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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdmnmheiten

unglaublich, und doch sind sie nicht erfunden, man kann täglich solche Sätze
lesen, und die meisten Leute halten solch breitspuriges Einherstelzen jetzt für
schön. Übrigens zeigt sich dieser Schwulst nicht bloß bei sein und werden, auch
bei Verden, die mit doppeltem Akkusativ, einem Objekts- und einem Prüdikats-
nkkusativ, verbunden werden: ich will diesen Versuch nicht als einen durchaus
gelungenen bezeichne" -- passiv: dieser Versuch soll uicht als ein durchaus
gelungener bezeichnet werden (statt in beiden Fällen einfach: als durchaus
gelungen) -- der angerichtete Schaden wird als ein beträchtlicher be¬
zeichnet -- der Verfasser ist bemüht, die nordschleswigsche Mundart als eine
rein dänische oder eine aus den nordischen Sprachen hervorgegangene
nachzuweisen -- abhängige Arbeit löst sich los und wird zu einer unab¬
hängigen (statt: wird unabhängig) -- die Ausstattung muß eine geradezu
splendide genannt werden. Doch genug der Beispiele. Mnu achte einmal
beim Lesen darauf, und man wird sehen, es ist eine förmliche Sprnchkrankheit;
man achte beim Schreiben ans sich selbst, und man wird sehen, daß man
gründlich davon angesteckt ist.

Eine grammatische Regel, die schon der Quintaner kennt, lautet: Wenn
zu einem Hauptwort eine nähere Bestimmung wieder in der Gestalt eines
Hauptwortes tritt (eine sogenannte Apposition), so muß dieses zweite Haupt¬
wort in demselben Kasus steheu, wie das, zu dem es tritt. Das ist so
selbstverständlich, daß es jedes Kind begreifen kann, und daher gehört es eben
zu den Regeln, die schon auf der untersten Stufe, wo der Unterricht in der
Satzlehre kaum begonnen hat, behandelt werden. Nun sehe man sich einmal
um, wie geschrieben wird! Da heißt es: Das Gastspiel des Herrn Navelli,
erster Tenor an der Scala in Mailand -- der Verfasser der "Sylvia," ein
Buch, das wir leider nicht kennen -- dies gilt namentlich von dem mittel¬
deutschen Hvfbau, die verbreitetste aller deutschen Bauarten - - der First ist
mit freistehenden Figuren, Petrus und die vier Evangelisten, geschmückt.
Solcher Lüderlichkeit begegnet man täglich! Mag der Genetiv, der Dativ oder
der Akkusativ Voraltsgehen, gleichviel, die Apposition wird in den Nominativ
gesetzt. Die Lüderlichkeit stammt, wie so vieles, aus dem Französischen. Nicht
etwa daß das streng logische Französisch eines solchen Unsinns fähig wäre, zu
einem im Dativ stehenden Hauptwort eine Apposition im Nominativ zu setzen.
Wenn der Franzose schreibt: 16 Me<z sse om6 alö swtuös, Le. ?igrrö ot> los
"limtrs 6vn.ng'6Il8t>of, so empfindet er natürlich Jos vo^nssLliLtL" als c^sus
cMiouus so gut wie das vorhergehende, es ist nur äußerlich uicht als
solcher bezeichnet, es trägt eben gar kein Kasuszeichen an sich. Der Deutsche
aber, der ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht mir die kasuslose Form,
bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plnmpst nun hinter des und dein
mit seinem dummen der hinterdrein! Es ist doch wie ein Schlag ins Gesicht, ein
solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines oasus obliczuus!


Allerhand Sprachdmnmheiten

unglaublich, und doch sind sie nicht erfunden, man kann täglich solche Sätze
lesen, und die meisten Leute halten solch breitspuriges Einherstelzen jetzt für
schön. Übrigens zeigt sich dieser Schwulst nicht bloß bei sein und werden, auch
bei Verden, die mit doppeltem Akkusativ, einem Objekts- und einem Prüdikats-
nkkusativ, verbunden werden: ich will diesen Versuch nicht als einen durchaus
gelungenen bezeichne« — passiv: dieser Versuch soll uicht als ein durchaus
gelungener bezeichnet werden (statt in beiden Fällen einfach: als durchaus
gelungen) — der angerichtete Schaden wird als ein beträchtlicher be¬
zeichnet — der Verfasser ist bemüht, die nordschleswigsche Mundart als eine
rein dänische oder eine aus den nordischen Sprachen hervorgegangene
nachzuweisen — abhängige Arbeit löst sich los und wird zu einer unab¬
hängigen (statt: wird unabhängig) — die Ausstattung muß eine geradezu
splendide genannt werden. Doch genug der Beispiele. Mnu achte einmal
beim Lesen darauf, und man wird sehen, es ist eine förmliche Sprnchkrankheit;
man achte beim Schreiben ans sich selbst, und man wird sehen, daß man
gründlich davon angesteckt ist.

