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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Verpachtung des Gutes aber von seiner Genehmigung abhängig machen und das
Recht des Wiederkaufs für den Fall des Vertragsbruches sich vorbehalten kann.
So waren Ende 1888 von 337 vergebenen Ausiedlerstellen in Posen 235
gegen Rentenbestellung verkauft worden, d. h. die Ansiedler haben diese Form
der Erwerbung des Eigentums in den meisten Fällen vorgezogen. Manche alte
Einrichtung, deren Neste unser künftiges bürgerliches Gesetzbuch deu Lnndes-
gesetzgebungen zur völligen Beseitigung überläßt, ist nicht etwa das Ergebnis der
übermütigen Willkür des mittelalterlichen Obereigentums, nicht etwa eine des¬
potische Schöpfung, der wir zeitgemäßen Abscheu widmen sollen, sondern das
Ergebnis wirtschaftlicher oder politischer Notwendigkeiten. Auch bezüglich der
Rentenschuld hat sich der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches trotz mehrfacher
Anregungen einer Entscheidung über diese Art der Grundbelastnug aus dem
Grunde enthalten, weil das Rechtsbuch nicht mit wirtschaftlichen, zur Lösung
noch nicht reifen Frage" belastet werden dürfe. Im preußische" Landesvkouomie-
kvllegium ist dagegen die Gleichberechtigung der Nentenschuld mit der Kapitalschuld
für den ländlichen Kredit vertreten worden. Diese durch das römische Recht
verdrängte altdeutsche Schuldart ist der richtige rechtliche Ausdruck für ein wirt¬
schaftliches Bedürfnis, das sich nicht etwa nach Jahrhunderten wieder zeigt,
sondern das nie aufgehört hat, zu bestehen, von unsern Rechtslehrern und
Gesetzgebern aber nicht berücksichtigt worden ist. Inzwischen haben die römischen
Grundsätze der Kapitalschuld die Seßhaftigkeit des Bauernstandes tief erschüttert.
Neben den Anhängern der alten Schule aber, die die Nentengüter, Ewiggelder
u. s. w. wie eine llcirriclsi arti<zung,L behandeln, hat sich längst eine jüngere Schule
gebildet, die das Recht nicht in den Wolken sucht, sondern in den irdischen Dingen,
die mit den Sozialpolitikern Hand in Hand geht in der richtigen Erkenntnis,
daß nicht das Recht die wirtschaftliche Entwicklung zwingen kann, sondern daß
das Recht zwingenden wirtschaftlichen Bedürfnissen dienen und folgen muß.
Reif zur Lösung sind Fragen wie die der ländlichen Rentenschuld schon längst,
und darum hätte der Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuche nicht auf die Auf¬
stellung einiger Grundsätze sich beschränken und die Frage, "welche Belastungs-
arten zuzulassen seien," den Landesgesetzgebungen überlassen sollen. Nicht darum
handelt es sich, welche Belastungsart zuzulassen oder auszuschließen ist, sondern,
da das unabweisliche Bedürfnis nach Ermöglichung von Rentenschulden besteht,
so Hütte der Entwurf die Rechtsgrundsütze so gestalten sollen, daß Schuldner
oder Gläubiger nach Gutdünken davon Gebrauch macheu können.

Würden wir in Lothringen Nentengüter schaffen, wie in Posen, und wie
dies nach der Thronrede vom 15. Januar d. I. bei Eröffnung des preußische"
Landtages für Preußen in Aussicht genommen ist, so würden wir uns keines¬
wegs mit dem ganzen Rechtsbewußtsein des Volkes in Widerspruch setzen.

Die meisten Bauerngüter im Elsaß wie in Lothringen sind aus dem
Verhältnisse der Erbpacht oder der zeitlich beschränkten grundherrlichen Pacht


Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen

Verpachtung des Gutes aber von seiner Genehmigung abhängig machen und das
Recht des Wiederkaufs für den Fall des Vertragsbruches sich vorbehalten kann.
So waren Ende 1888 von 337 vergebenen Ausiedlerstellen in Posen 235
gegen Rentenbestellung verkauft worden, d. h. die Ansiedler haben diese Form
der Erwerbung des Eigentums in den meisten Fällen vorgezogen. Manche alte
Einrichtung, deren Neste unser künftiges bürgerliches Gesetzbuch deu Lnndes-
gesetzgebungen zur völligen Beseitigung überläßt, ist nicht etwa das Ergebnis der
übermütigen Willkür des mittelalterlichen Obereigentums, nicht etwa eine des¬
potische Schöpfung, der wir zeitgemäßen Abscheu widmen sollen, sondern das
Ergebnis wirtschaftlicher oder politischer Notwendigkeiten. Auch bezüglich der
Rentenschuld hat sich der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches trotz mehrfacher
Anregungen einer Entscheidung über diese Art der Grundbelastnug aus dem
Grunde enthalten, weil das Rechtsbuch nicht mit wirtschaftlichen, zur Lösung
noch nicht reifen Frage» belastet werden dürfe. Im preußische» Landesvkouomie-
kvllegium ist dagegen die Gleichberechtigung der Nentenschuld mit der Kapitalschuld
für den ländlichen Kredit vertreten worden. Diese durch das römische Recht
verdrängte altdeutsche Schuldart ist der richtige rechtliche Ausdruck für ein wirt¬
schaftliches Bedürfnis, das sich nicht etwa nach Jahrhunderten wieder zeigt,
sondern das nie aufgehört hat, zu bestehen, von unsern Rechtslehrern und
Gesetzgebern aber nicht berücksichtigt worden ist. Inzwischen haben die römischen
Grundsätze der Kapitalschuld die Seßhaftigkeit des Bauernstandes tief erschüttert.
Neben den Anhängern der alten Schule aber, die die Nentengüter, Ewiggelder
u. s. w. wie eine llcirriclsi arti<zung,L behandeln, hat sich längst eine jüngere Schule
gebildet, die das Recht nicht in den Wolken sucht, sondern in den irdischen Dingen,
die mit den Sozialpolitikern Hand in Hand geht in der richtigen Erkenntnis,
daß nicht das Recht die wirtschaftliche Entwicklung zwingen kann, sondern daß
das Recht zwingenden wirtschaftlichen Bedürfnissen dienen und folgen muß.
Reif zur Lösung sind Fragen wie die der ländlichen Rentenschuld schon längst,
und darum hätte der Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuche nicht auf die Auf¬
stellung einiger Grundsätze sich beschränken und die Frage, „welche Belastungs-
arten zuzulassen seien," den Landesgesetzgebungen überlassen sollen. Nicht darum
handelt es sich, welche Belastungsart zuzulassen oder auszuschließen ist, sondern,
da das unabweisliche Bedürfnis nach Ermöglichung von Rentenschulden besteht,
so Hütte der Entwurf die Rechtsgrundsütze so gestalten sollen, daß Schuldner
oder Gläubiger nach Gutdünken davon Gebrauch macheu können.

