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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

Herr mit Vergnügen derartige Fälle, die in ganz zweckloser Weise das Militär¬
gericht beschäftigen und belaste", dein Zivilgericht, nötigenfalls unter vorläufiger
Entlassung des Angeschuldigten aus seinein Militärverhältnis, überlassen würde.
Die Möglichkeit einer derartigen Überlassung müßte gesetzlich festgestellt werden,
und zwar in der Weise, daß hierüber der militärische Gerichtsherr zu entscheiden
hätte, da diesem wohl ein richtiges Urteil darüber zuzutrauen ist, ob durch
eine etwaige Überweisung an das Zivilgericht militärische Interessen gefährdet
werden oder nicht. Für die Zivilgerichte fehlt jeder Grund, einer derartigen Über¬
weisung gegenüber sich ablehnend zu verhalten, da hierdurch eine ausnahmsweise
den ordentlichen Gerichten entzogene Untersuchung wieder unter sie zurückfällt.

Eine besondre Schwierigkeit bereiten die gemeinschaftlich von Militär-
Personen und Zivilpersonen verübten Vergehen. Die preußische Militärstrcif-
prozeßorduung leidet hierbei zunächst an Mängeln der Voruntersuchung: daß
nämlich in dem gemischten Gericht ein viel zu großer Apparat in Bewegung
gesetzt wird, bei dem nebenbei der höchste kommandirte Offizier ohne Rücksicht
auf das Dienstalter des Offiziers und des beteiligten Zivilrichters "den Vor¬
rang hat," d. h. theoretisch den Vorsitz führt. Sie leidet ferner an dem Mangel,
daß in der Hauptverhandlung gegen Mitthäter und Teilnehmer desselben Ver¬
gehens getrennt und vor verschiednen Gerichte" verhandelt wird, wodurch die
große Gefahr abweichender thatsächlicher Feststellungen und verschiedner Straf¬
zumessung entsteht. In ersterer Beziehung ließe sich vielleicht dadurch abhelfen,
daß bezirksweise Zivilrichter, die noch im Militärverhältnis stehen oder früher
darin gestanden haben, zu Untersuchungsrichtern für gemeinschaftliche Vergehen
dieser Art bestellt und daß diesen zur Verhandlung mit Militärpersonen zur
Aufrechterhaltung der militärischen Zucht und Ordnung Offiziere als Beisitzer
zugeordnet würden. Mir das Hauptverfahren aber müßte sich fiir die Friedenszeit
bei gegenseitigem Entgegenkommen der verschiednen Gewalten die Möglichkeit
einer gemeinschaftlichen Verhandlung gegen alle Beteiligten gesetzlich feststellen
lassen.

Wir fragen um, was hat sich in dem bisherigen preußischen Militär-
strafverfahren bewährt und darf nicht geändert werden, und was ist mangelhaft
darin und kann ohne Verletzung der Lebensinteressen des Heeres geändert
werden?

Bewährt hat sich vor allein die Heranziehung des aus dem Militärstande
entnommenen Laienelements zur Strafrechtspflege. Hieran darf bei dem
besonders hohen und ausgeprägten Standesbewußtsein der Militärpersonen
nicht gerüttelt werden, um ihr Vertrauen zur Strafrechtspflege zu erhalten.
Es muß mich aus praktischen Gründen bestehen bleiben. Im Kriegsfall würde
ein die Truppen begleitendes gelehrtes Nichterpersvnal, das bei Ausschließung
des Laienelements zur Strafrechtspflege bestimmt nud hinreichend wäre, viel
zu zahlreich sein, als wie es den schwierigen Kriegsverhältnissen angemessen er-


Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung

Herr mit Vergnügen derartige Fälle, die in ganz zweckloser Weise das Militär¬
gericht beschäftigen und belaste», dein Zivilgericht, nötigenfalls unter vorläufiger
Entlassung des Angeschuldigten aus seinein Militärverhältnis, überlassen würde.
Die Möglichkeit einer derartigen Überlassung müßte gesetzlich festgestellt werden,
und zwar in der Weise, daß hierüber der militärische Gerichtsherr zu entscheiden
hätte, da diesem wohl ein richtiges Urteil darüber zuzutrauen ist, ob durch
eine etwaige Überweisung an das Zivilgericht militärische Interessen gefährdet
werden oder nicht. Für die Zivilgerichte fehlt jeder Grund, einer derartigen Über¬
weisung gegenüber sich ablehnend zu verhalten, da hierdurch eine ausnahmsweise
den ordentlichen Gerichten entzogene Untersuchung wieder unter sie zurückfällt.