Eine grammatische Regel, die schon der Quintaner kennt, lautet: Wenn
zu einem Hauptwort eine nähere Bestimmung wieder in der Gestalt eines
Hauptwortes tritt (eine sogenannte Apposition), so muß dieses zweite Haupt¬
wort in demselben Kasus steheu, wie das, zu dem es tritt. Das ist so
selbstverständlich, daß es jedes Kind begreifen kann, und daher gehört es eben
zu den Regeln, die schon auf der untersten Stufe, wo der Unterricht in der
Satzlehre kaum begonnen hat, behandelt werden. Nun sehe man sich einmal
um, wie geschrieben wird! Da heißt es: Das Gastspiel des Herrn Navelli,
erster Tenor an der Scala in Mailand — der Verfasser der „Sylvia," ein
Buch, das wir leider nicht kennen — dies gilt namentlich von dem mittel¬
deutschen Hvfbau, die verbreitetste aller deutschen Bauarten - - der First ist
mit freistehenden Figuren, Petrus und die vier Evangelisten, geschmückt.
Solcher Lüderlichkeit begegnet man täglich! Mag der Genetiv, der Dativ oder
der Akkusativ Voraltsgehen, gleichviel, die Apposition wird in den Nominativ
gesetzt. Die Lüderlichkeit stammt, wie so vieles, aus dem Französischen. Nicht
etwa daß das streng logische Französisch eines solchen Unsinns fähig wäre, zu
einem im Dativ stehenden Hauptwort eine Apposition im Nominativ zu setzen.
Wenn der Franzose schreibt: 16 Me<z sse om6 alö swtuös, Le. ?igrrö ot> los
«limtrs 6vn.ng'6Il8t>of, so empfindet er natürlich Jos vo^nssLliLtL» als c^sus
cMiouus so gut wie das vorhergehende, es ist nur äußerlich uicht als
solcher bezeichnet, es trägt eben gar kein Kasuszeichen an sich. Der Deutsche
aber, der ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht mir die kasuslose Form,
bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plnmpst nun hinter des und dein
mit seinem dummen der hinterdrein! Es ist doch wie ein Schlag ins Gesicht, ein
solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines oasus obliczuus!


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[0324] Allerhand Sprachdmnmheiten unglaublich, und doch sind sie nicht erfunden, man kann täglich solche Sätze lesen, und die meisten Leute halten solch breitspuriges Einherstelzen jetzt für schön. Übrigens zeigt sich dieser Schwulst nicht bloß bei sein und werden, auch bei Verden, die mit doppeltem Akkusativ, einem Objekts- und einem Prüdikats- nkkusativ, verbunden werden: ich will diesen Versuch nicht als einen durchaus gelungenen bezeichne« — passiv: dieser Versuch soll uicht als ein durchaus gelungener bezeichnet werden (statt in beiden Fällen einfach: als durchaus gelungen) — der angerichtete Schaden wird als ein beträchtlicher be¬ zeichnet — der Verfasser ist bemüht, die nordschleswigsche Mundart als eine rein dänische oder eine aus den nordischen Sprachen hervorgegangene nachzuweisen — abhängige Arbeit löst sich los und wird zu einer unab¬ hängigen (statt: wird unabhängig) — die Ausstattung muß eine geradezu splendide genannt werden. Doch genug der Beispiele. Mnu achte einmal beim Lesen darauf, und man wird sehen, es ist eine förmliche Sprnchkrankheit; man achte beim Schreiben ans sich selbst, und man wird sehen, daß man gründlich davon angesteckt ist. Eine grammatische Regel, die schon der Quintaner kennt, lautet: Wenn zu einem Hauptwort eine nähere Bestimmung wieder in der Gestalt eines Hauptwortes tritt (eine sogenannte Apposition), so muß dieses zweite Haupt¬ wort in demselben Kasus steheu, wie das, zu dem es tritt. Das ist so selbstverständlich, daß es jedes Kind begreifen kann, und daher gehört es eben zu den Regeln, die schon auf der untersten Stufe, wo der Unterricht in der Satzlehre kaum begonnen hat, behandelt werden. Nun sehe man sich einmal um, wie geschrieben wird! Da heißt es: Das Gastspiel des Herrn Navelli, erster Tenor an der Scala in Mailand — der Verfasser der „Sylvia," ein Buch, das wir leider nicht kennen — dies gilt namentlich von dem mittel¬ deutschen Hvfbau, die verbreitetste aller deutschen Bauarten - - der First ist mit freistehenden Figuren, Petrus und die vier Evangelisten, geschmückt. Solcher Lüderlichkeit begegnet man täglich! Mag der Genetiv, der Dativ oder der Akkusativ Voraltsgehen, gleichviel, die Apposition wird in den Nominativ gesetzt. Die Lüderlichkeit stammt, wie so vieles, aus dem Französischen. Nicht etwa daß das streng logische Französisch eines solchen Unsinns fähig wäre, zu einem im Dativ stehenden Hauptwort eine Apposition im Nominativ zu setzen. Wenn der Franzose schreibt: 16 Me<z sse om6 alö swtuös, Le. ?igrrö ot> los «limtrs 6vn.ng'6Il8t>of, so empfindet er natürlich Jos vo^nssLliLtL» als c^sus cMiouus so gut wie das vorhergehende, es ist nur äußerlich uicht als solcher bezeichnet, es trägt eben gar kein Kasuszeichen an sich. Der Deutsche aber, der ein bißchen Französisch gelernt hat, sieht mir die kasuslose Form, bildet sich ein, das sei ein Nominativ, und plnmpst nun hinter des und dein mit seinem dummen der hinterdrein! Es ist doch wie ein Schlag ins Gesicht, ein solcher Nominativ als Genosse und Begleiter eines oasus obliczuus!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/324>, abgerufen am 23.07.2024.