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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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gemeines Vergehen oder Verbrechen begeht und nicht dem Zivilgericht zur
Aburteilung überwiesen wird, öffentlich verhandelt wird, dürfte unbedenklich
sein. Anders, wenn bei Beurteilung dieser Strafthat dienstliche Interessen mit
in Betracht kommen oder wenn sie mit dienstlichen Strafthaten kvnkurrirt oder
wenn reine Dienstvergehen zur Aburteilung kommen. Jede Verwaltung hat
das Interesse, ihre Interim, namentlich auch die in ihrem Innern hervortretenden
Mängel, nicht offen darzulegen. Aus diesem Grunde werden regelmäßig bei
allen Verwaltungen Disziplinarbestrafnugen geheim erledigt, und es wird von
ihnen nach außen hin nur dann Mitteilung gemacht, wenn die dienstliche Über¬
tretung eine außerhalb der Verwaltung stehende Person verletzt oder geschädigt
hat und daher für diese eine gewisse Sühne und Genugthuung erfordert. Nach
gleichen Grundsätzen hat die Militärverwaltung zu verfahren, denn sie hat das
dringende Interesse, die Armee als Ganzes und die einzelnen Teile derselben
nach außen zu schützen, um andern Staaten und Heeren möglichst wenig Un-
vollkommenheiten zu verraten, die in einem Vorgesetztenverhältnis stehenden
Personen aber zur Wahrung ihres Ansehens und zum Schutz der Disziplin nach
außen hin möglichst fehlerfrei erscheinen zu lassen. Viele der dienstlichen Ver¬
gehen sind sowohl disziplinarisch als gerichtlich strafbar, sodaß die gerichtliche
Bestrafung gewissermaßen nur eine gesteigerte Disziplinarbestrasnng ist. Was
für ein Grund soll vorliegen, daß die gerichtliche Bestrafung durch öffentliche
Verhandlung aufgebauscht und an den Pranger gestellt wird, während die
Diszipliuarbestrafung des gleichen Vergehens geheim bleiben darf?

Und noch eins: das dem Angeklagten zustehende Recht, sich vor feinen
Richtern zu verteidigen, giebt ihm die Befugnis, bei gerichtlichen Verhandlungen
Äußerungen zu thun, die sich mit der militärischen Zucht und Ordnung nicht
vertragen, z. B. dem gegen ihn zeugenden Vorgesetzten in das Gesicht zu sagen,
daß seine Aussage nicht wahr sei. Jeder, der einmal einer Gegenüberstellung
militärischer Vorgesetzten und Untergebenen während einer Voruntersuchung
beigewohnt hat, wird sich des peinlichen Eindrucks derselben nicht haben er¬
wehren können und unwillkürlich gefühlt haben, daß etwas geschieht, was die
Autorität und die dienstliche Stellung des Vorgesetzten aufs empfindlichste zu
schädigen geeignet ist. Es erscheint nicht ratsam, diesen Eindruck dadurch zu
verschärfen und weiter zu verbreiten, daß möglichst vielen Gelegenheit geboten
^lrd, in öffentlicher Verhandlung derartigen, zur Aufklärung des Sachverhalts
leider hin und wieder erforderlich werdenden Gegenüberstellungen beizuwohnen.
Die Ausschließung der Öffentlichkeit zur Wahrung wichtiger militärischer In¬
dessen kann daher unsrer Ansicht nach nicht entbehrt werden.

Wir schließen unsre Ausführungen mit dem Wunsche, daß es recht bald
gelingen möge, die durch den Reichstag wieder angeregte Reform der Militnr-
itrafprozeßordnung so zu vollenden, daß darunter die Trefflichkeit unsers Heeres
'"ehe leidet.




gemeines Vergehen oder Verbrechen begeht und nicht dem Zivilgericht zur
Aburteilung überwiesen wird, öffentlich verhandelt wird, dürfte unbedenklich
sein. Anders, wenn bei Beurteilung dieser Strafthat dienstliche Interessen mit
in Betracht kommen oder wenn sie mit dienstlichen Strafthaten kvnkurrirt oder
wenn reine Dienstvergehen zur Aburteilung kommen. Jede Verwaltung hat
das Interesse, ihre Interim, namentlich auch die in ihrem Innern hervortretenden
Mängel, nicht offen darzulegen. Aus diesem Grunde werden regelmäßig bei
allen Verwaltungen Disziplinarbestrafnugen geheim erledigt, und es wird von
ihnen nach außen hin nur dann Mitteilung gemacht, wenn die dienstliche Über¬
tretung eine außerhalb der Verwaltung stehende Person verletzt oder geschädigt
hat und daher für diese eine gewisse Sühne und Genugthuung erfordert. Nach
gleichen Grundsätzen hat die Militärverwaltung zu verfahren, denn sie hat das
dringende Interesse, die Armee als Ganzes und die einzelnen Teile derselben
nach außen zu schützen, um andern Staaten und Heeren möglichst wenig Un-
vollkommenheiten zu verraten, die in einem Vorgesetztenverhältnis stehenden
Personen aber zur Wahrung ihres Ansehens und zum Schutz der Disziplin nach
außen hin möglichst fehlerfrei erscheinen zu lassen. Viele der dienstlichen Ver¬
gehen sind sowohl disziplinarisch als gerichtlich strafbar, sodaß die gerichtliche
Bestrafung gewissermaßen nur eine gesteigerte Disziplinarbestrasnng ist. Was
für ein Grund soll vorliegen, daß die gerichtliche Bestrafung durch öffentliche
Verhandlung aufgebauscht und an den Pranger gestellt wird, während die
Diszipliuarbestrafung des gleichen Vergehens geheim bleiben darf?

Und noch eins: das dem Angeklagten zustehende Recht, sich vor feinen
Richtern zu verteidigen, giebt ihm die Befugnis, bei gerichtlichen Verhandlungen
Äußerungen zu thun, die sich mit der militärischen Zucht und Ordnung nicht
vertragen, z. B. dem gegen ihn zeugenden Vorgesetzten in das Gesicht zu sagen,
daß seine Aussage nicht wahr sei. Jeder, der einmal einer Gegenüberstellung
militärischer Vorgesetzten und Untergebenen während einer Voruntersuchung
beigewohnt hat, wird sich des peinlichen Eindrucks derselben nicht haben er¬
wehren können und unwillkürlich gefühlt haben, daß etwas geschieht, was die
Autorität und die dienstliche Stellung des Vorgesetzten aufs empfindlichste zu
schädigen geeignet ist. Es erscheint nicht ratsam, diesen Eindruck dadurch zu
verschärfen und weiter zu verbreiten, daß möglichst vielen Gelegenheit geboten
^lrd, in öffentlicher Verhandlung derartigen, zur Aufklärung des Sachverhalts
leider hin und wieder erforderlich werdenden Gegenüberstellungen beizuwohnen.
Die Ausschließung der Öffentlichkeit zur Wahrung wichtiger militärischer In¬
dessen kann daher unsrer Ansicht nach nicht entbehrt werden.

Wir schließen unsre Ausführungen mit dem Wunsche, daß es recht bald
gelingen möge, die durch den Reichstag wieder angeregte Reform der Militnr-
itrafprozeßordnung so zu vollenden, daß darunter die Trefflichkeit unsers Heeres
'"ehe leidet.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/367>, abgerufen am 23.07.2024.