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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Phonetik

über diesen Punkt nachgedacht haben, fest behaupten werden, sie sprächen wirklich
zwei t, zwei p und zwei g. Und doch ist die Sache so außerordentlich leicht
zu entscheiden. Man nehme das Wort raten. Hat mau ra gesprochen, so
geht die Zunge, um t hervorzubringen, an die Zähne, bildet dort einen Ver¬
schluß und geht schließlich mich Aufhebung des Verschlusses wieder zurück. Sie
führt also zwei Bewegungen, eine Vorwärts- und eine Rückwärtsbewegung
aus. Ganz dasselbe thun wir auch in Ratte, wnhreud wir doch, wenn zwei
t gesprochen werden sollten, zweimal diese zwei Bewegungen ausführen müßten,
eine Handlung, bei der mau sich fast die Zunge zerbrechen könnte. Die Ver¬
dopplung in der Schrift hat jetzt weiter keinen Zweck, als die Kürze des vor¬
hergehenden Vokals anzudeuten, und es ist nur unverständlich, wie in deu
amtlichen Regeln und Wörterverzeichnissen für preußische Schulen IlZ, Anm. 1)
die Ausicht ausgesprochen werden kann, daß "die Doppelkonsonauz im Inlande ge¬
hört werde."

Ich hielt es für nötig, diese Einzelheiten anzuführen, einesteils, um einen
Begriff von dem Verfahren der Phonetik zu geben, andernteils um zu zeigen,
wie sehr wir in unserm Urteile von dem Bilde der Schrift beeinflußt werden,
und wie über Dinge, die wir beständig "im Munde führen," doch nicht immer
die erforderliche Klarheit herrscht.

Für die Zwecke der Schule wird es uun durchaus genügen, wenn ich
die Stellungen beschreibe, die die Sprachwerkzeuge bei der Hervorbringung der
einzelnen Laute einnehmen, und daun bei deu notwendigen Übungen streng auf
eine saubre Aussprache halte. Aber wir dürfe" es uns nicht verhehlen: wissen¬
schaftlich genau ist diese Art der Bestimmung noch uicht. Ich kann wohl die
Lage der einzelnen Organe sehr genau beschreiben, aber derartigen Beschreibungen
haftet doch immer etwas Unvvlltommnes an. Und dies läßt sich auch gar
nicht vermeiden, denn es handelt sich hier ja nur räumliche Verhältnisse, und
die Lage eines Gegenstandes läßt sich mit Worten nur ungefähr bestimmen.
Wir sind jedoch im stunde, auch diese Uiivolllommenheit zu beseitigen, lind zwar
dadurch, daß wir uns um die Akustik wenden.

Ich mache zuerst auf eine Thatsache aufmerksam, die jeder beobachtet hat.
Wenn wir bei einem Böttcher oder Bierbrauer an leere Fässer vou verschiedner
Große mit der Faust schlagen, so geben sie nicht alle einen gleichen Ton (Hall)
von sich, sondern der Ton wird um so tiefer sein, je größer das Faß ist, und
umgekehrt. Je größer der Raum ist, dessen Luft in Schwingungen versetzt
wird, desto tiefer der Ton, je kleiner der Raum, desto höher der Ton. Wir
selbst sind nun imstande, mittels unsrer Sprachwerkzeuge verschiedne Hohl-
rüume herzustellen. Die Zunge z. B. kann sich verschieben, sie kann sich vor¬
schieben, sie kann zurückgehen, sich nu den Gaumen legen, einen Verschluß
bilden u. s. w., und jedesmal wird der so geschaffne Hohlraum einen besondern
Ton haben.


Phonetik

über diesen Punkt nachgedacht haben, fest behaupten werden, sie sprächen wirklich
zwei t, zwei p und zwei g. Und doch ist die Sache so außerordentlich leicht
zu entscheiden. Man nehme das Wort raten. Hat mau ra gesprochen, so
geht die Zunge, um t hervorzubringen, an die Zähne, bildet dort einen Ver¬
schluß und geht schließlich mich Aufhebung des Verschlusses wieder zurück. Sie
führt also zwei Bewegungen, eine Vorwärts- und eine Rückwärtsbewegung
aus. Ganz dasselbe thun wir auch in Ratte, wnhreud wir doch, wenn zwei
t gesprochen werden sollten, zweimal diese zwei Bewegungen ausführen müßten,
eine Handlung, bei der mau sich fast die Zunge zerbrechen könnte. Die Ver¬
dopplung in der Schrift hat jetzt weiter keinen Zweck, als die Kürze des vor¬
hergehenden Vokals anzudeuten, und es ist nur unverständlich, wie in deu
amtlichen Regeln und Wörterverzeichnissen für preußische Schulen IlZ, Anm. 1)
die Ausicht ausgesprochen werden kann, daß „die Doppelkonsonauz im Inlande ge¬
hört werde."

Ich hielt es für nötig, diese Einzelheiten anzuführen, einesteils, um einen
Begriff von dem Verfahren der Phonetik zu geben, andernteils um zu zeigen,
wie sehr wir in unserm Urteile von dem Bilde der Schrift beeinflußt werden,
und wie über Dinge, die wir beständig „im Munde führen," doch nicht immer
die erforderliche Klarheit herrscht.

