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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Humor und Aomik in der griechischen Kunst

Bildwerken als erotisches Symbol, am Abhang empvrläuft. Zeus selbst bleibt
also bei solchen komischen Zügen unberührt, und so ist auch Hera in der Kunst
stets die majestätische Himmelskönigin, nie die zänkische und eifersüchtige Haus¬
frau der Dichtung; und dasselbe gilt von den andern Persönlichkeiten des
olympischen Götterkreises. Selbst Hephästos, der doch in der Poesie und
Sage beinahe eine komische Figur ist, als der rußige Schmied und lahme
Hahnrei, wird von der Kunst niemals in diesem Sinne aufgefaßt; mir in den
Darstellungen, die seine Rückführung in den Olymp durch Dionysos vorführen
und auf denen Hephästos meist in etwas eigentümlichem Auszüge auf einem
Maultier reitet oder sich halb widerwillig fortziehen läßt, kann man einen leise
komischen Zug bemerken. Ein solcher tritt auch sonst hie und da in einzelnen
Szenen der Göttersage hervor; am meisten in der von der Kunst sehr häufig
dargestellten Geschichte vom litten des Paris. Auf ältern Vasengemülden
kommen da nicht selten die drei Göttinnen mit Riesenschritten herbeigelaufen,
als könnten sie die Entscheidung gar nicht erwarten; ihnen voran in nicht ge¬
ringerer Eile ihr Führer Hermes. Ein andermal sind sie bereits angelangt;
Paris, als schüchterner Hirtenknabe, will Reißans nehmen, Hermes aber hält
ihn um Arme sest und nötigt ihn zu bleiben. Wieder ein andres, einer spätern
Stilperiode angehöriges Bild zeigt uns den Augenblick vor dem Urteilsspruch;
während Hermes mit Paris verhandelt, machen die Damen ihre Toilette, um
recht schön zu erscheinen: Hera beschaut sich noch einmal im Spiegel und ordnet
sich ihren Kopfputz; Aphrodite läßt sich von Eros ihre Armbänder umlegen,
Athene aber hat ihre Waffen, Helm, Schild und Speer, beiseite gelegt und ist
zum Brunnen gegangen, wo sie sich das Wasser in beide untergebreitete Hände
laufen läßt, um sich damit noch einmal gründlich das jungfräuliche Gesichtchen
zu reinigen, wobei sie ihr Kleid, damit es nicht naß werde, vorsichtig
zwischen die eingeknickten Beine geklemmt hat -- ein allerliebster Zug harmloser
Ironie.

Wollen wir aber die komische Seite der griechischen Kunst in ihren besten
^eistuugen kennen lernen, so müssen wir den Kreis der olympischen Götter ver¬
lassen und die Gesellschaft des Dionysos und seiner Gefährten aufsuchen.
Freilich die Person des jugendlichen Gottes selbst hat durchaus nichts Komisches
an sich; der schmeerbäuchige, rotnasige Bnechus, der betrunken auf einer Tonne
reitet, ist keine antike Figur, sondern eine moderne Erfindung. Der Bacchus
der alten Kunst ist zwar auch bisweilen weinschwer und bedarf, um sich auf
den Füßen halten zu können, gelegentlich wohl auch der Unterstützung seiner
Begleiter; aber die Kunst stellt selbst diesen Rausch als einen göttlichen dar,
nimmt ihm alles, was ihn komisch oder gar gemein erscheinen lassen könnte,
und der schöne Jüngling wird nie zum lächerlichen oder ekelhaften Trunkenbolde.
Anders seine Genossen, vor allem die übermütige Gesellschaft der Satyrn.
Der Satyr ist die eigentliche komische Figur der alten Kunst. Schon sein
Äußeres verrät dies. In der ältern Kunst erscheint er meist in höhern Jahren;


Humor und Aomik in der griechischen Kunst

Bildwerken als erotisches Symbol, am Abhang empvrläuft. Zeus selbst bleibt
also bei solchen komischen Zügen unberührt, und so ist auch Hera in der Kunst
stets die majestätische Himmelskönigin, nie die zänkische und eifersüchtige Haus¬
frau der Dichtung; und dasselbe gilt von den andern Persönlichkeiten des
olympischen Götterkreises. Selbst Hephästos, der doch in der Poesie und
Sage beinahe eine komische Figur ist, als der rußige Schmied und lahme
Hahnrei, wird von der Kunst niemals in diesem Sinne aufgefaßt; mir in den
Darstellungen, die seine Rückführung in den Olymp durch Dionysos vorführen
und auf denen Hephästos meist in etwas eigentümlichem Auszüge auf einem
Maultier reitet oder sich halb widerwillig fortziehen läßt, kann man einen leise
komischen Zug bemerken. Ein solcher tritt auch sonst hie und da in einzelnen
Szenen der Göttersage hervor; am meisten in der von der Kunst sehr häufig
dargestellten Geschichte vom litten des Paris. Auf ältern Vasengemülden
kommen da nicht selten die drei Göttinnen mit Riesenschritten herbeigelaufen,
als könnten sie die Entscheidung gar nicht erwarten; ihnen voran in nicht ge¬
ringerer Eile ihr Führer Hermes. Ein andermal sind sie bereits angelangt;
Paris, als schüchterner Hirtenknabe, will Reißans nehmen, Hermes aber hält
ihn um Arme sest und nötigt ihn zu bleiben. Wieder ein andres, einer spätern
Stilperiode angehöriges Bild zeigt uns den Augenblick vor dem Urteilsspruch;
während Hermes mit Paris verhandelt, machen die Damen ihre Toilette, um
recht schön zu erscheinen: Hera beschaut sich noch einmal im Spiegel und ordnet
sich ihren Kopfputz; Aphrodite läßt sich von Eros ihre Armbänder umlegen,
Athene aber hat ihre Waffen, Helm, Schild und Speer, beiseite gelegt und ist
zum Brunnen gegangen, wo sie sich das Wasser in beide untergebreitete Hände
laufen läßt, um sich damit noch einmal gründlich das jungfräuliche Gesichtchen
zu reinigen, wobei sie ihr Kleid, damit es nicht naß werde, vorsichtig
zwischen die eingeknickten Beine geklemmt hat — ein allerliebster Zug harmloser
Ironie.

