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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zi"' Reform der lNilitärstrafprozeßordniing

militärischen Arreststrafen einzuführen. Mit der Einrichtung der Stantsanwalt-
schaft, die zum Unterschiede von der der Zivilgerichte vielleicht "Kriegsanwnlt-
schaft" zu neunen wäre, würde die bisherige allzu vielseitige Thätigkeit des
Auditeurs in angemessener Weise dahin geteilt, daß fortan der Nichterauditenr
(vielleicht "Kriegsrichter" zu nennen) unter Zuziehung eines ordentlichen Gerichts¬
schreibers die Voruntersuchungen zu führen und die Verhandlungen der Schöffen¬
gerichte mit Stimmrecht zu leiten hätte. In beiden Fällen wären ihm zur
Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung Offiziere zur Seite zu stellen, in
der Voruntersuchung ein besonders kvmmandirter Beisitzer, in der Hauptver-
handlung der älteste als Schöffe berufene Offizier. Daß der als Untersuchungs-
richter thätige Auditeur uicht auch in derselben Sache Leiter des Schöffengerichts
sei, wäre wünschenswert, wird sich aber bei der geringen Zahl der Auditeure
kaum durchführen lassen. Als Korrektiv gegen die Folgen einer einseitigen
Verhandlung des Auditeurs auf Grund einer von ihm in der Voruntersuchung
gefaßten Vorausicht dient einmal die Anwesenheit der völlig unbefangnen
Schöffen und dann die Möglichkeit der Einlegung der Berufung.

Wir kommen schließlich zu der wichtigen Einrichtung der Mündlichkeit und
Öffentlichkeit. Auf die Gefahr, als schwärzeste Reaktionäre verschrieen zu
werden, können wir ihrer unbeschränkten Einführung nicht zustimmen.

Das schriftliche Verfahren, wonach also nur auf Grund des vorgelesenen
Akteninhalts geurteilt wird, hat ja unleugbar deu Maugel, daß der Richter
bei thatsächlich verwickelten und schwierigen Untersuchungen, namentlich wenn
dabei noch Widersprüche zwischen den Aussagen der Angeklagten und Zeugen
oder der Zeugen uuter einander vorkommen, sich selbst kein klares Bild von der
Sachlage machen kann und mit seinein Urteil oft auf das Gutachten des
Referenten angewiesen ist. Dies ist jedoch nur bei uicht einfachen und klaren
Untersuchungen der Fall. Anders liegt es bei den der Zahl nach häufigeren
einfachen und klaren Untersuchungen. Jeder, der einmal mit Kriegsgerichten
zu thun gehabt hat, wird uns Recht geben, wenn wir sagen, daß bei Unter¬
suchungen der letztgenannten Art das schriftliche Verfahren für eine sachliche
Erledigung kein Hindernis ist. Es liegt also keine Veranlassung vor, bei
diesen eine Änderung herbeizuführen. Wohl aber besteht ein dringendes dienst¬
liches und auch pekuniäres Interesse, bei dem örtlichen Aufeinanderliegen der
Truppen, namentlich auch der Marine, möglichst zu vermeiden, daß durch den
Zwang persönlichen Erscheinens der Angeklagten und Zeugen vor dem mili¬
tärischen Sprnchgericht die Dienstreisen der Militärpersonen gehäuft werden.
Führe man daher grundsätzlich die Mündlichkeit ein, lasse aber einen weiten
Spielraum für ihre Ausnahmen, d. h. man erleichtere die Verhandlung in Ab¬
wesenheit des Angeklagten und erweitere die Zulässigkeit von Zeugen- und
Sachverständigenvernehmnngen vor einem ersuchten oder beauftragten Richter.

Und nun die Öffentlichkeit! Daß gegen eine Militärperson, welche ein


Zi»' Reform der lNilitärstrafprozeßordniing

militärischen Arreststrafen einzuführen. Mit der Einrichtung der Stantsanwalt-
schaft, die zum Unterschiede von der der Zivilgerichte vielleicht „Kriegsanwnlt-
schaft" zu neunen wäre, würde die bisherige allzu vielseitige Thätigkeit des
Auditeurs in angemessener Weise dahin geteilt, daß fortan der Nichterauditenr
(vielleicht „Kriegsrichter" zu nennen) unter Zuziehung eines ordentlichen Gerichts¬
schreibers die Voruntersuchungen zu führen und die Verhandlungen der Schöffen¬
gerichte mit Stimmrecht zu leiten hätte. In beiden Fällen wären ihm zur
Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung Offiziere zur Seite zu stellen, in
der Voruntersuchung ein besonders kvmmandirter Beisitzer, in der Hauptver-
handlung der älteste als Schöffe berufene Offizier. Daß der als Untersuchungs-
richter thätige Auditeur uicht auch in derselben Sache Leiter des Schöffengerichts
sei, wäre wünschenswert, wird sich aber bei der geringen Zahl der Auditeure
kaum durchführen lassen. Als Korrektiv gegen die Folgen einer einseitigen
Verhandlung des Auditeurs auf Grund einer von ihm in der Voruntersuchung
gefaßten Vorausicht dient einmal die Anwesenheit der völlig unbefangnen
Schöffen und dann die Möglichkeit der Einlegung der Berufung.

Wir kommen schließlich zu der wichtigen Einrichtung der Mündlichkeit und
Öffentlichkeit. Auf die Gefahr, als schwärzeste Reaktionäre verschrieen zu
werden, können wir ihrer unbeschränkten Einführung nicht zustimmen.

