Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Neue Briefe von Goethes Mutter wie Viele Freuden werden zertretten -- weil die Menschen meist nur in die Freilich kann man Frau Aja den kleinen Vorwurf nicht ersparen, daß ihre Der Grund, auf dem der heitere Lebensfriede der Frau Rat ruhte, war Neue Briefe von Goethes Mutter wie Viele Freuden werden zertretten — weil die Menschen meist nur in die Freilich kann man Frau Aja den kleinen Vorwurf nicht ersparen, daß ihre Der Grund, auf dem der heitere Lebensfriede der Frau Rat ruhte, war <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206683"/> <fw type="header" place="top"> Neue Briefe von Goethes Mutter</fw><lb/> <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80"> wie Viele Freuden werden zertretten — weil die Menschen meist nur in die<lb/> Höhe gucken — und was zu ihren Füßen liegt nicht achten. Das war ein¬<lb/> mahl wieder eine Brühe von Frau Aja ihrer Kocherey." Bedrängt und be¬<lb/> lästigt sie, wie es ihr so oft erging, der Krieg, die leidige Kontribution und<lb/> Einquartierung, so jubelt sie im voraus in Hoffnung auf den Frieden. Über<lb/> Krankheiten sucht sie sich durch Scherze hinwegzuhelfen. Einmal wird sie<lb/> wohl ungeduldig, daß sich ihr sehnlichster Wunsch, der Verlauf des großen<lb/> Hauses, infolge des lange währenden Krieges nicht erfüllt. „Doch, wenn ich<lb/> bedencke," verbessert sie sich selbst, „wieviel unglückliche Menschen jetzt froh<lb/> wären wenn sie ein Hauß hätten, und wüsten wo sie ihr Haupt hinlegen<lb/> sollten; so schäme ich mich, und bitte Gott um Vergebung vor meine Ungeduld<lb/> und Narrheit." Sich zu grämen, gar vor der Zeit, war ihre Sache nicht,<lb/> wohl aber dafür zu sorgen, daß Unerfreuliches oder Vorwürfe ihr fern blieben.<lb/> War aber das Unangenehme unabwendbar, nun „so muß man den Teufel<lb/> verschlucken, ihn nur nicht lange hecknater," oder sie holt sich aus der uner¬<lb/> schöpflichen Quelle, den Nachrichten aus Weimar, neuen Lebensmut und neue<lb/> Laune. „Da kamen" — es handelt sich wieder um Kontribution der Fran¬<lb/> zosen — „da kamen nun gerade gute Nachrichten von Ihnen allen — da ward<lb/> ich froh — und dachte Geld hin — Geld her — wenn es nur in Weimar<lb/> bey deinen Geliebten wohl und vergnügt zugeht; so schlafe du ruhig — das<lb/> thäte ich denn auch bey all dem wirr warr." Bei des einen Enkelchens Tode<lb/> schreibt sie tröstend: „Es thut weh — aber wenn die Saat gereift ist und<lb/> kommt dann ein Hagelwetter und Schlages zu Boden — das thut uoch viel<lb/> weher." Sonst ist ihr das Trösten und besonders das wortreiche Trösten<lb/> höchlichst zuwider — „kein Trost vermag was über ein betrübtes Hertz nur<lb/> die Zeit ist der einzige Tröster."</p><lb/> <p xml:id="ID_82"> Freilich kann man Frau Aja den kleinen Vorwurf nicht ersparen, daß ihre<lb/> Kunst, alles von der besten Seite zu nehmen, das Trübe sich fern zu halten<lb/> und im übrigen alles gehen zu lassen, wie es will, auch ihre Kehrseite hatte,<lb/> was der Sohn kräftig, aber gewiß richtig mit den Worten ausdrückt: „Sie<lb/> erspart den Leuten eine Ohrfeige, damit sie ein Loch in den Kopf bekommen."</p><lb/> <p xml:id="ID_83" next="#ID_84"> Der Grund, auf dem der heitere Lebensfriede der Frau Rat ruhte, war<lb/> ihr unerschütterliches Gottvertrauen und die felsenfeste Überzeugung, daß alles,<lb/> was Gott thut, zum Besten der Menschen geschehe. „Dieses Zutrauen zu<lb/> Gott hat mich noch nie (in keiner Noth) stecken laßen — dieser Glaube ist die<lb/> einzige Quelle meines bestängigen Frosinns. — Bey meinem Monarchen ver¬<lb/> liert manu weder Capital noch Jntereßen — den behalt ich." „Alle Tage<lb/> finde ich etwas das mich freut — und der Schluß stein — der glaube an<lb/> Gott! der macht mein Hertz froh und mein Angesicht fröhlich." Ihr Verhältnis<lb/> zu Gott könnte man fast persönlich nennen, oder wie der Sohn es ausgedrückt<lb/> hat, er war ihr der alttestamentliche Familiengott. „Jeder Brief der von dir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
