen Feinde. Da auch französische Sozialisten stets zuerst Franzosen sind, und da es keinen französischen Sozialisten giebt, der nicht vor allem andern Elsaß- Lothringen als französisches Eigentum in Anspruch nähme, so ist natürlich die „Munition" für die deutschen Brüder zuerst zu dem Zwecke der Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen bestimmt. Man spekulirt auf die schamlosen Seelen in Deutschland, die mit Liebknecht und Bebel bereit seien, das uralte deutsche Land an den Landesfeind auszuliefern. Es soll zunächst mit den Geldern Revolution in Deutschland hervorgerufen werden, und mit ihr hofft nur» der deutschen Macht und Größe ein jähes Ende zu bereiten. Daß um die deutschen Sozialdemokraten es fertig bringen, ihr Vaterland mit Füßen zu treten, das wissen wir; es gehört das mit zu den Zielen dieser vaterlandslosen Partei, -kund daß ein Teil der Ultrnmontanen auf die Schwächung des deutschen Reiches lauert, wisse» wir und wundern uns nicht. Aber daß der Freisinn >n seiner Verblendung so weit geht, daß er mit den Sozialdemokraten auch noch unter solchen Umständen, wo die Fremden in ihren Zeitungen nach »Munition" gegen die Deutschen rufen, zusammen zu arbeiten bereit ist, das ">uß schier Wunder nehmen, auch uach allein, was wir vom Freisinn wissen. Wie auch in ihrer innern Politik die Freisinnigen in die sozialdemokratischen Kreise munter hineinsteuern, das haben sie in ihre», Wahlaufruf zu deu jetzigen Wahlen aufs neue gezeigt. Da heben sie als die wesentlichsten Punkte wieder hervor! Abkürzung der Dienstzeit, Abänderung der Zölle und Steuern, Be¬ seitigung des Sozialistengesetzes. Diesem Aufruf haben auch die sogenannten ^'Mäßigten Elemente der Partei mit unterschrieben, z. B. Professor Hänel, der °-"es seinen Frieden in Kunststudien zu suchen sich vorgenommen zu haben schien und zu Klaus Grvths siebzigsten Geburtstag in der Anrede an diesen ä^gte, daß er über die Grenzen der Kunst auch zu einem gewissen Ergebnis gekommen sei. Über die Grenzen der Politik scheint er noch nicht soweit ge¬ kommen zu sein; sonst würde er Nüssen, daß für einen verständigen Mann Punkte wie die Abänderung der Zölle und der (indirekten) Steuern heutzutage Deutschland uicht mehr in einem politischen Programm möglich sind. Oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/389>, abgerufen am 23.07.2024.