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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Wir sehen nun einmal die Hohlräume an, die sich bei unsern Vokalen
zeigen. Bei dem Sprechen von i, e, ä, n kam vorhin nur der Abstand der
Zahnreihen, der Kieferwinkel in Betracht. Jetzt soll es unsre Aufgabe sein,
das Verhalten der Zunge zu beobachten. Zu dem Zwecke lege ich den Zeige¬
finger auf die Zunge und spreche noch einmal die Vokale i, e, ä, a in der
angegebnen Reihenfolge. Da finden wir. das; bei i der Abstand der Zunge
vom Gaumen sehr gering ist, der Finger geht nur mit Mühe dazwischen; aber
bei den übrigen Vokalen wird dieser Abstand und infolge dessen auch der
Hohlraum immer großer. Wir können aus dieser Thatsache sosort schließen,
daß der Vokal mit dem kleinsten Hohlraum auch den höchsten Ton und der
mit dem größten Hohlrnnme den tiefsten Ton haben muß, gerade so wie wir
es bei den Fässern beobachteten oder es an jedem andern Gegenstande, z.B.
einem Topfe mit Wasser, wahrnehmen, dessen Raum - - hier dnrch Zu- oder
Abgießen der Flüssigkeit -- sich verändern läßt. Nun ist es ja eine bekannte
Thatsache, daß wir beim Singen - und ebenso beim Sprechen - einem
Vokale die verschiedenste Hohe geben können. Wir können n die ganze Tonleiter
hindurch singend Der Hohlraum bleibt immer derselbe, und doch haben wir
ganz verschiedne Höhen.° Die Ursache dieser Erscheinung liegt in den Stimm¬
bändern, die wie° eine Gummischuur gedehnt und angespannt werden können
und wie die kurzen und langen Saiten eines Klaviers ganz verschiedne Töne
bon sich geben. Diesen eigentümlichen Einfluß der Bänder müssen wir auf¬
zuheben versuchen, wenn wir feste Werte für unsre Laute gewinnen wollen.
Und dies vermögen wir dadurch, das; wir flüstern. Die eigentlichen Stimm¬
bänder legen sich beim Flüstern fest zusammen, treten außer Thätigkeit, und es
bleibt nur eine Öffnung übrig, aus der die Luft ans den Lungen entweichen
und die über den Rändern liegenden Hohlräume anblasen kann. Diese Räume
aber haben ihren besondern Ton (Hall), der immer derselbe bleiben muß.
Trautmnnn (Die Sprachkunde, S. 40) findet fiir die geflüsterten Vokale a, ä.
e. i den Septimenakkord g, h, d, f. Die andern Vokale und die Konsonanten
sucht er gleichfalls ihrer Tonhöhe nach zu bestimmen, und indem er bei der
Behandlung der englischen und französischen Laute uicht nur die Lage nud
das Verhalten der Sprachwerkzeuge genau, beschreibt, sondern auch die akustische
Seite der Laute berücksichtigt, gelingt es ihm, feste Werte zu gewinnen und
dadurch den strengsten Forderungen der Wissenschaft gerecht zu werden.

Ich glaube mit dem Vorstehenden einen ungefähren Begriff von den
Aufgaben gegeben zu haben, die sich die Phonetik stellt, und es wird wohl
jedem einleuchten, daß wir nur dnrch das von ihr eingeschlagne Verfahren
zu einer genauen Kenntnis der Laute gelangen können. Obwohl die Wissen¬
schaft noch jung ist und ihr Gebiet sehr groß, so kann sie doch dank dem
Feuereifer, den man in allen Teilen der zivilisierten Welt bekundet, scholl mit
Stolz auf ihre Fortschritte blicken, und man kann kühn behaupten, daß jeder


Grenzboten I 1W0

Wir sehen nun einmal die Hohlräume an, die sich bei unsern Vokalen
zeigen. Bei dem Sprechen von i, e, ä, n kam vorhin nur der Abstand der
Zahnreihen, der Kieferwinkel in Betracht. Jetzt soll es unsre Aufgabe sein,
das Verhalten der Zunge zu beobachten. Zu dem Zwecke lege ich den Zeige¬
finger auf die Zunge und spreche noch einmal die Vokale i, e, ä, a in der
angegebnen Reihenfolge. Da finden wir. das; bei i der Abstand der Zunge
vom Gaumen sehr gering ist, der Finger geht nur mit Mühe dazwischen; aber
bei den übrigen Vokalen wird dieser Abstand und infolge dessen auch der
Hohlraum immer großer. Wir können aus dieser Thatsache sosort schließen,
daß der Vokal mit dem kleinsten Hohlraum auch den höchsten Ton und der
mit dem größten Hohlrnnme den tiefsten Ton haben muß, gerade so wie wir
es bei den Fässern beobachteten oder es an jedem andern Gegenstande, z.B.
einem Topfe mit Wasser, wahrnehmen, dessen Raum - - hier dnrch Zu- oder
Abgießen der Flüssigkeit — sich verändern läßt. Nun ist es ja eine bekannte
Thatsache, daß wir beim Singen - und ebenso beim Sprechen - einem
Vokale die verschiedenste Hohe geben können. Wir können n die ganze Tonleiter
hindurch singend Der Hohlraum bleibt immer derselbe, und doch haben wir
ganz verschiedne Höhen.° Die Ursache dieser Erscheinung liegt in den Stimm¬
bändern, die wie° eine Gummischuur gedehnt und angespannt werden können
und wie die kurzen und langen Saiten eines Klaviers ganz verschiedne Töne
bon sich geben. Diesen eigentümlichen Einfluß der Bänder müssen wir auf¬
zuheben versuchen, wenn wir feste Werte für unsre Laute gewinnen wollen.
Und dies vermögen wir dadurch, das; wir flüstern. Die eigentlichen Stimm¬
bänder legen sich beim Flüstern fest zusammen, treten außer Thätigkeit, und es
bleibt nur eine Öffnung übrig, aus der die Luft ans den Lungen entweichen
und die über den Rändern liegenden Hohlräume anblasen kann. Diese Räume
aber haben ihren besondern Ton (Hall), der immer derselbe bleiben muß.
Trautmnnn (Die Sprachkunde, S. 40) findet fiir die geflüsterten Vokale a, ä.
e. i den Septimenakkord g, h, d, f. Die andern Vokale und die Konsonanten
sucht er gleichfalls ihrer Tonhöhe nach zu bestimmen, und indem er bei der
Behandlung der englischen und französischen Laute uicht nur die Lage nud
das Verhalten der Sprachwerkzeuge genau, beschreibt, sondern auch die akustische
Seite der Laute berücksichtigt, gelingt es ihm, feste Werte zu gewinnen und
dadurch den strengsten Forderungen der Wissenschaft gerecht zu werden.

