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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Ein besondres Beispiel dieser Widerlichkeit, das unendlich oft auf Buch-
Titeln begegnet -- mau kann wieder sagen: unter zehn Titeln neunmal --,
ist der Fall, daß zum Namen des Verfassers, der ja stets hinter von, also
im Dativ steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ hin¬
zugesetzt wird. Fortwährend muß man auf Buchtiteln Verfasferangaben lesen
wie: von F. Kobeker, kaiserlich rassischer Geheimrat -- von H, Brehmer,
dirigirender Arzt. Namentlich die zahlreichen jungen Herren, die sich an
deutschen Universitäten in der ehrwürdigen Stellung von Privatdozenten be¬
finden, haben entweder die Quintanerregel über die Apposition vollständig
wieder verschwitzt oder, was auch möglich ist, sie haben keine Ahnung davon,
wie ihre Stellung zu dekliuiren ist, daß es nicht heißen darf: des Dozent,
dem Dozent, sondern des Dozenten, dem Dozenten. Und in derselben
Lage scheint sich auch die gesamte schreibende Architektenwelt Deutschlands zu
befinden; von Gustav Schönermark, Architekt -- vou Fritz Hommel, Privat¬
dozent an der Universität München -- von Lothar Abel, Architekt,
Privatdozent an der Hochschule für Bodenkultur -- anders wird gar nicht
mehr geschrieben. Aber auch bei andern Kasus kommt der Fehler gerade
auf Buchtitelu häufig vor, wie: Erinnerungen an Botho von Hülsen, General¬
intendant der königlichen Schauspiele. Auf Briefadresfen liest man: Herrn
I)r. Müller, Vorsitzender des Vereins u. s. w. Es ist, als ob bei Auf¬
schriften und Buchtiteln der Name eiues Menschen wie eine kasuslvse Ver¬
steinerung betrachtet würde; daß von den Dativ, an den Akkusativ regiert,
dafür scheint hier alles Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst kommt der
Bnchtitel, daun das von -- und dann folgt undeklinirbar der Wortlaut der
Visitenkarte des Verfassers!

In diesen Zusammenhang gehört auch die gemeine Zusammenkoppclnng
des Dativs und des Akkusativs, die ganz neuerdings bei Datumsbestimmnngen
aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit um sich gegriffen hat. Fast
alle Behörden, alle Berichterstatter, alle Kvnzertprogramme schreiben schon: am
Donnerstag, den 13. Februar. Jede von beiden Konstruktionen für sich allein
wäre richtig; auf die Frage: Wann ist das Konzert? kann eben so gut mit dem
bloßen Akkusativ geantwortet werden (den Donnerstag)") wie mit an und



Beiläufig: in Leipzig sagt der Mann oder das Mädchen aus dem Rolle, wenn sie
sich "gebildet" ausdrücken wollen: ich gomm' in Donnerstag -- eine sehr lustige Sprach¬
erscheinung, die folgende Entstehung hat. Wenn die Leute unter sich sind, sagen sie ganz
richtig: ich gomme 'n Donnerstag. Sie haben aber keine Ahnung, daß das 'n der Rest des
Artikels den ist, sondern glauben, eS sei der Rest der Präposition in, und wenn sie um mit
Höhergestellten sein sprechen wollen, so glauben sie das vermeintliche verstümmelte in wieder¬
herstellen zu müssen. Ja sogar für dem wird dieses in gebraucht. Unfolgsamen Kindern
droht das Kindermädchen in Leipzig, wenn es im Zorn junonisch aufbäumt: Wart nur, ich
sags in Papa!

Ein besondres Beispiel dieser Widerlichkeit, das unendlich oft auf Buch-
Titeln begegnet — mau kann wieder sagen: unter zehn Titeln neunmal —,
ist der Fall, daß zum Namen des Verfassers, der ja stets hinter von, also
im Dativ steht, das Amt oder der Beruf des Verfassers im Nominativ hin¬
zugesetzt wird. Fortwährend muß man auf Buchtiteln Verfasferangaben lesen
wie: von F. Kobeker, kaiserlich rassischer Geheimrat — von H, Brehmer,
dirigirender Arzt. Namentlich die zahlreichen jungen Herren, die sich an
deutschen Universitäten in der ehrwürdigen Stellung von Privatdozenten be¬
finden, haben entweder die Quintanerregel über die Apposition vollständig
wieder verschwitzt oder, was auch möglich ist, sie haben keine Ahnung davon,
wie ihre Stellung zu dekliuiren ist, daß es nicht heißen darf: des Dozent,
dem Dozent, sondern des Dozenten, dem Dozenten. Und in derselben
Lage scheint sich auch die gesamte schreibende Architektenwelt Deutschlands zu
befinden; von Gustav Schönermark, Architekt — vou Fritz Hommel, Privat¬
dozent an der Universität München — von Lothar Abel, Architekt,
Privatdozent an der Hochschule für Bodenkultur — anders wird gar nicht
mehr geschrieben. Aber auch bei andern Kasus kommt der Fehler gerade
auf Buchtitelu häufig vor, wie: Erinnerungen an Botho von Hülsen, General¬
intendant der königlichen Schauspiele. Auf Briefadresfen liest man: Herrn
I)r. Müller, Vorsitzender des Vereins u. s. w. Es ist, als ob bei Auf¬
schriften und Buchtiteln der Name eiues Menschen wie eine kasuslvse Ver¬
steinerung betrachtet würde; daß von den Dativ, an den Akkusativ regiert,
dafür scheint hier alles Bewußtsein geschwunden zu sein. Erst kommt der
Bnchtitel, daun das von — und dann folgt undeklinirbar der Wortlaut der
Visitenkarte des Verfassers!

In diesen Zusammenhang gehört auch die gemeine Zusammenkoppclnng
des Dativs und des Akkusativs, die ganz neuerdings bei Datumsbestimmnngen
aufgekommen ist und mit unbegreiflicher Schnelligkeit um sich gegriffen hat. Fast
alle Behörden, alle Berichterstatter, alle Kvnzertprogramme schreiben schon: am
Donnerstag, den 13. Februar. Jede von beiden Konstruktionen für sich allein
wäre richtig; auf die Frage: Wann ist das Konzert? kann eben so gut mit dem
bloßen Akkusativ geantwortet werden (den Donnerstag)") wie mit an und



Beiläufig: in Leipzig sagt der Mann oder das Mädchen aus dem Rolle, wenn sie
sich „gebildet" ausdrücken wollen: ich gomm' in Donnerstag — eine sehr lustige Sprach¬
erscheinung, die folgende Entstehung hat. Wenn die Leute unter sich sind, sagen sie ganz
richtig: ich gomme 'n Donnerstag. Sie haben aber keine Ahnung, daß das 'n der Rest des
Artikels den ist, sondern glauben, eS sei der Rest der Präposition in, und wenn sie um mit
Höhergestellten sein sprechen wollen, so glauben sie das vermeintliche verstümmelte in wieder¬
herstellen zu müssen. Ja sogar für dem wird dieses in gebraucht. Unfolgsamen Kindern
droht das Kindermädchen in Leipzig, wenn es im Zorn junonisch aufbäumt: Wart nur, ich
sags in Papa!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/325>, abgerufen am 23.07.2024.