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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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heraus mich eignem Gesetz bildende und nlle Glieder durchdringende einheitliche
Kraft" im Deutschen wiederzugeben. Er meint mit vollem Rechte: "Wer uns
den Dichter nahe bringen null, dessen höchste Sorge wird es sein müssen, vor
allem den Eindruck einer geschlossenen Persönlichkeit wieder hervorzurufen, alle
Worte und Wendungen, die das Original zu interpretiren versuchen, aus eiueiu
möglichst einheitlichen Sprachgefühl hervorquellen zu lassen, überhaupt nicht
eher ans Werk zu gehen, als bis er mit eigner künstlerischer Kraft das geistige
Grundwesen des fremden Dichters in seinem Innern nachgeschaffen hat." Und
Heyse erreicht nicht bloß einmal, nicht gelegentlich, sondern beinahe immer dies
höchste Ziel des Übersetzers und bewahrt die feine Formempfinduug, die ihn
in seinen eignen Dichtungen auszeichnet, auch deu Gebilden und Lebensäuße-
rungen der genannten italienischen Dichter gegenüber. Die Einleitungen, Nach¬
worte und Anmerkungen Hehses, von denen er selbst im Vorwort mit einer
übergroßen Bescheidenheit spricht, haben jedenfalls den Wert, die Kreise, an die
sich die Sammlung wendet, über deu Entwicklungsgang der neuern italienischen
Litteratur vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf die letzte Zeit vor der
schwer errungenen Einheit besser und eingehender zu belehren, als dies mit
Hilfe der literarhistorischen Handbücher und Abrisse irgend möglich war.
Finden sie aufmerksame Leser, so wird diesen nicht entgehen, daß die kurzen
Aufsätze Hehses nicht nur in geistvoll knapper Weise das Wesentlichste über
Bedeutung, Eigenart, Leben und Dichten der von ihm ausgewählten Dichter
mitteilen, sondern auch tiefere Kunstfragen berühren und streifen, niemals ohne
ein paar aus eigner Kunstübung und seiner Nachempfindung geschöpfte Sätze
zu geben, die sich Ästhetiker von Handwerk zu Gemüte führen können. Die
Kürze seiner Mitteilungen schließt nirgends eine Flüchtigkeit ein, und wenn in
erster Linie die Italiener Ursache haben, dein deutschen Dichter für diese Kapitel
Poetisch illustrirter italienischer Litteraturgeschichte dankbar zu sein, so wird es
auch in Deutschland nicht an Einzelnen fehlen, die Heyse für die ganze Samm¬
lung oder für einen und den andern Teil von Herzen dankbar sind. Es wird
doch auch Leute geben, die die nicht pessimistische" Erzeugnisse der Satiriker
zu würdigen wissen.

Eines ist freilich gewiß, und der Herausgeber hat es sich selbst gesagt
und in der Einleitung zu der hübschen poetischen Erzählung von Antonio
Guadagnoli (Die Zunge einer Frau auf der Probe) auch öffentlich ausge¬
sprochen, daß diejenige Poesie der Romanen, die aus ihrem starken Geselligkeits¬
triebe entspringt, die Dichtung in den Dienst der Unterhaltung stellt und in
keiner Weise auf das Gemüt und nur ganz obenhin und flüchtig auf den Geist
wirkt, die eigentliche xvösm ssioeosg., bei uns keinen Boden hat. In Deutsch¬
land wären kein Berni, kein Parmi gediehen, selbst Wieland ist keiner geworden.
Wo sich unser Spaß, unsre heitere Gelegenheitsdichtung nicht gleich höher er¬
heben, sinken sie in der Regel zur Plattheit, zur gereimten Ungereimtheit herab.


heraus mich eignem Gesetz bildende und nlle Glieder durchdringende einheitliche
Kraft" im Deutschen wiederzugeben. Er meint mit vollem Rechte: „Wer uns
den Dichter nahe bringen null, dessen höchste Sorge wird es sein müssen, vor
allem den Eindruck einer geschlossenen Persönlichkeit wieder hervorzurufen, alle
Worte und Wendungen, die das Original zu interpretiren versuchen, aus eiueiu
möglichst einheitlichen Sprachgefühl hervorquellen zu lassen, überhaupt nicht
eher ans Werk zu gehen, als bis er mit eigner künstlerischer Kraft das geistige
Grundwesen des fremden Dichters in seinem Innern nachgeschaffen hat." Und
Heyse erreicht nicht bloß einmal, nicht gelegentlich, sondern beinahe immer dies
höchste Ziel des Übersetzers und bewahrt die feine Formempfinduug, die ihn
in seinen eignen Dichtungen auszeichnet, auch deu Gebilden und Lebensäuße-
rungen der genannten italienischen Dichter gegenüber. Die Einleitungen, Nach¬
worte und Anmerkungen Hehses, von denen er selbst im Vorwort mit einer
übergroßen Bescheidenheit spricht, haben jedenfalls den Wert, die Kreise, an die
sich die Sammlung wendet, über deu Entwicklungsgang der neuern italienischen
Litteratur vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf die letzte Zeit vor der
schwer errungenen Einheit besser und eingehender zu belehren, als dies mit
Hilfe der literarhistorischen Handbücher und Abrisse irgend möglich war.
Finden sie aufmerksame Leser, so wird diesen nicht entgehen, daß die kurzen
Aufsätze Hehses nicht nur in geistvoll knapper Weise das Wesentlichste über
Bedeutung, Eigenart, Leben und Dichten der von ihm ausgewählten Dichter
mitteilen, sondern auch tiefere Kunstfragen berühren und streifen, niemals ohne
ein paar aus eigner Kunstübung und seiner Nachempfindung geschöpfte Sätze
zu geben, die sich Ästhetiker von Handwerk zu Gemüte führen können. Die
Kürze seiner Mitteilungen schließt nirgends eine Flüchtigkeit ein, und wenn in
erster Linie die Italiener Ursache haben, dein deutschen Dichter für diese Kapitel
Poetisch illustrirter italienischer Litteraturgeschichte dankbar zu sein, so wird es
auch in Deutschland nicht an Einzelnen fehlen, die Heyse für die ganze Samm¬
lung oder für einen und den andern Teil von Herzen dankbar sind. Es wird
doch auch Leute geben, die die nicht pessimistische» Erzeugnisse der Satiriker
zu würdigen wissen.

Eines ist freilich gewiß, und der Herausgeber hat es sich selbst gesagt
und in der Einleitung zu der hübschen poetischen Erzählung von Antonio
Guadagnoli (Die Zunge einer Frau auf der Probe) auch öffentlich ausge¬
sprochen, daß diejenige Poesie der Romanen, die aus ihrem starken Geselligkeits¬
triebe entspringt, die Dichtung in den Dienst der Unterhaltung stellt und in
keiner Weise auf das Gemüt und nur ganz obenhin und flüchtig auf den Geist
wirkt, die eigentliche xvösm ssioeosg., bei uns keinen Boden hat. In Deutsch¬
land wären kein Berni, kein Parmi gediehen, selbst Wieland ist keiner geworden.
Wo sich unser Spaß, unsre heitere Gelegenheitsdichtung nicht gleich höher er¬
heben, sinken sie in der Regel zur Plattheit, zur gereimten Ungereimtheit herab.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/335>, abgerufen am 23.07.2024.