Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches daß der Tabak ein pacir Pfennige teurer werden sollte. Der Mvnvpolkrieg bildete Und wie unwürdig, wie kindisch ist der Maugel an Selbstbeherrschung, der Die unwiderstehliche Heftigkeit der Naturtriebe, die, als göttliche Einrichtung, Maßgebliches und Unmaßgebliches daß der Tabak ein pacir Pfennige teurer werden sollte. Der Mvnvpolkrieg bildete Und wie unwürdig, wie kindisch ist der Maugel an Selbstbeherrschung, der Die unwiderstehliche Heftigkeit der Naturtriebe, die, als göttliche Einrichtung, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206992"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_907" prev="#ID_906"> daß der Tabak ein pacir Pfennige teurer werden sollte. Der Mvnvpolkrieg bildete<lb/> das Satyrdrnma zu dem Heldendrama des französischen Krieges; denn beide haben<lb/> das Gemeinsame, daß sie zum erstenmale in der Weltgeschichte die Deutschen aller<lb/> Farben: Schwarze, Rote, Schwarz-Weiße, Blau-weiße und Weiß-gelbe geeinigt<lb/> haben. Ein hochgebildeter Mann, ein höherer Staatsbeamter, prophezeite sogar in<lb/> Gesellschaft, daß die armen Leute würden hungern müssen, wenn der Tabak ver¬<lb/> teuert würde; und da ich einwarf, vom Nichtraucher werde man doch nicht hungrig,<lb/> so antwortete er nur: Ja, glauben Sie denn, daß auch nur eine Zigarre weniger<lb/> geraucht werden wird? Männer von Verstand, Bildung und edeln Charakter<lb/> hielten es also für ganz selbstverständlich, daß die Verteuerung des Stinkkrauts<lb/> nicht die Verkleinerung der Tnbatspvrtion für den Mann, sondern der Brvtpvrtion<lb/> für Weib und Kind zur Folge haben würde! Wenn uns die Ausländer damals<lb/> beobachtet haben, so müssen sie den Eindruck gewonnen haben, daß der Deutsche an<lb/> den Stellen, wo bei andern Menschen das Hirn und das Herz fitzen, zwei Tabaks¬<lb/> beutel tragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_908"> Und wie unwürdig, wie kindisch ist der Maugel an Selbstbeherrschung, der<lb/> sich in unsern deutschen Nanchgewohnheiten kundgiebt! Gebildete Männer dulden<lb/> bei ihren kleinen Kindern den Sangpfropfen nicht, obwohl dieser vorm Laufenlernen<lb/> so ziemlich das einzige Vergnügen des Menschenwürmleins ist, und dabei gestehen<lb/> sie — thatsächlich wenigstens - - ein, daß sie selbst den Sangpfropfen nicht ent¬<lb/> behren können; sie, die Hocherhabenen, denen die Gewisse der Wissenschaft, der<lb/> Kunst, der politischen und „Humanitären" Bestrebungen zur Verfügung stehen, von<lb/> mancherlei materiellen Genüssen, die dem Siingling noch verwehrt sind, gar nicht<lb/> zu reden! Eine gute Havanna, zur rechten Zeit und am rechten Orte geraucht,<lb/> ist ja auch wirklich ein des Mannes würdiger Genuß; eine Pfeife, der phantastische<lb/> Wolken entquellen, kann als Sorgenbrecher wirken; aber ein Ding, das man von<lb/> früh bis abends im Munde zu halte» durch Gewohnheit genötigt ist, gehört in<lb/> dieselbe Klasse wie der Saugstöpsel des Säuglings.</p><lb/> <p xml:id="ID_909"> Die unwiderstehliche Heftigkeit der Naturtriebe, die, als göttliche Einrichtung,<lb/> etwas Heiliges hat, gilt nicht als Entschuldigung für den, der seine Begier ans<lb/> Kosten eines andern befriedigt. Wer zur Befriedigung seines Hungers einen Nickel<lb/> stiehlt, wird als Dieb bestraft, und thut ers wiederholt, so droht ihm das Zucht¬<lb/> haus. Aber mir mit seinem Qualm ein Unbehagen verursachen, von dem ich mich<lb/> gern mit vier bis fünf Rinteln loskaufen möchte, mir den Aufenthalt im Konzert,<lb/> auf dem Spazierweg, auf dem Bürgersteig der innern Stadt, im Eisenbahnwagen<lb/> verleiden, mir eine Augenentzündung anblasen, das darf jedermann. In jungen<lb/> Jahren begegnete mir einmal folgendes: An einem lallen Wintertage hatte ich zu<lb/> einer Fahrt im offnen Wagen sämtliche Obcrgewänder angelegt, die ich damals<lb/> besaß: Rock, Überzieher und Mantel. Nach der Fahrt mußte ich eine Strecke zu<lb/> Mße gehen. Der Wind erhob sich; da setzte mich mein Begleiter mit seinem<lb/> Glimmstengel in Flammen, oder vielmehr in stille und daher unbemerkte Glut, und<lb/> erst, als die Sache act triarios, das heißt durch Mantel und Überzieher auf den<lb/> Rockkragen gekommen war, bemerkte ich, daß ich abgebrannt war. Und dabei<lb/> konnte ich weder auf den Brand betteln, noch vom Brandstifter Schadenersatz be¬<lb/> anspruchen, sondern mußte, inwendig knirschend, seine Entschuldigung mit der höf¬<lb/> lichen Lüge abwehren: O bitte, das thut nichts! Mit dem zuletzt Gesagten soll<lb/> "ber um Gottes willen nicht etwa die Aufmerksamkeit der strafenden Gerechtigkeit<lb/> "uf derlei Land- und Brandschäden gelenkt, sondern uur an das Gerechtigkeitsgefühl<lb/> der deutscheu Männerwelt appellirt werden.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
