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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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tüinliche Wirkung der italienischen Litteratur in Dentschlmid ausbleiben mußte.
Aber die Zurückhaltung auch der feinern, künstlerischer Empfänglichkeit sich
bewußten Kreise, eiues Publikums, das sich zu einem eignen "Litteraturverein"
zusammengethan hat und mit einem sehr gemischten Programm vorlieb nimmt,
wie haben wir uns die zu erklären? Eine genügende Antwort n"f diese Frage
würde uns hier zu weit führen. Und vielleicht ist das seltsame Rätsel über¬
haupt nicht völlig zu lösen, und wir müssen uns mit dein Zugeständnis be¬
scheiden, daß nicht bloß einzelne Bücher, sondern auch ganze Litteraturen ihre
Schicksale haben."

Über die herrschende Gleichgültigkeit gegen die neuere Litteratur Italiens
wäre, wie der Herausgeber der "Italienischen Dichter" oben andeutet, viel zu
sagen, und die Frage steht auch nicht ganz so, daß das Schicksal der italieni¬
schen Dichter gewendet werden müßte, weil es in gewissem Sinne unver¬
dient ist. Denn zu den "Schicksalen," deren Heyse gedenkt, gehören auch jene
Stimmungen, die zu Zeiten durch ganze Völker hindurchgehen und einen ge¬
heimen Einfluß selbst auf die Kreise ausüben, die sich im Besitz der höchsten
und freiesten Bildung glauben. Trotz des Getöses der Zvlaanbetnng und der
Bewunderung für russische Wirklichkeitsdarsteller, trotz freier Bühne und sozia¬
listischer Ästhetik, die alles Deutsche von vornherein mißachtet, spüren Nur einen
Hauch in der Luft, ein stilles Wehen und Rauschen, das eine Zeit verkündet,
wo die spezifisch germanischen Elemente in aller Kunst, namentlich aber in
der Poesie wieder einmal vor andern wirken werden. Ob es glücklich oder
bedenklich sei, daß eine solche Wendung bevorsteht, brauchen wir hier nicht zu
erörtern, genug, daß, wenn es so ist, sich die Aussichten auf stärkere Geltung
und Verbreitung italienischer Poesie eher mindern als mehren. Die Lust an
einer weitausgebreiteten Bildung, einem sichern und vielseitigen Geschmack, der
die Reize grundverschiedner Phantasierichtungen und grundverschiedner Natur-
einwirkungen zu würdigen versteht, ist zudem viel seltner unter uns geworden.
Bei den tausend Forderungen, die hente an den Einzelnen gestellt werden, giebt
es wenige unermüdliche Leser, die stillen Lebensgenuß in der poetischen Wider¬
spiegelung der Welt suchen. Und solche Leser sind denn doch vorausgesetzt,
wenn es sich um tiefere eingehende Teilnahme für das erste Wiedererwachen
eines starken und männlichen Litterntnrgeiftes in Italien, für die Dichtungen
der Parmi, Alfieri, Monti, Fvsevlv, Manzoni, um eine nachhaltige Beschäf¬
tigung mit den durchaus eigentümlichen nud keineswegs leicht zu genießenden
Dichtererscheinungen Levpardis, Ginstis und der Satiriker Guadagnoli und
Belli handelt. Die Sammlung der Übertraguugeu und Studien Heyses, die
zum Teil über dreißig Jahre zurückreichen, ist im höchsten Grade dankenswert
und eine gewisse Wirkung wird ihr nicht fehlen. Die Übersetzungen selbst ent¬
sprechen den höchsten Forderungen, die zu stellen sind, der poetische Übersetzer
ringt vor allem darnach, den Stil der ihn fesselnden Dichter, "die von innen


tüinliche Wirkung der italienischen Litteratur in Dentschlmid ausbleiben mußte.
Aber die Zurückhaltung auch der feinern, künstlerischer Empfänglichkeit sich
bewußten Kreise, eiues Publikums, das sich zu einem eignen „Litteraturverein"
zusammengethan hat und mit einem sehr gemischten Programm vorlieb nimmt,
wie haben wir uns die zu erklären? Eine genügende Antwort n»f diese Frage
würde uns hier zu weit führen. Und vielleicht ist das seltsame Rätsel über¬
haupt nicht völlig zu lösen, und wir müssen uns mit dein Zugeständnis be¬
scheiden, daß nicht bloß einzelne Bücher, sondern auch ganze Litteraturen ihre
Schicksale haben."