Neue Briefe von Goethes Mutter
wie Viele Freuden werden zertretten — weil die Menschen meist nur in die
Höhe gucken — und was zu ihren Füßen liegt nicht achten. Das war ein¬
mahl wieder eine Brühe von Frau Aja ihrer Kocherey." Bedrängt und be¬
lästigt sie, wie es ihr so oft erging, der Krieg, die leidige Kontribution und
Einquartierung, so jubelt sie im voraus in Hoffnung auf den Frieden. Über
Krankheiten sucht sie sich durch Scherze hinwegzuhelfen. Einmal wird sie
wohl ungeduldig, daß sich ihr sehnlichster Wunsch, der Verlauf des großen
Hauses, infolge des lange währenden Krieges nicht erfüllt. „Doch, wenn ich
bedencke," verbessert sie sich selbst, „wieviel unglückliche Menschen jetzt froh
wären wenn sie ein Hauß hätten, und wüsten wo sie ihr Haupt hinlegen
sollten; so schäme ich mich, und bitte Gott um Vergebung vor meine Ungeduld
und Narrheit." Sich zu grämen, gar vor der Zeit, war ihre Sache nicht,
wohl aber dafür zu sorgen, daß Unerfreuliches oder Vorwürfe ihr fern blieben.
War aber das Unangenehme unabwendbar, nun „so muß man den Teufel
verschlucken, ihn nur nicht lange hecknater," oder sie holt sich aus der uner¬
schöpflichen Quelle, den Nachrichten aus Weimar, neuen Lebensmut und neue
Laune. „Da kamen" — es handelt sich wieder um Kontribution der Fran¬
zosen — „da kamen nun gerade gute Nachrichten von Ihnen allen — da ward
ich froh — und dachte Geld hin — Geld her — wenn es nur in Weimar
bey deinen Geliebten wohl und vergnügt zugeht; so schlafe du ruhig — das
thäte ich denn auch bey all dem wirr warr." Bei des einen Enkelchens Tode
schreibt sie tröstend: „Es thut weh — aber wenn die Saat gereift ist und
kommt dann ein Hagelwetter und Schlages zu Boden — das thut uoch viel
weher." Sonst ist ihr das Trösten und besonders das wortreiche Trösten
höchlichst zuwider — „kein Trost vermag was über ein betrübtes Hertz nur
die Zeit ist der einzige Tröster."
Freilich kann man Frau Aja den kleinen Vorwurf nicht ersparen, daß ihre
Kunst, alles von der besten Seite zu nehmen, das Trübe sich fern zu halten
und im übrigen alles gehen zu lassen, wie es will, auch ihre Kehrseite hatte,
was der Sohn kräftig, aber gewiß richtig mit den Worten ausdrückt: „Sie
erspart den Leuten eine Ohrfeige, damit sie ein Loch in den Kopf bekommen."
Der Grund, auf dem der heitere Lebensfriede der Frau Rat ruhte, war
ihr unerschütterliches Gottvertrauen und die felsenfeste Überzeugung, daß alles,
was Gott thut, zum Besten der Menschen geschehe. „Dieses Zutrauen zu
Gott hat mich noch nie (in keiner Noth) stecken laßen — dieser Glaube ist die
einzige Quelle meines bestängigen Frosinns. — Bey meinem Monarchen ver¬
liert manu weder Capital noch Jntereßen — den behalt ich." „Alle Tage
finde ich etwas das mich freut — und der Schluß stein — der glaube an
Gott! der macht mein Hertz froh und mein Angesicht fröhlich." Ihr Verhältnis
zu Gott könnte man fast persönlich nennen, oder wie der Sohn es ausgedrückt
hat, er war ihr der alttestamentliche Familiengott. „Jeder Brief der von dir
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