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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeßordnnng

scheint. Außerdem aber ist möglichst dahin zu streben, die Militärgerichte schon
in Friedenszeiten so einzurichten, daß sie auch für den Krieg geeignet sind,
damit im Kriege nicht Änderungen erforderlich werden, die infolge ihrer Neuheit
und Ungewohntheit die Gefahr des unsichern Arbeitens bei den Militärgerichten
herbeiführen. Der Krieg bringt für jeden im Heer so viel Neues und Fremdes,
daß es gut wäre, wenn es gelänge, die Strafrechtspflege der Militärgerichte
im Falle einer Mobilmachung möglichst in den alten Bahnen zu lassen.

Zu tadeln dagegen ist die Art und Weise der Heranziehung des Laien¬
elements zum Nichtercimt. Zunächst erscheint es nicht angemessen, daß auch
Gemeine nud Unteroffiziere als Richter berufen werden, weil diese nur in
seltenen Fällen die wünschenswerte Übersicht haben, auch infolge ihrer unter¬
geordneten Stellung den gleichfalls als Richtern anwesenden Offizieren gegenüber
bei Abgabe abweichender Urteile befangen sind. Es dürften also nur Offiziere,
womöglich nur solche mit einem bestimmten Dienstalter und etwas Lebens¬
erfahrung, heranzuziehen sein. Sodann hat die Zuziehung und Abstimmung
nach Nichterklassen den Nachteil, daß ein übermäßig zahlreiches Richterpersonal
herangezogen werden muß, was im Frieden und im Kriege dienstlich gleich
schädlich ist, und daß eine zur gründlichen Erörterung des Sachverhalts und
Aufklärung etwaiger Irrtümer durchaus notwendige Beratung sämtlicher
Richter ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Wird dieses System verworfen, so kommt die Zuziehung der Militärpersonen
als Geschworene oder als Schössen in Frage. Ersteres dürfte bei dem schwer¬
fälligen Apparat des Schwurgerichtsverfahrens mit seinem Beiwerk von Formen
und Formeln für den Krieg nicht ratsam, also auch für den Frieden nicht zu
empfehlen sein, um, wie bereits erwähnt, für den Fall einer Mobilmachung
nicht den ruhigen, gleichmäßigen Gang der Rechtspflege zu stören. Dagegen
würde sich die Bildung militärischer Schöffengerichte wohl empfehlen. Das
Institut der Schöffengerichte erfreut sich bei den Zivilgerichten anscheinend
wachsender Beliebtheit, obwohl namentlich bei kleinern Gerichten und in kleinern
Orten das Schössenmaterial oft recht wenig gebildet nud einsichtsvoll ist.
Bei einem so gut vorgebildeten Schöffenmaterial aber, wie es heutzutage die
Offiziere siud, könnte die Zuständigkeit der niedersten Schöffengerichte (vielleicht
nus einem Auditeur und zwei Offizieren bestehend) bedeutend ausgedehnt und
ihnen vielleicht ohne Schaden sämtliche Vergehen übertragen werden. Für
die Verbrechen könnten verstärkte Schöffengerichte (vielleicht aus einem oder
mehreren Anditeuren und vier Offizieren, z. B. Stabsoffizieren bestehend) ein¬
gerichtet werden, die gleichzeitig Berufuugskmnmern für die kleinern Schöffen¬
gerichte wären. Wegen der Einrichtung von Berufnngskammeru enthalten wir
uns eines Vorschlages. Vielleicht würde es nicht unangemessen sein, in Friedens-
zeiten in die verstärkten Schöffengerichte und in die Bernfnngstammern einen
oder zwei Zivilrichter (Landrichter oder Oberlandesgerichtsräte) aufzunehmen,


Zur Reform der Militärstrafprozeßordnnng

scheint. Außerdem aber ist möglichst dahin zu streben, die Militärgerichte schon
in Friedenszeiten so einzurichten, daß sie auch für den Krieg geeignet sind,
damit im Kriege nicht Änderungen erforderlich werden, die infolge ihrer Neuheit
und Ungewohntheit die Gefahr des unsichern Arbeitens bei den Militärgerichten
herbeiführen. Der Krieg bringt für jeden im Heer so viel Neues und Fremdes,
daß es gut wäre, wenn es gelänge, die Strafrechtspflege der Militärgerichte
im Falle einer Mobilmachung möglichst in den alten Bahnen zu lassen.