Über die herrschende Gleichgültigkeit gegen die neuere Litteratur Italiens
wäre, wie der Herausgeber der „Italienischen Dichter" oben andeutet, viel zu
sagen, und die Frage steht auch nicht ganz so, daß das Schicksal der italieni¬
schen Dichter gewendet werden müßte, weil es in gewissem Sinne unver¬
dient ist. Denn zu den „Schicksalen," deren Heyse gedenkt, gehören auch jene
Stimmungen, die zu Zeiten durch ganze Völker hindurchgehen und einen ge¬
heimen Einfluß selbst auf die Kreise ausüben, die sich im Besitz der höchsten
und freiesten Bildung glauben. Trotz des Getöses der Zvlaanbetnng und der
Bewunderung für russische Wirklichkeitsdarsteller, trotz freier Bühne und sozia¬
listischer Ästhetik, die alles Deutsche von vornherein mißachtet, spüren Nur einen
Hauch in der Luft, ein stilles Wehen und Rauschen, das eine Zeit verkündet,
wo die spezifisch germanischen Elemente in aller Kunst, namentlich aber in
der Poesie wieder einmal vor andern wirken werden. Ob es glücklich oder
bedenklich sei, daß eine solche Wendung bevorsteht, brauchen wir hier nicht zu
erörtern, genug, daß, wenn es so ist, sich die Aussichten auf stärkere Geltung
und Verbreitung italienischer Poesie eher mindern als mehren. Die Lust an
einer weitausgebreiteten Bildung, einem sichern und vielseitigen Geschmack, der
die Reize grundverschiedner Phantasierichtungen und grundverschiedner Natur-
einwirkungen zu würdigen versteht, ist zudem viel seltner unter uns geworden.
Bei den tausend Forderungen, die hente an den Einzelnen gestellt werden, giebt
es wenige unermüdliche Leser, die stillen Lebensgenuß in der poetischen Wider¬
spiegelung der Welt suchen. Und solche Leser sind denn doch vorausgesetzt,
wenn es sich um tiefere eingehende Teilnahme für das erste Wiedererwachen
eines starken und männlichen Litterntnrgeiftes in Italien, für die Dichtungen
der Parmi, Alfieri, Monti, Fvsevlv, Manzoni, um eine nachhaltige Beschäf¬
tigung mit den durchaus eigentümlichen nud keineswegs leicht zu genießenden
Dichtererscheinungen Levpardis, Ginstis und der Satiriker Guadagnoli und
Belli handelt. Die Sammlung der Übertraguugeu und Studien Heyses, die
zum Teil über dreißig Jahre zurückreichen, ist im höchsten Grade dankenswert
und eine gewisse Wirkung wird ihr nicht fehlen. Die Übersetzungen selbst ent¬
sprechen den höchsten Forderungen, die zu stellen sind, der poetische Übersetzer
ringt vor allem darnach, den Stil der ihn fesselnden Dichter, „die von innen


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[0334] tüinliche Wirkung der italienischen Litteratur in Dentschlmid ausbleiben mußte. Aber die Zurückhaltung auch der feinern, künstlerischer Empfänglichkeit sich bewußten Kreise, eiues Publikums, das sich zu einem eignen „Litteraturverein" zusammengethan hat und mit einem sehr gemischten Programm vorlieb nimmt, wie haben wir uns die zu erklären? Eine genügende Antwort n»f diese Frage würde uns hier zu weit führen. Und vielleicht ist das seltsame Rätsel über¬ haupt nicht völlig zu lösen, und wir müssen uns mit dein Zugeständnis be¬ scheiden, daß nicht bloß einzelne Bücher, sondern auch ganze Litteraturen ihre Schicksale haben." Über die herrschende Gleichgültigkeit gegen die neuere Litteratur Italiens wäre, wie der Herausgeber der „Italienischen Dichter" oben andeutet, viel zu sagen, und die Frage steht auch nicht ganz so, daß das Schicksal der italieni¬ schen Dichter gewendet werden müßte, weil es in gewissem Sinne unver¬ dient ist. Denn zu den „Schicksalen," deren Heyse gedenkt, gehören auch jene Stimmungen, die zu Zeiten durch ganze Völker hindurchgehen und einen ge¬ heimen Einfluß selbst auf die Kreise ausüben, die sich im Besitz der höchsten und freiesten Bildung glauben. Trotz des Getöses der Zvlaanbetnng und der Bewunderung für russische Wirklichkeitsdarsteller, trotz freier Bühne und sozia¬ listischer Ästhetik, die alles Deutsche von vornherein mißachtet, spüren Nur einen Hauch in der Luft, ein stilles Wehen und Rauschen, das eine Zeit verkündet, wo die spezifisch germanischen Elemente in aller Kunst, namentlich aber in der Poesie wieder einmal vor andern wirken werden. Ob es glücklich oder bedenklich sei, daß eine solche Wendung bevorsteht, brauchen wir hier nicht zu erörtern, genug, daß, wenn es so ist, sich die Aussichten auf stärkere Geltung und Verbreitung italienischer Poesie eher mindern als mehren. Die Lust an einer weitausgebreiteten Bildung, einem sichern und vielseitigen Geschmack, der die Reize grundverschiedner Phantasierichtungen und grundverschiedner Natur- einwirkungen zu würdigen versteht, ist zudem viel seltner unter uns geworden. Bei den tausend Forderungen, die hente an den Einzelnen gestellt werden, giebt es wenige unermüdliche Leser, die stillen Lebensgenuß in der poetischen Wider¬ spiegelung der Welt suchen. Und solche Leser sind denn doch vorausgesetzt, wenn es sich um tiefere eingehende Teilnahme für das erste Wiedererwachen eines starken und männlichen Litterntnrgeiftes in Italien, für die Dichtungen der Parmi, Alfieri, Monti, Fvsevlv, Manzoni, um eine nachhaltige Beschäf¬ tigung mit den durchaus eigentümlichen nud keineswegs leicht zu genießenden Dichtererscheinungen Levpardis, Ginstis und der Satiriker Guadagnoli und Belli handelt. Die Sammlung der Übertraguugeu und Studien Heyses, die zum Teil über dreißig Jahre zurückreichen, ist im höchsten Grade dankenswert und eine gewisse Wirkung wird ihr nicht fehlen. Die Übersetzungen selbst ent¬ sprechen den höchsten Forderungen, die zu stellen sind, der poetische Übersetzer ringt vor allem darnach, den Stil der ihn fesselnden Dichter, „die von innen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/334>, abgerufen am 23.07.2024.