Für die Zwecke der Schule wird es uun durchaus genügen, wenn ich
die Stellungen beschreibe, die die Sprachwerkzeuge bei der Hervorbringung der
einzelnen Laute einnehmen, und daun bei deu notwendigen Übungen streng auf
eine saubre Aussprache halte. Aber wir dürfe» es uns nicht verhehlen: wissen¬
schaftlich genau ist diese Art der Bestimmung noch uicht. Ich kann wohl die
Lage der einzelnen Organe sehr genau beschreiben, aber derartigen Beschreibungen
haftet doch immer etwas Unvvlltommnes an. Und dies läßt sich auch gar
nicht vermeiden, denn es handelt sich hier ja nur räumliche Verhältnisse, und
die Lage eines Gegenstandes läßt sich mit Worten nur ungefähr bestimmen.
Wir sind jedoch im stunde, auch diese Uiivolllommenheit zu beseitigen, lind zwar
dadurch, daß wir uns um die Akustik wenden.

Ich mache zuerst auf eine Thatsache aufmerksam, die jeder beobachtet hat.
Wenn wir bei einem Böttcher oder Bierbrauer an leere Fässer vou verschiedner
Große mit der Faust schlagen, so geben sie nicht alle einen gleichen Ton (Hall)
von sich, sondern der Ton wird um so tiefer sein, je größer das Faß ist, und
umgekehrt. Je größer der Raum ist, dessen Luft in Schwingungen versetzt
wird, desto tiefer der Ton, je kleiner der Raum, desto höher der Ton. Wir
selbst sind nun imstande, mittels unsrer Sprachwerkzeuge verschiedne Hohl-
rüume herzustellen. Die Zunge z. B. kann sich verschieben, sie kann sich vor¬
schieben, sie kann zurückgehen, sich nu den Gaumen legen, einen Verschluß
bilden u. s. w., und jedesmal wird der so geschaffne Hohlraum einen besondern
Ton haben.


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[0032] Phonetik über diesen Punkt nachgedacht haben, fest behaupten werden, sie sprächen wirklich zwei t, zwei p und zwei g. Und doch ist die Sache so außerordentlich leicht zu entscheiden. Man nehme das Wort raten. Hat mau ra gesprochen, so geht die Zunge, um t hervorzubringen, an die Zähne, bildet dort einen Ver¬ schluß und geht schließlich mich Aufhebung des Verschlusses wieder zurück. Sie führt also zwei Bewegungen, eine Vorwärts- und eine Rückwärtsbewegung aus. Ganz dasselbe thun wir auch in Ratte, wnhreud wir doch, wenn zwei t gesprochen werden sollten, zweimal diese zwei Bewegungen ausführen müßten, eine Handlung, bei der mau sich fast die Zunge zerbrechen könnte. Die Ver¬ dopplung in der Schrift hat jetzt weiter keinen Zweck, als die Kürze des vor¬ hergehenden Vokals anzudeuten, und es ist nur unverständlich, wie in deu amtlichen Regeln und Wörterverzeichnissen für preußische Schulen IlZ, Anm. 1) die Ausicht ausgesprochen werden kann, daß „die Doppelkonsonauz im Inlande ge¬ hört werde." Ich hielt es für nötig, diese Einzelheiten anzuführen, einesteils, um einen Begriff von dem Verfahren der Phonetik zu geben, andernteils um zu zeigen, wie sehr wir in unserm Urteile von dem Bilde der Schrift beeinflußt werden, und wie über Dinge, die wir beständig „im Munde führen," doch nicht immer die erforderliche Klarheit herrscht. Für die Zwecke der Schule wird es uun durchaus genügen, wenn ich die Stellungen beschreibe, die die Sprachwerkzeuge bei der Hervorbringung der einzelnen Laute einnehmen, und daun bei deu notwendigen Übungen streng auf eine saubre Aussprache halte. Aber wir dürfe» es uns nicht verhehlen: wissen¬ schaftlich genau ist diese Art der Bestimmung noch uicht. Ich kann wohl die Lage der einzelnen Organe sehr genau beschreiben, aber derartigen Beschreibungen haftet doch immer etwas Unvvlltommnes an. Und dies läßt sich auch gar nicht vermeiden, denn es handelt sich hier ja nur räumliche Verhältnisse, und die Lage eines Gegenstandes läßt sich mit Worten nur ungefähr bestimmen. Wir sind jedoch im stunde, auch diese Uiivolllommenheit zu beseitigen, lind zwar dadurch, daß wir uns um die Akustik wenden. Ich mache zuerst auf eine Thatsache aufmerksam, die jeder beobachtet hat. Wenn wir bei einem Böttcher oder Bierbrauer an leere Fässer vou verschiedner Große mit der Faust schlagen, so geben sie nicht alle einen gleichen Ton (Hall) von sich, sondern der Ton wird um so tiefer sein, je größer das Faß ist, und umgekehrt. Je größer der Raum ist, dessen Luft in Schwingungen versetzt wird, desto tiefer der Ton, je kleiner der Raum, desto höher der Ton. Wir selbst sind nun imstande, mittels unsrer Sprachwerkzeuge verschiedne Hohl- rüume herzustellen. Die Zunge z. B. kann sich verschieben, sie kann sich vor¬ schieben, sie kann zurückgehen, sich nu den Gaumen legen, einen Verschluß bilden u. s. w., und jedesmal wird der so geschaffne Hohlraum einen besondern Ton haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/32>, abgerufen am 29.06.2024.