Eine besondre Schwierigkeit bereiten die gemeinschaftlich von Militär-
Personen und Zivilpersonen verübten Vergehen. Die preußische Militärstrcif-
prozeßorduung leidet hierbei zunächst an Mängeln der Voruntersuchung: daß
nämlich in dem gemischten Gericht ein viel zu großer Apparat in Bewegung
gesetzt wird, bei dem nebenbei der höchste kommandirte Offizier ohne Rücksicht
auf das Dienstalter des Offiziers und des beteiligten Zivilrichters „den Vor¬
rang hat," d. h. theoretisch den Vorsitz führt. Sie leidet ferner an dem Mangel,
daß in der Hauptverhandlung gegen Mitthäter und Teilnehmer desselben Ver¬
gehens getrennt und vor verschiednen Gerichte» verhandelt wird, wodurch die
große Gefahr abweichender thatsächlicher Feststellungen und verschiedner Straf¬
zumessung entsteht. In ersterer Beziehung ließe sich vielleicht dadurch abhelfen,
daß bezirksweise Zivilrichter, die noch im Militärverhältnis stehen oder früher
darin gestanden haben, zu Untersuchungsrichtern für gemeinschaftliche Vergehen
dieser Art bestellt und daß diesen zur Verhandlung mit Militärpersonen zur
Aufrechterhaltung der militärischen Zucht und Ordnung Offiziere als Beisitzer
zugeordnet würden. Mir das Hauptverfahren aber müßte sich fiir die Friedenszeit
bei gegenseitigem Entgegenkommen der verschiednen Gewalten die Möglichkeit
einer gemeinschaftlichen Verhandlung gegen alle Beteiligten gesetzlich feststellen
lassen.

Wir fragen um, was hat sich in dem bisherigen preußischen Militär-
strafverfahren bewährt und darf nicht geändert werden, und was ist mangelhaft
darin und kann ohne Verletzung der Lebensinteressen des Heeres geändert
werden?

Bewährt hat sich vor allein die Heranziehung des aus dem Militärstande
entnommenen Laienelements zur Strafrechtspflege. Hieran darf bei dem
besonders hohen und ausgeprägten Standesbewußtsein der Militärpersonen
nicht gerüttelt werden, um ihr Vertrauen zur Strafrechtspflege zu erhalten.
Es muß mich aus praktischen Gründen bestehen bleiben. Im Kriegsfall würde
ein die Truppen begleitendes gelehrtes Nichterpersvnal, das bei Ausschließung
des Laienelements zur Strafrechtspflege bestimmt nud hinreichend wäre, viel
zu zahlreich sein, als wie es den schwierigen Kriegsverhältnissen angemessen er-


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[0318] Zur Reform der Militärstrafprozeßordnung Herr mit Vergnügen derartige Fälle, die in ganz zweckloser Weise das Militär¬ gericht beschäftigen und belaste», dein Zivilgericht, nötigenfalls unter vorläufiger Entlassung des Angeschuldigten aus seinein Militärverhältnis, überlassen würde. Die Möglichkeit einer derartigen Überlassung müßte gesetzlich festgestellt werden, und zwar in der Weise, daß hierüber der militärische Gerichtsherr zu entscheiden hätte, da diesem wohl ein richtiges Urteil darüber zuzutrauen ist, ob durch eine etwaige Überweisung an das Zivilgericht militärische Interessen gefährdet werden oder nicht. Für die Zivilgerichte fehlt jeder Grund, einer derartigen Über¬ weisung gegenüber sich ablehnend zu verhalten, da hierdurch eine ausnahmsweise den ordentlichen Gerichten entzogene Untersuchung wieder unter sie zurückfällt. Eine besondre Schwierigkeit bereiten die gemeinschaftlich von Militär- Personen und Zivilpersonen verübten Vergehen. Die preußische Militärstrcif- prozeßorduung leidet hierbei zunächst an Mängeln der Voruntersuchung: daß nämlich in dem gemischten Gericht ein viel zu großer Apparat in Bewegung gesetzt wird, bei dem nebenbei der höchste kommandirte Offizier ohne Rücksicht auf das Dienstalter des Offiziers und des beteiligten Zivilrichters „den Vor¬ rang hat," d. h. theoretisch den Vorsitz führt. Sie leidet ferner an dem Mangel, daß in der Hauptverhandlung gegen Mitthäter und Teilnehmer desselben Ver¬ gehens getrennt und vor verschiednen Gerichte» verhandelt wird, wodurch die große Gefahr abweichender thatsächlicher Feststellungen und verschiedner Straf¬ zumessung entsteht. In ersterer Beziehung ließe sich vielleicht dadurch abhelfen, daß bezirksweise Zivilrichter, die noch im Militärverhältnis stehen oder früher darin gestanden haben, zu Untersuchungsrichtern für gemeinschaftliche Vergehen dieser Art bestellt und daß diesen zur Verhandlung mit Militärpersonen zur Aufrechterhaltung der militärischen Zucht und Ordnung Offiziere als Beisitzer zugeordnet würden. Mir das Hauptverfahren aber müßte sich fiir die Friedenszeit bei gegenseitigem Entgegenkommen der verschiednen Gewalten die Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Verhandlung gegen alle Beteiligten gesetzlich feststellen lassen. Wir fragen um, was hat sich in dem bisherigen preußischen Militär- strafverfahren bewährt und darf nicht geändert werden, und was ist mangelhaft darin und kann ohne Verletzung der Lebensinteressen des Heeres geändert werden? Bewährt hat sich vor allein die Heranziehung des aus dem Militärstande entnommenen Laienelements zur Strafrechtspflege. Hieran darf bei dem besonders hohen und ausgeprägten Standesbewußtsein der Militärpersonen nicht gerüttelt werden, um ihr Vertrauen zur Strafrechtspflege zu erhalten. Es muß mich aus praktischen Gründen bestehen bleiben. Im Kriegsfall würde ein die Truppen begleitendes gelehrtes Nichterpersvnal, das bei Ausschließung des Laienelements zur Strafrechtspflege bestimmt nud hinreichend wäre, viel zu zahlreich sein, als wie es den schwierigen Kriegsverhältnissen angemessen er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/318>, abgerufen am 26.06.2024.