Wollen wir aber die komische Seite der griechischen Kunst in ihren besten
^eistuugen kennen lernen, so müssen wir den Kreis der olympischen Götter ver¬
lassen und die Gesellschaft des Dionysos und seiner Gefährten aufsuchen.
Freilich die Person des jugendlichen Gottes selbst hat durchaus nichts Komisches
an sich; der schmeerbäuchige, rotnasige Bnechus, der betrunken auf einer Tonne
reitet, ist keine antike Figur, sondern eine moderne Erfindung. Der Bacchus
der alten Kunst ist zwar auch bisweilen weinschwer und bedarf, um sich auf
den Füßen halten zu können, gelegentlich wohl auch der Unterstützung seiner
Begleiter; aber die Kunst stellt selbst diesen Rausch als einen göttlichen dar,
nimmt ihm alles, was ihn komisch oder gar gemein erscheinen lassen könnte,
und der schöne Jüngling wird nie zum lächerlichen oder ekelhaften Trunkenbolde.
Anders seine Genossen, vor allem die übermütige Gesellschaft der Satyrn.
Der Satyr ist die eigentliche komische Figur der alten Kunst. Schon sein
Äußeres verrät dies. In der ältern Kunst erscheint er meist in höhern Jahren;


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[0341] Humor und Aomik in der griechischen Kunst Bildwerken als erotisches Symbol, am Abhang empvrläuft. Zeus selbst bleibt also bei solchen komischen Zügen unberührt, und so ist auch Hera in der Kunst stets die majestätische Himmelskönigin, nie die zänkische und eifersüchtige Haus¬ frau der Dichtung; und dasselbe gilt von den andern Persönlichkeiten des olympischen Götterkreises. Selbst Hephästos, der doch in der Poesie und Sage beinahe eine komische Figur ist, als der rußige Schmied und lahme Hahnrei, wird von der Kunst niemals in diesem Sinne aufgefaßt; mir in den Darstellungen, die seine Rückführung in den Olymp durch Dionysos vorführen und auf denen Hephästos meist in etwas eigentümlichem Auszüge auf einem Maultier reitet oder sich halb widerwillig fortziehen läßt, kann man einen leise komischen Zug bemerken. Ein solcher tritt auch sonst hie und da in einzelnen Szenen der Göttersage hervor; am meisten in der von der Kunst sehr häufig dargestellten Geschichte vom litten des Paris. Auf ältern Vasengemülden kommen da nicht selten die drei Göttinnen mit Riesenschritten herbeigelaufen, als könnten sie die Entscheidung gar nicht erwarten; ihnen voran in nicht ge¬ ringerer Eile ihr Führer Hermes. Ein andermal sind sie bereits angelangt; Paris, als schüchterner Hirtenknabe, will Reißans nehmen, Hermes aber hält ihn um Arme sest und nötigt ihn zu bleiben. Wieder ein andres, einer spätern Stilperiode angehöriges Bild zeigt uns den Augenblick vor dem Urteilsspruch; während Hermes mit Paris verhandelt, machen die Damen ihre Toilette, um recht schön zu erscheinen: Hera beschaut sich noch einmal im Spiegel und ordnet sich ihren Kopfputz; Aphrodite läßt sich von Eros ihre Armbänder umlegen, Athene aber hat ihre Waffen, Helm, Schild und Speer, beiseite gelegt und ist zum Brunnen gegangen, wo sie sich das Wasser in beide untergebreitete Hände laufen läßt, um sich damit noch einmal gründlich das jungfräuliche Gesichtchen zu reinigen, wobei sie ihr Kleid, damit es nicht naß werde, vorsichtig zwischen die eingeknickten Beine geklemmt hat — ein allerliebster Zug harmloser Ironie. Wollen wir aber die komische Seite der griechischen Kunst in ihren besten ^eistuugen kennen lernen, so müssen wir den Kreis der olympischen Götter ver¬ lassen und die Gesellschaft des Dionysos und seiner Gefährten aufsuchen. Freilich die Person des jugendlichen Gottes selbst hat durchaus nichts Komisches an sich; der schmeerbäuchige, rotnasige Bnechus, der betrunken auf einer Tonne reitet, ist keine antike Figur, sondern eine moderne Erfindung. Der Bacchus der alten Kunst ist zwar auch bisweilen weinschwer und bedarf, um sich auf den Füßen halten zu können, gelegentlich wohl auch der Unterstützung seiner Begleiter; aber die Kunst stellt selbst diesen Rausch als einen göttlichen dar, nimmt ihm alles, was ihn komisch oder gar gemein erscheinen lassen könnte, und der schöne Jüngling wird nie zum lächerlichen oder ekelhaften Trunkenbolde. Anders seine Genossen, vor allem die übermütige Gesellschaft der Satyrn. Der Satyr ist die eigentliche komische Figur der alten Kunst. Schon sein Äußeres verrät dies. In der ältern Kunst erscheint er meist in höhern Jahren;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/341>, abgerufen am 26.06.2024.