Ich glaube mit dem Vorstehenden einen ungefähren Begriff von den
Aufgaben gegeben zu haben, die sich die Phonetik stellt, und es wird wohl
jedem einleuchten, daß wir nur dnrch das von ihr eingeschlagne Verfahren
zu einer genauen Kenntnis der Laute gelangen können. Obwohl die Wissen¬
schaft noch jung ist und ihr Gebiet sehr groß, so kann sie doch dank dem
Feuereifer, den man in allen Teilen der zivilisierten Welt bekundet, scholl mit
Stolz auf ihre Fortschritte blicken, und man kann kühn behaupten, daß jeder


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[0033] Wir sehen nun einmal die Hohlräume an, die sich bei unsern Vokalen zeigen. Bei dem Sprechen von i, e, ä, n kam vorhin nur der Abstand der Zahnreihen, der Kieferwinkel in Betracht. Jetzt soll es unsre Aufgabe sein, das Verhalten der Zunge zu beobachten. Zu dem Zwecke lege ich den Zeige¬ finger auf die Zunge und spreche noch einmal die Vokale i, e, ä, a in der angegebnen Reihenfolge. Da finden wir. das; bei i der Abstand der Zunge vom Gaumen sehr gering ist, der Finger geht nur mit Mühe dazwischen; aber bei den übrigen Vokalen wird dieser Abstand und infolge dessen auch der Hohlraum immer großer. Wir können aus dieser Thatsache sosort schließen, daß der Vokal mit dem kleinsten Hohlraum auch den höchsten Ton und der mit dem größten Hohlrnnme den tiefsten Ton haben muß, gerade so wie wir es bei den Fässern beobachteten oder es an jedem andern Gegenstande, z.B. einem Topfe mit Wasser, wahrnehmen, dessen Raum - - hier dnrch Zu- oder Abgießen der Flüssigkeit — sich verändern läßt. Nun ist es ja eine bekannte Thatsache, daß wir beim Singen - und ebenso beim Sprechen - einem Vokale die verschiedenste Hohe geben können. Wir können n die ganze Tonleiter hindurch singend Der Hohlraum bleibt immer derselbe, und doch haben wir ganz verschiedne Höhen.° Die Ursache dieser Erscheinung liegt in den Stimm¬ bändern, die wie° eine Gummischuur gedehnt und angespannt werden können und wie die kurzen und langen Saiten eines Klaviers ganz verschiedne Töne bon sich geben. Diesen eigentümlichen Einfluß der Bänder müssen wir auf¬ zuheben versuchen, wenn wir feste Werte für unsre Laute gewinnen wollen. Und dies vermögen wir dadurch, das; wir flüstern. Die eigentlichen Stimm¬ bänder legen sich beim Flüstern fest zusammen, treten außer Thätigkeit, und es bleibt nur eine Öffnung übrig, aus der die Luft ans den Lungen entweichen und die über den Rändern liegenden Hohlräume anblasen kann. Diese Räume aber haben ihren besondern Ton (Hall), der immer derselbe bleiben muß. Trautmnnn (Die Sprachkunde, S. 40) findet fiir die geflüsterten Vokale a, ä. e. i den Septimenakkord g, h, d, f. Die andern Vokale und die Konsonanten sucht er gleichfalls ihrer Tonhöhe nach zu bestimmen, und indem er bei der Behandlung der englischen und französischen Laute uicht nur die Lage nud das Verhalten der Sprachwerkzeuge genau, beschreibt, sondern auch die akustische Seite der Laute berücksichtigt, gelingt es ihm, feste Werte zu gewinnen und dadurch den strengsten Forderungen der Wissenschaft gerecht zu werden. Ich glaube mit dem Vorstehenden einen ungefähren Begriff von den Aufgaben gegeben zu haben, die sich die Phonetik stellt, und es wird wohl jedem einleuchten, daß wir nur dnrch das von ihr eingeschlagne Verfahren zu einer genauen Kenntnis der Laute gelangen können. Obwohl die Wissen¬ schaft noch jung ist und ihr Gebiet sehr groß, so kann sie doch dank dem Feuereifer, den man in allen Teilen der zivilisierten Welt bekundet, scholl mit Stolz auf ihre Fortschritte blicken, und man kann kühn behaupten, daß jeder Grenzboten I 1W0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/33>, abgerufen am 26.06.2024.