daß der Tabak ein pacir Pfennige teurer werden sollte. Der Mvnvpolkrieg bildete
das Satyrdrnma zu dem Heldendrama des französischen Krieges; denn beide haben
das Gemeinsame, daß sie zum erstenmale in der Weltgeschichte die Deutschen aller
Farben: Schwarze, Rote, Schwarz-Weiße, Blau-weiße und Weiß-gelbe geeinigt
haben. Ein hochgebildeter Mann, ein höherer Staatsbeamter, prophezeite sogar in
Gesellschaft, daß die armen Leute würden hungern müssen, wenn der Tabak ver¬
teuert würde; und da ich einwarf, vom Nichtraucher werde man doch nicht hungrig,
so antwortete er nur: Ja, glauben Sie denn, daß auch nur eine Zigarre weniger
geraucht werden wird? Männer von Verstand, Bildung und edeln Charakter
hielten es also für ganz selbstverständlich, daß die Verteuerung des Stinkkrauts
nicht die Verkleinerung der Tnbatspvrtion für den Mann, sondern der Brvtpvrtion
für Weib und Kind zur Folge haben würde! Wenn uns die Ausländer damals
beobachtet haben, so müssen sie den Eindruck gewonnen haben, daß der Deutsche an
den Stellen, wo bei andern Menschen das Hirn und das Herz fitzen, zwei Tabaks¬
beutel tragen.
Und wie unwürdig, wie kindisch ist der Maugel an Selbstbeherrschung, der
sich in unsern deutschen Nanchgewohnheiten kundgiebt! Gebildete Männer dulden
bei ihren kleinen Kindern den Sangpfropfen nicht, obwohl dieser vorm Laufenlernen
so ziemlich das einzige Vergnügen des Menschenwürmleins ist, und dabei gestehen
sie — thatsächlich wenigstens - - ein, daß sie selbst den Sangpfropfen nicht ent¬
behren können; sie, die Hocherhabenen, denen die Gewisse der Wissenschaft, der
Kunst, der politischen und „Humanitären" Bestrebungen zur Verfügung stehen, von
mancherlei materiellen Genüssen, die dem Siingling noch verwehrt sind, gar nicht
zu reden! Eine gute Havanna, zur rechten Zeit und am rechten Orte geraucht,
ist ja auch wirklich ein des Mannes würdiger Genuß; eine Pfeife, der phantastische
Wolken entquellen, kann als Sorgenbrecher wirken; aber ein Ding, das man von
früh bis abends im Munde zu halte» durch Gewohnheit genötigt ist, gehört in
dieselbe Klasse wie der Saugstöpsel des Säuglings.
Die unwiderstehliche Heftigkeit der Naturtriebe, die, als göttliche Einrichtung,
etwas Heiliges hat, gilt nicht als Entschuldigung für den, der seine Begier ans
Kosten eines andern befriedigt. Wer zur Befriedigung seines Hungers einen Nickel
stiehlt, wird als Dieb bestraft, und thut ers wiederholt, so droht ihm das Zucht¬
haus. Aber mir mit seinem Qualm ein Unbehagen verursachen, von dem ich mich
gern mit vier bis fünf Rinteln loskaufen möchte, mir den Aufenthalt im Konzert,
auf dem Spazierweg, auf dem Bürgersteig der innern Stadt, im Eisenbahnwagen
verleiden, mir eine Augenentzündung anblasen, das darf jedermann. In jungen
Jahren begegnete mir einmal folgendes: An einem lallen Wintertage hatte ich zu
einer Fahrt im offnen Wagen sämtliche Obcrgewänder angelegt, die ich damals
besaß: Rock, Überzieher und Mantel. Nach der Fahrt mußte ich eine Strecke zu
Mße gehen. Der Wind erhob sich; da setzte mich mein Begleiter mit seinem
Glimmstengel in Flammen, oder vielmehr in stille und daher unbemerkte Glut, und
erst, als die Sache act triarios, das heißt durch Mantel und Überzieher auf den
Rockkragen gekommen war, bemerkte ich, daß ich abgebrannt war. Und dabei
konnte ich weder auf den Brand betteln, noch vom Brandstifter Schadenersatz be¬
anspruchen, sondern mußte, inwendig knirschend, seine Entschuldigung mit der höf¬
lichen Lüge abwehren: O bitte, das thut nichts! Mit dem zuletzt Gesagten soll
"ber um Gottes willen nicht etwa die Aufmerksamkeit der strafenden Gerechtigkeit
"uf derlei Land- und Brandschäden gelenkt, sondern uur an das Gerechtigkeitsgefühl
der deutscheu Männerwelt appellirt werden.
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