Das schriftliche Verfahren, wonach also nur auf Grund des vorgelesenen
Akteninhalts geurteilt wird, hat ja unleugbar deu Maugel, daß der Richter
bei thatsächlich verwickelten und schwierigen Untersuchungen, namentlich wenn
dabei noch Widersprüche zwischen den Aussagen der Angeklagten und Zeugen
oder der Zeugen uuter einander vorkommen, sich selbst kein klares Bild von der
Sachlage machen kann und mit seinein Urteil oft auf das Gutachten des
Referenten angewiesen ist. Dies ist jedoch nur bei uicht einfachen und klaren
Untersuchungen der Fall. Anders liegt es bei den der Zahl nach häufigeren
einfachen und klaren Untersuchungen. Jeder, der einmal mit Kriegsgerichten
zu thun gehabt hat, wird uns Recht geben, wenn wir sagen, daß bei Unter¬
suchungen der letztgenannten Art das schriftliche Verfahren für eine sachliche
Erledigung kein Hindernis ist. Es liegt also keine Veranlassung vor, bei
diesen eine Änderung herbeizuführen. Wohl aber besteht ein dringendes dienst¬
liches und auch pekuniäres Interesse, bei dem örtlichen Aufeinanderliegen der
Truppen, namentlich auch der Marine, möglichst zu vermeiden, daß durch den
Zwang persönlichen Erscheinens der Angeklagten und Zeugen vor dem mili¬
tärischen Sprnchgericht die Dienstreisen der Militärpersonen gehäuft werden.
Führe man daher grundsätzlich die Mündlichkeit ein, lasse aber einen weiten
Spielraum für ihre Ausnahmen, d. h. man erleichtere die Verhandlung in Ab¬
wesenheit des Angeklagten und erweitere die Zulässigkeit von Zeugen- und
Sachverständigenvernehmnngen vor einem ersuchten oder beauftragten Richter.

Und nun die Öffentlichkeit! Daß gegen eine Militärperson, welche ein


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[0366] Zi»' Reform der lNilitärstrafprozeßordniing militärischen Arreststrafen einzuführen. Mit der Einrichtung der Stantsanwalt- schaft, die zum Unterschiede von der der Zivilgerichte vielleicht „Kriegsanwnlt- schaft" zu neunen wäre, würde die bisherige allzu vielseitige Thätigkeit des Auditeurs in angemessener Weise dahin geteilt, daß fortan der Nichterauditenr (vielleicht „Kriegsrichter" zu nennen) unter Zuziehung eines ordentlichen Gerichts¬ schreibers die Voruntersuchungen zu führen und die Verhandlungen der Schöffen¬ gerichte mit Stimmrecht zu leiten hätte. In beiden Fällen wären ihm zur Aufrechterhaltung der militärischen Ordnung Offiziere zur Seite zu stellen, in der Voruntersuchung ein besonders kvmmandirter Beisitzer, in der Hauptver- handlung der älteste als Schöffe berufene Offizier. Daß der als Untersuchungs- richter thätige Auditeur uicht auch in derselben Sache Leiter des Schöffengerichts sei, wäre wünschenswert, wird sich aber bei der geringen Zahl der Auditeure kaum durchführen lassen. Als Korrektiv gegen die Folgen einer einseitigen Verhandlung des Auditeurs auf Grund einer von ihm in der Voruntersuchung gefaßten Vorausicht dient einmal die Anwesenheit der völlig unbefangnen Schöffen und dann die Möglichkeit der Einlegung der Berufung. Wir kommen schließlich zu der wichtigen Einrichtung der Mündlichkeit und Öffentlichkeit. Auf die Gefahr, als schwärzeste Reaktionäre verschrieen zu werden, können wir ihrer unbeschränkten Einführung nicht zustimmen. Das schriftliche Verfahren, wonach also nur auf Grund des vorgelesenen Akteninhalts geurteilt wird, hat ja unleugbar deu Maugel, daß der Richter bei thatsächlich verwickelten und schwierigen Untersuchungen, namentlich wenn dabei noch Widersprüche zwischen den Aussagen der Angeklagten und Zeugen oder der Zeugen uuter einander vorkommen, sich selbst kein klares Bild von der Sachlage machen kann und mit seinein Urteil oft auf das Gutachten des Referenten angewiesen ist. Dies ist jedoch nur bei uicht einfachen und klaren Untersuchungen der Fall. Anders liegt es bei den der Zahl nach häufigeren einfachen und klaren Untersuchungen. Jeder, der einmal mit Kriegsgerichten zu thun gehabt hat, wird uns Recht geben, wenn wir sagen, daß bei Unter¬ suchungen der letztgenannten Art das schriftliche Verfahren für eine sachliche Erledigung kein Hindernis ist. Es liegt also keine Veranlassung vor, bei diesen eine Änderung herbeizuführen. Wohl aber besteht ein dringendes dienst¬ liches und auch pekuniäres Interesse, bei dem örtlichen Aufeinanderliegen der Truppen, namentlich auch der Marine, möglichst zu vermeiden, daß durch den Zwang persönlichen Erscheinens der Angeklagten und Zeugen vor dem mili¬ tärischen Sprnchgericht die Dienstreisen der Militärpersonen gehäuft werden. Führe man daher grundsätzlich die Mündlichkeit ein, lasse aber einen weiten Spielraum für ihre Ausnahmen, d. h. man erleichtere die Verhandlung in Ab¬ wesenheit des Angeklagten und erweitere die Zulässigkeit von Zeugen- und Sachverständigenvernehmnngen vor einem ersuchten oder beauftragten Richter. Und nun die Öffentlichkeit! Daß gegen eine Militärperson, welche ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/366>, abgerufen am 23.07.2024.