Zu tadeln dagegen ist die Art und Weise der Heranziehung des Laien¬
elements zum Nichtercimt. Zunächst erscheint es nicht angemessen, daß auch
Gemeine nud Unteroffiziere als Richter berufen werden, weil diese nur in
seltenen Fällen die wünschenswerte Übersicht haben, auch infolge ihrer unter¬
geordneten Stellung den gleichfalls als Richtern anwesenden Offizieren gegenüber
bei Abgabe abweichender Urteile befangen sind. Es dürften also nur Offiziere,
womöglich nur solche mit einem bestimmten Dienstalter und etwas Lebens¬
erfahrung, heranzuziehen sein. Sodann hat die Zuziehung und Abstimmung
nach Nichterklassen den Nachteil, daß ein übermäßig zahlreiches Richterpersonal
herangezogen werden muß, was im Frieden und im Kriege dienstlich gleich
schädlich ist, und daß eine zur gründlichen Erörterung des Sachverhalts und
Aufklärung etwaiger Irrtümer durchaus notwendige Beratung sämtlicher
Richter ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Wird dieses System verworfen, so kommt die Zuziehung der Militärpersonen
als Geschworene oder als Schössen in Frage. Ersteres dürfte bei dem schwer¬
fälligen Apparat des Schwurgerichtsverfahrens mit seinem Beiwerk von Formen
und Formeln für den Krieg nicht ratsam, also auch für den Frieden nicht zu
empfehlen sein, um, wie bereits erwähnt, für den Fall einer Mobilmachung
nicht den ruhigen, gleichmäßigen Gang der Rechtspflege zu stören. Dagegen
würde sich die Bildung militärischer Schöffengerichte wohl empfehlen. Das
Institut der Schöffengerichte erfreut sich bei den Zivilgerichten anscheinend
wachsender Beliebtheit, obwohl namentlich bei kleinern Gerichten und in kleinern
Orten das Schössenmaterial oft recht wenig gebildet nud einsichtsvoll ist.
Bei einem so gut vorgebildeten Schöffenmaterial aber, wie es heutzutage die
Offiziere siud, könnte die Zuständigkeit der niedersten Schöffengerichte (vielleicht
nus einem Auditeur und zwei Offizieren bestehend) bedeutend ausgedehnt und
ihnen vielleicht ohne Schaden sämtliche Vergehen übertragen werden. Für
die Verbrechen könnten verstärkte Schöffengerichte (vielleicht aus einem oder
mehreren Anditeuren und vier Offizieren, z. B. Stabsoffizieren bestehend) ein¬
gerichtet werden, die gleichzeitig Berufuugskmnmern für die kleinern Schöffen¬
gerichte wären. Wegen der Einrichtung von Berufnngskammeru enthalten wir
uns eines Vorschlages. Vielleicht würde es nicht unangemessen sein, in Friedens-
zeiten in die verstärkten Schöffengerichte und in die Bernfnngstammern einen
oder zwei Zivilrichter (Landrichter oder Oberlandesgerichtsräte) aufzunehmen,


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[0319] Zur Reform der Militärstrafprozeßordnnng scheint. Außerdem aber ist möglichst dahin zu streben, die Militärgerichte schon in Friedenszeiten so einzurichten, daß sie auch für den Krieg geeignet sind, damit im Kriege nicht Änderungen erforderlich werden, die infolge ihrer Neuheit und Ungewohntheit die Gefahr des unsichern Arbeitens bei den Militärgerichten herbeiführen. Der Krieg bringt für jeden im Heer so viel Neues und Fremdes, daß es gut wäre, wenn es gelänge, die Strafrechtspflege der Militärgerichte im Falle einer Mobilmachung möglichst in den alten Bahnen zu lassen. Zu tadeln dagegen ist die Art und Weise der Heranziehung des Laien¬ elements zum Nichtercimt. Zunächst erscheint es nicht angemessen, daß auch Gemeine nud Unteroffiziere als Richter berufen werden, weil diese nur in seltenen Fällen die wünschenswerte Übersicht haben, auch infolge ihrer unter¬ geordneten Stellung den gleichfalls als Richtern anwesenden Offizieren gegenüber bei Abgabe abweichender Urteile befangen sind. Es dürften also nur Offiziere, womöglich nur solche mit einem bestimmten Dienstalter und etwas Lebens¬ erfahrung, heranzuziehen sein. Sodann hat die Zuziehung und Abstimmung nach Nichterklassen den Nachteil, daß ein übermäßig zahlreiches Richterpersonal herangezogen werden muß, was im Frieden und im Kriege dienstlich gleich schädlich ist, und daß eine zur gründlichen Erörterung des Sachverhalts und Aufklärung etwaiger Irrtümer durchaus notwendige Beratung sämtlicher Richter ausdrücklich ausgeschlossen ist. Wird dieses System verworfen, so kommt die Zuziehung der Militärpersonen als Geschworene oder als Schössen in Frage. Ersteres dürfte bei dem schwer¬ fälligen Apparat des Schwurgerichtsverfahrens mit seinem Beiwerk von Formen und Formeln für den Krieg nicht ratsam, also auch für den Frieden nicht zu empfehlen sein, um, wie bereits erwähnt, für den Fall einer Mobilmachung nicht den ruhigen, gleichmäßigen Gang der Rechtspflege zu stören. Dagegen würde sich die Bildung militärischer Schöffengerichte wohl empfehlen. Das Institut der Schöffengerichte erfreut sich bei den Zivilgerichten anscheinend wachsender Beliebtheit, obwohl namentlich bei kleinern Gerichten und in kleinern Orten das Schössenmaterial oft recht wenig gebildet nud einsichtsvoll ist. Bei einem so gut vorgebildeten Schöffenmaterial aber, wie es heutzutage die Offiziere siud, könnte die Zuständigkeit der niedersten Schöffengerichte (vielleicht nus einem Auditeur und zwei Offizieren bestehend) bedeutend ausgedehnt und ihnen vielleicht ohne Schaden sämtliche Vergehen übertragen werden. Für die Verbrechen könnten verstärkte Schöffengerichte (vielleicht aus einem oder mehreren Anditeuren und vier Offizieren, z. B. Stabsoffizieren bestehend) ein¬ gerichtet werden, die gleichzeitig Berufuugskmnmern für die kleinern Schöffen¬ gerichte wären. Wegen der Einrichtung von Berufnngskammeru enthalten wir uns eines Vorschlages. Vielleicht würde es nicht unangemessen sein, in Friedens- zeiten in die verstärkten Schöffengerichte und in die Bernfnngstammern einen oder zwei Zivilrichter (Landrichter oder Oberlandesgerichtsräte) aufzunehmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/319>, abgerufen am 28.09.2024.