Würden wir in Lothringen Nentengüter schaffen, wie in Posen, und wie
dies nach der Thronrede vom 15. Januar d. I. bei Eröffnung des preußische»
Landtages für Preußen in Aussicht genommen ist, so würden wir uns keines¬
wegs mit dem ganzen Rechtsbewußtsein des Volkes in Widerspruch setzen.

Die meisten Bauerngüter im Elsaß wie in Lothringen sind aus dem
Verhältnisse der Erbpacht oder der zeitlich beschränkten grundherrlichen Pacht


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[0266] Die Ansiedelung deutscher Landwirte in Lothringen Verpachtung des Gutes aber von seiner Genehmigung abhängig machen und das Recht des Wiederkaufs für den Fall des Vertragsbruches sich vorbehalten kann. So waren Ende 1888 von 337 vergebenen Ausiedlerstellen in Posen 235 gegen Rentenbestellung verkauft worden, d. h. die Ansiedler haben diese Form der Erwerbung des Eigentums in den meisten Fällen vorgezogen. Manche alte Einrichtung, deren Neste unser künftiges bürgerliches Gesetzbuch deu Lnndes- gesetzgebungen zur völligen Beseitigung überläßt, ist nicht etwa das Ergebnis der übermütigen Willkür des mittelalterlichen Obereigentums, nicht etwa eine des¬ potische Schöpfung, der wir zeitgemäßen Abscheu widmen sollen, sondern das Ergebnis wirtschaftlicher oder politischer Notwendigkeiten. Auch bezüglich der Rentenschuld hat sich der Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches trotz mehrfacher Anregungen einer Entscheidung über diese Art der Grundbelastnug aus dem Grunde enthalten, weil das Rechtsbuch nicht mit wirtschaftlichen, zur Lösung noch nicht reifen Frage» belastet werden dürfe. Im preußische» Landesvkouomie- kvllegium ist dagegen die Gleichberechtigung der Nentenschuld mit der Kapitalschuld für den ländlichen Kredit vertreten worden. Diese durch das römische Recht verdrängte altdeutsche Schuldart ist der richtige rechtliche Ausdruck für ein wirt¬ schaftliches Bedürfnis, das sich nicht etwa nach Jahrhunderten wieder zeigt, sondern das nie aufgehört hat, zu bestehen, von unsern Rechtslehrern und Gesetzgebern aber nicht berücksichtigt worden ist. Inzwischen haben die römischen Grundsätze der Kapitalschuld die Seßhaftigkeit des Bauernstandes tief erschüttert. Neben den Anhängern der alten Schule aber, die die Nentengüter, Ewiggelder u. s. w. wie eine llcirriclsi arti<zung,L behandeln, hat sich längst eine jüngere Schule gebildet, die das Recht nicht in den Wolken sucht, sondern in den irdischen Dingen, die mit den Sozialpolitikern Hand in Hand geht in der richtigen Erkenntnis, daß nicht das Recht die wirtschaftliche Entwicklung zwingen kann, sondern daß das Recht zwingenden wirtschaftlichen Bedürfnissen dienen und folgen muß. Reif zur Lösung sind Fragen wie die der ländlichen Rentenschuld schon längst, und darum hätte der Entwurf zum bürgerlichen Gesetzbuche nicht auf die Auf¬ stellung einiger Grundsätze sich beschränken und die Frage, „welche Belastungs- arten zuzulassen seien," den Landesgesetzgebungen überlassen sollen. Nicht darum handelt es sich, welche Belastungsart zuzulassen oder auszuschließen ist, sondern, da das unabweisliche Bedürfnis nach Ermöglichung von Rentenschulden besteht, so Hütte der Entwurf die Rechtsgrundsütze so gestalten sollen, daß Schuldner oder Gläubiger nach Gutdünken davon Gebrauch macheu können. Würden wir in Lothringen Nentengüter schaffen, wie in Posen, und wie dies nach der Thronrede vom 15. Januar d. I. bei Eröffnung des preußische» Landtages für Preußen in Aussicht genommen ist, so würden wir uns keines¬ wegs mit dem ganzen Rechtsbewußtsein des Volkes in Widerspruch setzen. Die meisten Bauerngüter im Elsaß wie in Lothringen sind aus dem Verhältnisse der Erbpacht oder der zeitlich beschränkten grundherrlichen Pacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/266>, abgerufen am 23.07.2024.